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Briefkorpus

Donnerstag, den 3. Juli 1941

Mein liebes, teures Herz! Herzlieb, Geliebte mein!

Das ist heute ein verwanzter Tag in des Wortes wahrsten Sinne. Die lieben Wanzen haben überhand genommen in unserem Bau und etliche sind ganz zerbissen. Daraufhin nun wird unser ganzes Haus ausgeräuchert. Heute ist unser Stockwerk dran. Mit dem notwendigsten versehen[,] haben wir uns nebenan in die Schreibstube gestohlen und müssen nun sehen, wie wir die Nacht zubringen. 24 Stunden soll unser Raum unter Gas stehen. Ich bin gespannt, ob es hilft. So ganz schlimm war es bei uns noch nicht. In der letzten schwülen Nacht jedoch wachte ich von einem Krabbelreiz auf – und da machten sich gleich 2 an der rechten Hand zu schaffen. Darob entflammte mein Zorn ganz heftig (brauchst keine Angst zu haben deshalb vor mir), ich langte nach dem (Deinem!) Scheinwerfer und leuchtete mein Lager ab und was sich da blicken ließ, kam unbarmherzig unter den Pantoffel. Wie man es eben besieht, ist es eine schlimme Plage oder weniger schlimm. So eine vollgesoffene Wanze ist in jedem Falle aber etwas Unappetitliches. Hoffentlich liest mein Lieb das nicht gerade bei einem seiner Leckerbissen. Aber wohin man auch hört: Die Wanzen scheinen hier das Nationalhaustier zu sein. Mußt Dein Dickerle gleich mal ordentlich unter die Lupe nehmen, wenn es auf Urlaub kommt, Koffer und Kleider visitieren und den Rest womöglich selber. Nun nehme ich das Wort Urlaub in den Mund in diesem verwanzten Zusammenhange. An Wanzen will ich doch überhaupt nicht denken.

Herzlieb! Jetzt ist der Urlaub noch ganz fest gesperrt. Nur ein paar Kranke haben von uns fahren dürfen. Und je nachdem, wie der Rußlandfeldzug verläuft, wird diese Sperre früher oder später aufgehoben werden. Wir müssen uns gedulden. Und ein Augenblick, im Banne der Ereignisse im Osten, fällt das ja ein wenig leichter. Aber dann - - Herzlieb! Du weißt, daß ich alles Mögliche im Auge behalte für uns, um Heimzukehren zu Dir! Die Tage verrinnen ja so schnell, daß werdet Ihr in der Sommerfrische am eigenen Leibe gespürt haben. Unser Benjamin, Z., war diese Woche krank. Da lag die meiste Arbeit auf mir. H. und K. arbeiten ja nun endgültig im Hafen, und ich habe als Hilfe den Kameraden H. Bald wird unser Spieß zurückkehren müssen – und dann geht es ja wieder seinen normalen Gang.

Dieser Bote wird [Dich] auch wieder im Gleichschritt des Alltages sehen, recht erholt und Sonnenschein im Herzen, so hoffe ich recht sehr. Herzlieb! Ich bin ja um Deines Alltages wissen so froh. Daß Du nicht im Räderwerk der Fabrik Dich drehen mußt – daß Du selbstständig, und so wie Dir zu Sinn ist, schaffen kannst. Geliebte, Du weißt, ich verachte keine Arbeit. Und wenn ich einer anderen Frau so schreiben würde, sie würde mich vielleicht erstaunt ansehen und mich nicht verstehen. Vielen gefällt dieser stumpfe Mechanismus, dieser aufgezwungene Takt, dieser Trott – und das Milieu mit seinem Klatsch und Tratsch. Aber für Dich ist das nicht, oh nein, Du paßt da nicht hin, mit Deinem Eigensinn und Eigenwillen und Eigenstreben! Der lieben Mutsch trete ich damit nicht zu nahe, Du weißt es, sie geht ja nur, um uns etwas zu schaffen, die gute! Und überhaupt darf mann den Stab nicht brechen über die vielen Menschen, die bei Euch auf diese Arbeit angewiesen sind. Aber eine Frau ist und bleibt sie deshalb, alle Fabrikarbeit für den, dem das Blut lebendig in den Adern pulst. Ach, ich hoffe ja, daß man Dich gar nicht behelligen wird. Das Recht ist ja auch auf Deiner Seite.

Freitagmorgen ist nun. Hubo hat auf einer der langen Tafeln in der Schreibstube geschlafen. H. und K. auf der Diele. Eine Decke habe ich mir unter den Po gebreitet, die Aktentasche war mein Kopfkissen – und dann habe ich mich auf die Seite gedreht – auf die rechte! – und habe ganz lieb Dein gedacht und bin ganz schnell eingeschlafen. Es geht auch mal eine Nacht so. Ein bissel schmerzen die verlegenen Glieder. Aber im Plantschewasser heute werden die Falten wieder herausgewaschen. Und heute habe ich meinen freien Nachmittag, halt ich gleich ein bissel (Ferienscht) [sic] Mittagsschlaf mit meinem Ferienweibchen. Du! Wohin gehen wir denn da gleich? Wenn es schön warm ist, könnten wir uns ja ein Grasbettlein suchen – und sonst müssen wir eben bei der Scheibentante unterkriechen. Ach, da denk ich eben dran – habt doch wahrscheinlich ausziehen müssen. Wohin nur? – Ach nun bin ich ja neugierig. Bald werd ich es ja erfahren. Und das Mittagsstündlein? Geh ich eben heut Mittag zu Hohlfelds essen – und da seh ich sie ja sitzen – Mutter und Tochter – ob man wohl einen Korb kriegt, wenn man sie mal anspricht? Das große, schlanke Mädchen, es kann noch nicht alt sein, muß gleich heut Mittag mal nach den Händen hinschauen – das könnte mir gefallen! Du!!!!! Du!!!!!! Was schreib ich da für Unsinn! Ist doch schon meines! Meines!!! Bin doch das Mannerli, das beneidenswerte, zu dem großen, schlanken Mädchen, Du!! Groß und schlank ist's auch bloß von hinten zu sehen. Ich hab es ja schon ganz anders schauen dürfen – ich darf in seinen Augen ruhen, in seinem Herzen wohnen und an seinem Herzen liegen – und da ist es nicht nur groß und schlank und gut gewachsen – da ist es das allerliebste und allerbeste und allerschönste Mädchen, mein Weib!!! mein liebes, teures Weib!!!!!!!!!!!!!! Unser Glück, das reiche und unermeßliche, es ist doch recht e[in] Herzensglück wie jedes wahre Glück – hängt gar nicht allein am äußeren Maß und Ebenmaß – es ruht im Gleichklang der Herzen! In keinem anderen Herzen kann der Hubo besser wohnen – das ist die Vollkommenheit und das Wunder meines Glückes, und dazu, zu wissen, daß Du, Geliebte, in meinem Herzen am liebsten zu Hause bist! Du!!!!!

Du! Du!! Reich mir Deine lieben Hände, ich muß gleich ein Ringlein mit Dir tanzen, weil ich so glücklich bin!!! Und unser Glück, es leuchtet in unseren Augen und glänzt wie das Gold unseres Ringleins!

Gott behüte Dich, mein Herzlieb! Er segne unser Glück! Du!!! Ich habe Dich von ganzem Herzen lieb und keinen größeren Wunsch, als mit Dir zu sein und mit Dir zu leben! Oh, dieser Wunsch beseelt mich ganz! Du!!! Du!!!!! Und einmal wird es sich erfüllen, ich glaube daran! Du! Ich küsse die lieben, zarten Hände, die Du in die meinen legtest für dieses Leben – Geliebte! Dein großes, gutes Vertrauen, Dein herrliches Geschenk – ich bin ja sooo glücklich!!! Und Du hast das meine ganz! Du hast mich ganz!!! Ich bin Dein [Roland]!

In Liebe und Treue ewig Dein [Roland]! Du!!!

Die Bilder knipsten wir am Sonntag. Kamerad K. war neugierig und ließ sie entwickeln – die mich angehen, überließ er mir. Hubo macht Unsinn mit der neuen Uniform. Wie werden die uns bloß noch anscheißeln [sic]? Hab ja bald mehr Kleider als mein Lieb! Aber sooo schön sind sie lange, lange nicht, Du!!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946