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Briefkorpus

Sonnabend, den 05. Juli 1941.

Herzlieb! Mein liebe, liebste [Hilde]! Du!!

Eben ist der Freitagsbote hinaus. Die Luft ist rein. Ein paar vordringliche Arbeiten schon erledigt. Und da möchte ich doch schon wieder ein bissel mit Dir plaudern, dich ein bissel necken – Du!! Ach, ich hätte so mancherlei anderen zu schreiben – ich mag nicht, ich hab’ gar keine Andacht dazu. Möcht doch immer nur bei Dir sein! Weiß Dir auch jetzt gar nichts weiter Vernünftiges zu erzählen – und daß ich Dich so lieb habe, hat doch mit der Vernunft gar nicht viel zu tun! Ach, alles, was hier um uns ist, was ich hier treiben muss, liegt ja ganz am Rande meines Bewußtseins und Lebens, ist so unbedeutend und nebensächlich neben dem Großen, strahlenden Glück uns[e]rer Liebe!

Du, lauter große, hastige Kussel sind heute auf dem Meer – frisch weht die Luft von meinem Herzlieb her – und wenn ich jetzt mit Dir in der Sommerfrische weilte, da wollte ich so wie der Wind die Wellen dich haschen, und einkriegen – Du! Ich krieg Dich! – und küssen, Du!!!

Auf unserem Landesteg stehen ein paar Weibel; weißt [Du], was der Winde mit denen macht? Die Haare zausen – Du! Das möchte ich auch immer!!! Und gucken, was in den Kleidern steckt? – – – Das gesteh ich Dir nicht, wenn ich nicht ein ganz liebes Kussel kriege zuvor! Du!! Du!!! Oh, schön ist sie heute, die See, ich erlebte sie so schon manchmal. Frische und Freiheit atmet dann alles und der Tag ruft zu frohem Schaffen. Aber auch in den Bergen ist es schön! Du, Herzlieb! Magst Du mit mir auch einmal dahin fahren? Mit Dir von der Höhe in die Pracht der Gotteswelt zu schauen, das dünkt mir so glückvoll. Du! Ich hätt Dich schon viel eher kennen müssen! – aber da warst ja noch ein Schulmädel, ein Kind noch – da schlummerte noch alles Sehnen und Glückträumen, da lebtest Du noch wie alle Kinder dem eben Gegenwärtigen. Vor 10 Jahren, da hättest Du den Hubo vielleicht gar nicht beachtet – wenn er Dein Lehrer gewesen wäre, schon – hättest ihn dann vielleicht schon lieb gewonnen? Und ob der Lehrer [Nordhoff] auch die [Hilde Laube]? So nur, wie er die Kinder liebgewinnen darf – und nur, wenn „die [Laube]“ ein tüchtiges und zuverlässiges Mädel gewesen wäre, und wenn er aus ihrem Wesen eine gewisse Treue hätte lesen können, dann hätte er sie liebgewonnen. Die Treue, von der ich hier sprechen, ist eine Gefolgstreue, ein einsichts- und verständnisvolles Mitgehen mit dem Lehrer, auch wenn er zanken und strafen muß; diese Treue tut sich kund oft in nur einem verständnisinnigen Blick, sie ist ganz selten. Aber hätte und wäre und möchte – – das ist ja nur Gedankenspiel. Kein Mensch kann auch nur ein Rädchen zurückdrehen, keiner kann sagen, was dann und dann geschehen wäre. Gewiß ist nur, daß eines ins andre greift, daß auch das kleinste Rädchen seine Bedeutung hat, daß alles in dem Augenblick geschieht, in dem es geschehen soll und muß, nichts verfrüht und nichts verspätet. Diese Einsicht schneidet allen Hochmut und Menschenselbstherrlichkeit ab, sie führt uns zum Glauben und zu Gott.

Aber hoffen dürfen wir. Hoffen, daß dieser böse Krieg bald ein Ende nimmt, hoffen, daß wir dann glücklich Seit an Seite leben dürfen!!!

Herzlieb! Nun ist wieder Abend. Post ist gekommen – aber für mich war noch nichts dabei – morgen wird Dein Bote kommen. Wirst nun mit der lieben Mutsch glücklich wieder daheim sein? – Ach, ich bin doch ein wenig ungeduldig, davon zu hören und wo ich Dich nun suchen soll. Herzlieb! Es ist wieder in der Sonntagmorgenfrühe, da ich Dein denke. Die Müdigkeit überfiel mich wieder gestern Abend, dazu war H. auf Besuch und es wurde viel gebabelt. Jetzt ist wenigstens Ruhe. Keine Sorge, der Hubo ist ganz fein ausgeschlafen. Hat auch schon [den] Mund gespült und Zähnel geputzt – fehlt nichts zu einem ganz frischen Morgenkußel, Du? Magst eins? – Frisch rasiert? Bin ich noch nicht. Wenn es auch ein bissel kratzt. Ist denn mein Bub auch fein rasiert? Das will ich mir nur bei Tage mal genau besehen!

Vor einem Jahr, Herzlieb, war nun der letzte Sonntag des Wartens für mich. Es waren fünf lange, lange Wochen – vor der Weihnachtstür, Du! Du durftest mit der lieben Mutsch Dir wenigstens in der Weihnachtsstube schon zu schaffen machen und mit den Heimlichkeiten umgehen – aber ich mußte nur warten – und Schule halten – ach, es ist mir gar hart angekommen. Dafür bin ich eben das Mannerli. Es war ja aber auch ein besonderes Warten – ein ungewisses, kriegsmäßiges. Keinen Augenblick war ich davor sicher, einberufen zu werden. Und Du kannst Dir denken, wie ich aufgeatmet habe, als die Schultür sich schloß, die Fähre abstieß vom rechten Ufer, und der Zug sich in Bewegung setzte – zu Dir!!! Zu Dir!!!!!!

Unsre Liebe begann nicht erst am Hochzeitstag. Wir hatten auf diesen Tag auch nicht die Hoffnung aller Sinnenfreude gehäuft. Was diesem Tag seine besondere Bedeutung gab und geben sollte: Daß wir nun vor Gott und den Menschen als ein Paar standen. Vor Gott mit tiefem Dank und der heißen Bitte, er möchte uns und unseren Weg segnen. Ein Paar auch vor den Menschen, letzte Zweifel und Unklarheiten beseitigend und unseren Willen bekundend, ein Ganzes zu sein.

Herzlieb! Denke mit mir daran, frohen, dankbaren Herzens! Gott ließ uns ein Paar werden, vor seinem Altare stehen – mitten in harter, böser Kriegszeit, und Du hattest mich noch ganz damals. War das nicht mehr, als wir hoffen durften? Waren wir nicht manchmal schwankend geworden und kleingläubig in schwachen Stunden, wenn wir an diesen Tag dachten? Ich habe zuletzt mit Ungeduld darauf gewartet und mit großer Freude daran gedacht, unserem Einssein nun auch sichtbaren Ausdruck zu verleihen vor den Menschen. Ganz sicher waren wir geworden im Bekennen zueinander – niemand hat zweifeln können an dem Ernst, der Aufrichtigkeit und Reife unseres Entschlusses. Weißt, uns[e]re lieben Bekannten, wenn sie uns Zwei haben stehen sehen, den alten, strengen Hubolehrer und -kantor und daneben mein Herzlieb, die [Laube Hilde] – ich hätt doch mal so die verschiedenen Verse sehen wollen, die sie sich darauf machten und vielleicht noch machen!!!

Herzlieb! Sie ahnen das Glück nicht uns[e]rer Liebe, und nicht das Wunder. Weißt, was die meisten gedacht haben werden, wer hier die Zügel in der Hand hat? Der Hubo natürlich. Sie haben mich ja alle verkannt – ich glaube aber, mehr noch Dich, Geliebte! So wie ich Dich ja auch einmal. Wenn sie wüßten, daß Du den Glücksquell entdecktest – Geliebte! Sie werden es nie erfahren – unser zartes, wundersames Geheimnis, sie würden es nur entweihen und zu einer Sensation machen. Die Zügel in unserer Ehe? Die gibt es gar nicht, Geliebte. Am Hochzeitstage schon und heute erst recht: Liebe leitet und bestimmt uns – in Liebe halten wir einander ganz fest, neigen wir uns zueinander – und Deine Liebe war zuerst, sie ist nicht kleiner als die meine, Du!!!!!! Und meine Liebe hat Dir sich zugewandt, von Dir geweckt, hat Dir sich ganz zugewandt, Geliebte!!! – alle Liebe, deren ich fähig bin, sie schlägt Dir allein – und ich gehöre Dir ganz, so wie Du mir – und so habe ich mir mein Glück erträumt: meine Liebe so groß wie die andere, ein Herz so heiß wie das andere – und nun ist er herrlich erfüllt, dieser Traum, und diese Erfüllung – sie kam mir und kommt mir von meinem allerbesten, allerliebsten, allerschönsten, jungen Weibe, von Dir!!! Geliebte!!!!! Und es konnte ja nicht anders sein – Du und ich! – wir gehören einander – und Gott wird wachen über unserem Glück, so wie er es fügte!

Herzlieb! Ich küsse Dich, Du!!!!! Ich liebe, liebe Dich sooo sehr!!!!!!!!!!!!!!!! Ich bin Deiner so froh und glücklich!!! Dein Mannerli – und Dickerle – und Hubo – und [Roland]! Du!!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946