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[OBF-410718-002-01]
Briefkorpus

Freitag, am 18. Juli 1941.

Geliebter Herzensschatz! Mein lieber, lieber, guter [Roland]!

Drei ganz liebe Boten sind zu mir gekommen! Einer gestern und zwei heute! Du!!! Ich bin doch sooo voll! sooo ganz voll Freude darüber! Geliebter!! Ich muß Dich zuerst einmal ganz liebhaben — und ganz, ganz tüchtig lieb Dich küssen! Du!!!!!!!!!! Bin ich doch gestern garnicht dazugekommen meinem Herzlieb zu schreiben – ich meinte, daß ich vor Unruhe könnte nicht schlafen deshalb; aber ich bin vor Erschöpfung dann eingeschlafen. Laß Dir erzählen:

Wie Du schon weißt, wollte ich gestern mit dem 1. Frühzug nach Breitenborn fahren; es handelte sich um Erdbeeren. Am Tage vorher, dem Mittwochabend, da hatte ich Besuch. Erzählte ich Dir auch schon. Und es war so nett, daß sie erst nach Mitternacht heimgingen, die beiden Damens [sic]. [I]ch war ja soo müde!! Andern morgens um 4 [Uhr] mußte ich ja schon raus aus den Federn, damit ich meinen Zug erwischte. Vor 7 [Uhr] war ich schon in Breitenborn. Das Pfarrhaus lag noch in tiefster Ruhe! Weil Ferien sind! Und weil es soo herzlich regnete und ich aber auch nicht Alarm klingeln wollte, so habe ich mich unter das Verandadach, wo Gartenmöbel standen[,] hingesetzt. Da entdeckte ich auf einem Stoß Tischdecken, auf der Bank 2 reizende junge Kätzchen. Da hatte nun Deine katzenverliebte [Hilde] Zeitvertreib. So mochte wohl ½ Stunde vergangen sein – als ich mir überlegte: du könntest doch gleich erst mal zum Bauer C. gehen und nach deinen Erdbeeren fragen. Gesagt, getan. Und wie ich mich gerade fortschleichen will, da ruft aus dem Fenster oben jemand. Heidi war's! Die war natürlich erstaunt, daß ich bei dem Regen da war. So ging ich trotzdem erst los und die Herrschaften sind unterdessen aufgestanden. Beim Bauer war gerade Melkzeit und ich habe derweile einen kleinen, feisten Buben gehütet! Süß!! Und dann handelten wir. 5 Körbe Beeren habe ich herausgeschunden!! 25 Pfund! Da kann ich von Glück sagen – die bekommt heutzutage keiner. Ich war selig! Und nachher, ich hab erst den Enkelsohn noch trocken gelegt und ins Bettchen gebracht – scheinbar hat ihr [sic] das gefallen! – bot sie mir noch Schoten an[,] Kohlrabi und Salat! Mit Freuden angenommen! 5 ℔ Schoten, 5 Kohlrabi und 5 Stauden Salat. Fein, was? Ich habe alles in große Pappkartons verstaut, die mir Tante Liesel gab und verschnürt. So ging es am besten. Es darf doch auch keiner sehen, was ich gehamstert hatte! Lieber Schiebock!! Habe ich mich abgeschleppt!

Ich bin nachher nochmal los, wie ich die eine Ladung im Pfarrhaus sicher hatte. Der Weg muß sich doch lohnen, wenn ich mit der Bahn fahre! Ich habe da noch einen Bauern, der hält viel auf mich, weißt? Seit ich mal mit Dir und Heidi Rhabarber kaufte, nach der Hochzeit! Weißt Du noch? Wir unterhielten uns mit ihm eine Weile auf dem Rhabarberfelde? Er heißt A. Hat auch 2 Söhne, einer ist Landwirtschaftslehrer. Na kurzum, der meinte als ich am letzten Male Rhabarber kaufte, ich solle nur mal wieder kommen, für mich hätte er schon etwas. Und er gab uns gestern wieder ein Netz voll Rhabarber und 20 Eier! Wenn ich vorher geschrieben hätte, konnte [sic] er mir auch eine Henne mitgeben, so aber war sie schon verkauft. Dafür kriege ich später eine. Ist doch fein, ja? Ich fahre ungefähr aller 4 - 5 Wochen mal runter nach B. [sic] Siehste, es wird doch immer wieder Rat – wenn die Not gerade mal am größten [sch]eint, bietet sich ein Weg und alles ist wieder gut. Nun kann ich sogar noch Gemüse einwecken und brauche mich nicht zu sorgen, wie weit ich unser 1 ⅓ ℔ ziehen soll, das wir in der Woche kriegen auf die Karten. In Breitenborn herrschte wieder mal Hochbetrieb!!!

4 fremde Jungen waren da! Zu Ferien! Einer davon ist der Hamburger, der gehört ja nun mit hin vorderhand. Weil es regnete, waren sie nun alle drin im Zimmer, sie [ba]uten Schiffe! Feine Sache! Richtig aus einem Block Holz vom Stellmacher; nach Modellbogen bauten sie und waren Feuer und Flamme. Ich mußte mich auch in diese Schiffsbaukunst einweihen lassen. Andreas führte an! Da war noch so'n großer blonder Bengel, wohl 15 Jahre alt, groß!! Christoph, aus Meißen – er ist 2 mal sitzengeblieben in seiner Schule, nun ist er geflogen, erzählte mir Onkel Erich. Glaub' ein Pfarrersohn. Tante Liesel, Heidi und Gerda, das Mädchen[,] hatten vollauf zu tun in der Küche. Die haben kein Vorwärtskommen, möchte nur wissen, woran das liegt. Ich meine manchmal auch, daß ich nie fertig werde – aber in Breitenborn ist es viel, viel schlimmer! Die schusseln alle herum und keiner macht ein Ende. Tante Liesel fing ½ 1 [Uhr] mittags noch an Salzbrezeln zu backen. Am Abend war Kirchenratsversammlung, anschließend wollte Onkel noch eine kleine Gesellschaft geben anläßlich der Silberhochzeit. So ein Drasch! Seit früh 9 Uhr machten die 3 Frauen in der Küche das Essen für mittags: Beefsteak, Pellkartoffeln, Salat! Ich sollte auch mithalten, trotzdem ich nicht wollte, weil ich ¾ 1 [Uhr] schon wegfahren wollte und spätestens ½ 1 [Uhr] gehen mußte zur Ba[h]n. Ich half dann mit backen. Und bin dann in größter Eile noch zum Zug gerannt. Heidi rannte mit 'nem Teller in der Küche rum, wo sie mir immer mein Mittagbrot darauf servieren wollte. Ich hab sie sanft an ihren Backtrog geschoben und ihr eindringlich versichert, daß man zu Haus für mich gekocht habe! Tante Liesel fegte rumher, sie wollte schnell noch Marmelade abkochen und sagte immer „seid mal ruhig, ich muß überlegen wieviel ich Zucker abg[e]wogen hatte“! Ich habe ja so lachen müssen! Du!!!

Wenn Heidi als junge Hausfrau auch mal so fitzt wie ihre Mutter! Die Ärmsten machen sich ja ganz kaputt mit den Nerven! Komisch, warum die keine Einteilung haben! Zu dreien ließe sich dich das ganze Hauswesen prächtig organisieren! Ich glaube, ich traute mir das zu. Die Sache muß ja klappen — auch wenn viele Esser da sind. Jeder hat seinen kleinen Posten.

Auch die Buben! Das wäre gelacht. Von wegen Schuhe putzen lassen, alles 'rumschmeißen, die Sachen liederlich liegen lassen. Oh – da wäre ich keine Gute! Ich kann Dir offen sagen: ich habe die größte Lust, da unten mal richtig reinzufunken! Aber, das geht mich ja nichts an. Es muß jeder am besten selbst wissen wie er's macht. Kurz vor 3 Uhr bin ich Oberfrohna gelandet. Ach – ich war ja sooo abgekämpft! Das alte Umsteigen mit dem schweren Huckepack. Und der Regen dazu! Beide Hände voll – ich war pitschenaß!

[Z]uallererst zog ich mich um, aß ein wenig und las Deinen lieben, lieben Boten vom Sonnabend/Sonntag, von unserm Hochzeitstag, da Du mir alle Herzensseligkeit kündest! Geliebter [Roland]! Ganz hoch schlug mir mein Herz vor Freude und Glück! Wie unendlich selig bin ich!! Überglücklich bin ich in Deiner reichen Liebe! Du!!!!! Was Du mir bist! Oh! Geliebter!!!

Alle Müdigkeit war verflogen, singend machte ich mich [a]n die Arbeit: Beeren waschen, entstielen, einzuckern. Das war bei dieser Menge eine Arbeit von 3 Stunden! Gläser gewaschen, zum Einwecken. Mehr machte ich gestern abend nicht daran, erst müssen sie über Nacht saften. 8 große Gläser habe ich heute Vormittag zugekocht! Ich freu mich! Und von Rhabarber sind 3 Stück vollgeworden. Nun ist wenigstens der Anfang getan! Nun kann mein Hubo auf Urlaub kommen, kann ich ihm ja was Feines vorsetzen! Und dann noch eine Neuigkeit! Sitzen Mutsch und ich am Mittwochabend bei einer Handarbeit und erwarten den Mädchenbesuch; klingelt's unten. Die Mutter der Frau G.: sie bringt mir Grüße von Frau G. und bittet mich inständig, doch einmal nach ihr zu sehen, sie wolle mit mir reden.

Denke Dir! Mußten sie am Mittwoch früh den Arzt anrufen, weil plötzlich bei Frau G. heftige Blutungen eintraten – und sie ist ja in guter Hoffnung! Er hat sie gleich mitgenommen, Fehlgeburt. Sie ist am Sonnabend auf dem Teppich ausgerutscht beim Reinemachen und gefallen und seitdem hat sie sich nicht wo[hl] gefühlt. Am Montagabend, als ich bei ihr war, merkte ich ihr nichts an, außer ungewöhnlicher Blässe, doch das ist nichts Seltenes bei diesem Zustande. Ich bin ja so erschrocken, als mir ihre Mutter das erzählt [sic]! Sie ist vor Schwäche und Schmerz und Blutverlust ohnmächtig geworden. Der Arzt hat sofort einen Eingriff gemacht: die eigentliche Frucht war zum Teil schon verblutet – es war ja erst 1 ½ Monat – nun mußte er noch die Nachgeburt ausschaben. Furchtbar ist [d]as. Wahnsinnige Schmerzen. Ich weiß es von Tante Marthel in Glauchau. Als alles vorüber war, hat der Arzt sie wieder heimgefahren und nun liegt sie im Bett. Muß wie eine Wöchnerin 9 Tage liegen. Ich bin nun gestern abend statt in die Singstunde, zu ihr, um nachzusehen.

Sie tut mir so unsäglich leid! Bitterlich geweint hat sie, weil sie sich doch soo auf das Kindchen gefreut hat! Ihr Mann ist auch betroffen, er war garnicht daheim, als es losging mit den Schmerzen. Und nun bat sie mich, 

 

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946