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[OBF-410720-002-01]
Briefkorpus

Sonnabend, am 19. Juli 1941.

Mein Herzensschatz! Du mein geliebter, lieber [Roland]!

Herzlieb Du!!! Gleich zuerst mal das Geschäftliche. Es kam heute ein Schreiben an von der Schulleitung Schöna, Kreis Pirna. Worin man mich bat um Auskunft: Geburtsdatum, Glaubensbekenntnis, früherer Beruf.

Ein Hauptlehrer H. war damit beauftragt vom Herrn Bezirksschulrat, der benötigt diese Personalien zur Ausfül[l]ung der Lehrer-Personalbogen. Ich denke beinahe, daß das alles gar keinen harmlosen Hintergrund hat! Was meinst? Wir werden es ja erleben, was geschieht. Weil man uns Frauen so hinterher ist, wittert man hinter jeder Amtsfrage gleich eine diesbezügliche Sache.

So. Und nun will ich Dich auch mit der Stupsnase, (das kannst Du eher bei mir, weil ich eine hab'!) auf Dein verrutschtes Datum drücken! In Deinem Jubi[l]äumsbrief schreibst Du oben rechts: 29. Juni 1935! Wie kommst Du mir auf diese ausgefallene Jahreszahl? Ich habe mich schon so fleißig besonnen, ob da irgend etwas Wichtiges los war – ich finde nichts als das: daß ich damals eben 15 Jahre alt war und an den Hubo wohl kaum gedacht habe! Da interessierte mich am brennendsten die Säuglingspflege, die wir gerade in der Volksklasse behandelten – und dazu brauchte ich doch vorderhand keinen Mann! Verstehst Du das? Nun sag mir: war das Deine Absicht, oder ein Versehen?

Und nun will ich gleich der Reihe nach auf Deine lieben Boten eingehen. Der vom Freitag, den 11. 7. wo Du mir erzählst, welch wunderschöner Sommertag da war. Ich freue mich ehrlich mit Dir, daß Du ihn mit Kamerad H. richtig ausgekostet hast! „Ausgekostet“ auch wörtlich genommen! Liebe Zeit!! Schinkenomelett! Wenn ich das höre! Das ist für uns Deutsche eine Fata Morgana! Na, weil's nur mein Herzlieb mit gesundem Appetit verspeisen kann! Ich bin ja so glücklich, daß Du keine Beschwerden hast und die ganze Zeit alles so gut überstandest! Das kannst Du mir vielleicht gar nicht glauben, wie froh mich das macht: Dich gesund zu wissen! Du!!!

Ich verginge ja vor Angst und Sorge um Dich, sonst! Bist dann allein noch weitergeschlendert in den schönen Abend und hast das bunte internationale Treiben beobachtet, an Dir vorbeiziehen lassen, das nun bei Euch seit Tagen herrscht. Ach ja, ich möchte das auch sehr gerne einmal miterleben! Und weil's nicht mög[li]ch ist, freue ich mich umso mehr auf Deine Heimkehr, da Du mir erzählen wirst – erzählen!!! Ich freue mich, Du!! Die guten und bösen Seiten Deines Lebens im Auslande beleuchtest Du in Deinem lieben Boten und ich bin ganz dabei, Du!! Und ich kann die große Freude wohl begreifen Geliebter, wenn Du plötzlich auf irgend etwas Heimatliches stößt. Wie z. B. der Finkenmats zu schmettern begann! O ja – ich kann Dir das so recht nachfühlen – Du!! Du!!!

Ach – wer hängt wohl inniger an seiner Heimat als der Deutsche? Ich kann mir kaum einen Menschen denken, der so verwurzelt ist mit der Heimat, Deutschland. Und wie ich aus der Sommerfrische heimfloh! Heim zu meinem Mannerli! Heim! An seine Brust mich bergen, ach, dann ist alles gut – alles gut! Du!!! Und so denke ich, wird mein Herzlieb heimeilen zu seinem Weibe! Heim zu mir, in meinen Schoß! Oh Du!! Du!!! Wie will ich Dich lieb und lind streicheln — ganz, ganz fest halten – sooooo fest! Du mein geliebtes, allerliebstes Mannerli! Ich liebe Dich. Komm zu mir! O kehre mir wieder – Geliebter!!! Hier habe ich vorhin aufgehört, um erst zu baden, Du! Und nun ist die Ilse Sch. zu uns gekommen, ich will sie nicht sehr lange warten lassen. Die Bachgesellschaft zu Limbach hatte einen Liederabend im Stadtpark angesetzt, er mußte aber wegen Regenwetter [a]usfallen. Wir bedauerten das ja sehr. Und so entschlossen wir uns ins Kino zu gehen, die Mutsch auch mit! Der Wochenschau wegen, der Film heißt: „Venus vor Gericht“. Ein guter Film wars, aus der Systemzeit, da sich die echte Kunst durch allerlei Spittel und Unmöglichkeit hindurchringen mußte. Ein junger Bildhauer verkörperte gut einen strebsamen, idealistischen, wahrhaften Künstler, der dem aufsteigenden Nationalsozialismus angehört und darum von den sogenannten ,höheren' Kreisen viel Schwierigkeiten erfährt. Durch eine Geschichte, die er in seinem jugendlichen Eifer ausführte, um diejenigen zu überführen, die sich zu den Tonangebenden der bildenden Kunst zählten, gerät er in Schwierigkeiten, sie führen zu Gerichtsverhandlungen am Ende. Einen klassischen Mädchenkörper bildete er vor 2 Jahren in Stein nach und vergrub ihn in einem Acker irgendwo in Bayern. Er ahmte die Bruchstellen so gut nach, daß selbst Kunstsachverständige, die bei dem höchst seltsamen, „antiken“ Fund in Oberbühl zu Rate gezogen wurden, erklärten: es handele sich hier um einen höchst wertvollen Fund aus der Zeit der Römer, [d]ie ja bekanntlich ihre Kultur nach Europa getragen hätten und überall ihre Tempel mit Figuren dieser Art geschmückt hätten! Justiz, Staat, Presse, alles ist in diese Sache verwickelt. Da hört der Schöpfer dieser Statue davon! Und geht hin und behauptet, er habe dieses Werk geschaffen, – man ist entrüstet, verlacht ihn. Er soll sich zuletzt vor Gericht verantworten. Schieber, jüdische Hintertreiber, die darin verwickelt sind u[nd] um ihr Geld bangen, tun alles, diesen armen Kerl, der keine Zeugen hat, klein zu kriegen. Seine Freunde bringen ihn soweit, das Mädchen ausfindig zu machen, die ihm einst Modell stand. Endlich gelingt es ihm. Er fährt zu ihr. Sie hat unterdessen den Bürgermeister geheiratet. Er kann sie nicht bitten für ihn zu schwören; denn er würde sie als Weib kompromitieren [sic]. Er fährt von ihr weg ohne ihr irgend eine Erklärung zu geben, warum er sie wieder aufsucht. Da sitzt ,sie' eines Abends mit ihrem Manne zusammen und hört durch den Rundfunk das Urteil verkünden in dem Prozess um die ,Venus vom Acker'. 2 Jahre Zuchthaus für Peter Bracke, der sich fälschlich als Schöpfer dieses Meisterwerkes der Kunst ausgibt. Nun gibt es für sie kein Besinnen, sie reist sofort nach München und stellt sich dem Staatsanwalt zur Verfügung. Sensation! Ihre Erklärung! Sie dringt zu ihrem Manne – er läßt die Scheidung einreichen. Das Dorf ist voll Klatsch und Spott auf seine Frau. [A]ls sie mit Peter Bracke, dem Freigesprochenen zurückkomm[t], um ihrem Mann zu erklären, weißt [sic] er sie ab.

Da kommt ein Mann vom Varieté und bietet dem Bürgermeister 1000 RM pro Abend, wenn er seine Frau bestimmt, daß sie sich dem Publikum zeigt. Er ist begierig nach dem Geld – besinnt sich – bittet seine Frau, bei ihm zu bleiben. Sie ist entsetzt über so viel Schamlosigkeit ihres Mannes und läßt ihn nun ihrerseits im Stich. Wendet sich ab. – Und fängt mit Peter Bracke ein neues Leben an. – Geschildert ist in dem Film gut, wie damals [d]as Judentum überall seine schmutzigen Geschäfte abwickelte – wie alles auf Schieberwegen zustande kam. Wie sogar der Staat in den Klauen des Judentums war und wie langsam ,das Morgenrot einer neuen Zeit' heraufzog! So ungefähr will der Film uns den Inhalt klarmachen! Ja – das Morgenrot einer neuen Zeit – ist doch gut gesagt – gelt?

Aber eines hat mir gefallen in diesem Film: daß ein wahrer Künstler zu jedem Opfer bereit ist, wenn es um die Kunst geht – und das bedeutet in meinen Augen ebensoviel [sic] wie ein stilles, kleines Heldentum, von dem die Öffentlichkeit kaum etwas erfährt. –

Mein geliebtes Herz! Heute ist nun Sonntag, da ich Dir weiterschreibe. Gestern Abend tobte sich noch ein schlimmes Gewitter aus, sodaß ich keine Andacht hatte, Deinen Boten zu beenden. Heute nun ist alles trübe, es regnet noch und hat sich mächtig abgekühlt.

Um 8 Uhr bin ich heute aufgestanden! Und Du? Ich habe so lieb an Dich denken müssen – Du!!!

Aber ganz, ganz artig war ich dabei — ich bin doch krank. Führst denn noch fein Buch darüber? Kalendermannerli? Tu das mal! Im Falle, ich vergesse die genaue Zeit! Heute hatten wir Kirchgang. Einige Gefallene aus unsrer Gemeinde wurden abgekündigt, da sangen wir da[z]u. Du wirst keinen davon kennen.

Ein Schulkamerad von mir ist dabei – die anderen sind älter – fielen alle im Osten. –

Heute kam bei uns keine Post an – von Hubo nicht und von niemandem sonst. Beinahe ist mir's lieb so: erstens brauche ich da nicht wieder zu schreiben. Zweitens komme ich bei meinem Herzlieb garnicht mehr nach mit dem Antworten! Du!!! Du!!!

Es ist schon 3 Uhr vorbei – ich habe mit Mutsch gewaschen, Gemüse eingekocht und erst die Wohnu[n]g wieder sauber gemacht darnach. Nun plättet Mutsch. Vater schläft. Und ich? Bin für keinen zu sprechen! Aber nachher muß ich mithelfen; denn Mutsch will mir mein Voilekleid zuschneiden – endlich! Ich will es doch noch sticken! Und es muß fertig sein bis mein Herzlieb heimkommt! Denn, daß es bald mal heimkommt, das hoffe ich doch stark!!!

Alle Welt empfängt jetzt Urlauber – und ich? Ich will auch einen haben, den ich ganz lieb empfangen kann! Und der Richtige muß es sein. Sonst ist ja alles zwecklos! Du!! Du!!! Du!!!!!

Und nun halte ich den lieben Brief in Händen, den mein Herzlieb mir schrieb am Sonnabend vor unserm Hochzeitstage. Du!! Sei auch dafür herzinnig bedankt. Wie lieb Du zu mir kommst, Du mein Herzensschatz! Wer bekommt wohl noch sooo liebe Briefe? Oh, Du!!!!! Du mußt es mir immer und immer wieder sagen, wie glücklich Du bist mit mir! Geliebter! Geliebter!! Wie Du aus ganzem vollem Herzen bejahst – heute, wie vor einem Jahre! Mein [Roland]! Und auch wenn Du tausendmal mir schon bekanntest, wie sehr Du mich liebst – wie überglücklich Du bist! Du!!! Ich werden nicht müde, Dir zuzuhören! Voll Glück! Mit zitterndem, frohem, übervollem Herzen! Geliebter!!! Du mein Herzensschatz! Meine Ein und Alles! Du!!! Ganz eins sind wir! So ganz gehören wir zusammen – Gott hat es so gefügt! So sehr lieb haben wir einander. Wir dürfen uns lieb haben – lieb haben! Du!!! Alle Weltenseligkeit dürfen wir miteinander erleben – miteinander teilen! Geliebtes Herz! Seit an Seite schaffen und leben, erleben – mit Dir leben ein ganzes, langes Leben! Ach Du!! Ich bin doch genau so selig und glücklich bei dem Gedanken, wie Du!! All Deine Boten, die zu mir kommen in diesen Tagen, sie sind Künder Deines hohen Glückes, Deiner großen, jauchzenden Freude! Oh Geliebter!!!

Du sprichst mir aus der Seele! Meine Lieb!!! Und von Herzen gerne, oh gerne, lasse ich mir von Dir immer auf's Neue unser Glück wachrufen – aufjubeln muß es in unserm Innern, wie der Klang einer tausendstimmigen Himmelsmusik — das ist die Melodie der Liebe — unsrer Liebe, Du!! Wie unsagbar glücklich bin ich in Deiner Liebe. Geliebter!

Schöner und glückvoller als uns kann sich die Liebe selbst im Märchen keinem Paare neigen! Du!!! Oh Herzallerliebster! Bete mit mir täglich um Gnade für unser großes Glück! Daß es Gott uns erhalte. Möchten wir doch allzeit so froh und dankbar auf unsern Weg zurückblicken, wie wir es jetzt tun. Ja – Du!!!

Wir werden es allerzeit können – unsere Liebe bleibt unvergänglich in uns, sie ist der Brunnen allen Lebensglückes. Geliebter! Auf's Neue sind mir die Glückstränen gekommen, als ich nun Deinen geliebten Boten erhielt, der mir von Deiner übergroßen Freude berichtet, die ich Dir bereiten konnte an unserm Festtag. Deine lieben Worte sind mir reichster Dank! Und froheste Gewißheit, daß ich Dich wirklich beglücken konn[te]. Und nun kann ich mich doch erst von ganzem Herzen freuen, weil ich nun weiß: auch Du teilst diese Freude mit mir! Herzensschatz! Oh Herzallerliebster mein! Wie Du mir danken kannst!!!

Alle Herzensliebe und Sehnsucht strömt zusammen, wenn ich Deinen Boten von Deiner Dankesfreude lese! Du mußt bald, bald zu mir kommen – oh Geliebter! Ich liebe, liebe Dich! Wie unser Wiedersehen sein wird, ich kann es mir jetzt kaum schon ausmalen! Du!!! Aber, daß etwas ganz Wunderliches, Wunderschönes sein wird zwischen uns, das spüre ich – das weiß ich schon heute! Geliebter!!! Unvergessen wird dieses Wiederseh[en] in unsre Seelen eingebrannt stehen! Zu viel Liebe will sich schenken – keine Worte können hinreichen, um Dir zu sagen, wie mir um's Herze ist, wenn ich Dein denke!

Oh Geliebter! Ganz wundersam still bin ich vor übergroßem Glück! All mein Herzblut drängt zu Dir! Ich verbrenne ja vor Liebe und Sehnsucht, wenn Du mich noch lange warten lassen mußt! Oh!! Du!!! Geliebter! Mein!!! Gott schenke uns in Gnaden ein baldiges Wiedersehen!

Geliebter!! Ich kann Dir ja nicht sagen, wie Du mich beglückt hast mit Deinem Dank! Du herzliebes, gutes Mannerli, Du! Du mußt bei mir sein – mußt in meinen Augen lesen, was in mir brennt! Geliebter!! Gott sei mit Dir! Ich liebe Dich!!!

Bis Morgen auf Wiederhören!

Deine treue [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946