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[OBF-410812-002-01]
Briefkorpus

Dienstag, am 12. August, 1941.

Mein Herzlieb! Du!!! Geliebter!! Mein lieber, lieber [Roland][!]

Und wieder ist es Nachmittag – die Zeit, da ich mich hinsetze, Dein zu denken. Der Himmel zeigt schon seit Tagen ein finst'res Gesicht, windig ist es draußen – kühl. Ich muß immer ein wenig Feuer anmachen; wenn man nachmittags still im Zimmer sitzt[,] ist es kühl. Du! Gestern bekamen wir einen Teil unsrer Winterfeuerung! Ich will nur recht sparsam damit umgehen, man weiß nicht[,] wie sich diesmal der Winter anläßt – und wie wärmebedürftig ich sein werde! Um mich gehts' ja hauptsächlich; denn die Eltern sind den größten Teil des Tages außerhalb. Aber der Vater hat schon mit dem Kohlenmann gesprochen und einen Sondersatz Steinkohlenbriketts beantragt, soll er bekommen! Die zerklopfe ich mir, dann brennen sie gut. Ich habe mir vorgenommen in diesem Winter nachmittags in der Stube zu heizen, die ist rascher warm und bleibt es auch länger. Wenn ich fertig bin mit kochen, kann ich ja auch heraus aus der Küche.

Du!! Da rede ich schon so ausführlich vom Winter! Und jetzt haben wir noch Hochsommer, hier spürt man momentan bloß nichts!! Ach Du! Ob Du denn nächstes Jahr Deine Uniform ablegen kannst? Daß Du um Weihnachten noch in Feindesland bist, Du! das nehme ich beinahe mit Bestimmtheit an! Sind wir also auch ein zweites Christfest getrennt – ach, es müßte denn ein ganz großes Wunder geschehen, wenn es anders, besser käme. Wir wollen nicht orakeln! Alles kommt aus Gottes Hand. Und wenn ich nur weiß, daß Du gesund bist und daß Du nicht in Gefahr stehst – dann ist wohl alles zu ertragen. Du!! Wir sind ja schon soo bescheiden geworden! Geliebter, Du!! Ich muß wie Du immer wieder daran denken, wie es sein wird, wenn wir uns bei unserem Wiedersehen ein Kindchen wünschen.

Du!! Wir sind nun so ganz von Herzen glücklich – sind ganz erfüllt voneinander und uns scheint, das Glück unsrer Liebe hat keine Grenzen. Du!!! Und doch gibt es noch einen unerfüllten Sinn in unsrer tiefen Liebe, es gibt noch ein größeres Glück, daß [sic] wir noch zu unserem Glück hinzu[fü]gen können: ein Kindlein.

Dann erst ist unsre Liebe gekrönt – dann erst wird sie sichtbar. Das ist es, wohin all unsre große Liebe drängt. Geliebter! Das ist etwas, das so groß, so tief und so entscheidend in unser Leben greift!

Wir können es vielleicht in seiner ganzen Tragweite noch garnicht ermessen! Das alles wird uns erst offenbar, wenn das Kindchen da ist – viele Türen sind dann geschlossen, die wir im Anbeginn unsres gemeinsamen Lebens selig-froh und noch frei durchschreiten wollten. Überhaupt wird unser Dasein dann eine ganz neue Richtung nehmen, eine grundlegende Änderung erfahren, denn alles dreht sich dann um dieses Neue! Um unser Kind! Um unser Bestes, Kostbarstes, das wir beschützen müssen. Geliebter! Es ist Gesetz des Lebens, daß ein Paar, das sich für's Leben zusammenschloß, neues Leben weckt. Darum schuf doch auch Gott Mann und Weib – daß sie sich zusammenfinden, um ein Neues zu bilden. Wir sind beide gesund an Leib und Seele und unser Geist ist nicht arm. Rein äußerlich stünde also dieser großen Lebensaufgabe nichts im Wege. Und daß dieses Kindlein auch innere Nahrung reichlich hätte! Du!! Dafür bürgt unsre tiefe, große Herzensliebe! Herzallerliebster Du!!!

Und Du wie auch ich, wir fühlen uns bereit, ein neues Leben anzuzünden. Du weißt, es ist mir das höchste, liebste Geschenk, womit Du mich beglücken kannst! Und nur von Dir allein mag ich es annehmen. Geliebter! Im Weibe lebt die Sehnsucht, dem Geliebten Kinder zu schenken. – das Weib ist berufen, Mutter zu sein. Und nur Du allein kannst mit mir dieses Wunder, dieses göttliche Wunder, Mutter zu werden[,] recht miterleben! Ich weiß das ganz genau! Nur Du kannst die ganze Weite, diese Gnade – und auch Süße dieser gesegneten Zeit voll und ganz ermessen! Und darum wünsche ich mir ja sooooo herzinniglich: bleib' bei mir, wenn ich Dir unser Kindlein schenke!

Ach Geliebter! Ich weiß nicht, ob Du ermessen kannst, wieviel Herzensnot in diesem Ruf liegt! Es ist mir ganz unmöglich alles auszudrücken, was darin mitschwingt! Ein Weib denkt an die vielen vielen Tage[,] die dazwischen liegen, zwischen Empfangen und Geburt! Und was all diese Tage in sich bergen, das ist ein Leben für sich! Und ich muß es Dir sagen, Geliebter!! Wenn unser Kindlein nach unseren Herzenswünschen geraten soll, dann brauche ich Dich ganz um mich, geliebtes Herz! Die ganze gesegnete Zeit hindurch!

Geliebter! Du mußt mich recht verstehen jetzt: es ist nicht Angst[,] die mich so reden läßt! Angst vor dem Mutterwerden und vor der Schwere dieser bösen Kriegszeit! Du weißt, wie tapfer ich sein kann, wenn es gilt! Und es ist einer über uns, dem wir all unsre Not anvertrauen dürfen und reichen Trost empfangen. Nein. Das ist es nicht.

Aber sieh: dieses Kindlein, es ist wie ein Lebenswerk. Unser Lebenswerk! Und Du weißt, wie ich bin. Ich mag keine Halbheiten. Es muß ein Ganzes sein. Es muß unser Bestes sein, was wir hier darangeben! Und wie ist es nun, wenn wir an dieses Werk gehen, wenn wir uns umschauen? Da sind lauter Halbheiten schon äußerlich. Da fehlt erstens mein Mannerli daheim. Da fehlt unser Heim! Da fehlt die Ruhe in uns und um uns! Äußerlich wie auch innerlich. Da gibt es soviele [sic] Sorgen zu bedenken, die rein ums leibliche Wohl dieses „Kleinen“ gingen. Du wirst in der Fremde nicht wissen, woran es hier überall fehlt. Um mich selbst sorge ich mich nicht – aber wenn ich nicht eigennützig handle in der Zeit des Werdens, dann geht das alles dem Kindlein an zuströmender Kraft verloren. Und so selbstlos, ja – oft leichtsinnig wie zuvor, kann ich dann nicht mehr umgehen mit meiner Gesundheit: ich muß an die Pflicht denken!

Ich denke hierbei an den kalten vergangenen Winter. An viele Tage, da ich den ganzen Vormittag nichts zu mir nahm, weil ich einfach nicht die Zeit mir nahm. Es herrschen in dieser ungünstigen Zeit so erschwerte Umstände, in jeder Hinsicht. Und dann ist da noch eines, das ich immer auch bedenken muß: Bringe ich den Eltern nicht recht viel Unruhe und Drasch in ihre Tage?

Es ist ja ein ganz andres Leben, wenn ein Kind da ist! Alles muß vor ihm zurücktreten! Und ich weiß nicht, wie es der Vater aufnehmen würde, wenn wir in unsrer kleinen Wohnung dann noch mit einem Säugling durchkommen müßten. Vater ist sehr abgearbeitet und nervös.

Die Mutter nicht minder. Aber weißt, Frauen, die selbst Mütter sind, zeigen hierfür viel mehr Verständnis. Und ich weiß, es ginge alles schön Hand in Hand. Auch der Vater würde sich abfinden damit. Aber es wäre mir ein bedrückendes Gefühl – wenn ich fühlte, er gibt nur nach, weil's nicht anders geht. Ach ja, Herzlieb – so griffe eines ins andere – ich denke im Moment auch nicht gleich an alle Dinge, die ich Dir noch hierzu sage möchte. –

Geliebter! Du!! Du!! Ich verstehe Dich so lieb!

Auch alle Deine Sorgen hierzu, die Du mir nennst in Deinem lieben Brief vom Donnerstag, sie entspringen alle der großen gleichen Liebe wie der Wunsch mich so reich zu beschenken! Geliebter!! Ich bin sooo glücklich, daß ich Dich habe! Wer bedächte wohl noch so lieb und fürsorglich alle die wichtigen Fragen, die dazu gehören?! Geliebter! Auch dieses liebe Sorgen und Beraten, es schließt uns sooo fest und innig zusammen. Ach Herzensschatz! Du machst mir nicht bange, wenn auch Du alle widrigen Umstände anführst, die unsre Zeit jetzt gerade mit sich bringt! Und dazu all der Druck, der seelische, dieser schweren Zeit! Ach Du weißt, wie tapfer ich sein kann! Und daß ich auch hart sein kann! Du!!!!!

Aber – ist das die rechte Hülle fürs‘ Kindlein?

Und zur rechten Hülle, gehörte da nicht auch ein Heim? Ach Geliebter! Nur nicht verzagen!

Mit Gottes Hilfe ist dem allen abzuhelfen!

Wenn's garnicht anders ginge, dann müßte ich mir eben eine Wohnung suchen für mich und unser Kindlein! Nur eine kleine, zwei Zimmer – Küche und Schlafzimmer. Wir ziehen ja sowieso einmal weg von Oberfrohna. Und meine seelische Verfassung, die wollte ich mit aller Kraft und Willensanstrengung hoch halten und unserm Kindlein froh und frei schenken zum Gedeihen! Geliebter! Das Muttertum schenkt dem Weibe ungeahnte Kräfte – seelisch wie körperlich. Ein Weib kann dann über sich hinauswachsen!

Ich glaube das auch! Und um Deinetwillen, Du!! Ach Geliebter! Mein [Roland]! Du weißt es doch, ohne daß ich Dirs sagen muß: für Dich kann ich alles tun, für Dich ist nichts zu schwer, ist nichts unmöglich! Ich liebe Dich!

Herzelein! Wir wollen nicht mutlos werden über diesem Beraten! Gib mir Deine liebe Hand! Du!!! – So wollen wir weiterschreiten, wie es immer war, einander ganz und bis ins Letzte vertrauend und mit festem Glauben an Gott unseren Beschützer! So wollen wir auch das größte Opfer bringen! Du!! Furchtlos! Nur eines überlebte ich nicht, wenn ich Dich verlieren müßte! Dann müßte auch ich sterben, auch ich sterben [sic]. – Oh Du!!! Das kann ja der Herrgott nicht wollen! Und noch stehen wir beide im frohen, jauchzenden Leben – wenn es auch einen tiefdunklen Hintergrund hat! Wir sind jung und froh, und stark und gläubig! Wir wollen es wagen, dieses schöne, herrliche Leben! Du und ich! Du!!!

Gemeinsam!! Gemeinsam! Dazu helfe uns Gott! Mein Geliebtes, teures Herz! Ich bin Dein!!! Du!!! Ich liebe Dich über alles!!!!! !!!!! !!! Der Herrgott schütze und behüte Dich mir!

Mein [Roland]! Mein Herzensschatz! Geliebter! Oh komm! Komm zu mir!

Deine [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946