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[OBF-410823-001-01]
Briefkorpus

Freitag, den 22. August 1941

Herzensschätzelein! Herzlieb! Geliebte Mein!

Letzter freier Nachmittag heute – vor der großen Reise – in der nächsten Woche will ich ihn doch gleich noch mit dranhängen an den Urlaub, damit ich schon am Nachmittag fahren kann. Wenn das möglich ist, geht meine Reise über Belgrad – Agram – Graz – München – Hof. In München soll der Zug am zweiten Tage 1918 [Uhr] eintreffen. Nach meinem Fahrplan geht es dann 2130 [Uhr] weiter in Richtung Chemnitz, wo ich schon gegen 6 Uhr morgens eintreffe. Kann also sein, daß mein Telegramm in München aufgegeben ist – und telefonieren, kann ich denn das schon so früh? Du! Mein Herzlieb wird schon munter sein – ist ja immer munter, wenn das Mannerli geguckt [sic] kommt! Na, wir werden schon sehen. Herzlieb! Kannst Dir denken, daß das Mannerli schon ein bissel vom Reisefieber gepackt ist? Äußert sich in der Freude, die nun kaum noch zu halten ist.

Du!!! Du!!!!! Freier Nachmittag ist heute. Mit einem Plantschebad hat er begonnen. Hat das Mannerli gleich nochmal Musterung gehalten und nachgesehen, ob es auch kein Lausputtel [sic] hat. Weißt, da gibt es welche, die nisten sich ein an den schamigen Stellen. Alle Urlauber müssen sich erst dem Onkel Doktor vorstellen. Und wer Dummheiten gemacht hat im fremden Lande und solche Lausputtel hat, darf nicht in Urlaub fahren. Vor der Musterung ist Deinem Mannerli nicht bange. Auf dem Heimwege haben wir uns Wein gekauft, ein Oka jeder, das sind 1250 g, kosten 50 δ [Drachmen]. Den haben wir gleich verschnabuliert zu hause [sic], neben mir auf dem Tische liegen nur noch die Gerippe, ich hab doch die Portion von meinem Weiberl gleich mitgegessen. Nun war mein Bäuchel aber ein richtiges Weinfässel, und das habe ich erstmal ins Bettlein gelegt. Aber geschlafen habe ich nicht. Ach Du, Dein Mannerli hat ja bloß noch so wenig Schlaf, nachts 6, 7 Stunden, aber mehr nicht. Und das schon lange. Ist immer zu munter. Wo von soll es denn auch noch müde werden – von der Arbeit? Die strengt ja gar nicht an. Und sonst. Ach Herzlieb! Bei Dir will ich es doch wieder fein lernen, das Müdesein und Schlafen – Du!!!!! Ja? Herzlieb!!!

Ich bin nun wiederaufgestanden [sic], Kamerad H. schniebt noch unter seinem Mückenschleier. Gleich wird er fertig sein – dann wollen wir uns feinmachen, wollen heute Abend mal in die Vorstellung des Fronttheaters gehen, eine Operette von Kollo wird gespielt. [Um] ½ 8 Uhr beginnt es. Die Gruppe spielt hier schon über 2 4 Wochen, und wir haben noch nicht ein einziges Mal die Leistungen gewürdigt mit einem Besuch. Kostet gar keinen Eintritt. Zapfenstreich ist jetzt für uns erst um 11 Uhr. Wir haben es noch nicht einmal ausgenutzt. Außer Sonntags und an unserem Freinachmittag kommen wir kaum noch in die Stadt. Alle Besorgungen machen wir nach dem Essen. So zeitig wird es jetzt schon finster hier. Kurz nach 7 Uhr verabschiedet sich die Sonne, und dann wird es im Nu Nacht. Und zeitiger sitzen wir um die Lampe, zeitiger kommt die Andacht nach Hause, zum Herzensschätzelein und zu den Lieben allen.

Heute schreibt mein Weiberl mir doch den letzten Boten vor dem Wiedersehen, Du!!! Nun soll es Wirklichkeit werden, Geliebte! Gott segne es!

Hier habe ich aufgehört gestern, weil wir uns zum Gehen anschickten. Es war ein herrlicher Abend. So strahlend klar und übersonnt lag die Stadt mit der Burg und ihren Bergen dahinter, warm war es noch, aber ein Wind trocknete jeden Schweißtropfen geschwind. So war es eine Lust, durch die Straßen zu schlendern und man konnte sich des Empfindens nicht erwehren, daß dies doch ein glücklicher und gesegneter Landstrich ist. Das dachten wir auch, als wir gestern zum ersten Male eigentlich durch den Grünmarkt gingen, eine enge Straße. In den Mittagsstunden graut es einem durch diese Enge mit allerlei Dünsten und Gerüchen zu gehen. Das ist ein Rufen durcheinander, die Kinder helfen dem Vater schon mit halbem Gesangston die Waren anpreisen. Wein, Tomaten, Melonen im Überfluß. In Mengen auch Zwiebeln! Zitronen etwas seltener. Rosinen erscheinen immer mehr und werden billiger. Wir haben daran gedacht, daß bei uns doch die Zwiebeln so rar sind. Aber es ist nicht möglich jetzt, mich damit zu schleppen. Vielleicht kann ich mal welche schicken.

Zu unserem geplanten Theaterbesuch hatte ich eigentlich wenig Lust – Operette, ich fürchtete, daß es nichts recht Ganzes sein würde. Und so bog ich denn unseren Plan dahin ab, daß wir ein Kino besuchten, das Soldatenkino. Der Eintritt ist dort neuerdings frei. Es wird jetzt als Freilichtkino betrieben, das heißt Kino unter freiem Himmel in einem ummauerten Garten. Kann natürlich erst bei Dunkelheit beginnen, gestern 2010 Uhr. Wir kamen ziemlich pünktlich dahin und fanden es fast bis auf den letzten Platz gefüllt. „Liebe kann Lügen“ mit Dorothea Wieck. Ich glaube, Du hast mir diese Schauspielerin schon einmal empfohlen. Sie spielte eigentlich nicht die Hauptrolle. Der neue Lehrer an der Mädchenklasse eines Gymnasiums liebt seine Schülerin, und sie ihn. Der Lehrer bekämpft seine Neigung aus Pflichtgefühl, das führt dazu, daß er die von ihm geliebte Schülerin des öfteren geradezu beleidigend und harsch behandelt. Seine Sehnsucht und seinen Kampf schreibt sich der Lehrer in einem Roman von der Seele. Das Geschick will es, daß Stücke des Romans als Briefe eines anderen Liebhabers der Schülerin in deren Hände geraten. Dieser Liebhaber hat die Briefstücke gestohlen. Und nun wird das Mädchen, in dem die Liebe erwacht ist, durch Irrungen und Zweifel und durch das verletzende Benehmen des Lehrers durch allerlei seelische Not gebracht, die sich dann in erregten Auftritten Luft macht und die dann alles klären und dazu führen, daß Lehrer und Schülerin ein Paar werden. Es war hier ein ganz schwieriges Problem angefaßt und der Film versucht, den seelischen Regungen nachzugehen. Ich hatte des öfteren das Empfinden, daß hier soviel Feines und Zartes ins Rampenlicht gezerrt wurde und dabei vergröbert und peinlich herauskommen mußte, was viel schöner und feiner in einem Buch niedergeschrieben werden könnte. Es taugt nicht alles für das Rampenlicht, und dessen man sich schämen würde[,] es in Wirklichkeit zu zeigen, das wa berührt auch im Filme peinlich.

Herzlieb! Ich habe ja so sehr an Dich denken müssen – an das zarte Geheimnis Deines und unseres Liebens. Oh Herzlieb!!!! Herzlieb!!!!! Geliebte!!!!! Ich sah Deine erwachende Liebe! So jung und heiß und gläubig! Ich sah Dich in Deinem Schmerz, ruhelos, schlaflos die Nächte, ratlos, krank, uneins mit Dir selbst, von Zweifeln und Entschlüssen getrieben, ich sah Dich vor mir stehen, von Deiner heißen Liebe zur Selbstentäußerung getrieben – oh Herzlieb! Geliebte!!! Wie hast Du mich schon damals geliebt! Wieviel Schmerzen hat Dir diese Liebe bereitet! Und wie hart und fühllos [sic] wahr ich mit Dir! Geliebte! Geliebte!!! Ich tat Dir sooo weh und tat Dir so unrecht noch später mit jedem Zweifel, den ich in Deine Liebe setzte. Wenn ich jetzt zu Dir komme, will ich Dich selber fragen, ob Du mir denn all das verzeihen kannst – oh Du!!! Du!!!!!!

Ach Herzlieb! Auch ich fühlte all euch jungen Mädchen gegenüber eine Verpflichtung. Im Dienste der Kirche standen wir mit unserem Singen. Und eure Eltern schickten Euch dazu in dem Vertrauen, daß ihr dort in jedem Falle gut aufgehoben wäret. Und ich habe einigemale [sic] es bedauert, daß meine innere wie äußere Befugnis nicht so weit reichte, daß ich über das Heimgehen [sic] gebieten konnte. Und Du hast den einen Fall gewiß noch im Auge, es ist mehrmals geschehen, daß ich mit in die Gaststube ging, um alle mit heimzunehmen oder Obacht zu geben, daß die betrunkenen Männer da unten euch nicht missbrauchten. Eine andere Verpflichtung hat mich allzeit ganz wachsam sein lassen: Ich wollte keinem Mädchen falsche Hoffnungen machen. Ein Mädchen betrügen, das erscheint mir als etwas ganz Schlimmes. Diese Strenge gegen mich selbst und mein starkes Pflichtgefühl haben mich so unnahbar gemacht, sie sind im Beruf des Lehrers auch unentbehrlich. Ich habe Dir schon einmal davon geschrieben, daß in meinem Amt als Kantor ganz besondere Empfindlichkeiten lebendig waren. Aber mit all dem bleibt ungeklärt, warum Deine Liebe nicht schon damals die Meine weckte. Geliebte! Du!!! Mein liebes, teures Weib!!! Nur eines bitt ich; nur eines wünschte ich; daß Du meiner Liebe ganz, ganz gewiß bist nun!!! Oh Herzlieb!!! Soll ich nach Worten suchen? Mit Beredtsamkeit kann ich Dir das am allerschlechtesten dartun. Mit meiner Liebe und Treue will ich es Dir beweisen mein ganzes Leben lang. Ich fühle Dich an meiner Seite so groß und stark, und kann mir gar nicht mehr denken, daß es einmal nicht so wahr – ich kann nicht mehr sein ohne Dich Geliebte! Und das bedeutet nicht, daß ich Dich brauchte im Sinne der Nützlichkeit oder einer Gewohnheit – Herzlieb Du weißt es, der Thron, der so lange leerstand in meinem Herzen, er ist nun erfüllt von Dir! Von Dir!!!!! Das ist mein ganzes Glück, so bist du mir ganz unschätzbar und unersetzlich – ich darf nun verehren und beschenken und mich anvertrauen, darf lieben, Dich lieben!!! Herzlieb! So ganz sind wir schon voneinander erfüllt – haben noch kein Kindlein, haben noch kein Heim – Äußerlichkeiten verbinden uns kaum – aber lieb haben wir einander so ganz sehr aus tiefstem Herzen! Das sollst Du ganz froh und gewiß und beglückt mit mir fühlen!

Herzallerliebste! Die Zeit drängt. Der Bote soll noch mit auf den Weg. Ach Herzlieb! Bald sollen Tage kommen, da wir immer füreinander Zeit haben – da wir einander gar nicht aus dem Auge lassen – da wir immer umeinander sind. Wie ich mich darnach  mich sehne – bei Dir sein – immer bei Dir sein!!! Geliebtes Weib! Ich habe Dich sooooooooooooo sehr lieb! Ich bin ganz ganz Dein! Bin ganz erfüllt von Deiner großen Liebe – bin so unsagbar glücklich in ihrem Besitz. Ich bin doch das glücklichste Mannerli der We[lt]! Du!!! Du!!!!! !!!!! !!! Bleibe bei mir, Geliebte!!! Behalt mich lieb, Du!!! Geliebtes Menschenkind!

Dein [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946