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[OBF-410928-002-01]
Briefkorpus

Sonntag, am 28. September 1941.

Herzallerliebster! Mein lieber, liebster [Roland]!

Der erste Sonntag allein – o ja, Herzlieb! Ich habe es gespürt, wie allein ich heute war.

Aber ich will nicht klagen, Du! Die lieben Eltern hatte ich ja bei mir, – und ich weiß genau, daß sie mich heute mitnahmen, um mir mein Alleinsein zu nehmen, daß [sic] ich noch so sehr fühle nach diesen wenigen Tagen Deiner Abreise. Ach Du! Mein Herz ist noch so wund, ich könnte laut schreien vor Sehnsucht nach Dir, Geliebter! Und ich weiß doch genau, daß unsre schöne Zeit zu Ende ist, daß sie einer langen Wartepause Platz machen mußte. Die Pause muß ja sein – Du! – sonst kann ja kein neuer Urlaub kommen! Ach, ich zwinge mich mit aller Gewalt zur Vernunft, Herzensschätzelein! Ich will mir nichts merken lassen – vielleicht sieht mir Mutsch doch meine Ruhelosigkeit an den Augen ab. Ich könnte mich schwach schelten, wenn ich an Dich denke, Geliebter! Um wieviel schwerer mußt Du an diesem Abschied tragen, der Du in die Fremde ziehen mußt! Oh Du! Verzeih‘ mir! Du!! Ach Geliebter! Mein Weh, mein Schmerz, es sind Zeichen nur meiner großen Liebe, fühlst Du es? Als ich Dich noch neben mir fühlte, da war ich so ruhig, so stark – nun ist es doch noch über mich gekommen, das große Weh des Scheidens. Du! Aber du sollst keine Klagende finden, Herzlieb! Ich muß mich nur an Deine Brust flüchten mit meinem Schmerz – Du liebst mich, Du verstehst mich. Du!!! Und Du fühlst wie ich den Schmerz des Scheidens – laß‘ uns aneinander Halt und Kraft finden, Geliebter. Es wird der wildeste Schmerz sich glätten im ruhigen Gleichmaß unsrer kommenden Tage – oh, gewiß. Und wenn ich mich Dir nun anvertraute, wird mir leichter werden, Du! Du!!!

Vor 8 Tagen spazierten wir noch glücklich Hand in Hand ins Muldental, weißt Du noch? Auch da bewunderten wir den Farbenkünstler Herbst schon. Und heute, ich weiß nicht wie es kam, da berührte mich diese Pracht so eigen – wie ein Schauder kam es über mich. Als wollte mich die Pracht narren– morgen schon, ach, im gleichen Moment, da ich sie noch schaue muß sie vergehen, sterben – ein Windstoß zieht alles herab zur Erde. Alle Seligkeit hat ein Ende. So mußte ich denken. Und bezog das Vergehen der Natur auf mich, auf unser Los. Ich war ein wenig schwermütig heute. Man hat solche Stunden. Ich will aber jetzt wieder ganz froh sein, wenn ich bei Dir bin und Deine geliebte Hand fasse, Du!!! Heute früh, Du! Ich wollte ja um 600 [Uhr] wach sein und Deine Ankunft in S. miterleben!

Ja, Kuchen! Wer schlief wie ein Murmeltier? Deine [Hilde]. Schlag 7 00 [Uhr] erwachte ich! Oh, wie war ich ärgerlich! Ich zeigte der lieben Sonne, die schon in’s Bettlein schaute, ein bös Gesicht, Du! Und Reif war gefallen, drum fielen heute so viele, viele Blätter ab von den Bäumen. Erst habe ich nun ganz fest und lieb Dein gedacht, Du!! Du!! Bis mich Vaters‘ [sic] Hafenkonzert aufdringlich laut aus meinem Träumen riß. „Wenn das Schifferklavier an Bord erklingt ….“[.] Nun mußte ich rrraus [sic]! Man hatte schon den ‚Kirmeskaffeetisch‘ gedeckt! Apfelkuchen gabs‘ [sic]. Nun wollte ich doch auch mein Dickerle mithalten lassen. Und so stellte ich’s halt neben meine Kaffeetasse!

Ich machte mich dann zum Kirchgang bereit. Das Wetter war sonst schön, nur sehr windig. Heute begann die Kirche erst ½ 1000 [Uhr], wegen der goldenen Konfirmation; es kamen viele Auswärtige dazu mit Zug und Bus. Und so kam es, daß ich den Postboten noch abfangen konnte. Oh Du!!! Er hatte etwas für mich! Einen Brief vom Siegfried und einen, denke nur! Vom Herzallerliebsten! Schon!!

Geliebter Du! Oh – ich danke Dir! So sehr!

Mir haben die Hände so sehr gezittert, als ich ihn erbrach. Du!! Wie liebe ich Dich!!! Du!!!!! Mein Leben! Wien, die singende Stadt! Und die allerschönsten Bilder hast Du mir ausgesucht! Wie ich Dir danke!

Wien – ich kenne es nur vom Film, es muß ein Erlebnis sein, diese Stadt kennenzulernen! Welch eindrucksvolles Bild, die Gesamtansicht der Stadt. Und im Hintergrunde sehe ich wohl gar schon die österreichischen Alpen? O ja, wenn ich das einmal mit Dir schauen dürfte! Wir wollen sehen! Ach Du! Der Frieden hat ja für uns schon solch reichhaltiges Programm, Du! Daß mir schon schwindelt und bang wird vor einem „Unfrieden“! Aber dem wollen wir schon mit Macht vorbeugen, ja mein Lieb? Wieder eine schöne Bilderreihe mehr in unser Erinnerungsalbum!

Nun sage mal! Man hat Dich nicht mitgenommen nach Belgrad? Der Urlauberzug war überfüllt? Du! Wenn wir das vorher wußten, Du! Da wärest Du erst am (Donnerstag o) Freitag von mir weg, ja? Oder – ich wäre gleich mit bis Wien gefahren, daß ich mit Dir den Tag verbringen konnte bis zur Weiterfahrt. Ich bedaure Dich einesteils, daß nun Deine lange Fahrt nochmal verlängert wird, armes ruheloses Hascherl! Aber wiederum hoffe ich stark, daß Du eine Nacht in Wien bleiben konntest, daß Du Dich irgendwo in einer Unterkunft langstrecken konntest zum Schlafen! O wenn’s doch so wäre! Das gönne ich Dir so sehr – einmal tief schlafen und dann gestärkt weiterfahren. Du mußt mir alles erzählen Herzlieb, ja? Hoffentlich langte nun Dein Proviant! Du hattest ja keine Reisemarken, um Dir in Wien etwas zu leisten.

Nun kommst Du erst morgen, also Montag an. Du! Ob sie Dich gleich einspannen in den Dienst? Ach Du! Das täte mir sooo leid! Wo Du doch so müde und kaputt bist von der Reise! Schreibe mir nur in der ersten Woche ganz wenig Herzlieb! Schlafe – schlafe – schlafe. Wie ich, Du! Ich kann nicht genug kriegen. Ja Du! Jetzt ist Deine übermütige [Hilde] schachmatt!! Und weil ich mich ein bissel meiner Schwäche schäme vorm starken Manne[rli], darum schreibe ich ganz klein! Du!!!

Ach, wenn Du erst wirst immer um mich sein, dann wird es nie so weit kommen, daß wir soo nach Schlaf und Ruhe verlangen. Dann werden wir unsre Kräfte gleichmäßig verteilen. Ein ganz regelmäßiges, gesundes Leben soll uns täglich froh und munter beisammen finden, Du! Wie ich mich freue auf unser Leben! Du! Oh Du!!! Ich denke jetzt ganz lieb und froh und innig an Dich, geliebtes Herzelein! Ich will nun schlafen geh[e]n! Gott behüte Dich mir allezeit! Mein Leben! Ich liebe Dich! Du!!! Ich küsse Dich! In Treue Dein!

Ganz Deine [Hilde].

Viele Grüße von den Eltern!

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Autor Hilde Nordhoff
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946