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[OBF-410930-001-01]
Briefkorpus

Montag, den 29. Sept. 1941

Mein liebes, teures Herz! Geliebtes Weib!

Ist es denn wirklich möglich, daß nun das Meer, das Ägäische, wieder heraufrauscht? Daß ich nun diese Stadt wiedersehe, Saloniki? Ist es nur ein Traum? Oder sind es die vergangenen Tage? Ich weiß nicht. Traumhaft erscheint alles. Nur, welcher Traum der schönere war, das weiß ich, Du! Du!!!

Rasch ist die Fahrt gegangen bis Belgrad. Aber das letzte Stück von da an schien mir ohne Ende. Ach, Herzlieb, und mehr als einmal wollten trübe Gedanken mich bedrängen, als ich nun wachen Sinnes Stück um Stück mußte von Dir mich reißen lassen. Ich habe ihnen selbst gewehrt, wie ich nur konnte, und dann waren da Kameraden, die mich stille werden ließen: Bayern und Österreicher, Gebirgsjäger, in meinem Abteil, junge aber patente Burschen. Sie hatten schon manchen Kampf hinter sich – sie mußten bis nach Kreta zurück – einer von ihnen hatte ein Koffergrammophon. Es war wirklich eine Gesellschaft, wie ich sie gerade brauchte, ich empfand es so dankbar. Dankbar auch, daß ich heil wieder hier unten anlangte. Bekannt – und doch auch fremd mutete mir alles an. Ach, könnte ich es ganz fest und treu bewahren, das Bild der Heimat, das ich in mir trage! Daß es gar nicht verwischt werden könnte durch die Eindrücke hier. Kalt und fremd und irgendwie abstoßend kamen mir auch Gesicht und Ton unsrer Kaserne vor: ohne Liebe, ohne Herzlichkeit. Auf allen Gesichtern ein komischer Zug. Ach Herzlieb! Als wenn ich eben aus dem Paradies gekommen wäre! Du! Aus dem Garten unsrer Ehe! Sie hat schon ihr eigenes Gefühl, ihren eigenen Ton – und sie soll ihn immer behalten. Oh Herzlieb! Wenn ich mich wollte gehenlassen, könnte mir bitterweh werden darum, daß ich Dich lassen mußte – aber es ist ja nur für kurze Zeit. Umso strahlender steht das Bild in mir unsrer Zukunft. Gebe Gott, daß es sich in Wirklichkeit wandeln möge, recht, recht bald!

Nun ein paar Einzelheiten von meiner Reise. Der Zug nach Dresden blieb so leer – das war mir eben recht. Ich habe Deinen Weg noch verfolgt – gegen 10 Uhr waren wir in Freiberg, da wußte ich Dich daheim. Auf dem Bahnsteig, den auch Du kennst, lief der Urlauberzug nach Wien ein. Viele wollten einsteigen, und der Zug kam schon dicht besetzt an. Zum Unglück geriet ich auch noch in einen Wagen, der in Prag abgehängt wurde. Ich fand aber wenigstens einen Sitzplatz. Von Prag an habe ich dann auf meinem Koffer gesessen. Ich habe kaum hinausgeschaut. Die Strecke bis Bodenbach kann ich ja ohnehin auswendig. Der Zufall wollte es, daß ich gerade Schmilka mit seiner großen Laterne noch einmal sah. Ein Kamerad fragte mich nämlich, ob wir wohl schon durch Schandau wären, und deshalb hatte ich Acht darauf. Ach Herzlieb, Du kannst Dir denken, daß mancherlei Gedanken mich bewegten. Sie vermochten aber nicht das Strahlen unseres inneren Glücks zu finden, das in mir ist, solange ich lebe und Dich habe. Gegen 11 Uhr kamen wir nach Wien. Die Fahrt von Prag nach Wien über Gmünd ist ziemlich eintönig. Kurz vor Wien aber wird die Landschaft wieder bedeutsam. Der Wiener Wald tritt an die Donau heran. Klosterneuburg mit einer gotischen Kirche und einem mächtigen Stift liegt auf einer Anhöhe in grün gebettet. Am Rahtenberge, dem bekannten Aussichtspunkte Wiens fährt man vorüber – und dann die Stadt selbst, in den Vororten mit großzügigen Siedlungen. Schnell sind wir nun zur Straßenbahn, die uns vom Franz-Josefs-Bahnhof nach dem Südbahnhof bringen sollte. Sie fährt über den Ring, an den die schönsten Baulichkeiten und Plätze grenzen. Auf dem Südbahnhof warteten schon viele Landser und wir Neuankömmlinge standen aussichtslos weit hinten. Einer der Urlauberzüge, der über Ungarn fährt, war schon weg. Und so kam es nun so, wie ich Dir schon erzählt habe. Am andern Tage gingen wir beizeiten zum Bahnhof – und hatten Glück, daß wir mit dem ersten Zug fortkamen. Dieser fuhr über den Semmering nach Graz. Bei Bruck an der Mur stieß die Linie auf diejenige, die ich vor 4 Wochen kam. Über Marburg fuhren wir aber dann, vom Heimatkurs abweichend, über Agram nach Belgrad. Ich hatte einen Fensterplatz. Des Nachts habe ich mein Kopfbettlein hervorgeholt. Viel geschlafen habe ich nicht.

Es ist Dienstag, da ich weiterschreibe. Ich bin gestern schon [um] ½ 9 Uhr schlafen gegangen und habe bis gegen 5 Uhr fest durchgeschlafen. Nun bin ich wieder munter. Kamerad K. freute sich, daß seine Einsiedelei nun eine Ende nahm. Er sieht wohl aus. Es ist nichts von Bedeutung vorgefallen in der Zeit meiner Abwesenheit. Auch dienstlich ist es, soweit ich jetzt übersehen kann, alles so halbweg[s] um den Ring gegangen. Die Wanzen haben im ganzen Hause wieder überhandgenommen, in unsrer Stube weniger, und diese Woche wird noch einmal ausgeräuchert. Ein Ofen steht schon bereit, Wärme zu spenden. Augenblicklich ist es noch nicht nötig. Es ist noch warm draußen. Hoffentlich werdet Ihr zu Hause mit noch recht viel schönen Herbsttagen für die vielen grauen Sommertage entschädigt. Vor acht Tagen, Herzelein, waren wir noch glücklich miteinander unterwegs. Nur in wenigen Augenblicken mahnte es mir [sic]: in 48 Stunden mußt Du wieder ziehen – und über 8 Tage, da schaust Du wieder ganz andere Bilder – fast unmöglich konnte es scheinen. Und nun ist es doch so. So schnell entführt uns die Technik auch aus dem schönsten Garten – so schnell aber kann sie mich Dir wieder zuführen. Und wenn ich dann für immer bei Dir bin, dann soll sie mich so unerbittlich hart nimmermehr entführen.

O Herzlieb, Du, wieviel Du mir bist und wieso sehr wir einander in Liebe verbunden sind, das wurde uns doch die letzten Stunden um den Abschied wieder recht bewußt. Und was wir einander da bekannten und gelobten, es kam aus tiefstem Herzen: Ich bin Dein für immer, ganz Dein! Ich liebe Dich wie nichts sonst auf dieser Erden! Ich bin so ganz glücklich mit Dir!

Unser Bund ist eine feste Burg, ist uns beiden Heimat und Zukunft, Lebens[auf]gabe und Zukunft. Wir können beide auf Erden keine bessere Geborgenheit finden. Und mit jedem Wiedersehen wird diese Burg höher und fester – immer eigener wird uns der Bezirk in ihr – sodaß wir, aus ihr heraustretend, uns fremd fühlen und in uns deutlich das Bewußtsein unsrer Eigenheit tragen.

Herzlieb! Die Hand ist noch ganz ungewandt – ich glaube, sie wurde es, weil das Mündelein dafür desto gewandter wurde. Nun muss es für eine Zeit aber wieder anders werden, Händchen fleißiger als Mündchen – es muß so sein.

Ach Du, Geliebte! Selber möchte ich doch kommen und Dir in die Augen schauen, Dich schauen, damit Du es siehst, wie alles in mir strahlt vor Glück und wie lieb ich es mit Dir meine! Oh Herzlieb! Denk an die schönsten, trautesten Stunden – was Du da fühltest, und noch viel lieber – so liebe ich Dich, immer!!!!!

Gott behüte Dich!

O Du!! Du!!!!! Ich bin Dein! Ganz Dein [Roland]!

Ich liebe Dich! Du mein geliebtes Weib!!!!! !!!!! !!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946