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[OBF-411006-002-01]
Briefkorpus

Montag, am 6. Oktober 1941.

Herzensschätzelein! Du!!! Geliebter! Mein [Roland]!!!

Du bist zu mir gekommen! Du!! Ich bin so glücklich! Ich bin sooo froh! Und damit Du meine Freude auch wahrhaftig mitempfinden kannst, Herzlieb! Darum habe ich mich gleich jetzt, eben, da ich Deine beiden lieben Boten gelesen habe  hergesetzt, um Dir zu sagen, wie Du mich beglückt hast! Herzlein!! Die Boten vom Mittwoch und Donnerstag kamen an. Und darinnen das liebe, liebe Verslein! Geliebter !!!!! Du hast mich so sehr beglückt damit! Du weißt es nicht. Ach Du!! Du bist unzufrieden darüber? Du!!! Du!!! Wenn es mich nur beglückt! Wenn es mich nur selig macht und so eigen-lieb anrührt im Herzen! Geliebter! Das hast Du doch gewollt? Du!! Du!! Ja, Herzlieb? Mich beglücken, mir Freude machen! Oh Herzelein, mein [Roland]! Du liebst mich! Du liebst mich! So jubelt und jauchzt es in mir! Ich bin sooo selig! Wer kann mir die liebsten und heimlichsten Gedanken noch sooo lieb und herzinnig-tief anvertrauen, als Du, mit Deinem Verslein? Geliebter! Geliebter!! Ich möchte Dich ganz fest an mich drücken, über Dein geliebtes Köpfchen streichen, ganz sacht und leise, Du!! Das ich sie nicht verscheuche, die sich wie scheue Schwälbchen nur hervorwagen – die heimlichsten Gedanken um unser Liebesglück, Du!! Wie schön, wer sie einfangen kann und wiedergeben, um für alle Zeit dem Liebsten zu bekennen, was das Herze immer bewegt! Du!! Ich danke Dir! Ich danke Dir! Herzlieb!

Herzensschätzelein! Nun ist Mittag vorbei, ich habe aufgewaschen und alles nett aufgeräumt. Du! Ich kann mich jetzt oft nicht genug wundern, wieviel am Tage dran ist! Wie viele Dinge ich erledigen kann und wie alles pünktlich zu den Mahlzeiten fertig ist. Du! Das war doch keinmal so, als Du bei mir warst!! Woran mag denn das liegen? Ob jetzt unsre Uhr anders geht? Vielleicht macht der große Zeiger jetzt 2 Umdrehungen in der Stunde? Will nur mal Obacht geben! Du!! Es liegt gewiß auch daran, weil ich jetzt schon gleich nach 6 Uhr aufstehe! Da beginnt mein Tagewerk schon ¾ 7 [Uhr]. Und kein Mannerli bringt mich in Versuchung, gleich frühmorgens schon zu Sscherzen und zu kosen, ja!! Du!! So war es doch bei uns beiden!! Hilft Dir garkein [sic] Leugnen! Du warst schuld! Wenn ich Dich so anschaute – ach – weißt, dann war alles andre vergessen; dann war ich nur noch für Dich da! Du!!

Ach, es ist doch trotzdem alles um den Ring gegangen – frage nur nicht wie! Aber: verhungert sind wir dabei nicht und auch nicht derweil im Schmutze umgekommen! Gelt? Als Du da warst, da ließ ich alles liegen und stehen – wieviel mehr Mühe mache ich mir da jetzt in allem! Und ich komme immer wieder zu dem Schluß: das Mannerli ist an allem schuld! Ja!! Gleich frühmorgens, wenn ich die Augen aufschlug, da blinzelte es schon lustig her zu mir – na, wer kann denn da widerstehen? Du!!! Du zuckersüßer Lausbub, Du!!! Ach Du! Herzlieb! Glaubst, mir ist richtig ein wenig bange vor der Zeit, da wir dann zusammen sind im eigenen Heim. Ob denn alles klappt? Ob Du morgens auch nicht ohne Frühstück, ungebürstet, unrasiert zur Schule gehst? Weil die Frau sich nicht aus den Federn findet? Oder weil wir zu sehr miteinander beschäftigt sind? Du!! Ich möchte das nie und nimmer erleben!!! Du!!!

Herzlieb!! Herzlieb!! Wir haben uns noch viel zu lieb! Als daß wir ohne Hilfe zurechtkommen, meinst??? Aber pfui – wer wird denn so hilflos sein! Wenn ich müßte die Mutsch bestellen, um mit meinem Haushalt fertig zu werden!! Du!!! Ich tät mich ja zu Tode schämen!! Du mußt halt bissel bremsen! Na – und ich auch, gelt? Aber Du bist es ja, der den ‚Führerschein‘ zuerst machen will! Also: liegt das Bremsen auch bei Dir! Du! Herzlieber Schlingel, Du! Ach! Du!! Wie liebe ich Dich! Mein [Roland]! Du! Es ist 2 Uhr vorbei. Ob Du ein Mittagsschläfchen hältst? Im frisch ‚entwanzten‘ Bettlein?! Ich mußte ja so lachen, als ich las, wie Eure Stube wieder verräuchert wurde. So scheußlich es auch ist, ich muß so lachen, wenn ich mir Dein Gesicht da vorstelle! Du!!! Überhaupt wie sich Männer zu solch ekliger Sache stellen – das ist zu drollig! Hoffentlich seid Ihr den Winter über nun mal erlöst von den Biestern! Schütte nur paar Flaschen Lysol hin – da suchen sie das Weite. –

Herzelein! Du!! Wir waren gestern im Kino, weil das Apollo überfüllt war, gingen wir ins Capitol. „Mutter und Kind.“ Mit Henny Porten und Peter Voß. Ein guter Film, ich kannte ihn bereits. Er schildert, wie Mutterliebe mit allem Gut der Welt nicht käuflich ist. Ein Paar, jung noch, ledig, beide einfachen Standes lieben sich, wollen heiraten; doch dazu reichts‘ noch nicht. Es ist das Jahr 1923-25, wo viel Arbeitslosigkeit herrscht. ‚Ihm‘ wird gekündigt, ‚ihr‘ ebenfalls, das alles in der Zeit, wo ‚sie‘ erkennt, daß sie Mutter werden wird. ‚Er‘ im Grunde ein seelensguter [sic] Mensch, verschließt sich bei ihrem Geständnis hinter Gleichgültigkeit und Jähzorn, er ist verzweifelt weiß im Moment nicht, was er tut in seiner Not. Sie glaubt sich am Ende ihrer Kraft und will ins Wasser gehen. Es mißlingt ihr der Versuch. Der Hausarzt eines begüterten Ehepaares, dessen 5 jähriger Junge plötzlich starb und die Mutter darum in einem seelisch erschütterndem, Zustand, – Schwermut –, zurückläßt, wird zu Anna, dem Mädchen gerufen. Ihm vertraut sie sich in ihrer verzweifelten Lage an. Er sieht einen Wink des Schicksals darin, daß Anna das Kind nicht haben will. Weil sie stellungslos ist und ihr Jürgen auch.

Nun haben sich die beiden Paare verständigt, indem der reiche Herr Petersen Jürgen einen Hof in seiner Heimat einer Hallig, zur Bewirtschaftung schenkt und dafür bekommen sie Annas' [sic] Kind zur Adoptierung, sobald es von der Mutter entwöhnt ist. In ihrer Freude auf ein gesichertes Leben, auf ein sorgenfreies Dasein ermessen die beiden so vom Glück Überfallenen nicht, welchen Tausch sie hier eingehen. Die Zeit geht hin. Das Kind wird geboren, ein Junge. Die Freude ist übermächtig auf beiden Seiten. Man sieht, wie die Mutter, der das Kind nicht leiblich gehört, rüstet für das Wohlergehen des Kleinen – sie lebt richtig auf in ihren Vorbereitungen. Sie wünscht sie [sic] sehnlichst selbst ein Kind. Sie kann keines mehr bekommen nach einer Operation. Der verabredete Termin rückt näher und näher, an dem das Kind abgeholt werden soll.

Die beiden: Anna u. Jürgen sind voll Glückes, sie haben fast vergessen, was sie versprachen. Da kommt ein Brief von Herrn Petersen, worin er sein Recht nun geltend macht: in 4 Wochen ist es soweit, da wird das Kind abgeholt. Wie Reif fällt es auf der beiden Glück. Er, Jürgen, versteckt sein Gefühl hinter Härte gegen Anna. Er will kein Wortbrüchiger sein. Anna erträgt blutenden Herzens seine Härte. Sie weiß: ich gebe das Kind nicht her, nicht um alles in der Welt, lieber will sie den Hof verlieren. Jeden Tag gibt es Streit und Zank. Anna denkt nicht daran, das Kind zu entwöhnen, sie stillt es noch immer. Jürgen zwingt sie mit Gewalt. Sie kämpfen einen harten Kampf, die beiden Eheleute. Sehr fein und lebensecht geben Henny Porten und Peter Voß die beiden nordischen Menschen wieder, die ihr Herz hinter Verschlossenheit und Härte verbergen. Karg sind sie in ihren Worten, doch jedes ist von durchschneidender Schärfe und einer Unwiderruflichkeit, die einem schaudern macht.

Wieder hat es einen Auftritt gegeben: Jürgen kommt heim, findet die Kammertür verschlossen. Auf sein Pochen öffnet ihm Anna, schnell noch ihre Bluse zuknöpfend – sie hat ihr Kind gestillt – er fragt sie nach der Milchflasche. Sie sagt kein [W]ort, steht hoch aufgerichtet an der Wiege. Da stößt er sie beiseite, findet die Flasche, leer, kalt – schaut sich um, fragt, was da das offene Fenster bedeute und geht hin, da hatte er Gewißheit: Anna hat die Milch aus dem Fenster geschüttet. – Und heute wollten sie kommen, um den Jungen zu holen. – Er macht ihr heftige Vorwürfe; sie beschwört ihn endlich unter Tränen, das könne doch nicht sein Ernst sein, daß sie ihr Kind hergäben!

„Ich gab mein Wort.“ Sie können sich nicht einigen. Er rennt fort. Sie steht wie versteinert.

Sie sieht dann, als sie am Fenster sich zu schaffen macht, den Hausarzt kommen mit einer Kinderschwester und Jürgen. Nun ist sie entschlossen: in fliegender Hast rafft sie das Notwendigste für das Kind zusammen, schlägt alles in ein Tuch und rennt, das Bündel an sich gepreßt hinten hinaus über die Wiesen nach dem Watt. Sie rennt, was die Füße sie tragen. Die Flut wird bald steigen, noch 1 Stunde ist es bis Kathrin-Sylt [sic], wo Verwandte wohnen. Unterdessen sind die Leute angekommen. Jürgen ruft seine Frau. Still alles. Er geht nach oben, nach der Kammer, sieht die Unordentlichkeit, das Bettlein des Buben leer – er erstarrt. Und unten wird ein Arzt zum ersten Male in seinem Leben von einer Mutter eines Besseren belehrt, als ihn sein Verstand dünkte, daß er einer Frau helfen könne, die selbst nicht mehr Mutter werden kann.

[„]Ich hätte es wissen müssen, Schwester“ sagt er; „es handelt sich hier um eine Mutter!“

Jürgen verfolgt die Fußspuren durch den Sand, die bis zum Meer hinführen. Und da wird es ihm zur schrecklichen Gewißheit: sie ist hindurch und gleich ist die Flut da. Besinnungslos reißt er die Pferde heraus, rast mit dem Wagen hinterdrein. Die Flut steigt – unerbittlich. Das Wasser steigt schon bis an die Naben der Räder, die Pferde schäumen – vorwärts! Und weit voraus schleppt sich eine Frau, Todesangst in den Augen, das kleine Bündel ans Herz gedrückt – sie wankt nur noch. Der Sturm zerrt an ihren Kleidern. Die Flut geht bis an die Hüften schon, immer mühsamer kommt sie vorwärts. Das Festland ist noch nicht zu sehen. Endlich naht ihr Jürgen! Er schreit ihren Namen! Jagende Angst malt sich da auf ihren Zügen, es ist als wolle sie umsinken: die Verfolger!!

Nun ist er bei ihr. Hebt sie auf den Wagen, voll Mühe. Und im letzten Moment erreichen sie das Land. Der Schwager nimmt sie schützend auf.

Jürgen ist bereit alles zu opfern, nur nicht Anna und das Kind.

Petersen und seine Frau begreifen nur zu gut, was die beiden Abgesandten erzählen. Die unendliche Liebe und Opferbereitschaft haben ihre Herzen bezwungen, die Anna ihnen bewies. Frau Petersen war selbst Mutter. Sie begreift das Hohelied Mutter wie keine zweite.

Jürgen darf als Pächter bleiben – und alles wird gut.

Das ist die Geschichte des Filmes. Er hat uns gut gefallen.

Herzlieb! Schon ist der Vater aufgestanden. Ich habe noch allerhand vor heute. Wege besorgen. Die alte Großmutter G. besuchen, sie liegt auf den Tod krank zuhause. Weißt, von der Christa K., die in Hannover war und so schön spricht, die schwarze, lockige? Sie war schon 2x da, als Du bei uns warst! Zur Verlobung kam sie auch mit ihrer Großmuttel [sic] gratulieren! Besinnst Dich? Die hat sie doch aufgezogen, weil ihre Mutter früh starb. Sie ist 81 Jahre alt geworden gestern und ich will ihr gratulieren. Sie kann alle Tage sterben so krank ist sie, leberkrank. Und heute abend, wenn wir Abendbrot gemacht haben, wollen wir mal zum Schneider gehen, ob er mir meinen Mantel machen kann. Ich bin neugierig, Du!

Herzlieb! Du hast das Futter schon gekauft? Du!! Das ist ja fein! Bist ein ganz liebes, gutes Mannerli. Du!! Ich sage Dir’s nochmal ganz eindringlich:

denke auch an Dich!! Anzug, Mantel, Hemdenstoff, Schuhe, Wolle.

Ich schicke Dir, wenn Du brauchst! Du! Ach, es muß schön sein, da zu kaufen, wo es noch ‘was gibt! Vorhin traf ich Frau L. von der Hainstraße, deren Mann kommt nach Athen! Er fährt schon 4 Tage. Vielleicht triffst ihn gar einmal? Und der Herr G. ist wieder da aus Rußland! Seit gestern. Die Freude ist riesengroß. Trudi meinte, daß er vielleicht wieder fort muß. Sie selbst hat noch keine Order. –

Und nun, herziges liebes Mannerli? Ich muß heute aufhören, siehste – wenn ich mit Dir zusammen bin, da langt doch der Tag nicht zu! Das alte Übel! Ich kann mich von Dir nie trennen! Ach, ich bin auch überglücklich, daß es so ist! Du!! Du auch?! Geliebter mein!!!

Ich liebe Dich sooo herzinnig! Gott behüte Dich mir! Ich bleibe in Liebe und Treue und tausend süßen Küssen

Deine [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946