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[OBF-411011-001-01]
Briefkorpus

Sonnabend, den 11. Oktober 1941

Herzensschätzelein! Geliebte! Du meine liebe [Hilde]!

In der Schreibstube sitze ich jetzt. Es ist am Nachmittag kurz nach 4 Uhr. Ein Prachttag ist es draußen. Bis in die Zimmer dringt die Wärme und den Rock, den ich jetzt über die Bluse immer ziehe, mußte ich ablegen. Der Spieß hält freien Nachmittag. Zum ersten Male, seit ich hier bin, haben wir die Arbeit eingeholt. Und so haben wir in der Schreibstube auch frei tanzen. Die jungen [sic] haben sich schon vertrubelt [sic]. Ich sitze schon eine ganze Weile allein. Das rythmische [sic] Rauschen des Meeres ist wie ein Schlummerlied. Ganz schwer wurden mir die Augendeckel, und so habe ich sie auch ruhig ein Viertelstündchen fallen lassen. Aber nun will ich Dein denken, gleich ein bissel auf Vorrat. Kamerad K. sprach davon, daß wir zusammen ein Kino besuchen wollten. Ich habe wenig Lust dazu, aber ich mag es ihm auch nicht immer abschlagen, und dann gehe ich am morgenden Sonntag nicht. Den Sonntag beschließe ich nämlich nicht gern im Kino. Es läuft gerade ein Film, den ich ganz gern mir ansehen würde: "der Postmeister" mit Emil Jannings. Mehr als einmal wöchentlich mag ich nicht zum Kino gehen. Viel lieber ginge ich täglich ein Stündchen spazieren ums Dunkelwerden. Aber dann ist eben Dienst. Ich habe hier auch noch keinen Bummelweg nach meinem Sinn gefunden. Die Straßen sind zu belebt, die Nebenstraßen sind so beschaffen, daß man die Sinne immer auf dem Wege haben möchte, so schlecht und mit Löchern.

Aber das sind kleine Sorgen. Ich wünsche mir für die Wintermonate ein richtiges Teil Arbeit. Die verbleibende Freizeit werde ich am liebsten mit der Lektüre eines guten Buches ausfüllen. Oh, Herzlieb, wenn sie nur erst wieder rollt, die Zeit. Jetzt denke ich zu oft noch zurück; denn der Weg nach vorn, das ersehnte Ziel, es liegt noch so weit. Ach Du, und bis Weihnachten werde ich noch oft, oft heim denken müssen - an den Herbst, an den dunkelsten der Monate, den November, an den Lichtbringer - Geliebte! Geliebte! Du bist es, die meine Gedanken wieder und wieder heim holt - wie könnte es auch anders sein? Bist ganz der Mittelpunkt und Angelpunkt meines Lebens geworden! Ach Herzlieb! Was gäbe ich darum, wenn ich jetz[t] bei Dir sein könnte, den Feierabend mit Dir zu halten und den Sonntag! Aber noch viel lieber, ihn mit Dir zu halten nach gemeinsamem Schaffen im eigenen Heim! Wirst mich alt und kleinbürgerlich schelten heimlich, ein Filzpantoffelmannerli, wenn ich so denke und mir wünsche?

Spricht nicht begeistert von Schlacht und Kampf, berichtet nicht von todesmutiger Fahrt und verwegenem Einsatz, von Lust zu Abenteuern und frohem Schweifen, so wie es Männer vielleicht Deines Alters täten, wie es denen auch entspricht. Schwärmt vom Heim kehren, vo[m] Heim.

Ach Herzlieb! Ich bin nicht bange um Deine Antwort. Wenn Dir auch kleine Wünsche offen bleiben und an mir auszusetzen, den mächtigen Strom der Liebe können sie nicht mehr hemmen, der von mir zu Dir geht. Herzlieb, ich kann nicht anders als mich nach Dir sehnen, heimverlangen nach Dir! Du verstehst mich. Du weißt, wie lange ich fremd war überall, weißt, wie die Fremde mich verhärtet hat, so sehr, daß ich Deine Liebe doch fast übersehen hätte.

Oh, wenn es auch bar ist aller Heldentaten und Abenteuer, mein Leben bisher, eines hat es mich gründlich gelehrt: mich selbst überwinden, immer wieder. In meinem Beruf, den ich erst nicht mochte, dem ich, selbst noch unfertig, mich noch nicht gewachsen fühlte. Und dann mich unterwerfen den Sprüchen des Schicksals, heute hierhin, morgen dahin, heute diese Aufgabe, morgen jene — und das alles immer ganz allein durchfechten, Du weißt wie schwer ich mich jemandem anschließe und anvertraue. Nein, bequem war mein Leben nicht bisher - und ich mag es auch nicht bequem, und ich möchte nicht eines der Jahre wieder hergeben, die nun zurückliegen. Und heute, gewachsen an den mancherlei Aufgaben und Schwierigkeiten, die Kräfte gestählt, and Deiner Seite, nun fürchte ich kein Ungemach in meinem Berufe, nun freue ich mich auf jede Aufgabe.

Aber nun, da ich Dich habe, ist sie aufgebrochen, die gestaute Flut, und nun ist kein Halten mehr: nun umfängt mich die Liebe, Deine Liebe, die ich sooooo lange entbehrte, nun steht mir ein Herz ganz weit offen zur Wohnung und Heimat - nun ist sie ganz nahe, die Erfüllung allen Sehnens, aller Wünsche: bei Dir und mit Dir eine Heimat zu finden, einen schützenden Hafen, von dem aus wir Fahrten unternehmen können ins freie mehr Meer. Herzlieb! Du weißt es, verstehst es und bist selber so: wir sind von den Menschen, die sich Pläne machen, die nicht dem Heute leben, die sich ein Ziel setzen! Und nun muß ich nach diesem Ziel mich strecken! Muß mich sehnen und sorgen um unser Leben, nach der Heimat, nach Dir!!!!! Ich kann nicht anders.

Geliebtes Herz! Du mein Ein und Alles! Behüt Dich Gott! Kamerad K. ist gekommen. Ich will mit ihm gehen. Viel viel tausendmal lieber bleibe ich — bei Dir!!! Du! Ich habe Dich sooooo lieb! Behüte Dich Gott! Geliebtes Weib! Mein Weib!!!!! !!!!! !!!

Ich bleibe in inniger Liebe ganz Dein [Roland].

Bald fass ich Deine liebe Hand wieder! Ich küsse Dich! Ich liebe Dich sooooooooooooo sehr!!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946