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[OBF-411012-001-01]
Briefkorpus

Sonntag, den 12. Oktober, 1941

Herzallerliebste mein! Mein liebes teures Weib!

Es tat mir ja so leid, daß ich gestern so schnell mich losreißen mußte und den Brief so halb fertig in den Kasten stecken – aber er würde Dich sonst nicht pünktlich erreichen – und ich hatte es Kamerad K. nun einmal versprochen. Er hat mich in eine Bar mitgenommen. Vom Kino kamen wir ab, weil wir dann nicht hätten zusammengehen können, er hat den „Postmeister“ schon gesehen. Na, ich ging nach einigem Widerstreben mit. Die Bar liegt ganz in unsrer Nähe: „Argentina-Bar“. Die erste Enttäuschung: die Besucher lauter Soldaten, Feldgraue. Ich wollte doch eben mal das Griechenvolk ein wenig studieren. Aber das kann man überall beobachten, wo wir überhand nehmen; ziehen sie sich zurück. Der ganze Betrieb war ganz leicht zu durchschauen: 5 Musiker spielten eine gute Tanzmusik. Etwa 10 „Damen“ oder „Mädchen“ oder „Fräuleins“, weiß auch nicht, wie man da sagen soll, und 3 Akrobaten legten dann ein Stündchen ein Variete hin. Die Akrobaten machten ihre Sache gut. Die Mädchen traten als Solotänzerinnen auf, eine davon mit wirklich tänzerischen Leistungen, die andern nur grimassenschneidend ihren Körper anbietend und darbietend, dazu zwei Sängerinnen untermittel [sic]. Die Mädchen setzten sich dann in großen Abendroben zu Soldaten, die ihnen schon bekannt waren, zwei auch zu Offizieren, ließen sich freihalten und animierten zum Trinken. Es wurde viel Sekt getrunken, gegen Ende gab es auch noch große Blumensträuße: man konnte sich auf einem großen Feste wähnen – Nepp, Täuschung alles, Fassade der Hohlheit und Leere. Wir saßen bei einer Flasche Wein und haben das Theater beobachtet – oh Herzlieb! nicht die Spur eines Wunsches regte sich, da mitzutun. Ich habe mich an die Kapelle gehalten. Die Leutchen waren wirklich tadellos musikalisch. Na, dahin kommen wir so bald nicht wieder. Auch Kamerad K. fand kein Gefallen an dem Treiben. Wir fühlten uns beide glücklich als Außenseiter und erkannten, wie leicht junge, ahnungslose Menschen hier verstrickt werden können in Schulden und Schuld, Wahn und Laster und persönliches Unglück. Ich werde den Blick auch eines der Musikanten nicht vergessen hin zum Tisch der Offiziere, Überlegenheit und Verachtung lag darin.

Wie leicht schlagen sich solche Menschen die Tür zur Heimat zu, trüben den Blick und zertreten womöglich die Brücken!

Oh Herzlieb! Gel[ie]bte! Das ist meine Freizeit hier, die Freizeit, die ich so liebe: dass ich meinen Blick unverwandt auf Dich richte, auf unser Glück, unser Leben – daß ich es jeden Augenblick ganz weit offen halte, das Fenster zur Heimat – und daß ich an der Brücke baue dahin!!!!! Den Weg freihalten zu Dir, das ist meine Freiheit, die mir Glück und Freude bedeutet.

Herzlieb! Heute nachmittag wollen wir wieder ein Stück ausfliegen, weil es mir am Mittwoch so gut gefiel. Nicht weit von der Stadt entfernt liegt ein Hügel mit einem Turm gekrönt, den möchten wir besteigen.

Aber nun muß ich Dich erst einmal ganz lieb und fest umschlingen, Dich ganz fest an mich drücken – ach Du!!! – und am liebsten doch gar nimmer Dich loslassen: Du! Du!!! – Mein geliebtes Weib! Mein ganzes Erdenglück! Mein Ein und Alles, Du! Geliebte Seele! Geliebtes Wesen! Mein!!!!! Holde! Geliebte Du!!!!! Herzlieb! Und andre Worte weiß ich nicht, um Dir zu sagen, wie so lieb ich Dich habe! Wie reich Du mich beglückst mit Deinen lieben Boten, heute, zum Sonntag. Wie froh Du mich machst. Und wie dankbar, froh und befreit und so voll Liebesglück, so ganz erfüllt von Deiner einzigen, köstlichen Liebe ich nun mich auf den Weg machen kann! Oh Herzlieb! Du liebst mich! Liebst mich sooo unendlich!!! Ich bin der Glückliche, der Deiner köstlichen Liebe teilhaftig geworden ist!!! Bin das reichste und glücklichste Mannerli auf dieser Welt! Und ich weiß, daß nichts Dich mehr beglücken kann als dieses Bekenntnis. Du! Du!!! Geliebte! Es kommt mir aus tiefstem, übervollem Herzen. Und nun will ich heute abend weiterschreiben. Freude geht mit mir! Ach Geliebte! Bei Dir lernte ich so große Freude! Ich habe Dich ganz unsagbar lieb!

Herzlieb! Wieder „daheim“. Es war gegen 2 Uhr, daß wir losgezogen sind, ohne ein Mittagsschläfchen zu halten. (Das Mittagsschläfchen wäre ohnehin nicht gut, ich krieg nämlich wieder richtig ein Bäuchel – seit ich bei Dir war!). Ein prächtiger Tag mit sommerlicher Wärme, Mitte Oktober! Die Straßenbahn brachte uns an den Stadtrand. Dann sind wir auf Schusters Rappen, teils auf Wegen, teils auf Rainen, gerade auf unser Ziel losgesteuert. Vor uns immer den schönen Doppelgipfel des Kissos. Durch Baumwollfelder und Weingelände führte unser Weg. Eine Baumwollblüte schicke ich Dir mit, ähnelt von Weitem der wilden Rose. Anstelle der Blüte bildet sich eine walnussgroße Kapsel, sie springt bei der Reife auf in 4 Teile und enthält in den Wollbäuschen die Samenkerne. Ich schicke einen solchen Wollbausch mit, 4 von dieser Güte sind in einer Kapsel. In den Weinfeldern wird es schon bunt. Wir haben nach Trauben ausgeschaut – aber alles schien abgeerntet. Immer neue Felder. Und dann entdeckten wir auch Trauben! Einmal vom Stocke kosten, das war doch ein Lieblingswunsch – und wir hätten ja gern einmal gefragt oder dafür gezahlt, aber es war niemand da. Und da haben wir geerntet, wo wir nicht säten und haben uns ein Gütchen getan [sic]. Aber wir waren voreilig. Immer neue Weinfelder und die Trauben darin immer herrlicher. Eine wahre Pracht! Und Menschen darin bei der Ernte. Und wir bekamen Trauben geschenkt und konnten doch kaum noch mehr reinstopfen. Da hätt' ich doch mein Leckermäulchen mithaben müssen! Kann doch auch ganz schön was verdrücken. Am Feldrande lagen die Maultiere und genossen die lange Pause. In meinem Bildbericht kannst auch die „reitende Gebirgsmarine“ bewundern.

Näher kamen wir unserem Ziel. Immer majestätischer zeigte sich der Kissos und von den Weinbauern erfuhren wir, daß unser Hügel von einer [lateinischer Schrift:] „Ecclesia“ (Kirche) gekrönt sei. Gegen 5 Uhr standen wir oben. Unter uns die ganze, herzförmig geschwungene Bucht von Saloniki mit dem Kranz von Bergen ringsher, dem Gel[Loch im Brief: siehe Ausschnitt aus dem Brief] des Wardardeltas, hinter uns die mächtigen Bergriesen – Gottes schöne Welt schauten wir hier und fühlten uns ihr im Herzen verbunden auch hier in der Fremde.

Auf guter Straße sind wir dann in einer guten Stunde rüstig und zufrieden heimwärts marschiert. Gegen ½ 8 [Uhr] waren wir daheim. Und vor uns lag noch ein schöner Feierabend, auf den ich mich schon den ganzen Weg gefreut habe.

Geliebtes Herz! Ich bin doch so voll reicher Freude und bin Dir sooo nahe in meinen Gedanken.

Geliebte! Wir können einander nimmermehr loslassen und verlieren – und die Flammen unsrer Liebe brennen heiß und groß und stetig, sie flackern nicht unruhig. Und ganz stetig und treu ist meine Liebe zu Dir, auch wenn sie einmal still und leise wird! Aber manchmal will doch das Feuer auflodern und ganz laut sie künden. Und das Herz will jubeln! Oh Du!! Holde, Geliebte mein!!! Ob ich sie fühle, Deine tiefe, innige Liebe? Ob ich es fühle, wie es sich zu mir neigt, in wundersamer Liebe zu mir neigt, Dein Frauenherz? Oh Du! Herzblümelein! Glückbringer mein! Mein Sonnenschein, mein Leben!!! Wie könnte ich sonst so glücklich sein? Wie könnte ich sonst ganz zu Dir heimfinden?

Ich darf Dir so ganz, ganz o nahe kommen! Darf Dir mich nahen, dem herzallerliebsten Menschenkind! Ich allein! Darf in Deinem Herzen wohnen ganz allein! Darf Deines Herzens Vertrautester sein! Oh Herzlieb! Darf mein Leben und Schicksal mit Dir teilen! Alles schenkst Du mir! Weihst Dein ganzes Leben mir! Oh Herzlieb! Geliebte!!!

Fühlst Du meine Verehrung, meine Dankbarkeit, mein unermeßliches Glück?!!! Oh Herzlieb, ahnst Du, wie reich Du mich machst mit Deinen Geschenken?!! Ich stehe in Deiner Schuld mein ganzes Leben!! Deine Zuneigung und Treue und Liebe sind mir so unschätzbar wert – oh Du! Du!!! – daß ich sie gewann! Daß ich sie verdienen soll! Geliebte!!!!! !!!!! !!! Das alles recht auszudrücken und in seiner ganzen Bedeutung zu sagen, fehlen auch mir die Worte. Und dann, wenn ich immerzu um Dich sein darf, wird es der Worte gar nimmer bedürfen.

Herzlieb! Und wenn mich einmal der Zweifel plagte, dann dürfte ich nur an Deine Geschenke denken – an Dein Verschenken denken – o Herzlieb! Geliebte! Den Du beschenkst, den mußt Du ganz lieb haben! Und dem Du Dein liebstes, heimlichstes Geschenk bringst – dem mußt Du Dein ganzes Vertrauen geschenkt haben, der muß, Dir am nächsten, in Deinem Herzen wohnen. Oh Herzlieb! Ich bin ganz stolz auf Deine Liebe – ich fühle mich ganz reich beglückt! Und dem Du gar ein Kindlein schenken willst, der muß Dein Herzallerliebster, Dein Mannerli selber sein!

Geliebte! Ich habe doch an den 7. Okt. denken müssen, und nicht ohne alle Sorge. Und nun bin ich mit Dir sooo froh und dankbar – oh Herzlieb!!! Ich möchte Dich ganz sehr liebhaben um Deines Empfindens und Deines Verständnisses willen! Herzlieb! Ich habe doch die letzten Tage einigemal [sic] denken müssen, ob ich Dir nicht wehtue, Dich kränke, ob ich Dich traurig zurücklasse – weil ich Dich allein lassen wollte, ungekrönt unsre Liebe! Du kennst meine Gedanken. Oh Herzlieb! Wenn Du mich auch nur einmal gebeten hättest – ich hätte Dir den Wunsch nicht versagen können, ich hätte Dich unbefriedigt nicht können ziehen lassen – der Vorwurf, Dir wehgetan zu haben, hätte mich nicht ruhen lassen. Wie soll ich es Dir danken, daß Du Deinen Lieb[lin]gswunsch dem Verständnis unterstelltest? Wie Dir danken, daß Du mich um Dich haben willst, wenn Du unser erstes Kindlein unter dem Herzen trägst? Wie Dir danken, daß Du mit Deinem Verständnis mir hier in der Ferne eine große Sorge und schmerzende Sehnsucht ersparst?

Du liebst mich sooo sehr! Und in Deinem Verstehen ist lauter Liebe!!! Du! Du!!!!! „O sag es mir noch einmal, daß Du mich liebst, auch wenn unsre Liebe ungekrönt blieb!“ Geliebte! Geliebte!!! Unsre Liebe ist so groß – sie braucht keine Garantien. Ich brauche Dich nicht mit einem Kindlein an mich zu fesseln – Du bist auch so ganz mein, geliebtes, treues Weib! Und ich bin Dein, ganz Dein – ganz Dein für dieses Leben – auch wenn Du mir nie ein Kindlein schenken könntest! Du!!!!! Gott im Himmel haben wir unsre Liebe befohlen. Von ihm wissen wir uns gehalten und getragen – aus seiner Hand empfangen wir demütig unser Schicksal – und wir können nicht anders als ihm ganz vertrauen, glauben, daß er uns zusammenführte und füreinander bestimmte, daß er seinen Plan hat mit uns, daß es bei ihm beschlossen ist, ob unser Bund mit Kindern gesegnet sein soll. Geliebte! Wir müssen den Gedanken als ungläubig von uns weisen, daß wir das Schicksal überlisten und aufhalten könnten, wenn wir uns jetzt ein Kindlein wünschten.

Geliebtes Weib! Du weißt, Dein Lieblingswunsch, er ist auch der meine geworden. Im Kindlein wollen wir unsre Liebe krönen! Ich will mich von Dir beschenken lassen mit dem größten, schönsten Geschenk – meine liebe [Hilde], Du! – und möchte Dich damit ganz reich beschenken und glücklich machen! Im Kindlein soll sie sichtbar werden, unsre große, einmalige Liebe!!!

Herzlieb! Du hast mein Ja! Wir sind beide bereit, unsre Liebe zu krönen! Und wenn ich Dein denke und an uns[e]re Zukunft und daran, [zu] Dir heimzukehren, dann werde ich stets auch inne, daß ich die Fackel trage, mit der ich das Leben anzünden soll in Deinem Schoß! Du!!! Du!!!!! Und Du sollst Dich froh und glücklich schon als Mutter fühlen und froh Dich des erinnern, daß ich Dich Dir schon gewährte in meinem Herzen, was Du so sehnlich herbeiwünschst.

Und nun bin ich mit Dir ganz still und dankbar zu Gott!!! Dich aber halte ich nur viel fester – als ob Du mir schon alle Kindlein geschenkt hättest – dankbar aus tiefstem Herzen – über alle Maßen liebe ich Dich! – Und nichts kann mich wankend machen in meiner Treue zu Dir! Nichts Dich scheiden von mir!

Herzlieb! Laß mich schließen heute.

Gott sei Lob und Dank für diesen Tag. Für alle Güte und Gnade, die wir erfuhren. O laß ihn uns bitten, daß er uns demütig halte im Glücke und unseren Bund segne.

Gott behüte Dich mir!

Du sollst wissen, daß ich ganz Dein bin! Daß ich Dich ganz fest in mein Herz geschlossen habe, daß ich „mein Leben um Deines herumschließe, daß ich Dich einbezogen habe in mein ganzes Leben! Daß ich an Dir hänge mit den Fasern allen meines Herzens [sic]! Daß ich Dich soooo lieb und wert halte!!! Daß ich Dich sooooooooooooo lieb habe!!

Oh, daß sie mir bleibt, Deine Liebe!

Ewig Dein [Roland]!

Dein Mannerli! Geliebtes Weib!!!!! !!!!! !!!

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Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.411012-001-01a.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946