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[OBF-420319-001-01]
Briefkorpus

Donnerstag, den 19. März 1942

Herzallerliebste! Du! Mein liebes, teures Weib! Meine [Hilde]!

Herzelein! In Deinem lieben Dienstagboten sprichst Du mir noch einmal von den Möglichkeiten einer Dienstverpflichtung. Sie steht im Hintergrund wie seinerzeit das Gespenst meiner Einberufung. Ach Geliebte, ich kann noch gar nicht an dieses Gespenst glauben. Ich kann mich nicht hineindenken, daß da eines Tages irgend ein namenloses Amt mit einem Bogen Papier über Dich sollte verfügen können, über Dich, mein liebes Weib, die Du doch die meine bist, daß man unsere, Deine Freiheit so beschneiden könnte. Und doch weiß auch ich, daß es geschieht. Nicht genug damit, daß der Mann auf Jahre seiner Frau fern sein muß, bestimmt man daheim auch noch über Frau und Kind. Ist es nicht eigentlich furchtbar? Von der einen Seite ist es eine Freiheitsbeschneidung schroffster Art, von der anderen Ehrendienst am Volke.

Herzlieb! Wenn es eines Tages doch an Dich heranträte, es würde mich sehr bewegen. Auch Du würdest den Zwang, die Gewaltung [sic] und die Verkürzung der Freiheit schmerzhaft empfinden. „Ich muß eine gewisse Freiheit haben – ich mag nicht fort von hier, nicht fort irgendwohin, wo ich mich von Dir entfernen muß. Und wenn ich mich schon wieder voll einsetzen sollte, dann nie in einem ungeliebten Beruf.“ Herzelein! In diesen Wünschen sind wir doch ganz einig. In die Fabrik lasse ich Dich überhaupt nimmer. Ganz fern liegt mir, Dich zu einem unlieben Dienst auch nur zu bestimmen. Am liebsten mcöchte ich Dich so frei wissen wie bisher!!! Wenn es aber sein müsste, unabänderlich, dann möchte ich Dich doch in einer guten Stellung wissen, in der Du Dir eine gewisse Freiheit wahren kannst und rasch zu einer gewissen Freiheit gelangen kannst durch selbständige Arbeit. Und das wäre doch am ehesten in einem Frauenberufe, dort, wo sich nicht zwei oder drei kleine Gernegroße [sic] Dir vor die Nase setzen und sich mit ihren kleinen Fachkenntnissen und -mätzchen aufspielen können, wie das in einem Büro leicht der Fall ist, z. B. auch bei der Marine.

Vom Schwesternberuf sprichst Du. Und das ist, was mich noch bewegt, worüber ich mit Dir ganz lieb noch ein paar Worte tauschen möchte. Es wäre mir so schwer, Dir einen Lieblingswunsch zu versagen. Du bekennst selbst: „Schwester sein, das heißt für jeden dasein – für jeden ganz dasein. Ich könnte nicht erfüllen, was man von einer Schwester verlangt. Ich würde mit meinem Entschluß unsre Liebe in Gefahr bringen.“ Herzelein! Ich möchte, daß Du diesen Verzicht ohne jeden Groll, ohne jeden Unmut im Herzen leistest, ich möchte Dir ganz lieb m[ei]ne Gedanken dazu noch einmal vortragen.

Ich möchte Dich bitten, daß Du Dich nicht als Schwester in ein Lazarett meldest. Was bewegt mich zu dieser Bitte?

Ist es ein Mißtrauen gegen Dich? Ist es Eifersucht?

Herzelein! So unmöglich und völlig fehl ich es fände, wenn Du mir eines Tages mißtrautest, so kann auch ich Dir nicht mißtrauen – ich habe Dir noch nie mißtraut, Geliebte! Du bist so gut und lieb und treu!

Vertraute ich denn der Kraft meiner Liebe so wenig?

Fürchte ich denn, daß sie Dich nicht hielte?

Ach frag die Sonne, ob sie weiß, ob sie an sich selbst spürt, wie groß die Kraft ist ihrer Strahlen – sie weiß es nicht, weiß nur, daß sie scheint und strahlt, und sieht nur an dem Widerschein, dem Leben und Glück der Sonnenkinder, wie groß ihre Kraft ist. Herzelein! Du fühlst meine Liebe, Du bist glücklich darin und sie hat Macht über Dich – also muß ich Dich wohl liebhaben zu Deinem Glücke. Mehr will ich nicht. Und ich fühle nur, wie alle Herzenskraft sich in dieser Liebe verströmt.

Herzallerliebste! Der Gedanke, die Vorstellung, daß andere Männer um Dich sein dürfen, länger, als ich je im Zusammenhang noch mit Dir sein konnte – daß sie Dir täglich ganz sichtbar ihre Liebe und Verehrung bezeigen dürfen – daß sie ihr Schicksal Dir ausbreiten und ihr Herz Dir aufschließen – und das Herz kranker, liebebedürftiger Menschen steht weit offen – daß sie es könnten im Blick auf eine gewisse Zukunft, weil sie vielleicht nicht mehr einsatzfähig sind – Herzelein, dieser Gedanke und diese Vorstellung würde meine Ungeduld und Sehnsucht zum Schmerz, zur Qual steigern. Ich muß Dir ferne sein! Muß jeden Tag mich neu rüsten mit Hoffnung und Glauben an unsere Zukunft. Ich müßte Dir ferner sein als jeder von diesen Männern. Und wollte Dir doch so nahe sein und Dich so lieb haben, Dir alle Liebe erzeigen, die ich Dir doch zum Teil erst nur versprechen konnte.

Und Du würdest wenig Zeit haben. Und so wie Du bist, würden Dich die Schicksale beschäftigen bis in Deine freie Zeit, würden Dich die Augen verfolgen. Man würde Dich bitten, zu schreiben und zu antworten.

Oh Herzlieb! Du wirst einwenden wollen, daß ich Dir doch der Allerliebste bin und bleibe. Ich glaube es Dir doch, Du Liebe! – und [ich] müßte doch immer denken, daß alle Dich so von Herzen liebgewinnen könnten wie Dein [Roland], Du! oder daß wenigstens einer darunter wäre, so wie Dein Mannerli.

Oh Geliebte! Wirst Du denn das verstehen?

Ach, am ehesten vielleicht noch, wenn Du Dich an die Stelle Deines Mannerli versetzt.

Geliebte! Es wird die Zeit kommen, da wir einander sooo gewiß sind, daß wir auch darüber erhaben sind – da unsre Herzen in Liebe so fest geeint sind, daß ein Überfluß ist von Liebe, für die Kindlein und für unsre Mitmenschen. Aber jetzt ist unsre Liebe noch so jung, so eigensinnig und unbändig, so eigennützig – sie zittert und bebt, sich zu erfüllen, oh, sie kann uns so unruhig und ungeduldig machen! Sie drängt und treibt uns, uns ganz eigenwillig zu sondern, allein zu gehen, einander so ganz und ausschließlich zu gehören. Ach Du, all unsre Liebe ist doch gespannt und wartet, sich darzustellen und sichtbar zu werden – und soviel Geduld müssen wir haben und noch aufbringen. Und darin helfen wir doch einander. Geliebte! Du! Ich weiß, Du verstehst mich darin, weil auch Du die Liebe so erlebst und empfindest.

Herzelein! Diese Gedanken sollen Dich weder nachdenklich, noch traurig machen. Ach Du! Sie möchten Dir sagen, wie alle Gedanken, nur das eine sagen: daß ich Dich sooo von Herzen lieb habe! Daß ich Dich so ganz festhalten möchte! Daß unser Glück mir so wert und teuer ist – ach Du, daß ich daran hänge mit allen Fasern meines Lebens. Daß ich Dich, mein liebes Weib, ganz einhüllen möchte in meine Liebe. Ach Du! Daß die Liebe, Deine Liebe, so große Macht gewonnen hat über mich – daß sie mir ganz kostbar und unentbehrlich geworden ist.

Herzallerliebste! Mitternacht ist vorbei! Dein Mannerli wacht. Ach Du! Es fällt ihm nicht schwer, die Augen offen zu halten. Es freut sich auf die Nachtwache – weil es dann mit Dir ganz ganz allein sein kann. Oh ja Du! Du allein, Geliebte, in meinem Herzen! und mit Dir, ganz allein!!!!! !!!!! !!! – oh Herzelein! das ist doch der Liebe Seligkeit, der Liebe Sinn: alleinsein – einssein – ein neues Ganzes! Du! Du!!!

Und heute finde ich Dich doch gar nicht im Turmstübchen – verreist ist mein Schätzelein! Und ich weiß nicht einmal, wo es sich zur Ruhe legt – und ich bin doch sein Mannerli. Treuloses, [l]eichtsinniges Mannerli, ja? Du! Du!!! Wenn der böse Krieg nicht wäre, ich wiche doch nicht von der Deiner Seite. Ich weiß, es geht meinem Herzlieb doch wie mir: es fühlt und [es] ist ihm doch gar nicht wohl, wenn ich es nicht finde. Seit Du Liebes mir bekannt wurdest, hatte ich doch bei Herrn K. in Großpostwitz gar keine Ruhe mehr. Es litt mich da nicht und eine Unruhe war in mir, weil ich da nicht in Deinem Banne stand. Oh, ich weiß noch, wie unaufmerksam und abwesend und ungeduldig ich damals war auf der Böhmenreise  mit Herrn K. – noch ein Tag, noch ein Berg, und noch einer – sie schienen mir alle unserem Begegnen hindernd im Wege zu stehen. Und dann – so war es doch wohl – kam mein Allerliebstes 14 lange Tage zu Besuch nach Kamenz – und an einem Tage, Geliebte, gaben wir uns das Jawort – Du! Du!!!!! Du!!!!! !!!!! !!! Und [wir] bestimmten den Tag unsrer Hochzeit! Oh Geliebte! Wir waren damals schon so glücklich, ja? Wenn wir uns auch noch nicht ganz nahe kommen durften! Du!!! Weißt Du denn unser Lieblingsplätzel noch – überhaupt noch alle Lieblingsplätze? Du! Oh Du!!!!! !!!!! !!!Geliebte! Und einmal – weißt Du es noch? ganz allein waren wir im Kämmerlein zur Nacht – du hast geweint, weil ich nicht zu Dir kommen wollte. Du! Du!!!! Und warum ich nicht gekommen bin? Warum ich mich überwand? Weil Du mir so lieb und teuer bist warst, wie Du mir es noch heute bist, Herzallerliebste! Meine [Hilde], Du!!!

Was ist denn überhaupt die längste Zeit bisher, daß wir zusammenhängend beieinander waren und uns vertragen mußten? Du! Wohl die Tage nach der Hochzeit, vom 14. Juli bis zum 28. August, also reichlich 6 Wochen. Müssen wir doch erst noch probieren, ob wir es auch länger miteinander aushalten – und ob auch ganz allein! Du! Du!!!

Ich habe aber doch schon Lampenfieber vor der Probe! Weißt, da löschen wir die Lampe aus – nein, nicht ganz aus, bloß ein bissel zurückdrehen, damit wir einander das Glück aus den Augen lesen können! Du!!!

Geliebte! Heute ist doch Dein lieber Freitagbote zu mir gekommen. Du! Du!!! Er bringt mir soviel Liebe! Soviel Glück! Deine Liebe kommt zu mir! Unsre Liebe lebt und blüht! Und mit ihr leben wir in Gott! Oh Herzelein! Diese Liebe hält und trägt uns, sie ließe uns Schlimmstes überwinden! Sie ist uns beiden kostbar und unersetzlich.

Oh Herzelein! Du bist mein! Ich liebe Dich von ganzem Herzen und muß Dich immer nur lieber gewinnen! Du möchtest noch glücklicher sein bei einem anderen Mann – aber soviel, wie Du mir bist, wie Du mich beglücken kannst – das bist und kannst Du nur bei einem auf dieser Welt: Deinem [Roland].

Oh Du! Gott halte uns dankbar und demütig in unserem Glücke. Er segne unsre Liebe und behüte Dich mir auf allen Wegen!

Ich möchte Dein Allerliebster sein. Möchte Dich ganz glücklich machen und Dir Freude und Sonnenschein in Dein Leben bringen! Ach Du! Laß mich um Dein liebes, freies, frohes Leben sein! Mein Weib! Mein Weggesell! Mein Geschwister Du!

Ich liebe Dich! Ich küsse Dich herzinnig!

Ewig Dein [Roland]

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946