85.
Freitag, am 8. Mai 1942.
Herzensschätzelein! Mein geliebtes, allerliebstes Herzelein! Du!!
Es ist Abend geworden über den Pflichten des Tages. Nun rückt der Zeiger der Uhr auf 900, ich kann nun Feierabend halten, Herzlieb! Mit Dir!! Mit Dir allein ist es doch erst rechter Feierabend, Du! Im Rundfunk erklingt ein schönes Symphoniekonzert aus Wien, ich mag nicht abschalten, ehe es zu Ende ist. Diese Musik ist dem Ohr eine richtige Labe nach dem Gedudel tagsüber, seit nahezu einer vollen Woche hört man nichts als Frühlingsmusik, was für welche! Das einzige, was mir heute angenehm ins Ohr klang und mich so lebhaft an Dich erinnerte – an unsre Zeit in Lichtenhain – es war der [H]uldigungsmarsch von Grieg, weißt? Du pfeifst ihn so gern! Das Konzert aus Wien ist zu Ende, es wurde anläßlich des 60. Geburtstags von einem Wiener Komponisten, Joseph Marx, aufgeführt.
Herzelein! Nun will ich Stille um mich, tiefe Stille. Ich möchte doch jetzt mit Dir allein sein, Schätzelein! Ganz allein. Die Mutsch sitzt mir gegenüber und schreibt an die Eltern nach Kamenz. Sie stört mich zwar nicht, aber Du weißt schon, Herzelein! Wir beiden sind doch am allerliebsten ganz alleine, wenne wir aneinander schreiben! Wir haben uns ja soo vieles zu erzählen! So viel Heimliches auch und Liebes, so kein Mensch – auch der vertrauteste – unsere Mienen belauschen soll. Ach Du! Es soll ja ganz ausschließlich nur von mir zu Dir dringen, das Strahlen und Leuchten meines Glückes und meiner Sehnsucht und meiner Liebe. Du!!!!!! Wie es wirklich in mir aussieht, wie es leuchtet und glänzt und strahlt vor Seligkeit, Du! das sollst und darfst ja nur Du allein sehen, Herzelein! Bist meines Herzens Vertrautester, bist mein Mannerli, mein allerallereinzigstes [sic] geliebtes Herzensschätzelein!!! Oh [Roland]! Mein [Roland]! Wie liebe ich Dich!! Du!!! Herzelein! Heute ist wieder Post von Dir gekommen. Und auch ein liebes süßes Rosinenpäckel! Dafür sei von Herzen bedankt!
Ach Du! – Siegfried schrieb auch. – Geliebter! Nun bin ich doch schon den ganzen Tag, schon seit ich Deine beiden lieben Boten bekam, mit allen meinen Gedanken bei Dir. Vom Freitag und Sonnabend sind Deine lieben Boten. Und darin steht nun davon, was uns beide angeht, von Deiner künftigen Verwendung. Herzelein! Ich bin gar nicht so sehr erschrocken, als ich es las, daß die Zeit für Euren Kursus nun festliegt. Ein ganz klein wenig spürte ich für einen Moment einen [Sc]hmerz am Herzen und ich muß wohl blaß geworden sein, denn es überlief mich so kalt. Ach Du!! Du!!! Du bist mein Liebstes! Mein Allerliebstes auf Erden, und ich bange um Dich, sorge mich, es ist ja nur zu verständlich. Und Du wirst mir auch nicht böse sein, wenn ich einen Moment lang meine Fassung verlor. Herzelein! Mein Lieb! Ich bedaure Dich so, weil Du nun, kaum wieder warm geworden, schon wieder ziehen mußt. Und alles andere, [m]ein Wünschen und Hoffen, das tritt ja so selbstverständlich zurück bei dem Gedanken an Dein Wohlergehen, Geliebter! All meine Sorge und Liebe, die gilt nun Dir und Deinem Weg. Ich werde nun an nichts weiter denken müssen, als an Dich, mein [Roland]. Mehr und inniger denn je. Du wirst mich brauchen, Du! Daß ich Dir liebend zur Seite bin in Gedanken und Dir die böse Fremde verwinden helfe, den Dienst, den öden. Oh Geliebter!! Du weißt es ja schon! Und sollst Dirs' [sic] immer und immer wieder gegenwärtig sein lassen: wohin Du Deine Schritte auch lenken magst, ich weiche nie und nimmer von Dir! Ich gehe mit Dir, Du! Bis ans Ende der Welt! Überallhin folge ich Dir nach, Du mein allerliebstes Mannerli! Ich verlasse Dich nie und nimmermehr! Ich gehöre doch zu Dir! Ich bin ja ganz, sooo ganz Dein! Oh, ich liebe Dich, liebe Dich! Herzelein! Es kam uns diese Botschaft nicht unvermutet. Es stand fest: früher oder später müßtet ihr diesen Lehrgang ableisten. Und auf unser Wiedersehen blickend da ist es wohl besser, daß Du alles hinter Dir hast, je eher, je lieber! Schau! Ein Vierteljahr zieht sich allein das Ganze hin, dann am Schlusse kannst Du auch nicht gleich auf Urlaub pochen. Was nützt es, wenn Du jetzt noch wochenlang rumsitzt, die schöne Zeit verrinnt, so oder so müssen wir warten. Und in diesem Falle nun dürfen wir hoffen, daß Du im Frühherbst mit allem fertig bist, gelt? Und am Ende zur Belohnung als neubackener Unteroffizier auf Urlaub kommst?! Du! Ich erkenne Dich vielleicht dann garnimmer [sic] vor lauter goldenen Schnüren!
Ach Herzelein! Siehst Du! Ich kann schon wieder scherzen! Ich will es doch auch nicht schwärzer sehen als es ist. [V]om ganzen Herzen froh macht mich, daß Du nun doch noch mit Deinem lieben Kameraden fortkommst! Wenn ich Dich ganz mutterseelenallein von eurer Kompanie zum Kursus wüßte, da müßte ich mich noch viel mehr sorgen. Denn ich müsste mir sagen, Du bist stets einsam, weil Du Dich so leicht keinem anschließt. Überhaupt, es ist schöner, mit Altersgenossen zusammenzusein. Das einzige ist nun, was mir als schlimmstes Übel vor[sch]webt: die Hitze, die gerade herrscht während eurer soldatischen Ausbildung. Ach Du! Wirst Dein bissel Fett noch zusetzen, armes liebes Mannerli! Und die körperlichen Annehmlichkeiten? Ob Du baden kannst, Dich säubern nach dem anstrengenden Dienst? Ach, ich weiß, Ihr werdet Euch schon kümmern, Ihr 3 Raben! Aber man macht sich zuhaus die tollsten Gedanken. Hoffentlich habt Ihr vernünftige Vorgesetzte! Herzelein! Um eines bitte ich Dich von ganzen [sic] Herzen: sei vorsichtig überall! Denke an mich! Ich würde nie mehr froh im Leben, wenn Dir etwas zustößt! Herzelein! Ich will es Dir nicht schwer machen – im Gegenteil ganz leicht, Herzelein! Und ich mag Dich auch nicht mit Vorsichtsmaßregeln quälen. Aber das eine mußt Du mir versprechen, Herzelein!
Daß Du ganz wachsam bist!
Ach, ich weiß doch, Du! Du!!! Daß Du ebenso sehr an unser Glück des Einsseins denkst wie ich! Ja mehr noch mußt Du es täglich, weil Du in der Fremde bist. Und schon bis auf den heutigen Tag ein wachsames Auge hattest auf alle Dinge umher. Geliebter! Ich bin ganz ruhig, wenn ich an Dich denke: so lieb, soo verständig und umsichtig wie mein Herzensmannerli ist keines wieder! Das weiß ich genau! Du wirst wie oft schon, noch die anderen beiden mitbewachen. Du! Ach, wenn Du nur alles gesund überstehst Herzelein! Das ist ja die Hauptsache. Unmenschliches kann man ja nicht von euch verlangen, denke ich. Ihr seid ja keine 20 Jahre mehr! Und wenn Du spürst: hier ist es zu Ende mit meiner Kraft, ach Liebster! Du!
Quäle Dich nicht! Ich bitt Dich! Du!
Du ringst Dirs' [sic] von Deiner Gesundheit ab.
Ich weiß, daß Du zäh sein kannst, verbissen – daß [D]u durchhalten kannst bis zum Letzten. Aber es ist unverantwortlich, wenn man in diesem Krieg so gewaltsam mit seinen Kräften wüstet. Ich habe das eingesehen. Man muß bedenken, es ist immerhin nur ein Kursus. Wenn man der harten Wirklichkeit gegenübersteht, – wie in Rußland die Soldaten kämpfen müssen, dann weiß man: sie müssen, es geht um ihr Leben. Ach Du! Was sage ich da alles! Niemand ist doch vernünftiger [a]ls mein [Roland]! Hat es mich nicht schon so oft zur Einsicht ermahnt, die ich drauflossteuerte? Und ich wollte jetzt ermahnen? Ach Du! Du!! Liebster! Aus Liebe! Aus sorgender Liebe nur! Du!!!!! Wenn Dich nur der Herrgott behütet und weiterhin mit Dir ist, auf allen Deinen Wegen, Du! Dann kann Dir ja nichts geschehen, mein [Roland]! Ich will immer für Dich beten, wie jeden Abend. Gott wird Dir gnädig sein, und wird Dich gesund wieder heimführen. Ich glaube ganz fest daran! Herzelein! Unser Schicksal ist beschlossen bei Gott. Wir sollten nicht zweifeln, zagen, bangen! Tapfer vorausgesehen! Kopf hoch! Und mutig voran! Dann wird uns a[ll]es noch einmal so leicht werden. Ich bin ganz bei Dir allezeit mit meinen ganzen Gedanken und allen Kräften. Du! Und meine Sehnsucht? Mein Hoffen und Warten auf Dich? Oh Du Herzelein! Ich will sie ganz tief zurückschließen in mein Herzkämmerlein! Noch ist es nicht soweit! Es muß ja nicht für immer eingeschlossen bleiben, alles Sehnen! Einmal wird wieder der Tag kommen, da die Sehnsucht befreit wird und leuchtend emporsteigt aus [de]s Herzens Grunde, geweckt vom Sonnenstrahl! Von Dir!!! Oh Geliebter! Dies leuchtende Bild der Erfüllung soll uns vorschweben allezeit, und wenn’s einmal schwer wird, möge es uns Kraft und Geduld schenken. Vergiß nie: ich liebe Dich! Du! Sooo treu! Sooo wahr! So von ganzem Herzen, Du!!!!! Gott sei mit Dir! Ich bleibe in Ewigkeit Deine treue [Hilde].
Hilde Nordhoff
Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.
Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946
Referenzen vom zur Musik