87.
Sonntag, am 10. Mai 1942.
Herzensschätzelein! Mein geliebtes Herzelein! Mein [Roland], Du!
Nun ist der Mai schon wieder zweistellig, die Tage eilen pfeilgeschwind dahin, so empfinde ich. Und sie sollen auch schnell vergehen, mein Herzelein! Was soll uns all die lange Zeit, die wir einsam, jedes für sich zubringen müssen? Die Zeit mag eilen, eilen! Bis wir uns wiederhaben, Geliebter! Bis wird endlich Frieden sein! Und nun rückt auch der Tag immer näher, der Dich von Deinem neuen Wohnort entführt. Kaum hast Du Dich da eingewöhnt mußt Du schon wieder Dein Bündel schnüren. Wie wirst Du es nun treffen? Die Frage bewegt mich so sehr! Sag? Wie wirst Du denn eigentlich umziehen? So, als ob es ein Abschied für immer wäre, vom alten Orte? Oder so, als ob Du nur einige Wochen weggehst und wiederkehrst? Mußt Du alle Deine Habseligkeiten mitnehmen? Den Seesack, den Koffer, alle Sachen? Alle Briefe! Alles, auch Dein Kopfbettlein! Und die Stiefel? Wo werden denn die bleiben? Wenn sie nun weg kommen, die teuren Stiefel! Deine ganze Löhnung hängt daran Du liebes, gutes Mannerli! Ach, ich habe doch ein gar liebes, gescheites und umsichtiges Mannerli! Ich will mich nur nicht so sehr sorgen um alle die Dinge. Du wirst schon alles recht machen, gelt Herzelein?
Sonntag ist heute und mein Herzelein hält doch auch Sonntag, den letzten in Saloniki! Du! Ich habe doch heute schon oft an Dich gedacht! An Euch 3 Buben!!
Nun werdet Ihr nochmal euren Lieblingsspaziergang machen und Abschied nehmen, für unbekannte Zeit. Auf die Berge werdet Ihr steigen, damit Euch alles noch einmal zu Füßen ausgebreitet liegt, was Ihr in dem verflossenen Jahre doch auch ein wenig lieb gewonnen habt in seiner fremden Schönheit. Die Stadt, die auch Euch beherbergte; Euer lieber Nachbar, der stolze Olymp! (wie werden die Göttinnen trauern, wenn sie nicht mehr die drei Matrosen entdecken, die immer so interessiert nach ihrem Wohnsitz schauten!! Sie werden wohl in tiefen Schlaf verfallen!) Und die Meeresbucht, das Herz, an das sich die Stadt schmiegte. Ach ja, Herzelein! Ich weiß doch auch schon ganz genau Bescheid da, wo Du Dich bewegtest. Und nun, da Du Abschied nehmen mußt ist mir doch, als ginge es mich ebenso viel an. Bin ja Dein Wandergesell [sic], Du! Der immer mit Dir ging in Gedanken! Darum bin ich auch von allem bewegt, was Dich angeht, Geliebter!
Ich halte auch Sonntag mit den Eltern. Wir hatten uns gestern vorgenommen, einen feinen Spaziergang zu machen, weil der Marientag gar zu schön war. Aber heute regnet es leider. Ach, gut ist der Regen und schon längst ersehnt vom Bauer! Nur den Spaziergängern schadet er und ihren Sommerhüten!
So bleiben wir halt daheim und machens uns gemütlich. Es ist so schön bei uns! Die frischen Gardinen hängen überall nun, wie Hochzeitsvorbereitung, so kommt‘s mir vor, Du! Wie eine Puppenstube sieht unsre Wohnung aus. Der Papa hat ausgeschlafen! Er will dann mal ins Kino gehen. Die Mutsch macht ihr Sommerkleid kürzer, damit alles in Schuß ist, wenn die Sommerzeit losgeht. Und ich hätte auch so allerlei zu tun, doch ich will immer zuerst meinem Mannerli schreiben, ehe ich was andres anfasse und dann habe ich zu lange geschrieben und es lohnt sich garnicht erst! Ach Du! Ich bin aber auch am allerliebsten nur bei Dir, wenn ich frei bin von der Hausarbeit. Heute gegen Abend wollen wir trotzdem mal ein Stück in den Gemeindewald gehen. Weißt? Es duftet immer wunderbar nach frischem Grün nach solchem warmen Regen und ein wenig an die Luft möchte ich doch heute auch gerne.
Herzelein! Morgen habe ich allerlei vor! Zuerst hatte mich Tante H. gebeten, mal reinzukommen nach Chemnitz, um einen Schnitt für ein Kostüm mit ihr auszuwählen. Onkel H. war bei uns auf der Durchfahrt, das Luder ist schon wieder frei von Soldatens [sic]!! [Ich] Möchte wissen, wie der das fertig bringt! Und ich habe für nachmittags zugesagt. Nun bekomme ich doch eine Dienstmeldung: am Montag ist wieder Arbeitstagung in Chemnitz von der Kinderschar aus. Da muß ich hin. Also habe ich gleich eine Freifahrt und kann das mit Tante auch erledigen. Für den Abend, um 8 Uhr habe ich Frau L. mit ihrem lieben Mann eingeladen! Sie hat uns doch auch so nett empfangen. Ich habe die beiden getroffen und sie gefragt, ob sie wohl ein Stündchen von ihrer kostbaren Zeit opfern mögen für einen Besuch bei mir zuhaus [sic]. Ei gewiß, zu mir und meinen Eltern kämen sie schon gern. Ein netter Mann, der Herr L. Und weißt, Herzelein? Was ich sofort herausgefunden habe? Daß die beiden ganz glücklich sind, daß sie sich mindestens ebenso liebhaben wie Du und ich. Gestrahlt haben sie beide, daß sie beisammen waren. Ich habe mich richtig mitgefreut an ihrem Glück. Ich gönne es ihnen von Herzen, sie haben sich doch auch soo lange nacheinander sehnen müssen. Viel zu kurz sei die Zeit, meinte Herr L., ab Belgrad 21 Tage hat er Urlaub. Am 18. muß er wieder in Belgrad sein. Und Du mußt in Sofia sein. So eine Reiserei! Und immer müssen Eure Weibel zuhause bleiben! Wir werden bald mal protestieren, Du! Na warte nur! Wenn wird erst Frieden sein, dann mußt Du aber auch mal mit mir reisen bis ich‘s satt habe und nur noch daheim sein mag. Oh Du! Ich glaube, wenn wird erst Frieden sein, dann mögen wir weiter nichts und ersehnen weiter nichts, als ein trautes Heim und ein Alleinsein, Du!! Für die ersten Jahre brauchen wir garnichts, als das, Herzelein, das glaube ich gewiß. Wir haben doch sooo vieles nachzuholen! Die Tage werden dann garnimmer [sic] zulangen [sic]. Du! Du!!! Ach, wie freue ich mich darauf, endlich mit Dir für immer zusammen zu sein, Du! Möge uns der Herrgott gnädig sein und uns diesen, unseren höchsten Wunsch erfüllen! Möge er mir Dich behüten vor aller Not und Gefahr, mein [Roland]! Möchte er Dich gesund wieder heimführen zu mir!
Mein Herzelein! Ach Du! Heute sind doch auch 3 ganz, ganz liebe Boten von Dir gekommen. Ach Du! Wie soo lieb kommst Du zu mir! Eitel Freude und Sonnenschein ist darob in mir. Oh, siehst Du das Strahlen, das Leuchten auf meinem Angesicht? Spürst Du meine Seligkeit? Geliebter! Mein Geliebter! Ich muß erst all das Glück bewältigen in meinem Innern. Ich kann Dir ja noch garnicht auf alles antworten, Du !!!! Nur danken kann ich Dir jetzt! Aus tiefstem Herzen danken, mein [Roland]! Du!!! Mit meiner ganzen Liebe und Treue danke ich Dir ewiglich! Du! Schätzelein! Ich bin ganz sehr glücklich mit Dir! Oh sooo glücklich, Du!
Und ich möchte, daß auch Du so sehr glücklich bist wie ich. Du! Bist Du es? O ja, ja, ja! Ich weiß es doch, zu meinem höchsten Glücke!
Geliebter! Nun scheint doch auch die liebe Sonne am Himmel draußen und ich will nicht säumen, will hinausgehen mit der Mutter in den Frühlingstag. Spazierengehen in Deinen feinen Schuhen, Du! den schwarzen. Komm Herzelein! Ich nehme Dich doch gleich mit! Du!!!
Ich liebe Doch sooo herzinnig, soooo sehr!
Ich küsse Dich mein Herzensmannerli voll tiefer Dankbarkeit und Glückseligkeit!
Gott behüte Dich! Du mein Ein und Alles!
In unwandelbarer Liebe und Treue
ewig Dein, Deine [Hilde]
Dein glückliches Weib, Du!
Hilde Nordhoff
Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.
Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946
Sara Müller
Rolands Zeit in Saloniki geht seinem Ende zu und Hilde macht sich Gedanken über den Umzug; die ersten Frühlingstage laden zum Spaziergang ein; ein Besuch bei der Tante in Chemnitz; der Besuch von Frau und Herrn L. und Sehnsucht die daraus resultiert nach Roland.