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[OBF-421105-001-01]
Briefkorpus

Donnerstag, den 5. Nov. 1942

Herzensschätzelein! Teures, geliebtes Herz!

Schon wieder sitze ich bei Dir und schreibe. Wie schnell ist der Tag verflogen. Ebenso, noch schneller womöglich, zerrinnt auch Dir der Tag unter den Händen – und ich kann mir so leicht vorstellen, daß Du in Zeitnot und Platzangst gerätst. Zu viele sind der Pflichten, und zu mannigfaltig – und Du hast kein eigenes Stübchen, in das Du Dich zurückziehen kannst und dann sagen, jetzt bin ich nicht da. Dein lieber Sonnabendbote ist bei mir – ich dank Dir doch von Herzen auch für dieses Liebgedenken. N.s sind sehr oft bei Euch. Es gefällt ihnen wahrscheinlich, oder sie suchen eine Anlehnung – dagegen ist ja nichts zu sagen, im Gegenteil. Aber am Sonnabendabend, wenn alles eben mal aufatmet, so zu Dritt, unangemeldet ^womöglich hereinzuschneien, das ist doch nicht recht. Kann es sich doch keiner auch recht bequem machen in Eurem kleinen Raum – es ist doch zu eng darin.

Ich will Dir heute etwas von meinen Kameraden und Mitarbeitern erzählen. Einen Bekannten traf ich aus Saloniki, einen Feldwebel. Er ist nun auch schon ein Graukopf – aber es steckt noch eine Menge Lebensmut in ihm. Aus Ostpreußen stammt er – Vater von mehreren Kindern, von denen etliche schon wieder mit im Felde stehen. Er hätte gern nach S. mitgewollt. Er sagte zu mir: Ich bin schon wieder zu lange hier, bin schon wieder zu bekannt hier. Ist ein alter Hase, weißt. – Wie überall im Südosten: Sachsen. Die drei Male, da ich U.v.D. ging, hatte ich Sachsen zu Läufern, einen Freiberger und 2 Chemnitzer. Der Freiberger, ein Schneider, auch bei uns als Schneider verwendet, hat lange Zeit in Bautzen gearbeitet, hat auc[h] in Großpostwitz einmal anfangen wollen.

Es sind alle schon ältere Semester, brave, ehrenwerte Männer, soviel ich sie kennenlernte – und sprechen alle den Dialekt, aus dem soviel Gemüt klingt. – In der Geheimregistratur arbeitet ein Kamerad aus Löbau, hat auch namhafte Verwandte in Kamenz. – ein Rektor W. ist in Kamenz. – Er ist Schaffner an der Eisenbahn. Hat schon zwei Brüder in diesem Kriege verloren. Er soll einmal das elterliche Geschäft – Lebensmittelgroßhandel – übernehmen. Kennt auch Elfriedes Schwager, S., mag aber von ihm nichts wissen. Er ist eine gute Seele, etwas labrig, ein langer Kerl. – Der Spieß, richtiger der Feldwebel, der unserem Betrieb vorsteht – der ist Altenburger, wieder mal ein Altenburger – Sanguiniker – leicht mal aufbrausend, polternd, lebendig, aber sonst gut und gern behilflich. Ist auch schon ein Graukopf. – Der Obergefreite, der mit mir in der offenen Registratur arbeitet, stammt aus Klagenfurt. So ganz ist er nicht mein Mann. Aber im Urteil über ihn will ich warten. Herzelein – je näher man einen Menschen kennen lernt und je länger, desto schwerer ist er zu beurteilen. –

Es sind auch Mädchen in unsrer Dienststelle, jetzt erst noch vier, sollen aber mehr werden, die dann anstelle von Soldaten rücken, Marinehelferinnen. Die hier bei uns arbeiten, tragen keine Uniform – ich weiß auch nichts über ihr Anstellungsverhältnis, aber ich vermute, daß sie schon vorher in der Heimat bei Marinestellen arbeiteten; denn sie sind schon länger hier. Drei von ihnen sind bei Referenten, Sachbearbeitern, eine ist dem Adjutanten als Hilfe beigegeben. Ich kann über sie nicht urteilen – ich kenne sie noch nicht einmal mit Namen – dienstlich haben wir nur wenig mit ihnen zu tun. Eine ist mir schon aufgefallen durch ihre Arroganz, sie bildet sich allerhand ein – weil sie schon mal Sekretärin bei einem Admiral war. Die Kameraden erzählen, daß sie damals kaum auszustehen war. Eine andre macht sich auffällig "schön" – für wen? Nicht schwer zu raten.

Ach Du! Es ist nicht leicht. Denk nur: zwei Kameraden sind hier, junge Kameraden noch, die haben ihre Frauen, Deutsche, hier. Der eine Kamerad wird nächstens abkommandiert werden, weil es Bestimmung ist, daß Mann und Frau nicht am selben Orte Militärdienst tun dürfen (!). Bei dem anderen Kameraden liegt der Fall insofern besonders, als seine Frau als Zivilangestellte bei der Gesandtschaft tätig ist, und ihre Eltern in Bukarest ansässig sind. 4 mal in der Woche darf der Kamerad zu Hause bleiben. Bei der Eigenart unsrer Dienststelle kommt es, daß wir mit höheren Offizieren, zu tun haben. Unser Oberster Chef ist Admiral – der nächstniedere Kapitän - und diesen beiden Offizieren beigegeben ist der Adjutant, ein Oberleutnant. Offiziere gehen ein und aus – Soldaten, die äußerlich eine ganze Welt für sich darstellen. Was ist es mit dieseren besonderen Welt? Ach Herzelein, ich kann sie in keiner Weise neiden. Die Offiziere sind Soldaten von Beruf – daß sie darin etwas leisten und es vorwärts gebracht haben – darauf können sie nicht mehr stolz sein, als ich es sein könnte in meinem Beruf. Und Bildung, Ehrauffassung, Charakter? – nun, daran will ich mit manchem messen. Nein – ich will es gar nicht, ich habe es nicht nötig – diese uniformierte, gekennzeichnete Welt liebe ich ohnehin nicht – und ich habe keinen anderen Wunsch, von ihr so schnell wie möglich wieder los zukommen. Wieviel junge Menschen wird die große Uniform wegführen von der rechten Demut, von der Erft Ehrlichkeit zu sich selbst, vom bescheidenen Dienen an einem Werk, – ach, ich glaube auch von der Tiefe des Erlebens. Daran ist natürlich nicht die Uniform schuld, sondern der Mensch, der darin steckt. Aber es kommen viele jetzt zu jung in solch große Uniform, und für die ist sie eine Versuchung.

Schätzelein, ich glaube, Du verstehst mich darin ganz, weil auch Du von herzlichem, natürlichem Wesen bist. Die Welt der Etikette – ich würde mich schon hinein finden, aber froh würde ich darin nicht. Und Du und ich – wir werden ohne sie auch nicht wie die Wilden leben, aber frei, nach unserem Sinn und Stil, und das ist tausendmal feiner.

Ein Lied, ein Schumannlied, fällt mir ein: "Ach wenn’s doch der König gleich wüßt, wie lieb mir mein Schätzelein ist! Es wird wohl mal kein Admiral – hätt’ es nur seinen Abschied einmal!" Ist es Dir aus dem Herzen gesungen? – Ach Du! Du!!!

Was könnte uns reicher und schöner vor Augen schweben als das Land unsrer Liebe? als unsre gemeinsame Lebenswanderung? Wir haben doch so viel vor – wird doch unser Leben kaum auslangen –

Aber diese Sorge ist Gottes. Ach, segne er unsre Vorhaben! Lasse es wohlgelingen!

Ach Du! Was gäben wir nicht für unsre Freiheit, daß ich ganz Dir gehören könnte! Fein stille halten müssen wir – ach Du! wer von uns beiden ist ungeduldiger? — Du! Ich will Dich doch auch noch soooviel liebhaben in diesem Leben – sooo ganz lieb – immer lieber – Du! Du!!!! !!!!! !!! Oh Geliebte! Mein Alles Du!

Behüt Dich Gott! Sei Du froh und zuversichtlich mit mir! Ich bin so ganz Dein! Ach Du! Behalt mich lieb! Wenn nun das Mannerli so alt wird – ach, ich will Dir doch ganz jung bleiben!

Ich küsse Dich tausendlieb!

Ewig

Dein [Roland]

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Kommentare

Zusammenfassung des Briefes, Rosemarie Köhler
Roland moniert, dass N.s zu Dritt am Sonnabend zu Besuch kommen zu Hildes Eltern. – Er erzählt von seinen neuen Kameraden und Mitarbeitern. Einen Feldwebel kennt er schon aus Saloniki. Roland hat Kameraden aus: Freiberg, Bauzen, Löbau und Altenburg. Also sind fast alle aus Sachsen. Der Obergefreite, der mit ihm in der freien Registratur arbeitet, ist nicht sein Mann. Aber, er will kein Urteil fällen, da er ihn noch zu wenig kennt. 4 Mädchen, bzw. Frauen arbeiten auch dort und tragen keine Uniform. Einige waren schon in der Heimat bei der Marine tätig. Eine fällt auf wegen ihrer Arroganz und eine andere macht sich so „schön“. Es sind Marinehelferinnen, die jene Soldaten ersetzen, die abkommandiert wurden. Einige junge Kameraden haben ihre Frauen hier in Rumänien. Roland hat viele Offiziere um sich. Sein Chef ist ein Admiral, der hat einen Kapitän zur Seite und beide haben einen Adjutanten, der Offizier ist. Sie bilden eine ganz eigene Welt ab. Roland beneidet sie nicht; er wäre lieber Zivilist geblieben. Außerdem fürchtet er, dass die sehr Jungen in den großen Uniformen sie von der Demut und Ehrlichkeit gegen sich selbst wegführen wird. – Roland möchte lieber mit Hilde in Freiheit und Frieden leben, denn sie haben noch so viel vor.

Einordnung
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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946