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[OBF-421128-002-01]
Briefkorpus

39.)

Sonnabend, am 28. November 1942. 

Geliebtes, teures Herz! Mein allerliebster [Roland], mein!

Du! Guten Morgen liebes Herzelein! Bist schon munter?

Ach sitzt ja schon bei Deiner Arbeit! Und wenn ich bei Dir eintrete, dann ist ja Abend. So wünsch ich Dir einen guten Abend! Ach Liebes! Ich muß doch gleich heute früh zu Dir kommen, es drängt mich ja so hin zu Dir. Ich bin erst spät ins Bettlein gestern Abend, habe es noch Mitternacht schlagen hören und war doch schon wieder so zeitig munter. Wie das kommt?

Oh Du! Du bist mir im Traum erschienen! Du!!! Kamst zu mir und führtest einen kleinen Buben an der Hand! Ob es unsrer war? Du hattest ihn mir mitgebracht, kamst heim auf Besuch. Ach, war das komisch! Du! Und ich hab mich doch so gefreut, war ganz aufgeregt, daß ich wach wurde. Es war gegen 6 Uhr morgens, denn die Eltern hantierten schon in der Küche. Da hab ich dann wach gelegen eine ganze Stunde, hab Dein denken müssen so lieb und innig. Ach Du! Ein so großes Glücksgefühl will mir dann das Herz zersprengen – oh, ich möchte dann aufspringen, zu Dir eilen! Fliegen! Du!!! Oh Geliebter! Wie ich Dich liebe! Wie ich Dich liebe! Die Mutsch hörte ich nochmal ins Bett gehen, als um 3/4 6 der Papa ging. Sie arbeitet heute nicht und gönnt sich auch mal eine Stunde mehr Schlaf. Recht so! Und ich bin ja nur froh, bin doch flugs herausgekrochen, hab Feuer angemacht, mich gewaschen, angezogen, schon fein aufgeräumt und nun sitze ich bei Dir, ganz glücklich und zufrieden, auch mit meiner Umgebung. Wer weiß, ob ich heute nochmal so schön allein bin mit Dir, gelt; Du!!! Ach Du!!!!! Ein ganz ganz liebes Küßchen bring ich Dir! Geliebter! Ich muß lächeln, ich sehe den Pfefferkuchenreiter! Du! Es sollte doch auch das Kalendermannerli sein! Und ich will’s nun künftig so halten: an dem Tag, da das Kalendermannerli bei mir einkehrt, lege ich es im Boten an Dich bei. Dann wirst Du doch Dein Kreuzel nie verkehrt machen, Du! Willst Du? Mußt es mir aber dann immer wieder zurückschicken, sonst kann es nicht mehr kommen! Du! Ich habe mir doch auch schon ausgerechnet, wieviele Male ich Dirs [sic] schicken werde, bis Du selber kommst! Vielleicht 6 Mal! Dann ist April. Im Dezember werd ich Di[r]'s doch zweimal schicken müssen. Einmal schon bald! Einmal am Ende des Monats. Du! Wenn erst Frühling ist! Oh, dann dürfen wir hoffen! Hoffen auf Urlaub! Auf ein Wiedersehen! Herzallerliebster Du!

Schätzeli! Deinen vorigen Sonntagsbrief habe ich jetzt neben mir. Duminica = Herrentag. Die Menschen da werden an dem eigentlichen Sinn dieser Bedeutung vorbeisehen und sich [sic] für sich auslegen, gelt? Dieser Tag gehört den Herren. Ist man in R. streng gläubig? Bist von einem Spaziergang heim und hast die Aufforderung Deines Kameraden abgelehnt, mitzukommen, zu dem Reichsdeutschen. Hattest doch schon den alten bösen Brummschädel, Armes! Hoffentlich hast Du jetzt, da die Plagegeister [die Weisheitszähne] heraus sind, keine Schmerzen mehr. Du! Bist so lieb zu mir gekommen. Und erzählst mir auch so manches was Dich bewegt, wenn Du durch die Stadt gehst, Deine Eindrücke vermittelst [D]u mir. Ja Liebes, so muß es auch sein. Das Stadtbild, so wild, unorganisch, ist im Vergleich zu unsern lieben Heimatstätten bedrückend. Wirkt kalt, herzlos, fremd. Und genau so sagte doch der Vortragsmensch damals! Und so wie Du die Menschen schilderst, wird es sein, so erzählte auch jener Mann.

Dir fällt auf, daß man wenig Kinder sieht. Dieser Mann wußte zu berichten, daß die R. verhältnismäßig früh heiraten. Und einmal war er zu einer Hochzeit geladen, auf dem Lande – da sei die Braut 16, der Bräutigam 21 gewesen. Er zeigte uns auch die Bilder (Lichtbilder) davon. In ihren hübschen Trachten sah man die Leutchen. Und er hob ganz besonders hervor, daß unter des Landbevölkerung noch das edelste Gemüt zu finden sei, offen herzlich, gastfreundlich, höflich, ehrlich – dies alles würde man [i]n der Stadt gewaltig vermissen. Das beweisen auch stets wieder Deine beigefügten Zeitungsausschnitte, gelt? was [sic] da noch für Gelichter rumläuft. Na, Balkan ist Balkan. Und wenn man sonst nichts zu tun hat mit diesen Menschen, kann es einem auch egal sein. Wir sind halt bissel mehr Ordnung in allen Dingen gewöhnt.

Eine mächtige, reich ausgestattete deutsche Buchhandlung gibt es da! Fein!! Wenn Du nun recht viel Geld hättest, dann wäre so mancher Wunsch zu erfüllen. Ich habe Vatern in Kamenz damit beauftragt, Dir den 2. Band der Musikgeschichte herauszusuchen; als ich da war, reichte die Zeit nicht aus. Er glaubt nicht, daß der Band in Bischofswerda sei. Bis zu Weihnachten bekommst Du es leider nicht hin. Keine Marken mehr!

Du! Da lese ich es nun wieder, Du möchtest so gern, daß ich Dir die Strümpeln schicke, die ich Dir stricke! Ach Du! Zu meiner Beschämung muß ich Dir gestehen, daß die noch in den jüngsten Anfängen stecken und das Weihnachtsfest noch nicht mit erleben werden! Ich habe absolut noch nicht die Zeit gehabt drüber zu bleiben. S[ei] mir nicht bös, Du kriegst sie bestimmt noch! Du!!

Vom Vater schreibst wieder. Ich glaube nie und nimmer, daß der magenkrank ist, was meinst Du, was der so verdrückt! Oh! Ich freue mich nur; denn das wäre schon eine Sorge, wenn er magenkrank wär. Morgen muß er zum röntgen [sic], am Montag. Bin neugierig. Ich denke, daß das nur Beschwerden nervöser Art waren, und weil er ohne Zähne nicht ordentlich kauen kann.

Es muß sich eben gut vorsehen in allem. In letzter Zeit klagte er weniger. Er ist sicher auch so stark rheumatisch veranlagt wie sein Vater; denn bei jedem Witterungsumschlag klagt er über Schmerzen. Wie wir ihm helfen können tun wirs [sic] schon. Im Alter treten halt dann mehr oder weniger Beschwerden auf, besonders im Kriege.

Der liebe Herr K. hat Dir geschrieben, das freut mich!

Laß ihn nur nicht wieder so lang warten, schreib ihm öfter mal. Ich glaube Du bereitest ihm da eine Freude. Der ärmste [sic], muß nun auch seine lieben Gewohnheiten missen und will doch auch den Frieden noch erleben. Ach, über allen Menschen steht das schlimme Kriegsungewitter, lastet auf ihnen. Ich erfuhr auch von Deiner Mutter, daß Gottfried S. vermißt ist. Wie furchtbar! Und wie traurig zugleich. Welche Opfer wird der Kampf noch fordern? Der Wille zum Sieg kann auch furchtbar sein.

Die Jahre daher lebten wir doch immer in der Hoffnung, daß dies alles nur ein kurzer Übergang sei, ein Zwischenspiel – und nun gilt es, sich einzurichten auf einen Zustand von Dauer. Ach Geliebter! So wie wir nur verhalten atmen jetzt, so stockt doch auch alles rechte Leben jetzt. Ich versteh Dich so lieb: was Du mit dem rechten Leben meinst ist doch eben Deine Arbeit. Deine Berufsarbeit, Dein Musizieren und all das, was damit verbunden [ist]. So vieles, das erst begonnen ist, dem Du Dich erst zuwenden willst.

Ach ich kann Dich so gut verstehen: diese Strebungen mußt Du irgendwie wieder aufnehmen, wenn diese Krise überwunden werden will. Und darüber hilft Dir nicht ein Buch weg, Du mußt eine Arbeit in Angriff nehmen, die in Deinen Plänen liegt. Ach Herzelein es ist schon so, zum einen können wir unsere Lage nicht zuversichtlich sehen, zum andern bedrückt es Dich zuweilen, daß Du so gelähmt bist in Deinen Wollen, daß es Dir eben fehlt an der Betätigung, der Regsamkeit. Und dies ist nun vor allem so in Erscheinung getreten, da uns Gewißheit geworden ist, daß dieser Krieg noch lange währt. Das ist eine Krise, die überwunden werden muß. Eine Krise, die gewiß auch viele andre Männer an sich erleben, die nicht nur eine Handlangerarbeit zu verrichten hatten. Ach Du! Beim Weibe geht das Leben in gewisser Hinsicht auch jetzt weiter wie im Frieden. Nur das Seelenleben darbt. Der beglückende Ausgleich fehlt zwischen Mann und Weib; der Pflichtenkreis ist der gleiche geblieben, hat sich vielleicht noch erweitert. Im großen und ganzen aber ist dem Weib Genüge getan, wenn es als echtes Weib leben darf, als Frau. Und nicht in irgend eine Schablone gepresst wird, wie es jetzt so oft dieser Krieg verlangt. Du! Wenn ich mein Dasein Dir leben kann, bin ich so glücklich! Ach Du! Ich will mich nicht darum sorgen, daß Du diesem Druck unterliegst. In Dir ist der Wille nicht weniger lebendig, mir zu bleiben! Froh und stark zu bleiben und mir heimzukehren! Geliebter! Und was ich mit meiner Liebe vermag, das will ich tun, Dich heimzuziehen! Dir den Glauben an [unser] Leben, an unsre Zukunft zu erhalten! Ich halte Dich fest! Ich lasse Dich nicht! Ich liebe Dich! Gott sei mit Dir! Du!!

Ich bin in unendlicher Liebe Deine glückliche [Hilde], Dein!!!!!

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946