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[OBF-421201-001-02]
Briefkorpus

Dienstag, den 1. Dezember 1942

Herzensschätzelein! Geliebte! Meine [Hilde], Du!!!

Nachmittag ist es – ganz allein ist das Mannerli – ganz reingearbeitet meine Tische – für ein halbes oder ganzes Stündchen – stille [sic] ist es – doppelt stille [sic] in dem hohen Raum (schön sind hohe Räume) – und gedämpft dringen die Geräusche der Außenwelt durch die gläserne Doppeltür und die Doppelfenster. Nur wenig Schneespuren sind noch draußen auf den Zaunsäulen.

Nach Heimat duftet es heute in der Luft – Westwetter ist, weich und feucht ist die Luft bei klarem Himmel – oh, das Mannerli schmeckt sie gleich und zieht sie ein mit vollen Zügen – Westluft – Heimatwehen – und wie nun die Sonne im letzten müden Schimmer die Stämme der Bäume rötet und den Rotziegelbau der gegenüberliegenden Villa rot aufleuchten läßt – Oh Geliebte! Da zieht es so unbeschreiblich durch das Herz – nach der Freiheit und Aufgeschlossenheit des Westens, die meine Heimat ist – oh Geliebte, der sinkenden Sonne nach, zum Quell und Ursprung dieses Wesens irgendwo im Westen – da sehnt sich mein Herz, mit Dir nach Westen zu laufen, und wäre es nur eine öde Straße — oh Geliebte! Meine [Hilde] – die Sehnsucht nach der Heimat ist heute in der Luft – oh Geliebte, die Sehnsucht nach den Fluren und Lüften daheim – und nach der Einkehr bei Dir!!! Du! Du! Mein Herzlieb!

Nun steht heute der liebe Christmonat schon im Kalender. ¼ 5 Uhr – da käm das Mannerli aus der Nachmittagschule [sic] heim – und mein Fraule wartete schon mit dem Nachmittagskaffee – den nehmen wir doch ganz bequem am runden Tischel ein im Armsessel – und gibt es dann auch was Feines zu pappeln? Vielleicht schon ein Pfefferkuchenherzel mit zu knabbern? Und vor uns hängt der liebe Adventskranz – und der sinkende Tag verteilt traulich Hell und Dunkel im Zimmer, mehr dunkel fast – und läßt die Augen leuchten, und zeichnet das Wesenhafte im Antlitz meiner lieben [Hilde] – ach Du! Du!!! Und aus dem Dunkel steigt alle Traulichkeit, alles Heimsein – oh Herzelein, dann muß ich ganz nah bei Dir sein und mit Dir in den sinkenden Tag schauen – und all unser Wollen und Lieben webt um uns und wogt in uns – zwei sind wir – ein liebend Paar – und nicht einsam – nicht nur zwei – Du! Du!!! Du!!!!! !!!!! !!!

Ich liebe Dich! Du bist mein liebes Weib!!!

Heute hatte das Mannerli in der Mittagstunde noch allerhand Drasch – hat Speck eingekauft – und Päckchen gepackt. Das ist vor dem Fest die letzte Sendung, weiter langt mein Geld nicht. Vater wird nicht einmal ein paar Feiertagszigaretten bekommen können. Aber gleich danach wird eine Sendung für ihn kommen. Magst ihn immer schon drauf vorbereiten, daß er richtig einteilt. Ja, Päckchen versandfertig machen nach Hause – das ist fein – und das macht Freude und Sehnsucht zugleich. Ach Du! Du!!! Wann werden wir diese Freiheit wiederhaben, daß wir nach unserem Willen gehen dürfen? Ich will doch nur zu Dir! Will nur zu Dir! Geliebte! Meine [Hilde]!!!

Gleich muß der Postbote kommen! Ob er etwas fürs Mannerli hat? Von meinem herzallerliebsten Schätzelein? Meist hat er doch etwas! Du! Gespannt bin ich ich – und wenn er etwas bringt – dann ist eitel Freudevon Dir! Dir!!!!!

Herzelein! Der Postbote ist nicht gekommen, ist überhaupt nicht gekommen heute, das erste Mal, seit ich hier bin. Der Zug hat 3 - 4 Stunden Verspätung. Nun kommt der Postbote morgen in den Vormittagstunden [sic]. Ach Schätzelein! Deshalb hat es mich nicht weniger heimgedrängt zu Dir – Du!!! Der ganze Himmel ist voller Sterne heute. Der große Himmelswagen steht da zur Abfahrt znach Westen. Wenn ich wieder bei Dir bin, da suchen wir uns mal zwei Sterne aus – gelt? Herzlieb mein!

Vor dieser (Arbeit) Abendstunde mit Dir stand doch erst noch eine Arbeit: Strümpfewaschen, das war heute über mittag [sic] geblieben. Es ist schon geschafft. Auf unserem Tische liegt seit gestern Mutters Adventskranz. Vater geizt mit den Lichtern: er hat nur ein Lichtlein mitgeschickt – das macht die Freude nicht kleiner – es ist eben Krieg.

Nun will ich mir gleich erst mal Deine lieben Boten von gestern vornehmen. Hast es noch immer mit den Möbeln zu tun. Tust recht daran, nun mal etwas Druck dahinter zu machen. Nach Deinem Bericht haben es B.s doch gar nicht mehr ängstlich gehabt und sich kaum ernsthaft gekümmert. Ja, das wird noch ein besonderes Ereignis, auch ein kleines Aufsehen in der Nachbarschaft. Vielleicht ist’s eben heute an Ort und Stelle gekommen. Ein wenig greifbarer und näher und in gewissem Sinne eigener ist es dann doch. Wenn alles freilich nun noch auf dem Boden stehen muß, wie früher unser Winterspielzeug oben stand im Sommer.

Frau Sch. hat keine Kiste. Ja, das macht ihr nun einige Umstände – die auf sich zu nehmen, ist sie nicht gefällig genug. Holen wir uns den Krempel schon mal selber ab, ist ja nun genug erinnert worden, die Huscheltante. Von Elfriede erhielt ich gestern einen langen Brief. Sie hat so ruhig und zuversichtlich ihr Kranksein getragen, der Krankenhausaufenthalt hat ihr richtig wohlgetan und zu Kräften verholfen, die sie anderswo nicht hätte sammeln können – und nun aber packt sie die Ungeduld, und in dieser Ungeduld holt sie sich die ganze Verwandtschaft herbei und schreibt nach allen Winden – ist das doch ein merkwürdiger Zustand – was seid Ihr Weibel doch für putzige Geister – steht das wie die Blumen und Bäume und müßt der Stunde eures Schicksals harren – seid gar nicht Herren über euch selbst – müßt vom Kalendermannerli euch regieren lassen – und müßt nun warten, bis es dem Kindlein gefällt, sich zu bequemen - kommandiert ihm doch! bestimmt es doch! – es geht nicht – es hat seine Zeit – und ihr habt eure Zeit – Weibtum – ach Schätzelein! liebstes Wunder!

Wie lieb! Wie sooo lieb hab ich doch mein liebes Weib! Wie glücklich bin ich doch, eine solche Wunderblume mein Eigen zu nennen – Herzblümelein, Du!! Geliebte!![!] Wird doch nun das Kalendermannerli Dich wieder regieren – aber im Herzen regiert es nicht, Du! ja? im Herzen wohnt doch das Mannerli allein, Du!!!

Also noch ein anderes Patengeschenk – ist ja ganz gleich jetzt, was man schenkt – eine Wahl hat man ja gar nicht – und man muß nur froh sein, wenn man noch etwas Gutes und Brauchbares findet. Ja, Hellmuth und Elfriede kommen auch spät zu einer richtigen Aussteuer.

Vater schon mehrmals, und nun auch Du, Ihr sprecht vom Orgelspielen. Ja, da bin ich doch ein putziger Kauz. Wenn ich es nicht besser bringe, mag ich doch gar nicht fragen – ich hätte doch in O. schon einmal wieder gespielt sonst. Aber man kommt aus der Übung, zumal mit den Füßen. Der Kantor hier hat ein sehr sauberes, flüssiges, musikalisches Spiel, an das ich ohne Übung nicht heranreiche. Alles kommt aus der Übung, auch die Stimme. Möchte mich nicht einmal erbieten jetzt, ein Lied zu singen.

Und was Du denkst, von wegen freistellen zu solchem Dienst – ich bekäme wohl nicht einmal die Erlaubnis, als Wehrmachtangehöriger in der öffentlichen Gemeinde irgendwie zu wirken, sei es im Chor oder solistisch – oh Herzelein – darin sind wir doch ganz gebunden.

Daß ich jetzt einigemale [sic] die Zeitungsausschnitte nicht mitschickte, hat seinen Grund darin, daß sie nichts Lesenswertes brachten. Ist es nicht erschreckend, wie man hier die Kinder aussetzt? Aber diese Erscheinung ist ebenso wie die Dieberei ein Zeichen der Armut, der sozialen Ungerechtigkeit und Mißstände in diesem Lande – ganz reich neben ganz arm.

Fällt mir eben noch ein: Verkündete der Pfarrer, daß auf Beschluß des Landeskonsistoriums alle christlichen Frauenvereine aufgelöst werden sollen. Ist das auch im Reiche? Das wäre ja ein neues Beispiel für die Übung der Toleranz. So nimmt man der Kirche ein Einflußgebiet nach dem andern – nun kann sie nur noch bestehen, wenn ihre Glieder Treue und wahrer Glaube ohne jeden Nebengedanken erfüllt. Für die Kirche in ihrem inneren Bestand und Gehalt möchten das alles recht heilsame Maßnahmen sein – nur sind ihrer so wenig, die in der Kirche nur die reine Verkündigung des Gotteswortes suchen, ganz schlicht und ohne jede Verschrobenheit und ohne jede Eitelkeit des Herzens, die in der Kirche nicht einen Verein sehen, sondern nur einen Mittler, einen Diener am Worte Gottes.

Oh, auf wie erschreckende Vorurteile, und festgefahrene Meinungen, auf wie viel böswilliges Urteil, auf wie viel verblendete, vom Haß diktierte Irrmeinungen, auf wieviel Verständnislosigkeit stößt man bei Fragen um die Kirche. Und die Kirche zeigt sich diesem Ansturm nicht gewachsen. Wie müßte sie ihre hohe Sendung, ihr höchstes anvertrautes Gut mit einer wahrhaft überragenden Haltung und Würde tragen vertreten. – wie müßte sie mit dieser Haltung all das Geschwätz einfach entkräften und jeden Spötter verstummen machen! Wie müßte sie unbeirrt ihren geraden Weg gehen!

½ 11 Uhr ist es nun geworden. Mannerli will nun schlafen gehen. Muß wieder fein munter sein morgen. Ich bin heute ohne Mühe allein gut fertig geworden. Heute war der Betrieb aber auch flau. Es macht ein wenig mehr Spaß, wenn man alles allein über hat. Mein Kamerad bummelt doch manchmal ein bissel. Oberster Grundsatz bleibt bei der Arbeit mit dem Papi[er]kram: Was Du tun willst, das tue gleich – sonst vergißt man nämlich eines über dem anderen.

Gut Nacht nun, Herzensschätzelein! Behüt Dich Gott! Bleib mir froh und gesund!

Grüße die lieben Eltern.

Ich denke Dein, immer, voll Liebe und Sehnsucht. Ich trage in mir nur einen Wunsch, eine Hoffnung: Dir heimzukehren und mit Dir zu leben! Ich habe Dich doch so lieb, sooo lieb!

Mein Alles Du! Mein Reichtum, mein Leben!

Meines Herzens ganzer Sonnenschein! Meine [Hilde]!

Ich küsse Dich vieltausendlieb! Ewig Dein [Roland],

Dein glückliches Mannerli!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946