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[OBF-421201-002-01]
Briefkorpus

42.)

Dienstagabend, am 1. Dezember 1942.

Herzallerliebster! Liebster [Roland]! Mein Herzensmannerli!!

Du wirst es ja schon von der Hauptzentrale wissen!

Er ist da! Er!! Der Sonntagsbub! Welche Freude nun! Heute früh kam endlich die langersehnte Nachricht an von Lotti und von Vater! Ja von Vater, der mich beschwor mir schwur, "von mir erfährst Du es nicht!“ Ach der gute Vater, er ist ja so aufgeregt und froh und stolz sicher auch! Nun ist er da! Lotti schreibt: Liebe Tante [Hilde]! Ich, Nikolaus Mathis [Nordhoff], 6 [℔] u. 200 gr [Gramm] schwer, 51 cm lang, blond, bin gestern 2130 [Uhr] pünktlich am 1. Advent angekommen und begrüße Dich herzlich!

Die gute Lotti, hat nun alle zu alarmieren. So eine Freude! Die Mutter ist soweit wohlauf, nur sehr schwach. Aber sie ist in bester Obhut, wir dürfen da alle beruhigt sein. Sag, freust du Dich denn auch so sehr mit? Am liebsten würde ich ja gleich hinfahren und mir das kleine Wunder besehn, das ja ein ganz klein wenig auch das unsre ist, Du! Bis wir ein eignes haben! Du!!!

Ach, ich habe doch nun gleich an Friedel und Hellmuth auch einen Brief geschrieben! Ich muß ihnen doch meine Glückwünsche bringen. Ich bin so froh, daß alles gut vorbeiging.

An unserm Verlobungstage! Ach Du! Wenn wir erst einmal vor solch einem großen Glück stehen werden! Gott segne es in Gnaden! Geliebter! Nikolaus Mathis, wie werden sie ihn rufen? Nikolaus? mag [sic] ich nicht. Mathis? ja [sic], gern. Michael würde mir auch gefallen. Ach, das müssen nun die glücklichen Eltern allein wissen, ja? Was wird unser lieber Hellmuth sagen?! Ob ers [sic] schon weiß?

Ich drücke doch so die Daumen, daß er heim kann auf Urlaub! Ach Herzelein! Es ist eine ganz wundersame Freude über so ein junges Menschenleben, eine so reine Freude. Gott möge alle sie behüten, die Lieben alle 3. Ich freue mich doch nun schon auf Weihnachten, wo ich das kleine Christkindel sehen werde!

Ich möchte Dich doch am allerliebsten auch mit dabei haben. Bin ich nun allein Patentante vonseiten der [Nordhoff]s. Unser lieber Kleiner, der kann ja nun nicht kommen. Was wird er bloß sagen, der neubackene Onkel?

Ach, was ist das eine Aufregung, wenn so ein kleiner Erdenbürger das Licht der Welt erblickt! –

Herzelein! Heute kam kein Bote von Dir an. Auch das Gänsel ist noch nicht da. War schon auf der Post wieder gegen Abend. Bin nur neugierig, ob morgen was kommt! Mir ist nur darum zu tun, daß sie nicht recht lange in den geheizten Aufbewahrungsräumen rumliegt. Ach, wenn die Gans nach dem Schlachten ihre Zeit abgehangen hat, dann kann sie nicht schlecht werden. Das ist nämlich so. Jedes geschlachtete Tier muß erst eine gewisse Zeit abhängen, ehe man es zum Versandt [sic] bringt. Sobald die Wärme, die Lebenstemperatur noch ist, hält sich das Viehch nicht. Ja, soviel Erfahrung werden die Leutchen doch wohl haben, ja? Es würde mir sehr leid tun, wenn sie ungenießbar ankäme.

Ach Mannerli! Ich hatte ja heute wieder Lauferei. Da besorgte ich des Morgens erst meinen Haushalt und das Essen. Nach dem Aufwaschen kam unverhofft eine Bekannte zu Besuch. Aber die haben wir dann bald bewegt mitzukommen; denn wir wollten ja zur Großmutter [Laube], die Emaillesachen holen, damit wir sie mit in den Küchenschrank räumen können. Na, bei Großmutter blieben wir ein Weilchen hängen. Und ich bin auch mal schnell zu Herrn H. rübergesprungen; denn ich hatte schon lange vor, ihn mal wegen ein paar Tischen zu fragen aus der Schule, für meine Kinder im Luftschutzraum. Aber vergebens. Die meisten Sachen haben die Lazarettbewohner in Besitz. Das andre Zeug benutzen die Kinderlandverschickungsgören im kleinen Saal des Jahnhauses. Es ist nichts mehr da für uns. Und er tröstete mich, daß er sich doch auch so schmiegen müßte. In die Schule könnten wir auch nicht; denn da sei dauernd besetzt, bis auf Mittwoch, da würde dann gesäubert. Und überdies sei an dem Tag auch nicht geheizt. Na schön.

Muß es halt so weitergehen. Ich soll nur nichts so heiß essen, wie es gekocht sei! Er würde auch die Verordnungen hernehmen, lesen und – weglegen. Es macht ihm auch nichts mehr Freude.

Ich soll Dich recht schon grüßen von ihm! Er fragte nach Deinem Ergehen. Von Rust, dem Reiseonkel habe er schon gehört, daß er überall umherkutschiere. Ach, die Lehrer zuhaus haben es satt!

Du könntest froh sein, daß Dir der ganze Ärger erspart bliebe. Seine Ella mußte ins Lazarett, sie war verärgert. Das ist nämlich so: aller gewisser Abstände müssen zwei Frauen in einem von der Frauenschaft vorgeschriebenen Zimmer im Lazarett Besuche mache[n]. Die Partei wünscht, daß die Bevölkerung Anteil nimmt!

Natürlich darfst Du da nicht mit leeren Händen kommen.

Einen Kuchen, Pudding, Eingewecktes, Zigaretten, Blumen u. so weiter. Und Frau H. ist so oft dran! Sie hätte bald nichts mehr mitzunehmen. Und sie fragte mich ob ich das auch müßte. Nein, bei mir war die Blockfrau noch nicht. Was soll ich auch da bei den fremden Männern, frage ich? Ja, das frage sie sich auch!

Das zehnte Mal wüßten sie garnicht, was sie reden sollten.

Was sagt man nun hierzu. Ich lehne es ab, manche meinen, es sei schön, wenn man denen, die keinen Besuch bekämen, mal eine kleine Freude machte. Ja, komisch ist und bleibt es jedenfalls, wenn man so ohne jede Beziehung einen fremden Menschen besuchen muß. Es bleibt eben für den Kranken doch ein Gefühl des Widerwillens sicherlich, weil er dahinter das "Programm" spürt, die Mache.

Und solche Kranke sind empfindlich, glaub ich. Die mögen das vielleicht garnicht. Weiß nicht. Hoffentlich muß ich eines Tages nicht auch mal hin. Ich werde versuchen mich zu weigern, mal sehen in welcher Form man diese ,Art Betreuung’ überhaupt angetragen bekommt. Von Fr. L. weiß ich es ja auch, daß sie oft gehen muß, mit noch einer immer zusammen.

Ach Mannerli! Als ich dann mit Mutsch den Korb voll Sachen heimhatte [sic], da bin ich doch gleich nochmal los nach Limbach. Zum Möbelhändler und zum Spediteur. Huh, ist das heute schlecht draußen. Ein böser Sturm, es kann vor Kälte nicht schneien. Bei Herrn B. war ich aber erst. Er nahm mich mit ins Kontor. Nun bat ich ihn, mir die noch nicht gelieferten Gegenstände, als da sind: Brille und 2 Äsche für Aufwaschtisch, Brille und 1 Asch für Waschbänkchen, 2 Stühle, 1 Fußbank und 2 Drahtmatratzen, auf der Rechnung hintendrauf [z]u vermerken. Ja, da wollte er sich leise sträuben. Warum? Weil er es jetzt nicht da hat und er wollte mir das Geld geben. Aber da stieß er bei mir auf entschiedenen Widerstand. Ich habe ihn zuletzt doch noch bestimmt, meinen Wunsch zu erfüllen. Und er schrieb die Dinge auf. Und auf der Karteikarte, wo unser Möbelkauf niedergeschrieben steht, hat er alles das auch vermerkt. Denkt der Bursche ich lasse mich mit paar Mark abspeisen und dann kann ich sehen, wo ich das Fehlende herbekomme. Keine Ahnung[.] Dem habe ich ins Gewissen geredet. Er sah es am Ende auch ein. Wir stritten uns garnicht und schieden als beste Freunde! Aber versuchen wollte es der Bruder, mich übers Ohr zu hauen.

Denn das hätte er, wenn ich das Geld genommen hätte, statt Ware. Ich will doch gerne warten solang, bis er es alles hat. Woanders kriege ich die paar Dinge doch im ganzen Leben nicht, die sagen, ich soll dahingehen, wo ich die Hauptsache herkaufte.

Die Stahlauflagen verlangte ich dringend, hab ihm gesagt, daß ich das Schlafzimmer aufstellen will und so nicht meine Matratzen in die Bettstellen legen kann. Na, das zu besorgen versprach er mir denn auch. Und ich gehe ihm auch nicht eher von den Fersen bis ich alles habe. Er läßt Dich übrigens grüßen!

Dann beim P. Er war sehr erfreut der alte Herr, weil ich so bald kam, die Rechnung zu begleichen. 15 Mark kostet die Fuhre. Das mag gehen, ja? Das sind nun noch so einige Spesen, die man drum und dran hat. Ich hatte noch 20 Mark von der Reise nach Kamenz, davon zahlte ich gleich. Ich brauche mir von Deinem Konto nichts überweisen lassen Schätzeli! Dank für Dein freundliches Angebot! Ich wills [sic] selber schaffen! Und die gute Mutsch stundet mir’s! Ich soll erst wieder etwas anlaufen lassen! An Deinem soll ich mich nicht auch noch vergreifen, meint sie! Du!! Ach Du weißt schon, daß ich es nicht unnütz vertu, gelt Schätzeli? Auf dem Heimweg aus der Stadt erwischte ich für Dich noch einen Film, den hebe ich auf. Du! Die beiden geknipsten sind noch nicht aufgetaucht. Ich ärgere mich! Ob wir sie in der Vogelschänke liegen ließen, wo wir Mutsch erwarteten? Oder an dem Rastplätzel im Walde? Ach, es ist zu schade. Du! Das nächste Mal passen wir aber besser auf. Du! Das neue Almanach 1943 habe ich auch schon gekauft! Du! nun kann ich ja schon zählen bis dahin, wo Du willst heimkommen – oh Du! Die Mutsch tröstet mich, wenn ich leise stöhne, wieviel Tage noch, daß Ihr ja nicht ihrer viele dort seid, da könntest Du doch aller [sic] 4 Wochen kommen! Sags [sic] ihr nur mal, wie es wirklich ist! Wieviele seid Ihr denn, Mannerli? Bist Du bald dran? Ach Du! I[ch] will garnicht unbescheiden sein, ich freue mich schon, wenn Du dann kommen darfst, wie wirs [sic] uns denken und wünschen! Ach Du! Geliebtes Mannerli! Ich muß mich ja schon wieder so sehr sehnen nach Dir! Nach Dir, Geliebter!!!

Du! Laß mich heute zur Ruhe gehn, ich fühle mich so müde. Werde wohl morgen das Kalendermannerli schicken müssen! Du!! Behüte Dich Gott!

Herzelein! Gutnacht! Ich liebe Dich! Ich liebe Dich! Deine frohe [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946