70. Donnerstag, am 31. Dezember 1942.
Silvesterabend.
Geliebter! Herzallerliebster!
Der letzte Tag im Jahre, der letzte Abend im alten Jahre.
Du!! Es drängt mich so hin zu Dir, mein [Roland].
Ich habe den ganzen Tag über keine rechte Ruhe gefunden innerlich, weiß auch nicht, wie es kam – ich habe mich nur auf den Abend gefreut. Auf den Abend, der Dir ganz gehören soll, Geliebter! Und so sitze ich nun vor meinem Bogen, denke mich ganz lieb in Deine Nähe, in Deine Nähe! Oh Herzelein! Du!!! Das ganze Weihnachtsfest über bin ich so fröhlich gewesen im Herzen. Heute will mich Traurigkeit befallen.
Ach, weil Du mir ferne sein mußt zu dieser Wende nun auch wieder! Du!! Wie gerne säße ich bei Dir! Heute, wenn das neue Jahr einzieht, wollte so beglückt und frohgemut ihm entgegenschauen! Ach – ich hier allein. Du dort allein.
Das ist unser Los. Und das Los Tausender.
Ach ja, Geliebter! Daran will ich denken in dieser Stunde, da mir die Sehnsucht nach Dir das Herz schwer machen will. Wir stehen nicht allein mit unserem Geschick.
Und in der Kirche vorhin hörte ich es ja auch wieder, tröstlich und gut: Gott ist mit uns alle Tage, bis an der Welt Ende! Wir sind in seinem Schutz.
Ach Herzelein! Es ist unrecht, wenn ich jetzt die Traurigkeit obsiegen lassen will!
Und ich bin doch Dein tapfrer Weggesell! Geliebter!
Du! Sei mir nicht bös, für die Schwäche kann nur die große Sehnsucht. Ach – sie ist zu mächtig in mir! Sie spannt ihre Flügel so weit, daß es meinem Herzen weh tut! Geliebter! Und bitte, sei nicht traurig darum, auch wenn ich Dir sage, wie mir jetzt ums Herze ist. Du! Sei froh und glücklich! Oh! Es ist alles Liebe! Unendliche, wundermächtige Liebe zu Dir.
Mein [Roland], ach Du! Wie kann ich es nur einen Augenblick vergessen, daß Du doch allezeit bei mir bist! Du!!!
Du wohnst ja in meinem Herzen, bist immer bei mir! Auch heute, in der Jahres letzter Stunde, zur großen, bedeutsamen Wende, läßt Du mich nicht allein.
Deine Gedanken gehen ebenso in Liebe zu mir in die Heimat, wie die meinen zu Dir in die Fremde gehen. Wir stehen doch trotz der Trennung ganz eng verschlungen, Hand in Hand vor der Pforte, die Gott uns öffnen wird, zu Licht oder Dunkelheit, wir wollen es still erwarten! Oh mein Weggefährte, Du mein geliebter [sic]! Ich halte Dich fest! Was auch kommen mag! Ich halte Dich sooooo fest. Unsre Liebe hält uns, wir sind für immer aneinander gegeben! Wir wissen nicht, was unsrer wartet im kommenden Jahre, aber das wissen wir fest: daß alle Liebe unsrer wartet vom geliebten Gefährten, alle ungeteilte Liebe! Und das ist soviel Glück auf Erden! Und zu seiner Vollkommenheit erfahren wir die große, gütige Liebe des Herrgottes droben! Auch seine Liebe ist bereit! Bereit, sich uns ins Herz zu senken!
Darum laß' uns wachsam sein! Immer bereit sein!
Geliebter!! So soll unser Wahlspruch bleiben für unseren Weg: ,ich und mein Haus wollen dem Herrn dienen.'
Denn allen, die Gott lieben, werden alle Dinge zum Besten dienen. Wir sind voller Sünde und Fehl, wir Menschen. Wir wollen uns auch im Angesicht des neuen Jahres geloben, mit allen Kräften uns mühen, besser zu werden, noch viel besser, Gott zu Wohlgefallen. Und darin wollen wir einander bestärken und helfen, Du! Herzallerliebster mein!
Und furchtlos überschreite ich mit Dir die Schwelle. Du bist bei mir. Mein [Roland], ich gehe unzertrennlich mit Dir. Immer weiter, dem Siege entgegen! So ist der Glaube heiß in uns!
Du! Mein [Roland]! Laß mich es Dir wiedersagen voll gläubigem Vertrauen zu Gott, wie ich es heute in der Kirche sang mit allen: Hilf du uns durch die Zeiten und mache fest das Herz, geh selber uns zur Seiten und führ’ uns heimatwärts. Und ist es uns hinieden [sic] so öde, so allein, so laß in deinem Frieden uns hier schon selig sein.
Mein [Roland]! Still geht nun das Jahr zu Ende. Nun mag auch unser Herz still sein. In Gottes treue Hände legen wir Freude und Schmerz. Alles was dieses Jahr nun umschlossen, Gott weiß es. Er sah unser Bangen und Jagen, Zweifeln, Hoffen – Freuen, Fröhlichsein.
Er sah unser Herz. Und er mag uns gnädig nachsehen, was wir zu Unrecht getan. O Herr im Himmel! Verzeihe du uns Schwäche und Mißtrauen gegen Deine Weisheit und Güte, richte uns, wie du Menschenherzen ansiehst. Aber du schaust bis in unser Herz hinein, sieh auch unser heißes Wollen! Sieh den guten Willen, sieh unser Streben und Mühen, deiner Liebe dankbar und würdig zu sein und zu leben. Nimm uns auf in deine Liebe! Verstoße uns nicht in Dunkelheit und Kälte! Sieh, wie wir nach deiner Liebe hungern! Schenke uns deinen Segen allezeit! Und gib, daß mein Liebster nie Not leide im fremden Land! Oh schenke eine glückliebe Heimkehr! Bewahre meinen [Roland] vor Krankheit und Gefahr, halte du deine Hände voller Segen über ihn, wie im ganzen Jahre! Oh Herr im Himmel! Wie hast du so in sichtbarer Liebe an uns gehandelt! Lob und Dank sei dir allezeit! Amen.
Mein [Roland]! Es kann bei allem Überdenken und besinnlichen Einkehr- und Rückschau-halten, keine Traurigkeit aufkommen. Wir müssen so tief dankbar sein, und eine innere Herzensfröhlichkeit schwingt mit dabei. Du! Ich denke nur noch inmal der kritischen Tage, da Deine Zukunft so dunkel und ungewiß vor uns lag.
Ach, was ging uns da alles durch die Seele an Not und Bitterkeit gegen die ganze Welt, die voll Kriegsgeschrei und Haß ist. Es war eine schlimme Zeit. Wie habe ich allein gerungen damit, weil ich es Dir nicht noch schwerer machen wollte, als es Dich ohnehin schon treffen mußte, so ganz allein ins Ungewisse zu gehen.
Und wie ich ruhiger wurde im Gebet, so hat uns auch unser Glaube geholfen!
Oh, daß wir uns doch immer erst so bitter und schmerzlich hindurchringen müssen. Gott erkennen und ihn begreifen ist nicht immer leicht. Oh Geliebter! Ich halte Deine lieben Hände und schau Dir glücklich in die Augen! Du!
Gott hat uns so sichtbar beigestanden! Du bist mir nicht noch weiter entschwunden räumlich! Ach Du! Man kann Dich mich ja garnicht entführen im Grunde! Ich liebe Dich! Du lebst in mir! Aber die Sehnsucht ist so, sooo groß! So groß. Und auch die Ungeduld oft. Doch unsre Liebe überwindet alles. Und kann auch Opfer bringen! Mein [Roland]! Ach Herzelein! Und nun bin ich doch garnicht [sic] mehr traurig, wenn ich so bei dir sitze und mir alles von der Seele rede! Du! Liebstes, herziges Mannerli! Es ist mir doch, als seist Du leibhaftig bei mir! In meinem Herzen eingekehrt, Du, der Sonnenstrahl! Du, mein Sonnenstrahl! Oh wie kannst Du mich erleuchten, erwärmen und erglühen machen. Du! Daß ich Dich nur habe! Daß Du mein bist! Das ist mein allerhöchstes Glück in dieser Welt!
Mein [Roland]! Ach Du! Ich darf dies Glück nicht zu Ende denken, es ist zu groß, es macht mich zu glücklich, ich muß weinen, weinen vor Glücke, daß Du mein bist! Ach Du!!!
Und gestern, da brach es doch so aus mir heraus, alles Glück der Liebe, da Du so herzenslieb zu mir kamst, ach Du!
Ich war ja so bewegt, so bewegt! Geliebter! Und ich hätte sonst etwas darum gegeben, hätte ich können ganz allein sein mit meinem großen Herzensglück und -Jubel. [sic] Ach Du! Abends dann im Bettlein kann ich es so ganz. Ach zu! Da muß doch oft mein Kopfbettlein geduldig sein und stillhalten meinem Überschwang an Liebe und Sehnsucht! Oh, Geliebter! Du verstehst mich. Du verstehst es doch, weil Du solches Sehnen und Lieben auch erlebst! Ach Du! Wie köstlich mag es sein, wenn Du erst bei mir bist und wir uns nie, nie mehr gedulden müssen mit einer Liebkosung auch nur! Oh Du! Dann wird erst Frieden sein in unsren Herzen!
Gott stehe uns in Gnaden bei! Ach, möchte das kommende Jahr ein glückbringendes sein!
Daß es ein friedenbringendes ist, wage ich noch nicht zu glauben. Es wird noch eine Weile dauern.
Ach Geliebter! Die Uhr schlägt eben 11 mal. Noch eine Stunde, dann tut sich die Pforte auf. Ganz fest will ich Dein denken dann, Du! Ich sitze hier allein noch. Mutsch konnte sich vor Müdigkeit nicht mehr halten, sie schläft schon. Papa ist im Dienst. Und ich war doch heute von 7 Uhr bis gegen 9 Uhr in der Kirche. Es war anschließend noch Abendmahl, wir sangen dabei.
Denke nur, Mutsch will morgen mit mir nach G. fahren. Ich habe mich nun nach langem Zögern zum ja entschlossen. Ich mag sie nicht allein reisen lassen, da sorge ich mich.
Und wenn wir morgen fahren – abends sind wir zurück! – da habe ich noch den ganzen Sonnabend, Sonntag vor mir, zwei zusammenhängende Tage. Das ist mir noch lieber. Mutsch wollte erst Sonnabend fahren. Sie will eben mal zu ihren Schwestern! Und meint, daß es an diesen Feiertagen für sie am besten passe. Gewiß. Werktags arbeitet sie. An irgend einem Wochenende ist es immer bissel kurz, da wird’s ihr zu viel, weil sie gleich wieder an die Maschine muß montags. Du magst Dir denken können, wie ich d[a]gegen bin innerlich, wie sich alles sträubt! Aber ich bezwing mich Mutter zuliebe. Papa haben wir das Essen bereitet, es schläft ja sowieso fast den ganzen Tag. Ach, ich freue mich schon auf morgen Abend, wir kommen gegen 800 [Uhr] heim, wenn’s gut geht, dann komme ich noch gleich zu Dir! Du!!!
Gestern kam Oma zu Besuch am Spätnachmittag, hatte eben den Boten an Dich beendet. Und sie blieb übernacht! [sic] War auch ein Ausnahmefall und hat mir Zeit geraubt! Heute früh um 900 [Uhr] ist sie erst heim. Ach Du! Wenn das liebe Mannerli erst bei mir ist, dann hat aber niemand mehr Anspruch auf mich! Dann freu ich mich aber ganz sehr! Du!!! Hältst mich ganz fest, gelt Liebster? Ganz fest! So wie ich Dich! Oh, ich liebe Dich!!!!! Gote behüte Dich! Mein Ein und Alles! Ich bin Deine glückliche [Hilde], viele liebe Grüße von den Eltern! In Liebe und Treue ganz Dein!!!!! Gutenacht! Geliebter! Ich liebe Dich! Ich denke so lieb Dein!!!
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Hilde Nordhoff
Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.
Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946