Mittwoch, den 6. Januar 1943
Herzelein! Geliebte! Meine liebe, liebste [Hilde]!
Wenn Du heute zum Mannerli kommst, oder es im Traume [sic] besuchen wolltest – Du findest es nicht. Verschlossen die Türen, dichtgeklebt die Fenster: das ganze Haus vergast gegen die Wanzen. Bei uns hatte es ja nur wenige – bei Heinrich im Bettlein waren paarmal welche – zum Mannerli sind sie nicht gekommen, das hatte meist anderen Besuch! – aber in manchen Stuben war es bös [sic]. Und so muß das Mannerli heute auswärts schlafen – es schläft heute gleich in seinem Dienst, d.h. [das heißt] im Dienstgebäude – da stehen ein paar Bettlein zum Langstrecken – zum Langstreckenschlaf – sonst hätte ich mit dem großen Heer in einer wenig schönen Unterkunst bleiben müssen. Ist ja nur für eine Nacht – und hier kann ich meinem Schätzeli doch in aller Muße schreiben – fein ist das. Viel viel Raum ist hier in unseren Arbeitsräumen, da könnten wir gleich einmal tanzen, oder Haschen und Versteckspielen. Heut [sic] morgen [sic] haben wir doch unsre wichtigsten Habseligkeiten in den Koffer gepackt, eine Decke unter den Arm – und losgezogen. Da gibt es morgen nun Großreinemachen. Unser Stübchen ist uns schon lieb, und nur ungern verlassen wir es. Mein Herzlieb habe ich doch mitgenommen. Ach, es geschieht den Bildern ja nichts - aber das neue geliebte Bildnis ist doch mehr als nur ein Bild – und das konnte ich nicht dem Blausäuredunst aussetzen – ach nein, das mußte ich wegnehmen – Dein geliebtes Bildnis!
Herzelein! Ist denn daheim auch so prächtiges Winterwetter? Bei uns nun schon den dritten Tag ein wenig Schnee – hell und heiter, die Temperatur wenig unter null – ganz herrlich ist es in den Mittagstunden. Und das Mannerli geht fein spazieren – und mein Herzlieb geht immer mit.
Herzelein! Heute ist kein Bote gekommen. Die Post geht jetzt ganz unregelmäßig, weil die vielen Feiertage dazwischen liegen – haben sich die Postboten auch mal ein wenig Ruhe gegönnt. Bald wird alles wieder in die Reihe kommen, wenn nicht der Wintersmann böse Streiche spielt. Ach Du! was haben wir ehedem nach Post und Winter gefragt – Du! Das Mannerli hat überhaupt nicht nach dem Postboten geguckt früher – bevor Du mich liebhattest! – und dann aber – dann aber! ach Du! Du!!! Der Postbote ist nun die wichtigste Figur beinahe geworden, der Postbote, der a[ll]es erst sagt, wenn es schon vorbei ist.
Ach Herzelein! Du!!! Wie fein wird es sein, wenn gar nicht mehr die böse Ferne zwischen uns liegt – wenn wir es einander gleich ganz fix zeigen können, wie lieb wir es meinen!!!
Wo wirst Du denn nun weilen, Herzlieb mein? Ich denke, daß die Taufe am Sonntag gewesen ist, wenn Elfriede nur irgend aufgekonnt hat. Sonst wäre sie nun erst kommenden Sonntag. Ob Du denn lange verweilst? Bald werde ich gewisse Kunde haben.
Ist ja heute hier Feiertag. Gestern eine Art Fasttag ohne jede Musik in den Gaststätten, nicht einmal im Rundfunk. Und heute also die Heiligen drei Könige, ein zweites Neujahrsfest. Unser Dienst lief aber wie immer.
Herzelein! Deine große Freude ist noch bei mir. Und Freude ist immer, wenn ich Dein denke – ach Du! Du!!! ein Land der Freude ist das Land unsrer Liebe — und wird es immer bleiben – ein Stück Himmel auf Erden, Herzlieb mein – oh Du! Du!!! Wie ist sie mir so reich aufgegangen in Deiner Liebe! Wie eine große Sonne! Und ganz tief im Herzen ist ihr Schein – und nichts vermöchte diese Sonne ganz zu trüben – solange Leben in uns ist, scheint diese Sonne. Oh Geliebte! Ich glaube manchmal, dies Leben hat noch manches Leid für uns bereit, noch manche Bitternis – dann wird die Sonne unsrer Liebe umso mächtiger scheinen und unsre Herzen wärmen. Ach Du! wenn ich Dein denke, wenn ich Dich schaue, wenn ich zu Dir kommen kann – dann ist diese liebende Sonne um mich und in mir.
Herzelein! Der Mann, der im öffentlichen Leben steht, erfährt Bitteres und Ärgernis von ganz außerhalb, seine Freiheit wird beschnitten, sein Empfinden verletzt, seine Sinne sind zu einem Teil mit der öffentlichen Welt verbunden; er fühlt politische Spannungen freudevoll oder schmerzlich, Lust und Unlust bringen ihm Beruf und Amt – mehr als dem Weib in seiner Heimwelt. Es unterliegt dafür mehr den Empfindungen und Gefühlen seines Körpers. Ach Herzelein – wenn ich mir unser Leben vorstelle, dann weiß ich, daß die Sonne unsrer Liebe all diese Wolken zerteilen kann – oh Geliebte! Daß der Schatz unsrer Liebe alles überstrahlt, daß Freude sein wird, wenn ich nur zurückkehre in die Welt unsres Heimes, in unsre Welt, zu Dir!!! Ich bin schon von je nicht launisch gewesen und Stimmungen unterlegen – bei Dir bin ich es erst recht nicht. Oh Geliebte! Und ich weiß, daß ich an Dir auch einen Halt, und in unsrer Liebe einen Hort finden werde, wenn Gott unseren Eltern einmal ein Ende beschieden hat – eine Kraft geht von guter Liebe aus – oh Herzallerliebste mein! ich bin sooo glücklich mit Dir! Mit Dir will ich dieses Leben bestehen und erfüllen.
Ich weiß ganz im Innersten froh mein Schicksal mit dem Deinen verbunden: Du gehst an meiner Seite! Mit Dir will ich gehen!
Oh segene Gott unseren Weg! Lasse er uns recht lange und recht bald miteinander gehen.
Oh Herzelein! Mit dir kann ich dieses Leben so froh ergreifen! Eine Aufgabe ist es uns – eine große, schwere, aber schöne Aufgabe ist es uns – oh Herzelein! Seit Du die Meine bist, erkenne ich sie erst recht - seitdem hat sie sich erst recht gestellt. Willst Du sie mit mir lösen? – mit mir? – magst Du so wie ich sie schauen und erkennen? – Oh Herzallerliebste mein! Wir haben doch beide Teil daran - gleich wichtigen Teil – und ich will sie mit Dir lösen. Oh Herzensschätzelein. Und so erkennen wir unsre Aufgabe: Arbeiter sein in Gottes Weinberg - das zuallererst und in allem – wie Luther es sagt: ein Gottesdienst soll dieses ganze Leben sein. Und das bedeutet: daß wir das Feuer der Liebe in uns nähren, daß wir zu Zeugen und Trägern der großen Gottesliebe werden, und sei es nur zu einem bescheidensten Teil – und daß wir die Flamme weitergeben – unseren Kindern – in Beruf und Gesellschaft – daß man ^uns dort, wo immer wir stehen, treu erfindet – ach Herzelein! Daß wir das Bleibende, das Treue in uns hüten und mehren – das Bleibende, das Treue in uns. Daß wir unser Leben formen, prägen und erfüllen, daß es bleibende Gestalt gewinnt wie der Stein unter der Form des Bildhauers.
Herzelein! Diesem einen großen Ziele sind alle untergeordnet, ihm dienen sie alle als Teilziele.
Mit Dir will ich es erstreben! Oh Herzelein, mit Freuden!
Ich will nun schlafen gehen! Behüt Dich Gott! Wo wird mein Herzelein denn heute ein warmes Fleckchen finden? Ich wollt ihm doch sooo gerne eines bereiten – Du! Du!!! Oh Geliebte! Ich sehne mich doch nach Dir!!!!!
Ich küsse Dich herzinnig! Und bleibe in ewiger Liebe und Treue
Dein [Roland],
Dein glückliches Mannerli.
Herzelein! Guten Morgen! Guten Morgen!
Guten Morgen! Du!!!
Ach, wenn ich nur wüßte, wo ich Dich jetzt finden kann – will doch immer gerne wissen, wo Du eben steckst. Aber diesmal ist doch auch alles Ungewißheit. Ach, ich weiß Dich ja daheim – so oder so. Du, des bin ich doch sooo froh. Weißt – nicht, daß ich um Deine Liebe bangte, oder um die Treue Deines Wesens, Geliebte, wenn Du einmal fort von Hause müßtest. Aber Deine Gutheit, Deine Arglosigkeit; die Einfalt Deines Herzens, die würden mein Herzblümelein (der Falschheit, Verlogenheit) den kalten Winden der Falschheit, Verlogenheit, Zudringlichkeit und Frechheit aussetzen – ach Du! Du!!! Das täte mir sooo leid, sooo weh!!! Herzelein, ich ersehe es an den Mädchen, die hier bei uns sind. Sie sind doch so schutzlos, ein Freiwild – sie bekleiden einen Posten, in dem sie in jedem Falle unterstellt sind, anderen zu Diensten. Und dieses Unterstellungsverhältnis wird ausgenützt – das kannst Du Dir ja denken – daheim im Frieden ja schon – und hier erst recht. Wo ist ein Kläger, ein Richter? Und kündigen, davonlaufen – das geht ja nicht. Eine Stenotypistin hat ja nun noch ein wenig etwas zu bedeuten, wenn sie tüchtig ist – aber: was jetzt nur so massenweis [sic] als Telefonistin oder Hilfsarbeiterin angelernt wird, das ist eben Hilfskraft, Nummer, Masse. Ach Geliebte – wenn ich in meinen Gedanken Dich an solche Stelle setze – nein, nein das würde ich verhüten wollen um jeden Preis!!! – Du! Dazu bist Du! ^mir viel zu wert und lieb – Herzelein, in meinen Augen und auch tatsächlich ist das in seinen Folgen eine Entwürdigung der Frau – Herzelein, auch gegen die Würde Deines Mannerli.
Ist schon richtig, daß es auch bei der Frau liegt, die Würde zu wahren. Aber doch nicht allein. Sie ist ja schutzlos bis zu einem gewissen Grade. Nein, Herzlieb, schon dieses Amt ist unter der Würde. Man sagt aber doch, daß es eine höhere Würde erhält von dem Dienst an Volk und Vaterland. Nun, von dieser Würde ist nicht viel zu spüren, sie ist eine ideelle – aber die Unwürde ist eine tatsächliche, kongrete [sic], ist eine Verletzung der persönlichen Würde, tagtäglich.
Herzelein, was ich da so sage, das will ja jetzt niemand verstehen, das würde man öffentlich verdammen – aber wahr ist es trotzdem. Und das ist für mich das Maßgebende: nicht wie man etwas hinstellt und propagiert – sondern wie etwas ist, nicht die Münze – sondern ihr Wert. Du! wir beide messen doch nach alten Maßen in vielen Dingen – ist’s nicht so?
Herzelein, ich glaube nicht, daß dieses verschiedene Messen einfach nur alt und jung kennzeichnet. Ich will doch auch noch nicht alt sein und bin es nicht, und wenn Du meinen Gedanken folgst, so fühlst Du Dich doch deshalb nicht alt. Nein, Herzlieb, es ist ein Widerspruch der Anschauungen, der sich hier dartut, den auch Nagel in seinem neuen Buche treffend beleuchtet – es ist bei Deinem Mannerli ein Widerstand gegen die Massenwelt, die alles einebnet und gleich macht und unpersönlich.
So, Schätzelein, das war nun eine kleine Morgenbetrachtung.
Leb wohl nun – geliebtes, teures Herz! Sooo lieb bist Du mir – sooo teuer, Du! Behüt Dich Gott.
In ewiger Liebe u. [und] Treue Dein Herzensmannerli
Du! Du!!! Das Küssen will ich doch nicht vergessen. Ich werd es wohl verlernen – und Du auch – müssen wir aber wieder fleißig üben dann – hu [sic] — ist’s nicht zum Stöhnen? Du! Du!!! Du!!!!! !!!!! !!!
Roland Nordhoff
Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946
Nicole Andert
Roland macht sich immer mal wieder Sorgen um seine Hilde und wünschte, er wüsste immer, wo sie ist und ob es ihr gut geht. Im Dienst hat er ja täglich vor Augen, wie es den dort angestellten Mädchen ergeht, welche in ihren Funktionen als Hilfsarbeiterinnen eher schutzlos und ausgeliefert sind. An so einer Stelle würde er Hilde nicht gerne sehen, denn er befürchtet, dass ihre „Arglosigkeit und die Einfalt ihres Herzens“ ausgenutzt würden, was ihm sehr leid und weh täte. Da wäre er sehr um ihre Würde besorgt und damit auch gewissermaßen um seine.
Auch die angeblich höhere Würde des Amtes durch den Dienst an Volk und Vaterland rechtfertigt dies in seinen Augen nicht, das es nur aufgesetzt wäre und die Verletzung der persönlichen Würde dadurch ja nicht ungeschehen macht. Er vertritt standfest diese Meinung, auch wenn er weiß, dass er dafür öffentlich verdammt werden würde. Für ihn und auch für Hilde gelten eben die wahren Werte und nicht, wie man etwas hinstellt und propagiert. Nach dieser kleinen Morgenbetrachtung verabschiedet er sich sehnsüchtig.