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[OBF-430118-002-01]
Briefkorpus

87.

Sonntag, am 17. Januar 1943.

Herzensschätzelein! Mein lieber, guter [Roland]! Herzelein!

Du! Nun ist Sonntag, Feiertag. Wir sind alle wieder im Stübel versammelt und lassens [sic] uns gut sein beim Faulenzen mal. Mutsch liest die Zeitungen, Papa schläft auf dem Sofa und ich bin ganz bei Dir, mein Schätzelein! Draußen ist prächtiges Winterwetter, die Sonne scheint, morgens hatten wie Frost. Ein strahlend blauer Himmel wölbt sich über uns.

Aber heute gehe ich nicht spazieren. Will heute fleißig stricken. Die Socken für Dich und auch am Pullover, der ja fertig sein soll, wenn Du zu mir kommst. Und es hat sich auch Besuch angemeldet für heute. Hilde T., sie heißt jetzt R., meine einstige Schul- und Kränzelfreundin, sie hat bei Papa einen kurzen Besuch gemacht gestern im Pförtnerhäusel und sich eingeladen. Ich freu mich, wenn sie sich auch mal sehen läßt.

Es ist so nett und gemütlich bei uns, daß ich mir zu meiner vollkommenen Freude und Zufriedenheit nur noch Dich in unsre Mitte wünschte. Ach Geliebter! Bald wirst Du ja wieder einmal bei mir sein! Du! Oh Du! Gestern Abend, als ich im Bettlein lag, da hat mich doch die Sehnsucht und das Heimweh nach Dir so sehr gepackt, daß ich die Tränen nicht mehr dämmen konnte. Oh mein Geliebter! Sie haben mir Erlösung gebracht, die Tränen. Du! Ich war nicht traurig, fühlte mich nicht unglücklich, ach nein! Es war nur das große Heimweh, das sich lösen mußte. Du! Deinen Namen hab ich leise geflüstert, so voller Sehnsucht und Liebe, Du mußt es gefühlt haben, oh Du! Und hab ins Dunkel gestarrt mit brennenden Augen, daß ich Dein geliebtes Bild mir vor Augen zaubern könnte. Ach, ich sehne mich unendlich nach Dir, mein [Roland], Du! Ach, ich weiß es so überglücklich, daß Du mir ganz gehörst auch in der Fremde! Das ist mein ganzes Glück, daß ich Dich nie verlieren werde, was auch geschieht! Du!!! Und Du darfst auch nicht denken, daß ich nun traurig sei, mein Herzelein! Ach nein! Ich bin ja viel zu vernünftig, als daß ich an den Ketten rüttle die uns fesseln, jedes a[n] seinen Ort. Ich muß es mir mir wieder einmal von der Seele wälzen mein großes Heimweh, um dann wieder stark und frohgemut im Glauben weiterzugehen, Dir entgegen, Geliebter! Immer Dir entgegen, Geliebter! Es verlangte mich heute in die Kirche zu gehen. Ich bin allein gegangen, zum Oberfrohnaer Gottesdienst. Der Kälte halber fand er im Pfarrsaal statt.

Liebster, ich hätte Dich gern dabei gehabt. Unser Pfarrer war heute gut in seiner Predigt.

Eingangs setzte er ein Wort aus der Schrift. Ich kann es Dir [n]icht genau wiedergeben. 'Es sind nicht die Gottes, die immer rufen Herr, Herr; sondern die in meinem Namen tun und leben'. So ungefähr war die Stelle, Du kennst sie gewiß noch besser als ich. Und dann folgte ein Wort deutscher Frömmigkeit, von einem kürzlich Gefallenen, dessen Namen ich vergessen hab – nein, L. hieß er. Ein mir Unbekannter. Er schrieb, daß wir sollen das Licht, das wir empfangen nicht in uns verschließen, sondern weitergeben an die danach Hungernden. Daß wir sollen unser Christentum weitergeben an alle, die mit uns und um uns leben, da so viele in Verzweifung und Dunkelheit leben in unsrer Zeit.

Wir sollen uns aber nicht vermessen zu glauben, nur Licht zu sein, denn wir sind nur Spiegel des Lichts, das da heißt Christus. Nicht Licht allein, nicht Erde allein, sondern also erdgebunden bleiben, sondern uns strecken nach dem Licht, streben nach dem Höchsten.

Es ist mir im Einzelnen nicht möglich, Dir aufzuzählen, war dieser Mann alles ausführte. Es waren aber alles ernste, verständliche, gläubige Gedanken.

Und diese Worte alle sollten uns hinweisen auf das Hauptthema: Warum Taufe.

Er holte weit aus und ging zurück, da Christus von Johannes getauft ward. Gott hat Jesus einst erkoren zu seinem Sohn, ihn über viele gesetzt, über alle. Er hat ihn bei seinem Namen gerufen und gesagt, „fürchte dich nicht, du bist mein." Und aus diesem Wort nahm Jesus seine ganze Kraft, sein Leben zu erfüllen und sein Ziel zu erreichen. Aus Gottes persönlichem Ausruf nahm er die ganze Kraft, so zu sein, wie die Schrift ihn uns heute noch wiedererkennen läßt und wie er sich noch heute an der Menschheit offenbart. Er wußte sich in Gottes Schutz. Er stand aber damit unter Gottes Willen. Und so hat er ganz bewußt sein Leben erfüllt.

Wie wunderbar es ist, daß dieser einfache Sohn aus dem Volke damals so viel Anspruch erhob: "ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich” – „Ich bin das Licht der Welt." Bei seiner Taufe fühlte er sich von Gott angerufen und berufen, seinen Weg zu gehen und hat so geglaubt und getan. Und wir? Wir haben es zum großen Teil vergessen, was Gott uns einst gesagt und was wie zur Konfirmation mit unserem ersten eigenen Willen bejaht haben. In Gott zu leben und sein Kind zu sein.

Das ist das wundersame, im Herzen, Gott gegenüber Kind zu bleiben und doch ein tapfrer, ganzer Mensch zu werden. Gläubig und rein wie die Kinder.

Das soll uns als frohes, seeliges Bewußtsein eingehen in unser Herz: Gott hat jeden, der durch die heilige Taufe ging aufgenommen in seinen Bund, hat jeden zu seinem Kind gemacht. Und darum fürchten wir uns nicht, wie auch die Zeiten kommen werden: Wir stehen in Gottes Schutz – wir leben aber auch in seinem Willen. Und ob Liebes oder Leides geschieht, stets wissen wir: es ist Gottes weiser gütiger Wille. Und daraus aus diesem Wissen, erwächst uns alle Kraft ein Leben zu führen nach seinem Willen. Gott kennt seine Menschen, er sieht ihre Herzen an und erkennt die, die sich ehrlich mühen, sein Wort zu erfüllen.

Ach Herzelein, ich könnte Dir noch manchen Gedanken aus seiner Predigt erzählen. Aber mag es genug sein, wenn ich Dir sage, daß ich zufrieden und aufgerichtet nachhause ging. Ich kann nicht die ganze Pridigt getreu umreißen, dazu bin ich unfähig. Ich hoffe aber, Dir mit dem, was ich hier aufschrieb, ein kleines Bild zu machen von dem, was und der Pfarrer sagen wollte.

Geliebter! Es ist schon not, wenn einer ab und zu in die Kirche geht. Der heute braucht es von Gott zu hören und zu erfahren. Nicht nur in der Natur spricht Gott zu uns, oder in jedes Einzelnen Leben. Nein, einer dessen Besitz es ist, der Gemeinde Gott näher zu bringen, der führt, uns schon manchen Gedankengang näher, den wir allein nicht aufgespürt hätten.

Und ich will auch mit Dir später oft den Gottesdienst besuchen. Es ist schon so, daß man dadurch vertrauter wird mit Gott. Ach Liebster! Und auch mit Dir will ich sein Buch noch viel besser kennen lernen! Du wirst mich auf vieles Schöne noch hinweisen und mir helfen, näher, noch viel näher zu ihm zu kommen.

Ich habe es in mir, das Verlangen, Gott nahe zu kommen.

Ach lieber [Roland]! Das sind Dinge, die wir dann abends, in stiller Stunde zusammen lieb bereden und beraten werden. Und sie werden uns beiden noch manch reichen Gewinn bringen. Ich bedaure immer wieder die schöne, kostbare Zeit, die uns vorangeht für so manches Ziel, das wie uns gesetzt haben in unserm Lebensbund. Wieviel weiter könnten wie schon in manchem sein. Aber auch so wie es jetzt ist, ist es Gottes Wille. Das wissen wir beide, Herzlieb. So wollen wir getrost und frohgemut vorwärtsgehen, ganz fest Hand in Hand! Du! Ich fürchte mich nicht mit Dir! Ich segne Gott unseren Weg und unsre Liebe! Führe er mir Dich bald, bald zurück! Amen.

Mein Sonnenschein Du! Ich wäre doch jetzt zu gern bei Dir! Oh Du!! Du!!! Ich liebe Dich ganz unendlich, Geliebter!!

Herzelein! An dieser Stelle kam gestern mein Besuch und ich mußte abbrechen. Ehe ich Dir nun erzähle, wie ich den Sonntag beschloß, noch eine kurze Unterbrechung.

Zum Thema Kirche. Da stöberte ich doch wieder den Artikel aus 'dem Reich' auf, wo einer für Rosenberg eine Lanze bricht, anläßlich seines 50. Geburtstages am 12. Januar. Ich finde diesen Abschnitt so interessant, daß ich ihn Dir mitschicken muß. Ich kenne an und für sich Rosenberg noch zu wenig, um mir ein schärferes Urteil bilden zu können über seine Art und dem, was du hier in Zeitungen vorgesetzt bekommst.

Die wenigen Dinge aber und die hauptsächlichsten sind es doch seiner Zielsetzung, die sagen mir deutlich, daß doch ein Widerspruch ist zwischen dem was hier steht und dessen Mannes Wirken und Wollen.

Ich denke daran, als Du mir einst den Ausschnitt mitschicktest, weißt? Toleranz gegenüber dem Christentum, wars [sic] nicht so? Ja, was soll ich nun denken? Ich möchte, daß wir uns über den Mann mal aussprechen, mündlich [*] . ! [sic]

Ach, Liebster! Es gehört schon eine ganze Menge Mut und Sicherheit dazu, sein geistiges Schaffen der Welt zu überliefern. Und eine Verantwortung! Die eine innere Klarheit und ein völliges Einssein vorraussetzt. Ich glaube, ich hätte dazu nicht den Mut, müßte denn etwas in mein Leben gekommen sein und von mir so völlig Besitz ergriffen haben, wie etwas Göttliches, so wie zum Beispiel Luther seine Berufung erkannt hat, dem Volk das mitzuteilen, was ihn bewegte.

Vielleicht tue ich diesem Rosenberg Unrecht, wenn ich sein Schaffen aberkenne und in gewissem Sinne bewerte, es ist ja auch ein Schaffen, sein Lebenswerk.

Ach, es ist schwer, sich durch die Welt zu finden, die so voller widerstreitender Elemente ist. Und nur der geht unbeirrbar seinen Weg, der dem Allmächtigen vertraut, der allein diese Welt regiert nach seinem weisen Willen.

Liebster [Roland]! Hilde war also da und mit ihr kam die andre Schulfreundin Anneliese S., die schon ein Mädchen von 4½ Jahren hat, weißt? Du kennst beide. Und so saßen wir nun alle einige Sunden beisammen in der Runde. Die Eltern übernahmen gewissermaßen gleich bissel Großelternpflichten, denn die Kleine war sehr rege – damit wir Mädels mal ungestört etwas reden konnten. Ein bissel verwöhnt ist das Kind, fühlt sich als Hauptperson, wie es nicht sein soll. Die beiden sind doch ganz die alten geblieben muß ich immer wieder feststellen. Ein bissel engstirnig und wie soll ich sagen sie sind durch ihre Verheiratung nicht ein bißchen gewachsen, so aus sich herausgewachsen. Es beklemmt mich immer aufs Neue, wenn ich höre, in welchem Verhältns sie zu ihren Männern stehen. Oh Geliebter! So eine Ehe ist kein Glück, wie uns die Ehe zum Glück ward! Ach, ich möchte so nicht leben, wie leer und freudlos schien da mein Leben. Oh Herzelein, es ist gar keine Übertreibung wenn ich wieder und wieder sage: unser Bund ist doch ewas ganz Einmaliges, Einzigartiges. Er ist ein Glück, eine Erfüllung, wie man sie sich herrlicher nicht erträumen kann. Oh Du! Wie reich, und wie glücklich leben wir gegen anderen! Oh [Roland], Geliebter! Immer und immer wieder stelle ich das fest. Ist denn unsre Liebe ein Wunder? Ja! Und ein Gottesgeschenk dazu! Ach Herzelein, es ist unsere Ehe nun das Ergebnis und die Frucht gleichermaßen, von dem, unter welchen Umständen wir uns von Anfang an zusammenfanden zu letzter Traute. Und es ist schon ausschlaggebend, wie ein Paar sich findet! Ob im Herzen zuerst, oder mit den Sinnen zuerst. Du erkennst es klar und deutlich daran, auf welchen Grundsätzen die verschiedenen Ehen aufgebaut sind, die dir begegnen. Oh Geliebter! Ich tausche mit keiner, keiner! Wie lieb und wert und teuer Du mir bist, das habe ich von Anfang an in mir gespürt. Und dies Glücksgefühl hat sich von Jahr zu Jahr vertieft! Anschließlich bin ich Dir verbunden in Liebe und Treue! Du bist ja mein köstlichster Schatz. Mein Ein und Alles! Bist meine Sonne! Mein Glück! Mein Leben! Oh Du! Du!!! In solcher Tonart wie diese Freundinnen von ihren Männern reden könnte ich nie und nimmer von Dir reden! So gleichgültig, so bissel geringschätzig, oder wie sagt man besser, eben gewöhnlich. Du! Was empfinde ich dagegen im Herzen, wenn ich von Dir spreche. Ach, das ist ein Unterschied, ein ganz unüberbrückbarer.

Und diese Freundschaften sind auch kein Gewinn für mich. Sie haben keinen Sinn für Hoheit, Würde und Gutes und Schönes überhaupt. Sie leben eben in einem Niveau, wo man das nicht kennt. Ach, ich kann mich deshalb nicht verfeinden mit ihnen, das wäre Dummheit, wollte ich mich hochmütig abwenden. Vielleicht kann ich ihnen durch meine Haltung etwas geben, daß sie aufwachen aus ihrer Engstirnigkeit.

Und daß ich solche Haltung zeigen kann, das doch nur weil Du mein bist!!! Weil Deine Liebe mich so ganz ausfüllt! Weil mich unsre Liebe so gewandelt hat und durchdrungen! Ach, welch ein unübersehbarer Segen ist gute Liebe. Geliebter Du! Du!!!!!

Herzensschätzelein! Wie bin ich glücklich in Deiner Liebe! Oh Du mein höchstes Glück! Mein Einziggeliebter! Ich möcht es jubeln in alle Winde! Dein ist mein Herz! Dein ist mein Herz ! Und wird es ewig sein und bleiben! Du! Schaust Du mein Glück? Oh Du!!! Meine große tiefe Liebe?

Geliebter! Mein Geliebter!! Du!!!!!

Du! Es ist Montagfrüh, die Post ist auch gekommen heute! Du! Und ich muß erst an meine Geschäfte nun! Am Nachmittag komme ich doch wieder zu Dir! Du!! Gestern abend war wieder 1 ½ Sunde Fliegeralarm. Die feindl. Flieger suchten herum. Nach Leipzig runter machte die Flak Lärm. Schaurig ist das. Ich bin nach der Entwarnung schlafen gegangen. Es was schon spät. Du Schätzeli! Jetzt aber erst mal ade! Ein liebes liebes Küßchen! Ich hab Dich so lieb!

Behüte Dich Gott! In Liebe Deine glückliche [Hilde].

 

[* = das Wort ist nicht durchgängig unterstrichen, sondern mit kleinen Punkten]

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946