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[OBF-430129-001-01]
Briefkorpus

Donnerstag, den 28. Januar 1943

Geliebtes teures Herz! Meine liebe, liebste [Hilde]!

Donnerstag wieder einmal. Der Tag, der uns jetzt den Infanteriedienst bringt. Um 2 Uhr war Hauptmusterung, und dann ging es zum Judenfriedhof, keine 2 Minuten von unsrer Unterkunft, ein mächtiges Areal, in dem man die Bäume gefällt hat und die Gräber eingeebnet.

Dort ist ein Geviert freigeschaufelt worden, auf dem wir uns tummeln sollten, es war noch zu klein, wir waren aber auch nur wenig Leute, 25 Mann, und dazu 5 Unteroffiziere, kamen auf jeden 5 Mann. Von diesen Leuten waren nur 6 Gewehrträger, also weißt, ein richtiger Kriegerverein. Ein Großteil unsrer Leute, wir bezeichnen sie als Durchgang, weilt [sic] nur vorübergehend bei uns. Das sind Soldaten, die nach Bukarest zum Marinegericht gerufen werden, also, die zumeist etwas auf dem Kerbholze haben. Kannst Dir denken, daß dies eine ganz besondere Blütenlese ist, die uns disziplinar und im Ordnunghalten manchen Kummer machen. Die haben nun alle schon mehr oder weniger etwas anhängen, aber Reue oder Besserung zeigen sie bis auf wenige Ausnahmen nicht. Und so gut, wie es ihnen bei uns geht, vertragen sie es nicht.

Es war wohl noch kalt heute nachmittag, aber die Sonne setzte sich schon ein wenig durch und ein paar Läufe und Sprünge haben uns schon warmgehalten. Um 4 Uhr war Schluß – und damit ist dieser Nachmittag gar nicht der schlechteste, wenn nur die Arbeit währenddem auch ge tan wäre.

Mal sehen, was Fräulein Sch. derweil geschafft hat, mit dem Briefbuch kann man sie schon bald allein lassen.

Wir haben uns besprochen, nach dem Exerzierdienst nicht mehr ins Büro zu gehen. Wenn das Wetter besser wird, geht der Dienst bis ½ 5 Uhr – wir sind eben mal nicht da.

Ich bin nach dem Dienst auf einen Sprung in der Stadt gewesen. Ich soll mich nach Noten umtun für unser Singen. Ich kann hier nichts bekommen. So muß Rat werden über die Wehrbetreuungsstelle der Wehrmacht.

Ja, Herzelein, nun ist Abendbrot vorüber, und meine Gedanken gehen zu Dir. Hellmuth ist unterwegs. Dein Bote blieb auch heute aus. Die Züge haben viel Verspätung, und auch im Postdienst sind Unregelmäßigkeiten, die zusammenhängen mit der Verkehrsbelastung nach dem Osten. Hoffentlich geht die Post zu Dir fein regelmäßig.

Ach Herzelein, ich bin deshalb nicht traurig – es fehlt nur etwas am Tage, wenn Dein lieber Bote ausbleibt – ach Du! Du!!!

Schätzelein! Ich weiß Dich wieder im Dienst heute. Denk schon den ganzen Tag daran – Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, immer Dienst. Wenn Du nun noch einen Nachmittag für die Kinder abgeben mußt, dann bleibt Dir zwischen Wochenanfang und Reinmachtag kaum ein Stündchen für das Mannerli, dem Du in Ruhe und damit in Freude entgegensehen kannst – eine einzige Jagd ist dann die Woche, ein dauerndes Angehängtsein. [sic]

Ob Du denn heute wieder um 8 Uhr herausfahren kannst?

Einmal wenigstens im Monat mußt nun zur Frauenschaft, einmal wenigstens nach Chemnitz — aber ich will Dir nicht immer im Ohre liegen mit meinen Rechnungen. Das weißt Du ja alles selber, wenn Du es auch nicht recht bedenkst.

Wäre doch all das einmal vorüber!!

Aber in diese besinnungraubende [sic] Hast, die dem Menschen zuletzt alles nimmt, versuchte man uns ja schon vor dem Kriege zu treiben, und wer sich den Rücken nicht freigehalten hat, ist schon längst in diesen Strudel geraten. Und schon bevor dieser Krieg tobte, machte man alle Muße verdächtig und pries nur selig die bedingungslose Gefolgschaft und den ewigen Dienst. Und so geht das auch nach dem Kriege weiter.

Sozialisierung ist das Stichwort dafür – das bedeutet Vergemeinschaftung – positiv ausgedrückt, [Komma ist durchgestrichen] – negativ: Enteignung.

Früher zimmerten sich auch die einfachen Menschen ihre kleine Weltanschauung, und wenn sie noch so lückenhaft war, und wuchsen und formten sich damit aus zu einer Persönlichkeit, zu Menschen, die ihren eigenen Kopf hatten, in dem sich die Welt irgendwie spiegelte, und war es auch manchmal ein verzerrtes Bild. Heute sind die Menschen dieser Mühe enthoben, der 'Mühe' des Besinnens und Eigendenkens, des Suchens und Schauens und Wählens. Die Zeit und Muße aber, die dadurch frei werden, sind nun Dienst.

Die Weltanschauung wird fertig vorgesetzt, die paßt für alle, sie wird gesendet, und die Köpfe der Masse sind nur noch Empfänger, Volksempfänger, die schützen davor, daß man auch mal fremde Sender etwa empfängt.

Freilich, in normalen Zeiten arbeiteten die Menschen früher länger, solange es Tag war, wie heute noch der Bauer. Aber in dieser Arbeit war die Muße, das bedeutet aber ein gesundes tiefes Atmen, ein lebendiger Rythmus, [sic] und zwar nicht der Takt einer Maschine, ein nervöser Jazztakt, der die Sekunden tackt [sic], sondern der Rythmus [sic] des eigenen Blutes und Herzens, wie im eigenen Schritt – und diese Arbeit höhlte und leerte den Menschen nicht aus, sondern sie kräftigte ihn.

Ja, und da gibt er doch tatsächlich noch Propheten, die meinen, wir gingen einer besseren Freiheit und glücklicheren Zeiten entgegen. Wenn uns die Muße nicht wiedergeschenkt wird und ruhige, gesunde Arbeit, dann werden die Menschen nur ärmer, kränker und unglücklicher. Wir wollen sie nur fragen, unsre Vorfahren, ob sie jetzt wohl leben möchten, in der vielgepriesenen neuen Zeit – sie möchten es ebensowenig wie sie allen Ersatz möchten, der uns für das Echte gereicht wird, in allem, sogar in der Nahrung.

Was ist da zu tun?

Man darf sich nicht treiben lassen mit der Herde, und sei es drum, als Außenseiter zu gelten. Man muß sein eigner Herr bleiben und den Mut haben, das zu vertreten. Man muß sich hüten, der schwächenden Hast zu verfallen, dem fremden Maschinentakt, und möchte er noch so dröhnen – muß dem eignen Herzschlag lauschen und seinem Rythmus [sic] folgendem, denn mit ihm ist die Kraft und Gesundheit und letzlich [sic] auch der Erfolg und die Beglückung einer Arbeit. Man muß auf sein Eigentum halten. In einer Welt, ^in der allen alles gemein ist, kann ich nicht leben, mag ich nicht mehr leben – und eine Anschauung und Lehre, die sich zum Ziele sezen [sic], das zu verwirklichen, werden mich immer zum Gegner haben.

Ich will auch dem Ganzen dienen, ich will auch folgen – ^aber auf in [sic] meiner Art, in meiner Weise – und ich will mein Eigentum haben - mein Weib, meine Familie, mein Heim.

Ein Staatswesen, das diese ‚Freiheiten' nicht gewähren und vertragen kann, ist ein Kaffernstaat, [sic] der verdient, das er vom Erdboden verschwindet.

Ich sage nicht, daß es so bei uns ist – aber wir sind schon Schritte dahin gegangen – Und einem Volk von so folgsamen Bürgern mag ich nicht angehören, und möchte es das „Deutsche" heißen, und sein Reich das großdeutsche Reich.

Es kommt nicht nur darauf an W daß ein Volk lebt, sondern ebensoviel darauf, wie es lebt.

Leben um jeden Preis? – ich mag es nicht, ich könnte es nicht.

Ach Herzelein! Sollst nicht erschrecken über solche Gedanken. Es wehrt sich etwas in mir gegen den Zwang, gegen die Vorstellung, daß man Dich in eine Hast treibt, in den ewigen Dienst, daß man Dich mir enteignet. Nachdem man mich Dir schon viel schlimmer enteignet hat und in eine Zwangsjacke gesteckt. Aber ich fühle den Zwang und erkenne ihn, und gewöhne mich nicht an ihn, und bleibe wach, und vergesse nicht, wie ich in Freiheit lebte – und lasse mir den Weg in diese Freiheit nicht verbauen, den Weg ins Glück mir durch keine schwache Minute auf immer versperren, und nutze jede Minute, dieser Freiheit zu leben, ich muß ja.

Oh Geliebte! Du! Du!!! Bei Dir ist doch alles Glück und alle Freiheit, mit Dir wird mein Leben in Freiheit sein – mit Dir will ich ein ganz neues Leben beginnen.

Der Glaube daran, die Hoffnung und Freude darauf sind immer ganz wach und lebendig in mir - und sie ganz wachwerden zu lassen im Deingedenken, das ist die Freude meines Tages, ist das Glück meines Herzens – ist mein Aufatmen, mein Ausblicken nach der Heimat. Und ohne diese Hoffnung kann ich nicht mehr leben – solange ich lebe, muß ich so hoffen können – auf die Freiheit und das Leben mit Dir! Geliebte! Geliebte!!! Meine [Hilde]!

Jede freie Stunde muß ich an das Fenster treten, das den Blick aus dem Gefängnis freigibt ins Freie – ich muß – weil ich die Freiheit liebe. Oh Herzelein! Ich kann keine Stunde vergessen, daß wir im Kriege sind, daß Du mein wartest in der Heimat – oh Geliebte! ich kann keine Stunde vergessen, daß Du mein wartest – es ist in mir ein ewig Mahnen und Sehnen nach Deiner Liebe, nach unserem Leben!!!

Herzelein! Ich will nun mich niederlegen. Ob Du nun heimbist [sic]? Du! Du! Du!!! Geliebte! Mein liebes Weib! Mein Eigen! Du mußt mir bleiben! Mein Eigen! Mein Ureigen! Du! Ich liebe Dich!!!

Herzelein!

Heut morgen habe ich im Rundfunk von den Maßnahmen zum Einsatz gehört, und eben sehe ich davon auch in unsrer Zeitung.

Geliebte! So vielerlei Gedanken bedrängen mich nun, soviel Ungeduld - und ich kann sie zusammenfassen in diesen Worten!

Geliebte mein! Ich bitte Dich!!!!!

Stell Dein Licht nicht unter den Scheffel! Vertritt Dein Recht! Sei gerecht mit Dir selbst! Sieh nicht links und rechts! Ziehe keine falschen Vergleiche!

Ach, ich brauche dazu garnichts mehr zu sagen. Längst ist all das ausgeredet. Und Du hast mich ganz verstanden. Und Du verstehst auch meinen Eigensinn in diesen Fragen. Und Du bist auch mehr und mehr Deiner Kräfte und Deiner Stellung bewußt geworden. Ach Geliebte!

Du verstehst mich: Ich bitte Dich ! ! ! ! !

Ich will Dir nur noch sagen, daß die Mädchen hier bei uns es besser haben als Du. Sie haben ihr Privatleben, sie bekommen ihre Kleider gebügelt und Strümpfe gestopft – sie sind nach 6 Uhr frei, ebenso Sonnabendnachmittag und am Sonntag.

Du weißt, was ich sagen will: "besser als Du!"

Aber ich mag mich nicht in Einzelheiten verlieren, sonst müßte ich einen langen Brief noch schreiben, und das kann ich jetzt nicht.

Herzelein!

Ich vertraue Dir ganz. Und Du sollst diese Gedanken nicht etwas als ein ängstliches Sorgen um Deine Liebe betrachten. Die wird mir bleiben – so wie Dir die meine bleibt.

Aber ich habe als Mann es auch leichter, sie zu verteidigen und zu vertreten.

Herzelein! Du wirst mir lieb berichten, was da alles sich tut.

Ach, Du wirst mir helfen. Du verstehst, wie ich Dir helfen möchte und wirst dessen eingedenk sein - so wie ich es umgekehrt wäre und all Dein Helfenwollen verpflichtend auf mir fühlte!

Geliebtes Herzelein!

Wollte doch viel Lieberes Dir erzählen. Warst bei mir im Traum heute – Du! Ach, ein bunter Traum war es. Sonntagvormittag war es. Und eines nach dem andren nötigten wir aus dem Hause – aber eine dritte Person war zuletzt doch noch da, weiß nicht, wer es war. Und eine feine moderne Wohnung war, mit Sonnendeck. Und warm und sonnig flutete es durch alle Räume. Wolltest Dir gleich ein luftigeres Kleidel [sic] noch anziehen.

Und auf einem Bänkchen haben wir gesessen – Du, ich glaube gar nicht so, wie man sonst auf einem Bänkchen sitzt!!! – Oh, Geliebte mein! Meine [Hilde]!!!

Behüt Dich Gott! Er sei mit Dir auf allen Wegen!

Ich bin immer bei Dir – mit meinem ganzen Herzen - mit meinen liebsten und heimlichsten Gedanken! Ganz bei Dir! Ich liebe Dich! Und küsse Dich!

Ewig Dein [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946