104.
Donnerstag, am 4. Februar 1943.
Geliebtes, teures Herz! Du mein allerliebster [Roland]! Donnerstagnachmittag, mein Mannerli plagt sich mit Infanteriedienst herum. Ich hoffe, daß Du es längst überstanden hast, mein Herzelein. Unsere Uhr zeigt gleich 4 Uhr. Da bist zu schon heim Ausruhen, ?
Was meinst denn, womit sich Dein Fräule eben "plagt"? ? Mit Deiner wunderschönen Huschegans!
Du! Zu meiner großen Überraschung kam sie doch heute am Vormittag an! In einer Holzkiste, fein zugenagelt! Durch eine zerbrochene Latte sah ich schon ihren Speckbuckel leuchten! Ach Herzelein! Du bist doch zu gut! Ein richtiger guter, vorsorglicher und fürsorglicher Hausvater!
Nun habe ich aber rasch Hammer und Stemmeisen geholt!! Nach 3 Minuten wiegte ich sie in meinen Armen, Herzelein schmunzelnd freudestrahlend! Ich glaube, Du mußt den Schlucken ganz sehr gehabt haben, bei Dir war Mittag, als sie sich meinen Augen bot, hoffentlich hast Dich nicht beim Essen verschluckt, Mannerli!
Oh, ein Prachtkerl war sie! Ja, war – denn sie ist schon fein genau geteilt: 2 zu 1! Wie Du wünschtest. Und eben habe ich die Mutsch mit dem feinen Päckel zur Post geschickt. Mit einem Begleitschreiben an die lieben Eltern, daß sie nachfragen gehen, wenn bis zum Sonnabend kein Päckchen ankommt. Verraten habe ich jedoch nichts, als daß etwas Feines auf dem Weg ist von unserem Hubo! Sie werden ja Augen machen! Fein ist sie! Wie ein kleines Marzipanschweinel! Fett und rosig! 9 Pfund wiegt sie!
Und wir haben ganz genau geteilt, sogar das Herz, die Leber, den Kopf — alles was dran war, sogar den Popo!! Du! Herzelein! Das kochen wir wieder ein alles!
Nun mußt Du aber bald heimkommen, Mannerli! Das Fleisch für den Urlaub haben wir schon zusammen. Ach, wie freue ich mich, wenn Du so fein mit haushalten hilfst! Die Gans hat sicher eine Stange Geld gekostet. Sie ist aber auch etwas wert. Da war die erste nicht so groß und fett. Schade, daß Du sie nicht in ihrer Stattlichkeit hast sehen können, Herzelein.
Eine Woche gerade ist das Päckel gegangen von Wien aus. Und innen war sie noch richtig eisig, in den Därmern. Das ist schon etwas Großartiges wenn sie in Kühlwagen fahren kann die größte Strecke.
Drinnen war ein netter, lustiger Gruß von der Lieferfirma. Ich leg ihn bei! Eine Marinegans!! Kannst mal hingehen, Dich bedanken, wir sind sehr zufrieden! Es duftet wie Weihnachten um mich her. Und draußen paßt sich auch die Witterung meiner Empfindung an: es schneit! Aber ganz nass.
Oh Liebster! Es möchte nicht erst Weihnachten sein, gelt? Wir warten doch schon so sehnlich auf ein Wiedersehen! Oh Herzelein! Gebe der Herrgott in Gnaden, daß unser Wunsch sich erfülle! Du! Herzelein! Zählst Du denn auch schon die Tage im Geheimen? Noch 70 Tage sinds heute, bis zu dem erhofften Datum. Oh, wir wollen uns ganz leise und heimlich erst freuen.
Geliebter! Bei soviel Herzeleid anderer müssen wir schon ganz tief dankbar sein, wenn wir einander noch sehen und gesund sind! Dann wollen wir gerne warten und uns in Geduld fassen. Ach Du!! Du!!! Wenn Du mir nur gesund bleibst und in einer sicheren Umgebung. Ich will dann mich mit allem bescheiden und abfinden. Mein Schätzelein! Wenn ich so bedenke, andere Menschen müssen ihr Leben hingeben und andre ihr Liebstes in diesem Kriege. Und uns geht es noch so gut, so gut, daß Du uns sogar wirtschaftlich unterstützen kannst. Da mag ich garnicht daran denken, wie gut der Gänsebraten schmecken wird. Ach, so grundverschieden kann nun das Leben sein.
Ich sage zu keinem Menschen etwas davon, wenn Du uns etwas schickst. Es hat keinen Sinn.
Und ich glaube, andre machen sich garnicht solche Gedanken wie ich. Wir wissen auch noch nicht, ob es eines Tages anders wird. Darum nehmen wir die Möglichkeit wahr, solang sie noch sich bietet. Du bist deshalb noch längst kein Kriegsgewinnler! Und wir keine Schmarotzer. Du hilfst uns ja nur mit dem Notwendigsten aus. Ich denke an manche Soldaten, was die damals so an Werten von Frankreich heimgeschickt haben. Da ist das Unsere, ein geringer Prozentsatz. Und auch bei dem Gedanken kann ich mich beruhigen, daß das, was Du uns schickst, alles ehrlich erworben ist und daß wir das alles dank Deiner Genügsamkeit (alles) haben. Das vergesse ich nie, Du liebster [Roland]!
Aber andere Leute sehen darauf nur neidisch, wenn sie es wüßten, Herzelein! Welche große Hilfe gerade der schöne Speck für uns ist, das ahnst Du vielleicht kaum. Ich kann ein jedes Kraut damit verfeinern, kann Speisen würzen; kann Brotaufstrich bereiten, mit Margarine gestreckt; habe ganze Mittagsgerichte schon bereitet, wie: Erbsen mit Speck. Ach, so vielerlei kann man verfeinern mit Speck, weil ja unsere Fettrationen wirklich knapp sind. Und es ist halt eine ganz andere Sache, wenn das Essen bissel kräftig schmeckt dadurch. Wieviel briet ich schon Kartoffeln in Speck! Wie ich schon sage: es ist ganz wunderbar, daß Du uns so helfen kannst, lieber [Roland]! Und ich bin so froh, Dich in einem Lande zu wissen, wo man Euch den Brotkorb noch nicht so hoch hängt. Und hier möchte ich Dich auch gleich noch einmal ganz lieb ermahnen, mein Herz! Bitte! Denke auch an Dich! Und gönne Dir all die Dinge, die Du in der Heimat für alles Geld und gute Worte nicht bekommst. Obst, Nüsse, etwas Süßes u.s.w..
Ich freue mich doch wirklich, wenn Du Dir etwas zugute tust! Du rauchst nicht, trinkst nicht, gehst kaum aus!
Du! Mir wird ja direkt Angst vor so einem artigen Mannerli! Ach, Du herzallerliebstes, allerbestes Schätzelein! Wie ich Dich liebe! Weil Du so ganz mein bist! Weil Du mich so festhältst in eigensinniger und treuer Liebe! Oh Geliebter! Du!!!!!!!!!! Ich danke Dir doch mit all meiner Treue! Mit meiner ganzen Liebe! Ich bin Dein!!!!! Für dieses Leben so ganz Dein liebend Weib! Geliebter Du! Es ist schon dunkel draußen jetzt. Ich habe Licht gemacht. So ein trüber Tag heute.
Ach Du! In meinem Herzen ist aber lauter Licht und Sonne! Weil ich Deine ganze große Liebe in mir trage, Du! Sooo beseligt! Soo glücklich! Sooooo sehr froh!!! Ach Geliebter! Wie könnte ich’s Dir nur sagen, wie so ganz sehr froh und glücklich Du mich machst! Oh Du! Halte mich immer so fest, im ganzen Leben! Dann bin ich soooo von Herzen glücklich! Oh Du! Dann bin ich Dein überglückliches Weib! Dir so ganz in Liebe ergeben, ganz verloren an Dich. Ach geliebtes Herz! Du bist mein Sonnenstrahl! Du ganz allein! Es ist ja wie ein Wunder, wie ein Märchen. Und doch ist es glückhafte Wirklichkeit! Ich habe einen Schatz gefunden in dieser weiten Welt! Den köstlichsten, herrlichsten, reichsten Schatz. Dein liebend Herze! Deine ganze Treue! Du!!!!!!!!!! Gott halte segnend seine Hände über unser Glück! Amen.
Herzelein! Von meinen Kindern wollte ich Dir doch schnell noch etwas erzählen. Mit den Buben baute ich eine Eisenbahn. 5 Streichholzschachteln, 3 Korke, Draht und Leim, Klebpapier. Eine Lokomotive, ein Kohlenwagen und 2 Personenwagen werden daraus. Niedlich! Ich habe den Zug erst für mich zuhaus [sic] gebaut. Die Bastelarbeit nahm ich gestern in Angriff, sie ist ganz fein gelungen. Und die Buben hatten ihre helle Freude dran. Einige verloren da auch die Lust, als sich ihr Ungeschick herausstellte. Und es ist für mich nicht so einfach, die ganze Rasselbande in Schach zu halten.
Aber mit einem kräftigen Donnerwetter und mit gutem Zureden komme ich schon ins Geschick.
Die Mädels sind viel leichter zu leiten! Das merke ich jetzt erst mal, wo ich alle Scharen allein habe.
Und am dankbarsten sind die Kleinsten. Die folgen mir aufs Wort. Ich freue mich auf den Sommer, dann wollen wir doch mal mit den Puppenwagen ins Freie fahren und Blumenkränzlein winden. Mit den Kleinen fädelte ich Perlenketten an. Und mit den großen Mädchen Perlenuntersetzer für die Mütter am Muttertag. So muß ich mir immer etwas Neues ausdenken, damit das Ganze auch ein wenig abwechslungsreich wird. Gesungen wird auch dabei.
Und gestern bot die eine BDM-Helferin ein paar schöne Musikstücke auf ihrem Schifferklavier.
Ich glaube schon, daß es den Kindern gefällt, denn es kommen immer mehr dazu. So mußte ich mich nun auch entschließen mehr Stunden zu halten; denn es geht nicht an über 70 Kinder auf einmal zu nehmen. So stark war die Mädelgruppe mit den Kleinen!
Außerdem ist die Frau K. in die Klinik zur Operation und die Stundenpläne haben sich verschoben. Ich mußte absolut eine Änderung treffen. So habe ich nun dienstags die Jungen von 3 - 5 Uhr. Mittwochs die Mädel von 3 – 5 Uhr. Und donnerstags die Kleinen von 3 - 5 Uhr.
Nächste Woche beginnt mein Dienstplan zum ersten Male so. Das wird dann ein schönes Arbeiten sein. Strengt auch nicht so an, weil der Tumult wegfällt, sobald man die Schar besser übersehen kann. Es war in letzter Zeit oft so, daß etliche gar keine Sitzgelegenheit hatten.
Und komisch, mir kommt nicht einmal die Furcht mehr an wie anfangs, vor der ganzen großen Kinderzahl. Man gewöhnt sich dran [siehe Briefausschnitt] und man wird sicherer mit der Zeit. Ach, wenn ich mich gut vorbereite, dann kann auch garnichts schief gehen. Und nun, da ich weiß, es soll meine Aufgabe sein künftig, nun gehe ich noch mit viel mehr Ernst daran. Und Freude, Herzelein!
Ach, ich bin sehr froh, daß ich meine Kinder behalten kann. Du auch, Herzelein? Du weißt ja wie es ist, wie schnell man sich an die kleinen Geister gewöhnen kann.
Zwei liebe Menschen haben mir schon ihre Hilfe angeboten, um mir mit Rat zur Seite zu stehn. Es sind die Pfarrfrau, sie war ja früher Kindergärtnerin. Und Fräulein W.. Sie bot mir ihre Hilfe an einmal, als ich drüben im Rathaus war, dienstags. Sie hat viele Verslein und Lieder und dergleichen, ich soll sie nur mal aufsuchen. Das freut mich, daß sie so nett zu mir sind.
Sie hat auch irgend ein Amt bei der Partei, ich muß sie erst mal fragen, was für eines eigentlich! Ich bin eben blutiger Zivilist in allen Dingen. Ein ganz unorganisiertes Wesen.
Ich lasse mir das wohlweislich bloß nicht anmerken in Gegenwart der Herrschaften da drüben.
Am kommenden Montagabend bin ich zur Amtswaltersitzung eingeladen im Rathaus. Ich möchte kommen, weil vieles zu bereden sei, wegen Frau S., des Frauenschaftsführerin, die ja nicht da ist. Na, dann muß ich mich schon mal sehen lassen, damit ich wenigstens auch weiß, was gespielt wird. Mein geliebtes Schätzelein! Bis dahin schrieb ich gegen Abend, dann kam Papa heim und wie aßen zu Abend und unterhielten uns über dies und jenes. Weißt ja, wie das so ist, dann muß ich erst mal mein Schreibzeug weglegen.
Die ganze Unterhaltung dreht sich um das schreckliche Ende der Kämpfer in Stalingrad. Die Menschen sind sehr bedrückt.
Es sind so viele, viele von dem harten Geschick mit betroffen. Oh mein [Roland]! Wie mag alles noch enden?
Ich will manchmal gar keinen Ausweg sehen und kann keinen finden. Es ist furchtbar hart, dieses Ablaufen des Krieges. Ach, daß Gott sich uns erbarme und ein Ende mache! Mehr denn je suchen die Menschen nun sich einen Halt am Bleibenden, mehr denn je gehen sie dem nach, der diese Welt regiert. Aber Abertausende sind noch, die in der Finsternis tappen. Ich war in der Singstunde vorhin und komme nun noch ein Weilchen zu die Herzlein, es ist 10 Uhr vorbei. Auch dort in diesem Kreis sind die Menschen bedrückt. Es lastet auf allen diese harte, unerbittliche Zeit. Und ich selbst mag meine innere Freude, mein Glücklichsein mit Dir garnicht zeigen und mag es nicht sehen lassen. Ganz tief ins Herz hinein will ich unser Glück verschließen, mein [Roland]! Ich mag denen, die so in Sorge und Qual leben nicht zeigen, wie glücklich ich bin mit Dir. Du mein Alles! Mein Liebster! Es ist, als ob sie alle mit angehaltenem Atem die Dinge erwarten, die noch folgen werden. Eine ungeheure Spannung lebt im Volk und es ist mir manchmal so, als wäre es die Stille vor dem Sturm, wie man es manchmal draußen in der Natur erlebt, im Kampf und Widerstreit der Elemente.
Oh mein geliebter [Roland]! Laß uns dankbar und demütig vor Gottes großem Geschenk an uns stehen! Uns ward sooviel Glück zuteil! Ich ermesse es jeden Tag! Gott meint es so gut mit uns! Und seiner Güte wollen wir uns wert erweisen, das muß stets unser ganzes Leben sein! Mein [Roland]! Mein [Roland]! Es gibt nichts Besseres, als vereint in Liebe und ganzem Verstehen Gott zu dienen. Und so wollen wir unseren Weg miteinander weitergehen, in ganzem Vertrauen, in ganzer Gläubigkeit! Oh Herzelein! Ich fasse Dich ganz lieb und fest an der Hand! Du!!! Ich lasse Dich nicht! Ich will mit Dir gehen, auch durch tiefstes Dunkel, will mit Dir gehen bis an den Tod! Gott leite uns den rechten Weg! Er segne und behüte Dich, mein Glück! Amen.
Geliebter! Ich wünsche Dir von Herzen eine gute Nacht! Bleib froh und glücklich im Herzen, wie Deine [Hilde] – was auch komme! Du!!! Ich liebe Dich! Mein [Roland]! Deine [Hilde], ganz Dein! Du!!! Mein!!!
Hilde Nordhoff
Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.
Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946
Kommentar von Johanna Lerchner
Für Normalverbraucher/innen war ab dem 19.10.42 ein Verbrauch von 206 Gramm für Nicht-Selbstversorger/innen pro Woche vorgesehen. (Quelle: Christoph Buchheim: Der Mythos vom “Wohlleben”, S. 307).
Zu Huschegans siehe Kommentar.