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[OBF-430209-002-01]
Briefkorpus

109.

Dienstag, am 9. Februar 1943

Geliebter Du! Mein [Roland]! Herzalllerliebstes Schätzelein!

Es ist wieder ein wenig Winter geworden bei uns, Schnee liegt, die Fenster sind gefroren. Aber die liebe Sonne scheint. Und um Mittag, so wie jetzt, da hat doch die Sonne soviel Kraft, alles Eis zu Wasser zu schmelzen. Frühlinghaft scheint die Sonne. Blau der Himmel. Und gestern Abend konnte man doch schon wieder fein das Mondsichelein erkennen am Himmel, unzählige, flimmernde Sternlein daneben. Ach, Geliebter! Welch schönes, erhebendes Bild ist das! Anblick voller Pracht und Majestät und Ruhe und Sehnsucht, – da oben bei den Sternen zu wohnen, wo nicht so viel Wirrnis, Neid und Haß regieren.

Mein Herzlieb! Wann wird endlich die Zeit kommen, da wir nur füreinander da sein können? Ganz und für immer aneinander gegeben und nur eines für das andere lebend. Oh, wann wird das sein? gebe Gott recht bald! Und dann in einem guten Frieden. ich habe mich jetzt nach dem Aufwaschen hingesetzt, um Dein zu denken, ganz zu Ende komme ich nicht mit meinem Boten, denn um 3 beginnt meine Kinderschar und vordem will ich noch zum Milchmann gehen.

Ach Herzelein, womit könnte ich die stille Stunde jetzt besser ausfüllen, als mit dem Liebgedenken an Dich? Ich habe mich soweit vorbereitet, es wird alles gut gehen.

Du Liebster! Ich komme doch so gern zu Dir! Heute will ich auch bei Frl. W. das versprochen Büchlein holen, sie erinnerte mich gestern Abend in der Amtswalterinnensitzung daran.

Die Sitzung. Es war ein Zusammenkommen aller Blockwalterinnen und sonstigen Amtsträgerinnen. Die ganz Sache war mehr oder weniger eine Zusammenkunft, um Fragen zu beantworten und Unklarheiten zu beheben. Diese Blockfrauen haben in ihrem Bezirk Frauenschaftsmitglieder, die alle Wochen an einem bestimmten Tag das Lazarett betreuen. Mit Kuchen, Obst oder sonst etwas. Dazu gehören immer 3 Frauen, die 1 Zimmer betreuen. Sie sammeln untereinander Mehl, Zucker, Butter und backen dann etwas für die Verwundeten. Auch gestopft wird für sie. Und lauter so hilfreiche Arbeiten. Ich bin da nicht dabei. Ich will auch nicht. Werde mich so gut wie möglich zurückhalten. Das was wir übrig haben, das gebe ich meinem Soldaten, es gibt viele Leute die einen Garten haben oder Geschäftsleute bei denen fällt so etwas nicht so ins Gewicht wie bei uns. Wir geben genug Geld zu allen möglichen Aktionen. Lebensmittel haben wir nicht übrig.

Das kommt auch für mich nicht in Frage, das ist Sache der alten Frauenschaftsmitglieder.

Meine Anwesenheit dient nur mehr Werbezwecken, wie auch die Anwesenheit der Jugendgruppenführerin Frl. T..

Momentan habe ich ja genug Kinder!

Naja, dann wurde uns ans Herz gelegt, unser Ehrenamt nicht niederzulegen, wenn auch manche vielleicht nun zum Arbeitseinsatz kommt. Und sonst noch bissel Reklame, weißt schon, wie das ist. Und Frl. W. hielt einen kurzen Vortrag über die Ukraine, der uns sehr aufschlußreich und mal neu für uns alle die Nutzbarkeit darlegte, mit der das Gebiet uns in allen Erträgen zugute kommt. Eine reichliche Stunde nur dauerte die Sitzung. Sie findet aller [sic] 4 Wochen im Wirtschaftsamt statt. Von der Jugendgruppenführerin bekam ich eine Einladung, mit meinen Kleinsten zu ihren Mädels zu kommen an einem Sonnabendnachmittage, den wir noch bestimmen müssen, sie wollen die Kleinsten mit selbstgebastelten Spielsachen beschenken. Ein Beweis jedenfalls der engen Zusammenarbeit aller Jugendorganisationen. Mir ist's recht. Das kann ganz nett werden. Freude wird auf alle Fälle herrschen!

Mein Herzelein! Nun, bin ich wieder bei Dir. Und es ist abends nach 7 Uhr. Du sitzt vielleicht auch beim Schreiben? Eigentlich wollte ich mir heute im Dienstabend beim Roten Kreuz mein Fahrgeld abholen, was ich noch vom letzten Bahnhofsdienst her bekomme. Aber ich sitze lieber noch bei Dir, Herzelein. Sie sollen auch merken, daß ich beschäftigt bin daran, daß ich eben nicht jedesmal erscheine.

Bin neugierig, wie Frau B. die Absage des Ortsgruppenleiters aufgenommen hat! Ich werde sie schon mal treffen.

Heute ist auch das Lazarett im Stadtpark eröffnet worden und die Mädels sind zum Einsatz gekommen.

Und denke Dir nur! Unsere Elfriede K. im Hause, die hat es soweit gebracht, daß sie auch dahin kommt. Sie ist nicht ausgebildet, sie verrichtet irgendwelche Handlangerarbeit, oder hilft saubermachen.

Nun ist sie aber in ihrem Element!

Eine Freundin sagte mir, daß sie es mit dem Zahlmeister "halte", dem Oberfrohnaer – der sei zwar verheiratet und habe Kinder, das mache ihr aber garnichts aus, Hauptsache wäre ihr, es sei schön –. Ich sage dazu garnichts. Ich denke mir mein Bestes. Und als man mir die übrigen Helferinnen noch aufzählte die dabei sind, da war's mir genug. Es sind durchschnittlich alles solche Mädels, die sich schon auf der schiefen Bahn befinden.

Die Schwestern jedoch, die zum Einsatz kommen kenne ich als anständige Kameradinnen. Hoffentlich bewähren sie sich und geben wenigstens eine vorbildliche Haltung ab, zum Beispiel für die übrigen Angestellten.

Wenn ich das so höre und sehe, dann steigt mir der Abscheu hoch. Mit solchen Menschen möchte ich nichts zu tun haben. Ach Herzelein! Wie viel schöner habe ich es da, ich sehe und höre nichts den ganzen Tag bei meiner Arbeit von solchen Widerwärtigkeiten. Und man staunt, wenn man mal eine trifft, die Bescheid weiß, wie es so zugeht.

Und ich werde alles tun, um nicht dahin zu müssen. Es gibt ja auch genug Freiwillige, ich sehe es ja mit eigenen Augen, sodaß es auf meine Hilfe wahrhaftig nicht ankommt.

Ich bin gespannt, wann die Regelung vom Arbeitsamt aus erscheint.

Angst habe ich nicht mehr. Ich kann ja alles nachweisen, was mich von einem weiteren Einsatz befreit. Und es müßte schon Schlechtigkeit von der Behörde sein, wenn man mir kein Verständnis entgenbrächte [sic].

Die Mutsch ist entschlossen, nicht aufzuhören im Geschäft. Sie will weiterarbeiten, damit wir beisammen bleiben können und einander helfen, wenn mal etwas ist. Ja und unter diesen Umständen ist es ja ersichtlich, daß eine Person den Haushalt führt.

Ich denke auch bestimmt, daß das Einwirken vonseiten des Ortsgruppenleiters etwas ausmacht. Ich soll zu ihm kommen, sobald ich die Fragebogen auszufüllen habe, dann wird er ein Schreiben von sich aus beibringen.

Mein Herzelein! Du!!! Heute kam Dein lieber Donnerstagbote schon an, Dienstag Mittwoch stehen noch aus.

Und ich ersehe nun aus ihm, an Deiner Traurigkeit, daß die Boten von mir Dich erreicht haben, wo ich so durcheinander war von den ganzen Ereignissen und neuen Bestimmungen.

Ach Liebster! ich verstehe Dich! Du!!! Ich verstehe Dich, wie nur meine Liebe Verstehen für Dich, Geliebter, hat. Oh Du!!! Du sorgst Dich aus Liebe um mich! Aus lauter tiefer Herzensliebe! Ich fühle es sooo sehr. Mein [Roland]! Und ich fühle sie immer auf mir, Deine sorgende Liebe! wie ich den liebenden Blick Deiner Augen auf mir fühle immer. Oh Du!!!!! Ich weiß, wie Dir ums Herze ist, wenn Du nun so fern von mir untätig zusehen mußt, was alles geschieht.

Mein Herzelein! So im ersten Ansturm der Empfindungen sieht alles schlimmer aus, als es ist. Und ich habe nun die Überzeugung gewonnen, daß es eine Probe der Bewährung für uns ist, alles was jetzt geschieht, eine Bewährung der Herzen gewissermaßen.

Und das Geschehen macht mich wacher den je!

Ich werde hellhörig und sehend für das, was im Gleichmaß der Zeit nie an unseren Bund herangetreten wäre.

Geliebter mein! Ich kann nicht anders, als Dir dankbar die Hände drücken und Dich selbst, geliebtes Herz, in Dankbarkeit ans Herz drücken, weil sooviel Liebe Dich treibt, mir alles zu sagen, was Dein Herz bewegt!

Wie danke ich Dir, Geliebter! Dein geliebtes Bild steht in solchen Stunden soo deutlich vor mir. Und ich kann doch garnicht anders, als hin zu Dir flüchten! In Deine Arme! An Dein Herz, Geborgenheit empfängt mich da und Heimat umfängt mich!

Nie, nimmermehr tauschte ich dies Glück ein! Es ist doch alles, was ich auf dieser Welt besitze, Du!!! Ich denke doch auch unablässig an unser Glück, Geliebter!

Und ich weiß, daß ein Mannerli noch viel viel strengere Maßstäbe anlegt darin – das bedingt schon die Natur des männlichen, die Rolle des Beschützers, die ihm zufällt. Und ausschlaggebend ist: wie edel der Charakter, wie sauber und rein das Denken und Fühlen, und wie hoch und teuer, wie tief die Liebe. All das redet hier mit.

Herzelein!!! Du mein Ein und Alles!

Wie könnte ich Dich je im Leben vorsätzlich betrüben wollen?!!! Oh Du!!!! Bei aller Weichheit und Hingabe des Weibseins bleibt doch die Härte, bleibt ein Bezirk, den ich mir nie nehmen lasse!

Das vergiß nie! Du!!!

Oh mein [Roland]! Mein [Roland]! Ich höre auf Dich! Ich verstehe Deine Sorge im tiefsten! Du!!!

Und ich stelle mich mit aller Herzenskraft vor unser Glück, daß niemand daran fassen kann.

Ich fühle, wie in diesen Tagen unser Lieben nur noch vertieft wird. Wie uns die Augen geöffnet werden, zu sehen, was um uns ist und zu sehen, was wir besitzen aneinander und ineinander. Du!!!

Gelieber! Mein Geliebter!! Ich hoffe es, daß Deine Traurigkeit gewichen ist nun und daß Dein Herze sich beruhigt hat nach alledem, was ich Dir weiter geschrieben habe.

Du! Ich sehe doch die Dinge auch ernst, wie Du sie siehst.

Ach, wenn Dir meine Stellungnahme zu dem und jenem aus meinem Boten nicht recht erschien, so kann ich Dir nichts anderes darauf antworten, als daß es der Niederschlag meiner Empfindungen war, der mich erst wieder klar sehen lassen mußte; es ist so schwer manchmal, mit all den Dingen so ganz allein fertig zu werden. Wieviel schöner, leichter wäre es, könnte ich alles mit Dir lieb bereden und beraten. Ach mein [Roland]! Geliebter! Du sollst aus meinem Handeln ersehen, wie groß und tief meine Liebe und das Zugehörigkeitsgefühl zu Dir ist! ich bin doch ganz Dein!

Gott schenke mir Kraft, mein Wollen zu verwirklichen. Geleitet wird es nur von meiner unendlichen Liebe zu Dir. Oh glaube mir! Du!!! Ich liebe Dich! Ich bin Dein! Ich bleibe ewig Deine treue [Hilde].

Gott behüte Dich mir! Geliebter!

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946