Rußland, den 25. Dezember 1941
Meine liebe gute [Ella]!
Heiligabend liegt hinter uns, und der erste Feiertag geht auf die Neige. Deine Weihnachtspakete für mich sind bis jetzt leider nicht eingetroffen. Aber darum sei man nicht traurig, liebe [Ella]. Ärgere Dich bitte auch nicht. Für mich war es trotzdem Weihnachten. Denn gestern abend, sowie auch heute, bekam ich einen lieben Brief von Dir. Weil ich auch damit garnicht mehr gerechnet hatte, war das nun ja eine große Uberraschung [sic] für mich. Ich weiß [Ella], an Dir liegt es nicht. Die Post ist total überlastet. Daran liegt das.
Liebe [Ella] ich wollte, Du wärst gestern abend nur für eine Stunde hier in unserem Bunker. Hier, blos [sic] um zu schauen, mitzuerleben wie wir hier feierten: – In Worte kann ich das garnicht fassen. Das war ein Erlebnis, das einmalig ist. Ach [Ella] es war eine Weihnacht, wie ich sie noch nie erlebt habe, eine Weihnacht die ich nie wieder vergessen werde. Für alles, und für jeden, hatte die Heimat gesorgt. Keiner ging mit leeren Händen aus, jeder hatte seinen bunten Teller. Ein Teller wofür wir uns fast schämten. Soviel war darauf. – Manch einer ist dabei weich geworden. –d
Und nun will ich Deine lieben Briefe beantworten. Es waren die № 39 u. 40.
Warum meinst Du denn, Dich wieder für den Brief N 38 entschuldigen zu müssen? Meinst Du Du [sic] etwa, Du vergibst Dir etwas wenn Du mir mal nur ein ganz klein wenig in Dein so sorgsam umhütetes Geheimnis schauen läßt? Du meinst so etwas: Träume mit offenen Augen. Für mich ist das ein Begriff von großer Weite. Und manchmal überkommt mir dann doch das Gefühl, als hättest Du Recht [sic]. Nur zu Recht! Aber dann ertappe ich mir [sic] jedesmal dabei, daß ich ja überhaupt noch nichts anderes getan hab, als geträumt hab! Und dann wäre oder ist es an der Zeit mit offenen Karten zu spielen. Denn zum Träumen ist die Zeit zu ernst. Wir leben nun einmal in der Zeit wo es heißt: kämpfen! Aber vor der Wirklichkeit, das heißt unsere Zukunft hab ich Angst. Und deshalb träum ich auch jetzt weiter! Denn „ich“ hole aus Dir meine Kraft zum Kämpfen. [Ella] ich kann nicht weiter drürber [sic] schreiben. Ich find ja doch nicht so die Worte Dir das alles klar zu machen. Wieleicht [sic] verstehst Du mich so auch garnicht, oder am Ende gar noch falsch. – Aber was ist denn Heimat? Jeder Mensch muß doch irgend einen Inbegriff der Heimat haben! Muß doch irgendwie aufgehen in das was man liebt. Eins muß doch das andere ausgleichen. –doch
Liebe [Ella] villeicht [sic] zweifelst Du ja wieder an meine [sic] Vernunft aber ich kann doch nicht immer alles in mir [sic] reinfressen. Es muß doch mal raus. Ich habe bisher mich keinen Menschen gefunden der mich hierin versteht. Darum kann ich nicht über Dinge reden die an mir vorüber gehen.
Es grüßt Dein [Albert]
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Albert Müller
Albert Müller wurde 1919 geboren. Seine Familie kam aus Escheburg in Schleswig-Holstein. Auch in anderen schleswig-holsteinischen Orten hatte er Verwandtschaft. In seinen Briefen machte Albert Müller oft Andeutungen, dass es Geheimnisse bezüglich seiner Eltern gebe, die er erst später preisgeben
Lohbrügge
Der Briefwechsel von Ella und Albert Müller befindet sich im Archiv des Kultur- und Geschichtskontors in Hamburg-Bergedorf. Erhalten sind fast 900 Briefe und Postkarten. Gesammelt wurden sie von Ella Müller, die Briefe von ihrem Ehemann, aber auch von Familienangehörigen aufbewahrte, zum Teil