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[LBR-411228-005-01]
Briefkorpus

Im Osten, den 28. Dezember 1941.

Meine liebe [Ella],

Jetzt sitze ich hier und will Dir gern ein paar liebe Worte schreiben. Aber ich weiß einfach nicht wie. Mir ist zumute, als hätte mir jemand mit dem Hammer vor dem [sic] Kopf geschlagen. Ist alles so lang wie breit. Was ich Dir schreiben könnte, habe ich Dir schon x mal geschrieben es bleibt ja doch immer dasselbe. Und was ich Dir so furchtbar gern erzählen möchte, das kann ich Dir nicht schreiben. Weißt Du, des Nachts wenn ich dann nicht schlafen kann wandern meine Gedanken immer hin und her. Ich begreif mich selbst nicht. Meine Kameraden sagen immer: warum ich denn immer gleich so aufgeregt sei, sobald mal irgend eine Kleinigkeit nur, los sei.–

Liebe [Ella] ich weiß nicht, ob sich das schickt, was ich Dir jetzt erzähl. Es wird ja immer gesagt: darüber spricht man nicht. Aber was gehen mich die Leute an? Aber ich hasse sowas! Warum helfen diese klugen Leute nicht diejenigen [sic] nicht über den Berg. Wo sie dann nach meiner Ansicht selbst nicht mehr weiter wissen. Entweder sind sie dann zu feige die Dinge beim richtigen Namen zu nennen, oder es fehlt ihnen dann an passenden Worten. Dann sollen sie aber auch nicht sagen: Darüber spricht man nicht!

Also wo ich nicht mit vertig [sic] werd ist folgendes:

Ein herzensguter Freund von mir ist im Alter von 22 Jahren hier vor Leningrad gefallen. Wir kannten uns schon als Kinder. Während des Vormarsches teilten wir gemeinsam freud [sic] und Leid. Für mich war er immer ein Vorbild. In einer harten Stunde, es ist schon lange her, da war es mit meiner Kraft ziehmlich [sic] am Ende als er mir im letzten Augenblick aus dem Verderben riß. –

Hernach, Wochen später, sprachen wier [sic] mal über Dinge des täglichen Lebens. Unter anderem frug [sic] ich Ihm [sic], wo er blos [sic] immer wieder von Neuem diese gewaltige innere Kraft, dieses ungeheure innere Ausgeglichensein, hernähme. –

Daraufhin wußte er nichts zu sagen. Doch als es wieder weiter, feindwärts, ging, rief er mir lachend zu: aus meiner Heimat! Und in meiner Heimat liegt meine Zukunft und dann weil ich meine Heimat liebe – im Großen und im Kleinen. –

Heute kann ich den Freund nicht mehr weiter fragen. Er ist nicht mehr Ich frage mich nun, was ist Deine Heimat? Wer ist Deine Heimat? –

Es grüßt Dich Dein [Albert]

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Autor Albert Müller
Korrespondenz Lohbrügge
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Über den Autor

Albert Müller

Albert Müller wurde 1919 geboren. Seine Familie kam aus Escheburg in Schleswig-Holstein. Auch in anderen schleswig-holsteinischen Orten hatte er Verwandtschaft. In seinen Briefen machte Albert Müller oft Andeutungen, dass es Geheimnisse bezüglich seiner Eltern gebe, die er erst später preisgeben

Über die Korrespondenz

Lohbrügge

Fotografie einer handgeschriebenen Liste mit Zahlen, aus dem Konvolut Lohbrügge, die Briefdaten sortiert.

Der Briefwechsel von Ella und Albert Müller befindet sich im Archiv des Kultur- und Geschichtskontors in Hamburg-Bergedorf. Erhalten sind fast 900 Briefe und Postkarten. Gesammelt wurden sie von Ella Müller, die Briefe von ihrem Ehemann, aber auch von Familienangehörigen aufbewahrte, zum Teil