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[NGM-400620-004-01]
Briefkorpus

[*] Hamburg-Bergedorf, den 20. Juni 1940

Mein lieber [Heinrich]!

Gestern abend stand ja Eure grosse Sache in der Bergedorfer Zeitung. Aber was habt Ihr da für eine unglückliche Zeit gewählt. Da kann man Dich ja vorher nicht besuchen, und hinterher wirst Du wohl auch nicht fort dürfen. Bei dem Konzert selbst musst Du ja sicher bei Deinen Soldaten sitzen. Da hat es ja eigentlich gar keinen Zweck, dass ich komme. Allein mag ich nämlich gar nicht hingehen, Ilse wird wahrscheinlich wohl nicht mitgehen, denn Walter braucht ja nicht mitsingen. Und jemand anderes, der hier mitgehen würde, werde ich wohl nicht finden. Wenn ich zu Grete gehen würde, dann würde sie sicher sagen oder denken, wenn ich was von ihr will, dann komme ich, und sonst lasse ich mich bei ihr nicht sehen. Neulich als ich abends bei unserer Wohnung war, war Grete selbst zum B.D.M.-Dienst. Aber Tante Bertha hat sich dahingehend geäussert, warum ich gar nicht käme. Aber warum soll ich immer dort hinkommen, sie können ja auch zu uns kommen. – Du wirst aber wohl über Sonntag auch noch schreiben oder telefonieren. Am Sonnabendnachmittag werde ich wahrscheinlich nicht im Hause sein. Da will ich ja zum Tapetenaussuchen und anschliessend zu H.is Geburtstag.

Gestern nachmittag waren Mutti und Papa im Kino in Bergedorf. Sie haben den Postmeister gesehen. Ich war noch kurz in Bergedorf und habe etwas gekauft. Nachdem ich dann im Hause gegessen hatte, habe ich den ganzen Abend bis 1/4 nach 8 Uhr Wasser getragen in den Garten. Meine Blumen habe ich tüchtig begossen. Auch den Tomaten habe ich Wasser gegeben. Alles ist so entsetzlich trocken. Von der Kapuziner Kresse, wo zuerst doch nur 2 aufgelaufen waren, stehen jetzt eine ganze Reihe. Ausserdem habe ich noch Riecherbsen gesät. Die sind auch sehr schön gekommen. Auch meine Astern und sonstigen gesäten Sommerblumen sind ganz schön aufgelaufen. Ich habe sie gestern von dem Unkraut befreit. Vorher konnte ich die Blumen schlecht herauskennen. Wo ich ihnen nun auch Wasser gegeben habe, hoffe ich, dass sie jetzt schnell wachsen.

Gestern wollte ich noch so recht Kirschen essen. Als ich in den Baum stieg, waren überhaupt keine mehr auf dem Baum. Papa hatte im ganzen nur zweimal, und jedesmal nur einen verhältnismässig kleinen Korb voll gepflückt. Den Rest müssen die Spatzen gefressen haben. Erdbeeren haben wir auch nur erst vereinzelt. Mutti hatte mir einige auf den Teller gelegt zum Nachtisch. Günter war ja aber im Haus allein, und so habe ich nur noch eine einzige vorgefunden. Aber das wird wohl hoffentlich bald anders. Wenn es doch nur einmal regnen wollte. Unsere Erbsen, überhaupt alles, hat den Regen so gross nötig.

Gestern morgen habe ich nun endlich den Kocher bekommen. Es ist ein schönes Ding. Ein 2 Ltr. Rapidwasserkocher mit Selbstausschalter. Den Preis weiss ich noch nicht. Ich wollte ihn gestern ausprobieren, aber unsere Schnurr war einmal wieder beim Techniker. Ausserdem weiss ich auch nicht, ob ich die gebrauchen kann. Ich will mir jetzt eine machen lassen für mein Plätteisen. Die werde ich dann auch für den Kocher gebrauchen können. Muttis Plätteisen ist ja an Kraft angeschlossen, ob man die Schnur dann wohl benutzen kann?

Du musst doch auch sicher furchtbar müde sein, wo Ihr jede Nacht ungefähr 2 Stunden in den Keller müsst und dann trotzdem um 5 Uhr wieder aus den Betten geholt werdet. Ich jedenfalls kann meine Augen kaum noch auftun. Es ist auch Gott sei Dank in einer halben Stunde Schluss hier. Aber wenn das so weitergeht mit diesen Luftangriffen, dann bin ich bald gar nicht mehr zu gebrauchen. Unser Luftschutzkeller im Haus ist neulich mit Kohlen fast voll geschüttet worden. Man kann dort nun fast ersticken. Wir sind auch immer nicht lange drin. Die meiste Zeit sind wir draussen oder in der Stube. Wenn sich dann so ein Ding nähert, flüchten wir schnell hinein.

Bei dieser Hitze muss es ja auch unerträglich sein, wenn wir [sic] immer auf dem „Blutacker“ umhergejagt werdet. Da sind wohl sicher schon viele umgeklappt. Wie geht es denn L.?

Heute nachmittag werde ich wohl wieder giessen, damit meine Blumen schön vorwärts kommen. Dann muss ich unbedingt noch Strümpfe stopfen, das habe ich auch schon lange nicht mehr getan. Bei den grünen Bändern bin ich auch noch nicht wieder gewesen. Neulich war ich einmal angefangen, als Luftschutzalarm war, aber da war bald Schluss. Gestern brannte ja kein Licht.

Nun will ich Schluss machen. Meine Post kommt gerade heraus. Dann muss ich mich noch waschen und allmählich wird es dann auch Zeit zum Nachhausefahren.

Herzliche Grüße

Deine [Hannelore]

[* = Der gesamte Brieftext ist mit der Schreibmaschine getippt, nur Gruß und Unterschrift sind handschriftlich hinzugefügt]

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Autor Hannelore Wilmers
Korrespondenz Neuengamme
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Über den Autor

Hannelore Wilmers

Abbildung von einem Haushaltspaß von Hannelore Wilmers, grüner Karton mit Schreibmaschinenschrift. andes- und Hauptwirtschaftsamt Hamburg.
Ba-NGM K02.Pf1_.A14, Haushaltspaß von Hannelore Wilmers, 1944, Hamburg, herausgegeben vom Landes- und Hauptwirtschaftsamt Hamburg.

 

 

Hannelore Wilmers, geb. Baumann, wurde 1917 geboren, sie lebte bis 1999. Sie war Tochter eines Lehrers und seiner Frau in Neuengamme. Ihr jüngerer Bruder war bei der SS. Hannelore Wilmers besuchte das Luisen-Gymnasium in Hamburg-Bergedorf. Dann arbeitete sie in einer Motorenfabrik als

Über die Korrespondenz

Neuengamme

Abbildung mehrerer Bündel Briefe aus dem Konvolut Neuengamme, von Kordeln zusammengehalten, in einem Schuhkarton durcheinander gewürfelt.

Die Briefe von Hannelore und Heinrich Wilmers befinden sich im Archiv des Kultur- und Geschichtskontors in Hamburg-Bergedorf. Über 1600 Briefe und Karten wurden von den Autoren nummeriert, sortiert und sorgfältig zu je 100 Stück gebündelt aufbewahrt. Die von Hannelore Wilmers verwahrte Feldpost