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[OBF-410101-001-01]
Briefkorpus

Dienstag, den 31. Dezember 1940

Herzlieb! Meine liebe, liebe [Hilde]! Geliebte, Holde mein!

Der letzte Tag im Jahr heute. Hell und klar, an den Frühling gemahnend, verabschiedet sich das alte Jahr. Du! Die Sonne steigt wieder auf, freust Dich darüber?! Sie führt ein neues Jahr herauf mit seinem Grünen und Blühen, seinem Reifen und Fruchten. Springende Bächlein und grüne Auen, wogende Felder und schattender Wald: Liebenden bedeuten sie allen das gleiche: Begleitmusik zu ihren seligen Her[z]en, Aufforderung sich lieb zu haben. Die grüne Au? — Ein feines Bettlein! Die wogenden Felder ? — Ein heimliches Versteck!  Der schattige Wald? — ein verschwiegener Hüter! Du! Du!! Geliebte!! Die waren auch uns alle zu Diensten. Denkst Du noch daran? Werden sie es wieder sein im neuen Jahr? Ja! Ja!! Wir hoffen es, Du!!

Es ist heute bis 3 Uhr Mittag, und ich habe jetzt schon mit meinem Brieflein begonnen, leicht, daß es mir heute abend an Zeit und Muße gebricht. Mir ist so still und froh und gleich zu Mut. Die meisten Kameraden haben heute etwas vor, ihr Herz scheint höher zu schlagen — ich weiß nicht wovon, es kann kein guter Antrieb sein. Unser Gemeinschaftsraum ist in ein Lokal umdekoriert worden, in das man im Zivilleben ein gutes Mädchen nicht führen würde (Bilder). Der Unteroffizierraum ist in eine Bar verwandelt, das Re[v]ier in eine bayrische Bierstube. Herzlieb! Was bin ich nun für eine verstaubte Schlafmütze, daß ich mich daran nicht freuen kann? Wird Dir nicht bange vor mir? Gute Geselligkeit, ohne Rausch und in Grenzen von Anstand und Sitte, sie ist gewiß selten und schwer — aber lieber keine, als schlechte Gesellschaft. Ach Du, Du ganz allein bist mir die allerliebste Gesellschaft! Herzliebes, und wenn wir beide uns wirklich mal unter eine Gesellschaft mischen müssen, dann wird es uns auch gefallen, glaubst? Das haben wir eigentlich noch gar nicht versucht. Nicht daß ich mich darauf spitze. Aber, wenn es Dir Freude macht, tanzen tun wir wieder mal, ich habe auch Freude dran, wenn es klappt, und wenn ich mit Dir tanzen darf! Du mußt erst mal mein Tanzmeister sein!

Aber da bin ich abgeschweift. Ich sagte, daß also viele Kameraden etwas vorhaben, so oder so. Es gibt Wein, Bier, Likör, Sekt — es gibt Mädchen — ja, wie häßlich ich das sage — es haben also etliche Soldaten Mädchen eingeladen — Freundschaft, Flirt - - was weiß ich?, d. h. ich weiß schon etliches. Dein [Roland] hat nichts dergleichen vor, — nicht weil er schmerzlich verzichtet — oh nein, oh nein! Er ist heute abend nicht der ärmste, sondern der reichste hier, und glücklichste!!!

Widerspruchsvoll ist die Welt — widerspruchslosvoll wird sie bleiben. Man muß nur wissen, auf welche Seite man gehört. Um 9 Uhr beginnt das gemeinsame Beisammensein. Wenn alle da sind, haben gar nicht alle Platz — das ist mir recht — und ich warte nur auf den Augenblick, daß die, die es angeht, benebelt sin[d, so] daß m sie meine Abwesenheit nicht bemerken. Dann stelle ich mich beiseit['], in uns[e]re Stube — und nach Mitternacht werden wir den Lichterbaum anbrennen, ihn ins neue Jahr leuchten lassen: "Die Hoffnung und Beständigkeit, gibt Trost und Kraft zu jeder Zeit." Und dann will ich nach Hause denken, zu den Lieben allein, und zu Dir, zu Dir, mein Herzlieb, froh und fest und innig und dankbar!! — im Geiste stehe ich an Deiner Seite: Mein Weggesell! Mein Kamerad! An Deine Seite gehöre ich, Du!! Mein Weib! Mein Lieb! Mein Schützling! Und ich fühle, wie es fest und stark und entschlossen wird, mein Herz neben Dir, mein Lieb! Ich bin Dein — Du bist mein!

Herzlieb! Es geht hart auf 12 Uhr. Ich habe mich eben einmal losgemacht. Ich fand Platz am Tisch unsres Pastorkameraden, er hatte seine Braut mitgebracht. Du! Ich habe in den Trubel geschaut — sie sind nicht froh, sie sind nur eben ein bißchen selig vom Wein und ausgelassen — ich aber bin froh, ganz, ganz froh, wenn ich auch nicht so dreinschaue — die Kameraden haben mich schon einigemale [sic] angestoßen, warum ich so ernst und versunken dreinschaue. Ich kann nicht anders, Herzlieb.

Ernst scheint mir die Stunde. Geliebte! Komm zu mir! Gib mir Deine Hand! Fest legen wir sie ineinander:

Gott im Himmel! Sieh uns hier stehen! Leite uns, beschirme uns auf allen Wegen! Sei bei uns mit Deiner Güte [u]nd Gnade, und Herrgott! Führe uns zusammen, daß wir einander Weggenossen sein können!

Herzallerliebste! Dir und Deinen Lieben alles, alles Gute! Ein recht gesegnetes, glückhaftes neues Jahr!!

Nun ist die erste Stunde schon verflossen. Die erste. Wieviel Stunden sind wohl am Jahre? Ach Du, wenn man sie nur wüßte, ihre Zahl bis zu unserm Wiedersehen, ich wollte sie schon zählen. Aber wenn wir dann beisammen sind, Du! Dann zählen wir nicht mehr. Siehst, Liebes? Nun ist er schon angerissen, der lange, kalte Januar, ist nicht mehr ganz. Und der nächste Monat, Du?! Herzlieb! Harre treulich aus mit Deinem [Roland]!

Unter unseren Gästen ist auch Frau P. mit ihrer Tochter und der Bekannten von damals abends. Und viel Männer sind darum! Stadt und Land geben sich ein Stelldichein. Halbwüchsige Mädels aus Barkelsby und Dämchen aus Eckernförde Ach, Herzlieb, es lohnt sich gar nicht, länger dabei zu verweilen. Du! Deinen [Roland] kann das gar nicht einmal mehr rühren. Das höchste der Gefühle, wenn sie in ihrem Suff überhaupt noch was fühlen — es ist ja ärmlich gegen unsre Glückseligkeit. Herzlieb, Du!!! Du!!!  Wieviel  Seligkeit ist bei Dir!! Du!!! Du!!! Wieviel Heimlichkeit!!! Wieviel  Liebreiz!!! Wieviel Schönheit, Du!!! Du!!! Mein Weib!! Mein!!! Und wieviel Wonne!!! Liebes! Herzliebes!! Geliebte!!! Welche Wonne in Deinen Armen zu ruhen, in Deinem Schoß! Geliebte!!! Und mehr als all das — mehr als Wohnne!! Glückhaftes Einssein!!! Seliges Sichverschenken und Sichweihen!!! Meine liebe, liebe [Hilde]!!! Ich bin so rein und glücklich mit Dir!!!

Du merkst nun schon: Ich habe mehrere Male angesetzt zum Schreiben. Und jetzt ist es ½ 2 Uhr am Nachmittag des ersten Tages im Jahre. Ich bin wohl der einzig nüchterne Mensch hier, obwohl ich auch 2 Gläser Wein und 2 Gläser Sekt (!) getrunken habe, bezahlt habe ich nichts. Ich beeile mich, den Boten zu besorgen. Ich muß noch mal frankieren und bringe ihn nachher nach Eckernförde, damit er Dich zur rechten Zeit erreicht. 2 liebe, liebe Boten erreichten mich eben. Herzliebes!! Du!!! Dank, vielen, vielen Dank!! Sobald ich kann mach ich Dir ein Paket Briefpapier zurecht. Herrn Oberlehrer K. habe ich geschrieben.

Du!! Du!!! Ich denke immer Dein!! Ich fühle Deine große Liebe und Sehnsucht!! Fressen möchtest mich? Ich möchte Dich auffressen!! Aber dann wäre doch nichts mehr übrig! Du!! Ich wart lieber damit, bis noch ein bissel mehr zu Dir ist! Frech, ja?! Du!! Auch im neuen Jahre. Ach frech ist doch wohl nicht das rechte Wort. Dreist - vielleicht. oder. aufdringlich? [sic] Oder närrisch — närrisch? In sein liebes Weib? Hättest Deinem Dickerle früher gar nicht zugetraut? — er war es schon — in sein Himmelsweibel — in sein liebes Weib, das er sich ausmalte, das er sich ausmalen mußte — er hatte doch kein richtiges — und nun kommt sie heraus, die ganze Narrheit, der Übermut, die Ausgelassenheit, kommt all auf Dich — auf m[ein] richtiges Weibel — aber nur ganz heimlich — und nur zu Dir — nur zu Dir — die Narrheit ist ebenso eigensinnig wie die Liebe — sie gehört vielleicht zu ihr? Du!! Du!!! Mein richtiges Weibel! Das bist Du!! Ja, ja, Du!! Du!!! Du!!!! Herzlieb! Unser Glück — es ist das Glück des Zueinandergehörens, des Einsseins, des innigen Verstehens. Verstehen nicht nur mit dem Verstande, nicht nur im Gefühl, Verstehen auch in der Liebe —  und Du! Verstehen auch in ihrer Narrheit — ja? Du!!! Ach Du! Ich glaube wir verstehen uns schon ganz gut darin — und sind doch erst noch beim Verstehenlernen!!

Herzlieb! Gott behüte Dich! Er schenke uns Kraft und Geduld!

Geliebte! Meine liebe [Hilde]!! Ich habe Dich sooooo lieb wie Du mich! Ja? Du!!! Ich liebe Dich!!! Ich sehne mich so nach Dir!!! Einen lieben, langen Kuß —  einen ganz lauten meinetwegen — Du!!! Du!!! Dein [Roland] bin ich!!!

Immer, immer ganz Dein!!! Mein liebes, liebes, teures Herz!! Du!!!!!

Bitte grüße Deine lieben Eltern!

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946