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[OBF-410410-001-01]
Briefkorpus

Donnerstag, d. 10. April 1941

Mein liebes, teures Herz! Herzallerliebste! Meine liebe [Hilde]!

Morgen ist Karfreitag. Feierabend ist, gegen 5 Uhr am Nachmittag. Ich sitze in der Schreibstube, im geheizten Zimmer. Kalt ist es seit 2 Tagen. Es hat ein wenig geregnet, der Wind weht aus Westen. Es ist sehr frisch. Aber nun sind die Bäume grün, die Blätter können nicht mehr in ihre Hüllen zurückkriechen. Ich bin jetzt 2 Tage nicht mehr aus dem Bau gekommen. Es macht keine Freude bei diesem Wetter. Unsre Lewa sind fast alle – und es ist ungewiß, ob wir davon noch einmal nach gbekommen [sic].

Die Kälte macht sich nach den sommerlichen Tagen doppelt empfindlich bemerkbar, und ich bin froh, daß ich hier im Zimmer eine Arbeit habe. Viel ist nicht zu tun. Ich bin jedoch über eine Liste geraten, die mich etliche Tage beschäftigt.

Im Zusammenhang mit dem siegreichen Vordringen unsrer Truppen ist es wahrscheinlich, daß wir eines Tages von hier abgerufen werden. Du hast die Ereignisse hier unten sicher mit besonderer Spannung und Aufmerksamkeit verfolgt. Die unseren [sic] sind ja mit solchem Schwung vorgegangen, daß es aussieht, als sollte dieser Feldzug schon in wenigen Tagen beendet sein. Der uns hier am nächsten gelegene Schauplatz mit dem wichtigen Hafenplatz Saloniki („S.“ [sic]) ist schon ausgeschaltet. Die hier kämpfende griechische Ostarmee hat kapituliert. Heute spricht man schon davon, daß unter dem Eindruck der Wucht des deutschen Angriffes die ganze griechische Armee die Waffen gestreckt habe – es ist noch unverbürgt, aber durchaus wahrscheinlich. Wir hatten hier bestimmt mit feindlichen Fliegern gerechnet, seit Sonntag ist die Stadt verdunkelt, aber bis jetzt hat sich hier keiner sehen lassen, während wir ganze Schwärme deutscher Flieger beobachteten, die gegen den Feind flogen. Du darfst also ganz beruhigt sein, Herzlieb! Von dem ganzen Krieg sind wir bis jetzt nicht im mindesten berührt worden.

Vermutlich werden wir über die Feiertage noch hier sein. Wenn wir keine Wache haben und das Wetter schön ist, wollen wir auf einen der Gipfel der näheren Umgebung steigen. Ich würde so gern einen Gottesdienst besuchen. Muß mich gleich mal umtun, ob hier am Orte eine evangelische Gemeinde ist. Sonst werde ich versuchen, einem katholischen Gottesdienst beizuwohnen, einem römisch-katholischen. Die Mehrzahl der Einwohner hier gehört zur griechisch-katholischen Kirche (der auch die Russen angehören. Ihr Kreuz sieht so aus:  ), und soviel mir erinnerlich ist, feiert diese das Osterfest, ihr Hauptfest, um 14 Tage später. So bunt wie die Bevölkerung ist also auch ihr Bekenntnis. Wir werden die Feiertage halten wie in der Heimat. Morgen gilt also die Sonntagsordnung: Wecken 8 Uhr! Da wird wohl mein Herzlieb schon im Kleidchen stecken, morgen hat es wohl Dienst in der Kirche. Ach, dieser liebe, dieser schönste Dienst, an den Feiertagen zumal; der reiche Schatz an Werken, in denen die Frömmigkeit so vieler großer Vorfahren Gestalt gewonnen hat! Wenn er doch wieder zu seinem Ansehen erhoben würde! Wenn ich doch wieder in diesem Dienst stehen könnte! Herzlieb! Vielleicht wird einmal Gelegenheit, daß wir beide wieder singen gehen wie einst, Du!!

Weißt, wenn wir jetzt noch in Deutschland wären und in unserem Kalender lebten, da würde sie wieder groß aufstehen, die Sehnsucht nach Hause, nach den Feiertagen, den Osterspaziergängen, wie man sie nirgends schöner als zu Hause erleben kann. Aber nun sind wir im fremden Lande – und das Bewußtsein hat irgendwie geschaltet, hat vor alle Heimatgedanken einen Riegel geschoben: Unmöglich. Geliebte! Einmal wird er wieder zurückgeschoben, dieser Riegel! Und in diesen Tagen, da der Siegessturm von neuem aufhebt und sich erhebt, da scheint dieser Tag der Freude wieder in greifbare Nähe gerückt!! Viele werden ihn noch mit ihrem Leben erkaufen müssen.

In den letzten Nächten sind Kiel und Berlin Ziel starker englischer Angriffe geworden. Möchtet ihr Lieben daheim von solchem Unheil verschont bleiben! Von Dir, Herzlieb, hat mich noch keine Post wieder erreicht. Aber es hapert allgemein damit und ich bin auch gar nicht beunruhigt deshalb. Heute hat unser ‚Postbüttelʼ sich selber auf den Weg gemacht zur nächsten Feldpoststelle, um dem Mangel an Ort und Stelle abzuhelfen. Mal sehen, ob es hilft. Ich hätte doch zu gern zu Ostern einen Gruß von Dir. Ach, und die größte Osterfreude wäre mir doch zu hören, daß Du nun von Deinem lieben treuen Ausharren erlöst wurdest! Geliebte!

Wenn Dich dieser Bote erreicht, ist wahrscheinlich auch schon Dein Geburtstag vorbei! Herzlieb! Mußt ihn ohne mich feiern! Ach, Du!! [W]ir wollen nicht die Traurigkeit Herr werden lassen über uns. Wollen stark und tapfer warten und aushalten mit den vielen – einmal muß es doch dem Ende zugehen – einmal muß doch Frieden werden! Das Schicksal der Trennung, wir teilen es ja mit so vielen! Und die Hoffnung auf den Frieden, sie bewegt alle, auch alle Soldaten.

Von Vater erreichte mich heute ein Brief über die alte Feldpostnummer. Ich sehe daraus, daß es ihm recht schwer fällt, daß er am liebsten wieder zurückmöchte. Er teilt unser Schicksal der Fremde, und es trifft ihn vielleicht am härtesten. Ich habe es deutlich gesehen, wie er gealtert hat in der letzten Zeit. Die Sorgen um uns, die Unruhe der letzten Jahre, diese Unruhe, sie läßt die Eltern schneller altern. [Bei] Unseren Eltern kommt das besonders schwer an, weil sie uns so lange um sich hatten. Sie haben es sich so schön geträumt, uns, wohlversorgt, besuchen zu können und sich mitzufreuen an unserem Glück. Und nun ist es so anders gekommen. Der politische Umsturz, die Sorge um Hellmuth, die Versetzungen, und nun dieser Krieg – es ist zu viel! Und ich gönne es unseren Eltern beiden von Herzen, daß sie sich noch recht viele Jahre mit uns freuen können, daß wir uns ihnen dankbar erzeigen können. Vater schreibt auch von seinen Besuchsplänen, „Palmarum wahrscheinlich nach Oberfrohna“. So schreibt er mir – und Dich lädt er nach Chemnitz ein – das ist zweierlei Sprache, nicht ganz recht von Vater – warum schreibt er mir nicht so wie Dir – und schafft damit eine klare Situation, mit der ich bei rechter Begründung doch gern einverstanden sein könnte!

Für Sonnabend hat Vater 2 Parsifalkarten besorgt.

Herzlieb! Ich muß Dich wohl wieder einmal ermahnen, daß Du über dem getreuen Herren nicht vergißt, auch an Dich, an Euch zu denken. Auch das sind Pflichten. Gönne Dir etwas, Herzlieb! Ein Kino, ein Theater! Wenn Du sonst niemande[n] hast, nimm Vater und Mutter mit. Wie wird Dein [Roland] denken: ‚sieʼ amüsiert sich derweil. Geliebte! Wir können beide einander nicht vergessen, können uns gar nicht amüsieren, und gerade, wenn wir etwas Besonderes erleben, dann werden wir desto lebhafter aneinander gemahnt. Wenn das Wetter so weiter hunst [sic], will ich ein Kino besuchen. Es werden hier lauter deutsche Filme gespielt.

Mein liebes, teures Herz!

Ich möchte so lange mit Dir plaudern – möchte bei Dir sein – und dann würden wir wohl bald aufhören mit dem plaudern – Du!! Du!!!!!

Behüte Dich Gott! Er segne unsern Bund und führe uns recht bald zueinander! Du! Mein liebes, treues Weib. Ich liebe Dich von ganzem Herzen! Du bist meine Heimat, meine Zuflucht auch in dieser Ferne, mein bester Kamerad, meines Herzens Vertraute. Ich möchte Dir alle Liebe soo danken, sie Dir erwidern – wir müssen warten, Geliebte! Gott schenke uns Kraft und Geduld und starke Herzen! Geliebte! Ich denke immer Dein! Du wohnst ganz tief in meinem Herzen, mein Leben, mein Herzschlag, Du!!! Ich gehöre Dir, immer und ewig, ich mag nichts sein als Dein [Roland]!!!

Meine Liebe, liebste [Hilde]!!!!!!!!!!!!

Bitte grüße die lieben Eltern recht herzlich.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946