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Briefkorpus

Pfingstmontag, am 2. Juni 1941.

Herzallerliebster! Mein lieber, lieber [Roland]! Geliebter mein!

Ich bin wieder zu Hause, daheim! Ach, da ist es doch am allerschönsten, glaubst? Eben haben wir Abendbrot gegessen, den Vater zum Dienst fertig gemacht und nun ist es gleich 6 Uhr am Abend. Es will ein Gewitter losbrechen, von Hohenstein herüber kommt eine schwarze Wolkenwand gezogen – der Donner rollt schon.

Wir sind froh, daß wir im Geborgenen sitzen können. Herzlieb!! Mein [Roland]! Du!! Meine Gedanken gehen zu Dir, alle meine Gedanken. Wie wird es Dir gehen? Was wirst Du eben treiben? Wie wirst Du Pfingstfest verlebt haben? Bist Du wohl noch gesund und froh, Herzlieb? Ach – bald – in einer Woche habe ich Antwort auf meine Fragen – ich warte auch schon jetzt sehnlich darauf, wie Du das Fest gefeiert haben wirst. Ich hätte Dich soo von Herzen gerne mit dabei gehabt an diesen Feiertagen, Geliebter!! Ich will Dir nun mal bissel der Reihe nach erzählen. Am 1. Feiertag früh ½ 7 Uhr bin ich erwacht, ich hatte von Dir geträumt, Herzlieb!, ganz süß Du!!! Immer, wenn ich wieder ganz gesund bin, muß ich mich so sehr sehnen nach Dir! Und weil Du mir nun so ferne bist, träume ich von unser[e]m Nahesein, Du!! Du!! Es ist süß – aber auch schmerzlich, weil das Erwachen weh tut – ich bin allein. Liebster! Geliebter!!!

Die Eltern wollten schon mit dem 9 Uhr Bus fahren, nach Chemnitz und so galt es, nicht viel Zeit zu verlieren. Ein wunderschönes Wetter erwartete uns draußen, wir waren alle so erfreut darüber! Wie ausgesucht ist es, für die Feiertage, Herzlieb! Sonnig und warm – ja, zu warm. Wir haben’s auch verdient, denke ich!!

Ich begleitete die Eltern ein Stück bis zum Bus, ich bin erst zum Gottesdienst. Auf dem Weg zur Kirche traf ich noch den Briefträger, er gab mir Deinen lieben Boten vom 25. Mai, sonntags. Und ich war so voll Freude darüber!! Ganz wenig Leute waren im Gotteshaus versammelt, es konnte einem leid tun.

Unser Chor war ziemlich vollzählig anwesend und unsre Sache klappte gut. Weißt, Herzlieb! Ich war am gesttrigen Sonntag ganz unaufmerksam in der Kirche. Ich weiß nicht, ich konnte und konnte mich nicht [z]ur Teilnahme zwingen an des Pfarrers Predigt, er sprach so wenig mitreißend, meine Gedanken glitten wieder und wieder ab – sie gingen zu meinem Herzlieb, Du!! Du!! Ich hatte Deinen Brief bei mir!! Wie mit magischer Gewalt zog es mich, ihn zu öffnen. Ich sah meine Umgebung an – ich saß, weil ich zuletzt gekommen war, ganz am Rande – dort, wo Du immer gesessen hast, als Du mit sangst – meine Nachbarin war das Schokoladenfräulein! Und ich rückte verstohlen n[o]ch ein Stück ab von ihr, bis zum Ende der Bank. Nahm den Brief aus meiner Tasche, schnitt ihm den Bauch auf und las Deine geliebten Zeichen. Ach Du!! Du!!!

Was die andern dazu für [eine] Miene machten, ob sie es gesehen haben überhaupt – ich weiß es nicht, es war mir auch ganz schnuppe. Ich blickte nicht auf, Du!!!

Du hieltest mich ganz gefangen mit Deinen lieben, so lieben Worten, mein Herz! Ich las mit Herzklopfen, ganz erregt war ich vor Freude und Sehnsucht, Du!! Die Du in mir wecktest mit Deinen Zeilen!! Du hast das Bild bekommen, wo wir uns küssen. Du!! Du!!! Herzlieb! Auch Du spürst die eigne Welle Glück und Süße und Schmerz, die uns beim Anblick dieses Bildes durchrieselt, ach Du!! So süß, so schmerzlich süß, und ganz wild schlägt mir mein Herz, wenn ich es schaute [sic]! Du!! Und wie ein wilder, sehnsüchtiger Schmerz zuckt es durch meinen ganzen Körper, wenn ich dabei mir Deine süße Nähe vergegenwärtige. Geliebter!! Oh Du! Geliebter!!!

Es waren sündige Gedanken, die ich während des Gottesdienstes hegte – ich konnte, konnte ihnen nicht [w]ehren, sie waren mächtiger als alles andre um mich her. Ach Du!! Ich spürte, wie mir alles Blut heiß zum Herzen wallte und wie es mir bis in die Wangen stieg, die Arme sogar brannten mir von der Glut der Erregung und – Scham. Scham, daß mich ein Fremdes [sic] möge beobachtet haben beim Lesen, meine Miene möchte bgsehen haben [sic]. Ach Du!! Du!! Ich glaube, ich tu es nicht wieder, daß ich einen Boten von Dir vor Fremden erbreche – und doch – ich kann es nicht aus[h]alten, ich weiß es ja, Geliebter! Nein!! Nein!!

Ich kann es nicht mehr aushalten, so wie früher, daß ich warte, bis ich allein bin! Ich habe Dich ja so brennend lieb, so brennend, sehnsüchtig erwarte ich Deine Boten, ich muß sie gleich öffnen, in mich aufnehmen, wie eine Verdurstende, Du!! Du!!! Ach, Du weißt ja nicht, wie sooo innig ich Dich liebe. Keine Minute kann ich mehr zögern, wenn ich ein Zeichen von Dir in Händen halte – ich muß es sofort öffnen. Ach – Du wirst mich verstehen, Geliebter. Ich ging fort aus der Kirche, ich hatte nichts von der Predigt behalten. Ich war aber auch nicht traurig darum. Gott sieht in mein Herz – er wird mir um meiner großen Liebe willen verzeihen.

In mein Gebet habe ich Dich so innig mit eingeschlossen, Geliebter! Und ich war so erfüllt von der Pfingstfreude, weil Du zu mir gekommen warst, weil Du bei mir weiltest, mit in der alten, vertrauten Umgebung unsrer lieben Kirche, unsrer Heimat, mitten unter uns allen weilte mein Herzlieb! Und das allein war mir Feier genug.

Ich brachte Deinen lieben Boten nachdem [sic] erst heim zu mir, dann begab ich mich an den Bus, um den Eltern nachzufahren. Alles war überfüllt, was nur fahren konnte in den Straßen, zum Erdrücken!!! Alles drängte aus dem Zentrum der Stadt in’s Freie. [Um] ½ 1 Uhr langte ich bei M.s an, man erwartete mich schon. Einen wirklich guten Speisenzettel hatten sie aufgesetzt (nicht kriegsmäßig) und ich ließ mich auch gern einladen. Der Nachmittag wurde gleich mit einem Spaziergang ausgefüllt, nach dem ga[n]z in der Nähe liegenden Adelsberg, ungefähr 1 Stunde gingen wir bis dahin. Da war Flugtag von der Polizei, das ganze Gelände diente dazu, die vielen Zuschauer aufzunehmen. In der Nähe eines schattigen Busches rasteten wir, um den Vorführungen auch mit zuzusehen. Die bekannten Sachen wurden vorgeführt: Kunstflüge, Loopings u.s.w. dann Segler im Schlepptau. Zuletzt Fallschirmabsprünge. Alles gelang gut, bis auf einen Landungsversuch, der mißglückte, die Maschine viel [sic] hart auf, stieß mit dem Fahrgestell in den weichen Boden, machte einen Satz, kippte und brach sich eine Tragfläche und den Propeller. Sie mußte dann abgeschleppt werden. Sonst hat es uns allen sehr gut gefallen. Den Rückweg nahmen wir durch den Reisigwald, wo wir in der Heideschänke Halt machten.

Viele, viele durstige Kehlen waren zu befeuchten und die armen Ober schwitzten sich bald tot. Es war so das Treiben wie  in allen Gaststätten, an Hochsommertagen. Die Menschen waren festlich angetan, viele Frauen und Mädchen hatten ihre Soldaten am Arme – viele gingen [e]insam, wie ich. Doch Du warst in Gedanken immer bei mir Geliebter! Hat es Dich wohl ebenso geschluckt wie mich, gestern? Wer hat wohl da mein gedacht??? Du!! Du!! In der Ferne sah ich dann auf dem Heimweg den Turm vom B.berg, waren wir da nicht schon einmal miteinander?

Müde und hungrig kamen wir heim in der 9. Abendstunde, zwar schien die Sonne noch, doch an den Kindern spürte man, daß die Zeit zum Schlafen heran war. Es wurde beschlossen, daß wir über Nacht bleiben sollten. Denk nur: der letzte Zug nach Oberfrohna fährt schon [um] ¼ 9 [Uhr] in Chemnitz ab, den hätten wir nicht mehr erreicht. Die Väter verteilten wir auf die zwei Couches, wir 3 Mütter – i wo! 2 Mütter! Und eine Hubomutti! [ – ] mußten in die Ehebetten. Die Jungen haben ihre Betten für sich. Wir waren soo müde von der Wanderung, daß es uns allen so lieb war, wenn [sic] wir hätten auch noch heimfahren müssen!! Huh!!! Die Beine!!! Heute früh wollte ich Dir nun schreiben Herzlieb, weil es gestern nicht dazu kam, aber die Buben gaben keine Ruhe – ich mußte mit ihnen in den Garten, spielen. Denen gefällt’s auch, wenn sich mal jemand stundenlang mit ihnen abgibt. Na, dann war Mittag heran, ehe wir uns versahen; der Vater hat sich noch bissel  hingelegt, damit er frisch auf Wache ziehen konnte heute abend! Um 3 nachmittags mußten wir gehen; denn unser Bus fuhr um 4 Uhr am Hbf. weg. So verlebten wir ein paar recht schöne Stunden, man sah mal etwas anderes und kehrt dann doppelt lieb und gerne heim.

Morgen hat die Mutsch noch Feiertag, da wollen wir nun mal nach Mittelfrohna. Die Tante M. aus Gla[uc]hau ist seit Donnerstag schon!, mit ihren 3 Mädels da und sie wartet, daß wir sie mal besuchen. Die Tante soll mit den beiden großen Mädels in dieser Woche nochmal zu Tante Ma. kommen, ich will [ihr] da mal die Kleinste, was mein Patenkind ist, abnehmen; denn die Oma kann so ein Kleinkind nicht [ge]brauchen bei ihrem Gastwirtsbetrieb. Und mit dem großen Kinderwagen rumreisen, das ist kein Spaß. Es handelt sich ja nur um 2–3 Tage, daß ich sie nehme, länger bleiben sie nicht in Chemnitz. Und weil diese Woche gerade U.s’ auch Ferien halten und in ‚Franken‘ sind, da ist gerade die ‚Luft reine‘ für so was Besondres!!

Wenn U.s’ da wären, möchte ich das Kind nicht auf [ein] paar Tage zu uns nehmen. Die Frau U. würde ja verrückt, wenn ich mit dem Kinderwagen durchs Haus führe! Aber ich freue mich darauf!!!

Herzlieb! So, nun weißt Du, was Deine [Hilde] an diesen Pfingsttagen angegeben hat. Sie war Dir ganz, ganz treu! Sie hat ja keinen anderen Gedanken als den: an Dich!! Geliebter Du!!!

Heute mittag kurz vor 1400  [Uhr] kam die frohe Sondermeldung, daß Kreta frei vom Feinde sei und die Waffen ruhen.

Du!! Wie habe ich da froh und befreit aufgeatmet! Und glücklich an Dich gedacht, mein Herzlieb!

Wenn nur alles so gnädig für uns ausgeht. Ein so großes Glück wäre das, mein [Roland]!! Wieder ist ein Brandherd gelöscht. Wo wird der Feind nun zunächst [sic] geschlagen werden?

So selbstverständlich legt man sich diese Frage vor, wenn es nun einmal anders herum geht, mit dem Siegen? Ach Du!! Das könnte man doch gar nicht fassen! Gott wird uns weiter gnädig sein, wird mit den tapferen Deutschen sein. Sind die Feinde nicht auch tapfer? Oja [sic].

Aber Gott ist mit denen, die um Wahrheit und Gerechtigkeit kämpfen, das glaube ich fest! Und so fest glaube ich auch, daß wir Deutschen um diese Wahrheit und Gerechtigkeit kämpfen. Wir können nur bitten immer wieder um Gottes Gnade in diesem Krieg – wir müssen demütig bleiben, trotz der glänzenden Siege und Ruhmestaten. Mein Herzlieb! Daß Du mir gesund wiederkehrst, das ist meine einzige, große Bitte! Du!!! Gott wird Erbarmen mit uns haben – er weiß um unsre große Liebe, Du!! Mein [Roland]! Geliebter!! Ich will nun für heute Deine liebe Hand loslassen. Morgen fasse ich sie wieder, mein Herzlieb! Und morgen kommt er auch wieder zu mir, Dein lieber Bote! Wie ich mich schon freue, Geliebter! Ach Du!! Es tut so wohl und es ist für mich so beruhigend, wenn ich an Dich denke und weiß, daß es Dir gut geht! Ich freue mich so sehr mit Dir! Du!! Mein Lieb!!

Gott behüte Dich mir immerdar!

Er segne unsern Bund! Er lasse Dich bald für ganz zu mir heimkehren!

Ich warte Dein, Geliebter!! In unendlicher Liebe, in großer Sehnsucht, mein Herzlieb!

Du weißt es ja! Und Du wünschst Dir selbst nichts sehnlicher, als heim, heim!

Gebe es Gott!

In Ewigkeit Dein!

Deine [Hilde].

Ich liebe, liebe Dich! Mein Herz!! Oh Du!!!!!!!!!! Mein geliebtes, liebes Mannerli! Du!!!!!!!!!!

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946