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Briefkorpus

Sonnabend, am 7. Juni 1941.

Mein geliebtes, teures Herz! Du mein lieber, guter [Roland]!!

Herzlieb Du!! Wochenende ist heute, zur Abwechslung wieder einmal trübe und kühl, es tut richtig wohl nach den heißen Tagen. Wie sehr ich trotz meines fortwährenden Wärmebedürfnisses doch ein rechtes Schattenpflänzchen bin, das spüre ich hier wieder einmal ganz deutlich. Gar so viel Sonne mag ich nicht. Man ist so müde, abgespannt, so lustlos an so heißen Tagen – und das kann ich an mir garnicht leiden. Heute war ich wieder richtig munter – ich mag die Kühle doch recht gern. Aber Du!! Die Kühle bei meinem Mannerli, ich glaub´ – die hätte ich nicht so gerne – Du!!! Oh Du!! Du!! Die würde mir weh tun, so bitter weh, Geliebter!! Aber Du!! Herzlieb!! Muß ich sie denn fürchten, die Kühle von Dir? Nein!!! Nein!!! Ich glaub' es nie und nimmer! Du!!!

Ach Du!!! Du!!! Wenn wir umeinander sind, da ist uns doch sooo warm ums Herz! So warm!! Unser Herz kann ja garnicht mehr [z]u Eis erstarren, Herzlieb!! Deines nicht und nimmermehr, meines erst recht nicht mehr!! Du!! Das Weibel will Dich ein Stück mehr liebhaben!!! Du!!!!!

Mein [Roland]!! Gestern abend um 9 [Uhr], denke Dir!! Kam doch wahrhaftig wieder Einquartierung! U.s haben ja Ferien, [sie] sind nicht da. 2 Unteroffiziere. Aber wir haben nur einen genommen – erst wollten wir nicht – aber dann tat es uns auch leid, wenn wir sie zu so später Stunde sollten wieder fortschicken. B.s nahmen den anderen. Glaubst, es ist nicht nicht leicht[,] hart zu sein und die armen Kerle wieder abzuweisen. Wir bringen es alle nicht fertig. Wenn sie so müde vor einem stehen, auf die Gnade der Quartiersleute angewiesen. Sie können ja nicht[s] dafür, daß sie ausgelost werden. Unser Vater hatte Nachtdienst, so konnte ich bei Mutsch schlafen. Und B.s räumten Elfriede‘s Stube für den Soldaten ein. Zu essen konnten wir ihnen nichts geben, weil wir nichts hatten. Wir bekommen ja jetzt wieder weniger Marken, da kann man einfach nichts abgeben. Sie hatten auch schon ein Abendbrot bestellt im Gasthaus, dahin gingen sie schnell erst. Dann saßen alle mit ihren Gastgebern noch bei uns oben, unsre Nachbarin, die auch ganz allein mit dem Soldaten war – ein Freund von unseren [–] die gesellte sich auch mit dazu, und so war es ein ganz netter Abend. So unverhofft!! Wir waren alle platt.

Erst abends gegen 7 Uhr trafen sie hier in Oberfrohna ein. Sie gehörten einer Nachrichtenabteilung an (motorisiert) und kamen von einem Truppenübungsplatz im Süden Deutschlands, (es waren gebürtige Schwaben!) Und heute früh 6 Uhr ging die Fahrt weiter nach Cottbus. Dann nach Rußland und dann ....., Du wirst die weitere Route kennen – vermuten?! Ulkig waren s[ie] alle 3 in ihrem Dialekt – wir haben nun so gelacht. Es sind solche, in Siegfrieds Alter, nach 2 jähr. abgedienter ,Zeit' kamen sie in den Krieg herein. Sie haben sämtliche Feldzüge mitgemacht, sehen den Dingen ziemlich ruhig, ja stur und gleichmütig ins Gesicht. Wie Du selbst schon oft beurteilen konntest, Herzlieb, junge Menschen, 23 – 24 Jahre alt, ohne rechten Anhang, noch ohne Lebensplan – ihnen ist alles schnuppe. Sie sind durch die Länge der Zeit gleichgültig geworden. Es ist vielleicht gut so für sie selbst, sie leiden dadurch nicht so unter diesen erdrückenden Verhältnissen wie ein andrer. Es könnte einem das Herz zerreißen, wenn man daran denkt: so junge, starke, hübsche Männer, sie müssen ins Verderben hinein, sie müssen – werden mit fortgeführt im breiten Strom der Masse.

Aber sie sind voller Ideale, auch voller Kampfbegeisterung, es sind junge Kämpfer, so wie sie Deutschland braucht.

Ach ja – wir Mädchen, wir Frauen können Euch Männern wohl in diesem Sinne nicht ganz folgen. Wir bangen um Euch, um das Liebste[,] das wir haben! Und doch ist es der Männer unentrinnbares Schicksal in harter Zeit, daß sie in den Kampf ziehen müssen. Wir Frauen müssen unsre Herzen stählen, müssen warten lernen; Geduld üben, Hoffnung hegen, Liebe schenken! Ach Du!! Wie von Herzen gerne tu'  ich alles für Euch! Für unsre tapferen Männer der Heimat – einer steht dem anderen nicht nach – einer kämpft wie der andre, gleich wie und wo – für dasselbe – für die Heimat, für Weib und Kind, für‘s Vaterland. Wir können Euch Lieben dafür nicht genug Liebe bringen, nicht genug Euch danken! Ach, mein Herzlieb!!! Ich bin mit all meiner Kraft des Herzens bei Dir!! Dir gelten all meine liebsten, besten, heimlichsten Gedanken und Wünsche! Dir gelten meine innigen Gebete! Dir gehört mein ganzes Sein! All mein Leben!! Muß es einem jeden anderen Mädchen nicht auch so gehen? Sind nicht alle wie Du und ich in Liebe und Treue verschmolzen in eines?

Es gibt noch so innig verbundene Menschen, ich denke es mir – aber, ob sie so ganz innig verbunden sind wie Du und ich, vermag ich nicht zu sagen.

Unser Soldat, ein Schwabe aus Günzburg, ein sehr netter, anständiger Mensch, er war der netteste von allen[,] die bei uns saßen, das spürte ich. Die beiden anderen waren ein wenig dreist, jungenhaft, keck – doch trotzdem in Grenzen! Unsrer war verlobt. Er war sehr zurückhaltend und ich habe mich mit ihm einige Male sehr vernünftig unterhalten. Er ist auch keine Kriegernatur, er sehnt sich heim, er drückte es zwar nicht direkt in Worten aus, ich fühlte es aber heraus. Er trägt schwerer an alledem, als seine Kameraden – er ist 26 Jahre alt gewesen; wie man ein paar Jahre Altersunterschied im Wesen eines Ma[nn]es doch spürt! Und noch spürt man, wie eine Frau bestimmend in das Leben eines Mannes eintritt, und das ist in einer Hinsicht gut[,] mein'  ich, solch ein Mensch hat viel mehr Zucht und inneren Halt dadurch, es drückt sich in solchem Menschen ein ganz and[e]res Bild aus als in einem, der planlos in den Tag hineinlebt. Ein Mann muß, außer seinem Opfermut, demn er dem Vaterland zur Verfügung stellt[,] noch ein Größeres in sich tragen – ein Persönlicheres, ein Kostbar[er]es, das ist, was den guten Menschen edel macht, was ihn adelt und von den andren sondert:, [sic] die Liebe, seine Liebe, um die er kämpfen will, die er erhalten will, die sein kostbarstes [sic] ist.

Geliebter! Ob es eine engherzige Ansicht ist, die ich hier vertrete? Muß nicht erst das große ganze [sic] vorn anstehen, ehe Persönliches kommt?

Sieh, das ist Frauensinn –. Frauen sind wohl nicht alle Patrioten. Trotzdem heißt das nicht, ich sei nicht selbstlos. Du kannst das beurteilen. Wir Frauen kämpfen zuerst um unser Eigen, um unsre Liebe, wir schließen uns deshalb nicht der Volksgemeinschaft aus. Die Liebe trägt uns, sie läßt uns auch alles tragen. Und wir kämpfen um unsere Liebe bis zum Letzten – und so erwarte ich es von einem Mann – ebenso. Aber im Krieg?, da ist der Mann nicht Herr seiner selbst, er muß sich dem großen Geschehen beugen, fügen. Die einzige, tröstliche und kraftspendende Gewißheit ist, daß Ihr alle in Gottes Hand steht. Das ist unleugbar. Und das ist der alleinige, einzige Grundpfeiler in dieser Welt noch, der unverrückbar bestehen wird. Alles andre ist hinfällig. Und ich muß hier an ein Wort denken, daß [sic] ich jetzt einmal irgendwo las, das mir nicht mehr aus dem Sinn geht: Ein Mensch kann wohl ohne Christus leben – aber sterben kann ein Mensch ohne Christus nicht.

Ach Geliebter!! Niemals kann sich ein Mensch um den allein selig machenden Inhalt seines Erdendaseins darum herum drücken, mag er noch so ein Lästerer sein. Einmal in seinem Leben kommt die Stunde der Erkenntnis, der Besinnung. Und selig sei der, der nicht zu spät erkennt. – Ich weiß nicht, was mich so besinnlich stimmte heute. Waren es die Bruchstücke uns[e]res Gespräches von gestern abend mit dem Unteroffizier, die mir wieder einkommen? Etwas an diesem Menschen hat mir gefallen – es glich Deinem lieben Wesen, mein [Roland] – er war ein in sich gefestigter Mann, er war ehrfürchtig dem Weibe gegenüber in jedem seiner Worte, das schied ihn angenehm von den andren. Und er war ein gläubiger Mensch – katholisch gläubig – und von einem solchen, der zuchtvoll und moralisch einwandfrei dasteht, kann man nicht anders als erwarten, daß er so seinen Mann stellen wird draußen. Männer mit Ehre und Gewissen, das ist es, was in dieser Welt fehlt.

Herzlieb! Ich habe gestern Dein gedacht, ganz fest, und es überkam mich ein so eigenes Gefühl – ach, wie ein warmer Glücksstrom durchrann es mich, daß Du mein bist!! Du!!! Du mein [Roland]!

Ich bin so stolz auf Dich! Geliebter!!!

Ich will mich Deiner allezeit wert erweisen!

Geliebter! Mein [Roland]! Ich liebe Dich!!! 

In meinem Bett habe ich vor Sehnsucht weinen müssen, Herzlieb! Dieser fremde Mensch hatte eine Saite angerührt in meinem H[erz]en , sicher ganz unbewußt, die so schmerzlich süß und sehnsuchtsvoll nach Dir ruft!! Oh Du!!! Geliebter!! Herzlieb!! Ist es möglich, daß der Herrgott mir soviel Gnade schenkt, indem er mir ein ganzes Leben an Deiner Seite beschert? Oh Geliebter!! Bin ich denn so viel Gnade und Güte wert? Womit habe ich sie verdient, womit soviel Glück verdient, vor allen andren Menschen? Ich will ganz demütig sein in meinem großen Glück, will mich beugen Gottes Willen, er ist so gütig u[n]d weise – er ist unser lieber Vater, immer. Du!! Herzlieb!! Daß ich mit Dir Hand in Hand vor diesen allmächtigen Vater treten kann, reinen, gläubigen Herzens und Sinnes, das ist soooviel Freude und Glück für mich – wie geborgen fühle ich mich mit Dir in Gottes Vaterhut! Laß es immer so bleiben, Herzlieb! Wahrhaftiger kann unser Glück der Liebe und des Einsseins dann nicht sein!

Du!! Heute hast Du mir so lieb von Deinem Pfingsten erzählt! Ich danke Dir, mein Lieb!

Du!! Herzlieb!! Ich habe weinen müssen, als ich las, daß Du einem deutschen Gottesdienst beigewohnt hast. Ich habe mich so tief gefreut für Dich und mit Dir! Du!! Ich habe mit Dir die Größe dieser schlichten und doch so großen, köstlichen Feier erlebt. Ach, mein [Roland]! Christus wird niemals untergehen – untertauchen in dieser Masse! Mehr denn je suchen die Menschen nach einem wahren Halt! Und sie sind auch immer noch nicht tief genug in Not gekommen; denn es ist ja nur zu tatsächlich, daß allein die körperliche wie seelische Not den Menschen treibt, Gott zu suchen. Aus einer Freude oder großen Dankbarkeit heraus findet selten einer den Weg zu ihm.

Ich bin so tief dankbar und froh, daß Dir, meinem Herzlieb[,] nun auch die rechte Pfingstfreude angezündet wurde!! Auch Dir ist nur so rechtes Feiern, wenn unser Leben erhöht wird auf solche Weise, wenn es sich der erbarmenden Liebe und Gnade Gottes ergibt. Du sagst so wahr: Gott ist unser Vater! Und er konnte uns Menschen das nicht deutlicher und glaubhafter machen, als indem er seinen Sohn zu uns Menschen sandte, und ihn der Erde ganzen Jammer schmecken und kosten und tragen ließ.

Du!! Herzlieb!! Ich will heute hier erst einmal aufhören, ich bin so sehr müde! Du!! Aber ich bin ganz sehr froh und glücklich, wenn ich Dein denke, Geliebter mein!! Ach Du!! Spürst Du es denn, Herzlieb? Wie ich Dich liebe? Wie ich mich sehne? Wie ich mich ganz Dir verschrieben habe, mit allem, was ich bin und habe? Du!!!!!

Gott schütze Dich! In Liebe und Treue immerdar ganz

Deine [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946