Bitte warten...

[OBF-410614-001-01]
Briefkorpus

Sonnabend, den 14. Juni 1941

Mein liebes, teures Herz! Geliebte, Holde mein!

Weißt, wann es jetzt ist, daß ich Dir schreibe? Des Sonntags in der Morgenfrühe. Die Kameraden schlafen noch. Der Hubo ist ganz leis aus seinem Bettlein gestiegen, damit sein Herzlieb auch rechtzeitig seinen Gruß und Kuß kriegt. Du! Jetzt[,] da die Post wieder so gut geht, kann man nicht schwindeln und sich herausreden. Denk [nur], 6 oder 7 Tage nur braucht sie jetzt auch zu mir. Fein ist das! Sind doch die Nachrichten nicht ganz überholt und die Kussel [sic] nicht gar so altbacken.  Will Dir nur gleich ein ganz liebes geben, Du!!! Aber – das Leckermäulchen ist ja noch so tief in die Kissen vergraben – bloß der Haarschopf ist zu sehen. Ein Haar im Kussel, das ist nicht fein. Aber dort unten – schaut das Beinel [he]raus – das soll das Kussel kriegen! Du!!!!!

Gestern abend waren wir nämlich noch ein Stück aus. Unsere Straße sind wir entlanggeschlendert, wir kamen erst gegen 8 Uhr fort, und dann wurde es rasch finster – wir kehrten ein in einem [sic] Gartenlokal am Meer „Luxenburg [sic]“. Mit abgeblendeten Lichtern war der Garten notdürftig erhellt. Eine Kapelle spielte da ziemlich gut Unterhaltungs– und Tanzmusik, zu der das Griechenvolk das Tanzbein schwang. Die Kapelle wird von einer Geigerin geleitet. Wir waren zum ersten Mal da. Ein Fläschchen Wein haben wir [uns] genehmigt. Still und warm war der Abend. Der liebe Abendstern stand im Westen und rutschte dann so schnell hinter die die [sic] Berge – zu meinem Herzlieb – hat er Dir Grüße bestellt? Du!!!! Die Kapelle spielte dann das Potpourri vom Rhein zur Donau – und da waren wir ja ganz zuhause – und der Hubo hat feste mitgedudelt und gesungen und geblasen, weißt schon, und die Landser unter den Gästen auch. K. meinte beim Anblick des tanzenden Griechenvolkes: „Denen gehts gut“. Ja – und nein. Die diesen Feldzug glücklich überstanden haben, durften nun heimkehren in ihre Heimat. Aber das Land ist noch voll fremden Kriegsvolkes, dem sie ausgeliefert sind, ungewiß ist auch das Schicksal der Stadt und des Landes – das ist schmerzlich und trübt die Freude der Heimkehr empfindlich. Den meisten Griechen sieht man es auch an, daß Bitternis sie erfüllt.

Wir Soldaten dürfen nicht tanzen – recht so. Und wenn wir dürften, ich tät es nicht – mit einem Griechenmädchen tanzen – das tät ich nicht – weil es ein Irrtum des Herzens wäre. Wenn ich jemanden so nahe komme und ihn umfasse, wie das beim Tanzen üblich und nötig ist – dann könnte es hier in der Fremde nur eine Person sein, bei der ich ganz lieb an meinen Herzensschatz erinnert würde – dem allein ich mich so nahen mag. Das kann ein solches Griechenmädchen mit der Fremdheit seines Gesichtes nimmermehr. Ach[,] Herzlieb! Sie sind ja so fremd! Dein Mannerli, dem Du die allerliebste Heimat bereitet hast, das Heimat so tief und stark empfindet, spürt das ja so deutlich, wie fremd alles ist! Nur lüsterne Sinne können sich an diese Fremde hängen, die Fasern des Herzens nie und nimmermehr!

Nein! Keinen Augenblick könnte ich vergessen, daß ich in der Fremde bin. Krieg will alle Heimat auslöschen. Freund und Feind leiden darunter. Diese Woche kamen mit Schiffen viel, viel Gefangene an – meist Engländer und Australier. Es war ein bunter Zug – es war der Zug der Fremde, der kalten[,] grausamen, düsteren. Denk, Australien, wie weit, weit sind sie von daheim hier in Saloniki. Ach[,] Herzlieb! Vor diesem Geschick wird man ganz still und dankbar mit dem eigenen. Grausam und unerbittlich ist der Krieg! Ich wußte ich [wohl: es]. Und deshalb war ich so unglücklich, so schmerzbedrückt damals, als er begann. O, ich werde ihn nicht vergessen, den Septembersonntag, da dieses Furchtbare sich am Himmel abzeichnete – der wirkliche Himmel war wie zur Ironie dessen so strahlend schön. Und die nächsten Tage dann – da hat mich dieses Leid und dieser Schmerz verfolgt – und als ich dann in Kamenz war, zuhause, da ist er aufgebrochen, da habe ich weinen müssen – und Mutter hat mich getröstet. Und ich weiß auch, warum dieses Leid gar so dunkel und tief schien: Du!!! Du!!!!! Die ich eben erst gewonnen, meine Heimat, ich sah sie umdroht [sic]. Und ich weiß auch noch die Worte, aus Mutters Trost: „Willst Du undankbar sein gegen Gott, der Dir eben erst ein liebes Menschenkind an die Seite gegeben hat?“ So sagte die Mutter. Geliebte! Meine [Hilde]!! Ich wußte es ja selbst, und ich hatte es nur vergessen im Schmerz. Und die Mutter hatte recht getröstet, daß sie mich daran erinnerte.

Herzlieb! Gestern kam der Bote mit dem Blauen, Du meinst Grünen, zu mir. Sei recht lieb bedankt dafür! Du sagst, daß ich mich zu Euren Reiseplänen noch gar nicht geäußert habe. Ich habe bestimmt meinen Eltern davon geschrieben – und sollte bei Dir ganz darauf vergessen haben? Du! Als Du davon schriebst, ging die Post so schlecht. Und ich besinne mich, daß die Reisepläne ganz unvermittelt in einem Boten standen, der ganz außer der Reihe tanzte. Nur so könnte ich mir erklären und sollst Du Dir erklären, wenn ich nicht darauf eingegangen bin. Ich gönne Euch beiden die Erholung von ganzem Herzen. Und augenblicklich besinne ich mich auch, daß ich in dem Brief an Deine lieben Eltern dieselben Worte brauchte. Und ich interessiere mich selbstredend für all Eure Pläne dazu. Will sogar ganz genau wissen, wo ich meinen Herzensschatz dann suchen und finden kann.

Hör! 8 Tage helfen nicht. 14 Tage müssen es mindestens sein. Schmilka? Nicht schlecht. Rathen oder Wehlen sind ähnlich. Aber Du hast recht, auch an etwas Ordentliches zu pappeln [wohl: essen] zu denken – und das möchte in der ‚Helvetia‘ noch ganz ordentlich sein. Schade, daß ich euch nicht besser mit Rat und Tat zur Seite stehen kann hier in der Ferne. Tät doch gleich selber am liebsten mitreisen – auch wenn die Mutsch dabei ist? – Nu freilich. 1. Ist sie uns doch sooo gut und erfreut, wie gut wir uns sind! 2. Täten wir sie eben manchmal abhängen – am Tage würden wir in die Berge kraxeln – und abends, da müssten wir ein Stübchen ganz für uns haben – auch nicht das Nachbarstübchen – weil wir uns doch manches Liebe sagen möchten! Aber wenn ich dann mit meinem Herzlieb allein verreisen kann, wärs noch viel feiner – in der fernesten Fremde die allerliebstnächste [sic] Heimat! Du!!!!! Du!!!!!!!!!!!!!

So. Jetzt wird aber alles munter. Der Tag und die Mitwelt fordern ihre Rechte. Ach ja – nur wie sie fordern, streng und unerbittlich und aufdringlich – nur darum lasse ich Deine liebe Hand jetzt. Aber die Gedanken sind frei – und mein Herz ist ganz frei. „Mein Herz ist noch frei-ei“. Jetzt wird mein Herzlieb aber gleich munter werden und protestieren. Na soll es. Erstens ist es ein Mißverständnis. Und zweitens will ich ihm doch nun noch mein Kussel [sic] geben aufs liebe, liebe Mündchen, aufs runde, süße, herzige, Du!!!!! Und drittens will ich mir den Protest doch so gern gefallen lassen, wenn es nun jetzt mein Herzel [sic] gleich einfängt und an das seine drückt! Wirst Du das tun? Oh Geliebte!!!!!!!!!!!!! Geliebte!!!!!!!!!!!!!

Hemdenmatz! Hemdenmatz! Kscht, kscht – aber nun husch husch an des Tages Geschäfte. Ach Du!!! Magst noch gar nicht? – Ich auch nicht! Aber nun muß ich! Du!!!!! Ich küsse Dich!!! Ich liebe Dich!!!!!!!!!!!!!

Dein [Roland]! Ganz ganz Dein!!!

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946