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[OBF-410614-002-01]
Briefkorpus

Sonnabend, am 14. Juni 1941.

Herzallerliebster! Mein geliebtes, teures Herz! Du mein [Roland]!

Eben schlägt die Uhr 3 am Nachmittag, unsre schöne Uhr, Herzlieb! Weißt denn eigentlich noch, wie sie aussieht? Du! Es ist doch ein Prachtstück, Liebster! Und sie hält jetzt ganz schön Schritt, geht ganz richtig mit der Kirchenuhr. Du hast sie ja so fein eingestellt, als Du bei mir warst! – Wenn Du jetzt in unsre Stube schauen könntest, dann würdest Du vielleicht staunen! Herzlieb! Ich habe nämlich Männerbesuch!! Ja – ein kleiner Mann ist bei mir, schon eine ganze Weile, und ich gab ihm paar Märchenbücher hin zum Ansehen, nun gefällt es ihm scheinbar so gut, daß er garnicht gleich wieder fortgehen will. Ich habe mich trotzdem hergesetzt zum Schreiben, sonst vergeht mir der schöne Nachmittag und ich habe nutzlos rumgesessen.

Nun will ich ‚ihn‘ Dir erst mal vorstellen. Ein Bub aus der Kinderschar, heißt Wolfgang Z. und wohnt gleich in unsrer Nachbarschaft – in der Kantstraße. Weiß garnicht, was ihn bewog, mich aufzusuchen. Er ist 8 Jahre alt. Ein netter Kerl. Als er unten vor der Tür stand, meinte er: „ich wollte ihnen [sic] mal besuchen!“ Und was blieb mir übrig, als ihn einzulassen? Am Freitag in der Kinderschar haben wir geturnt und vorgelesen, es war schön.

Ach Du! Heute ist ja ein verdrehter Tag! Heute früh war ich mit Mutsch erst beim Frisör – wir hatten uns die Köpfe gewaschen und um ½ 11 [Uhr] gegen Mittag sind wir erst heim. Dann haben wir das Essen bereitet, ich bin schnell noch einige Wege gegangen und schon war es 2 Uhr. Da klingelte es und der Herr G. aus der Singstunde kam: „es wird morgen nichts mit unserm Ausgang, der Wirt vom „Weißen Roß“ bestellte mir, daß die Wolhyniendeutschen Kindtaufe abhalten wollen und in dem einzigen Raum, der noch zur Verfügung steht, wo auch wir uns aufhalten wollen!“

Ich war wie aus allen Wolken gefallen! Unser goldiger Herr G., der immer alles organisiert mit Geschick und Verstand!!! Was nun? In seiner Ratlosigkeit kam er zu mir. Alle Mitglieder sind bestellt für morgen um 15 Uhr bei Dittrich (Fabrik). Das ist unverschämt von dem Wirt, uns im letzten Moment abzusagen – wi[r] sollten doch da eine Woche später kommen. Wo alles schon ausgemacht ist! Ich war der Meinung, daß wir nun überhaupt nicht da hin gehen. Es bleibt alles, wie die Mitglieder bestellt sind und wir werden ihnen morgen um 3 [Uhr] am Treffpunkt einfach sagen, daß wir woanders hingehen. Zwar nach Wolkenburg und Herr G. war auch mit meinem Vorschlag einverstanden, er rief gleich mal an – und es klappte, wir sind willkommen.

Nur gut, daß er alle Fleischmarken noch bei sich hat! Ich denke nicht daran, mir den heutigen Nachmittag z[u] verlaufen, um alle Mitglieder anders zu berichten [sic]! So war es ja die einfachste Lösung. Bin nur auf die Gesichter der anderen gespannt, morgen!

Unser Leiter Str. ist bis heute verreist, ihn konnten wir garnicht zu Rate ziehen bei allem. Ach, ist das ein Kram! Unser lieber Herr G.! Erst verspricht er uns, daß es eine großartige Sache wird, dann ist alles Essig. Das Theater haben wir aber nun mit dem schon jedesmal erlebt.

Diesmal ist aber der Wirt von Pleißa schuld. Eine Taufe wird nicht erst einen Tag zuvor angemeldet! Wer weiß, was dem die Petersilie verhagelt hat, daß wir erst 8 Tage später kommen sollen.

Na – ich bin ja bloß auf morgen gespannt, Du!! Darnach kam die Hanni W.,:„wann gehen wir morgen?“ Wieder eine Frage und ohne einen kleinen ‚Klatsch‘ ging es nicht ab! Kaum war die fort – klingelt es wieder: Ilse Sch.! „Wir haben doch noch garnichts miteinander ausgemacht, wo treffe ich Dich morgen?“ Sie will erst zu mir kommen! Ach – warum die nun gerade alle zu mir kommen mit ihren Fragen? Und gerade heute, wo ich mit meinem Herzlieb so vieles zu bereden hätte!! Du hast mir heute wieder einen sooo lieben lieben Boten geschickt, Geliebter!! Vom Dienstag, den 10. Juni! Oh Du!! Du!! Soviel Liebe leuchtet mir entgegen, soviel Glück und Freude! Mein Herzlieb! Ich sehe richtig Dein beglücktes Gesichtel vor mir!! Du!!! Du!!!!! Wie die lieben Augen strahlen! Und wie sie von Freudentränen schimmern! Ach Du!! Du!! Du!!! Ich möchte sie küssen, die lieben Augen, Deine Wangen, Deine Stirn, Deinen Mund! Geliebter!! Deinen Mund! Oh!! Du!!! Ich liebe Dich!!!

Mein herzlieber [Roland]!! Ich kann mich heute nicht genug sammeln, um auf Deine lieben Boten näher einzugehen – ich bin so durcheinander heut'! Mußt mir nicht böse sein deshalb, mein Herzlieb!! In einer besinnlichen Stunde will ich Dir Antwort geben auf Deine Fragen! Du hast mich sooooo sehr, sooooo tief beglückt mit Deinem lieben, lieben Brief! Ach Du!! Die Freude und das Frohsein, sie springen auf mich über von Deinen lieben Zeilen! Ich bin sooo sehr froh heute mit Dir! Du!! Ich habe mich ganz sehr gefreut über Deinen lieben Brief! Du!!

Garnicht schmerzlich-süß berührt es mich und quälend, wenn ich Dein denke! Du! Ganz leicht und froh ist mir um's Herz! Geliebter! Und Du bist es auch! Ich spüre es, mein [Roland]! Wir können doch beide so tapfer sein! Geliebter! So lieb halten wir uns umfangen!

So eng sind Herz um Herz verschlungen – Menschen können uns nicht scheiden – und Gott wird mit uns sein! Du!!! Herzlieb mein! Sollst wissen, daß ich so ganz glücklich bin heute, ach – immer! In Deiner Liebe! Du!!! Und sollst wissen, daß ich Dein ganz, ganz lieb denke! Heute – morgen – immer! Ich hab Dich sooo lie[b]! Mein [Roland]! Mein lieber, liebster [Roland]! Mein!!!!!

Vorhin kam auch noch der Briefträger zu mir! Er brachte mir eine grüne Gurke!! „Ach, liebe Frau [Nordhoff], wollen sie mir nicht derweile die Gurke aufbewahren?, ich kaufte sie vorhin und will sie nicht mit auf meine Tour nehmen!“ Ich mußte so lachen! Alles, alles kommt zu mir, das war wie verhext heute! Bin ich denn wie ‚eine Mutter für alle‘?

Wo ich doch manchmal so borstig und ruppig sein kann – aber wenn man's innerlich trotzdem gut meint, da spüren['s] die andern auch durch die Borstigkeit und Ruppigkeit hindurch. Zum Lohne gab er mir einen grünen Brief! Grün, die Hoffnung! Und von Frau S.! Ich dachte bei mir: Halt! Da hat's geklappert!! Und wahrhaftig!!! Du!!!!! Wir sollen kommen! Gerne will sie es für mich möglich machen! Wie mich das freut! Für die Mutsch! Sie sagte nämlich schon zu mir: „Weißt, wenn uns Frau S. auch noch absagt, dann bleiben wir daheim und ich schneidere wieder mal bissel!“ Ja – Kuchen! Ferien sind Ferien! Und da wird gefaulenzt, ausgeruht. Ich bin ganz strenge und kann ganz fuchsteufelswild sein, wenn sie mir nun nicht folgt. Jetzt bin ich 21, da geht's aus anderm Tone! Du!!! Sei mir nicht bange – Hubo! Du bist der Einzige, vor dem ich noch Respekt habe – Bilde Dir bloß nischt ein! Ich kann auch zu Dir wie ein Gendarm sein! Du!!! Du!!!!!

Ja, am 22. können wir kommen bis zum 7. Juli. Dann ist das Zimmer von dem Studienrat – weißt? Du kennst ihn, er war da, als Du noch in S. wohntest – besetzt, auf 7 Wochen!! Du! Es ist Dein Schlafzimmer, wo sie uns unterbringen kann! Sie hat es mit dem [sic] Couch immer jetzt als 2=Bettzimmer vermietet. Herzlieb!!!

Dein Schlafzimmer – unser heimliches Stübchen? Geliebter! Geliebter? Wie wird mir, wenn ich daran denke? Oh Du!! Wieviel Seligkeit wird wach in mir! Oh Du!!! Sooo viele liebe, süße Erinnerungen wollen aufsteigen – Du!! Geliebter!! Geliebter!! Mein Geliebter!! Weißt Du noch? Tausendmal könnte ich Dich so fragen! Du!! Du!!! Ach, mein lieber, liebster, einziger [Roland] Du!!

Mein Glück! Unser Glück! Ich werde seinen leisen Atem wieder um mich spüren! Geliebter! [Sag], kannst Du wohl ermessen, wie mich die Aussicht die nun so gewisse, bewegt und in Aufruhr bringt, den Ort unsrer Liebe wiederzusehen? Weißt Du noch? Ach Du!! Immer neue, liebe, traute Bilder steigen vor mir auf. Ich könnte jetzt bis in die Nacht hinein mit Dir plauschen! Von unserm trauten Glück im Elbschlößchen!!

Die allererste Seligkeit unsrer großen Liebe, wir erlebten sie dort! Ach Du!! Du!!! Weißt Du noch? Ich bin so erregt, wenn ich daran denke, all das soll ich soo bald wiedersehen! Es drängt mich jetzt so gewaltsam dahin, als müßte ich!

Und mein Herzlieb wird mit mir Einzug halten!! Als Soldat – als Matrose! Alle beide Hubos müssen mit! Sonst könnte ich nicht schlafen! Du!! Und der liebe, alte Zug!! Der wird vorbeirattern – wie einst, er wird mir den Liebsten grüßen, denn er fährt ja sooo weit nach Süden, bald bis zum Liebsten! Vielleicht fährt mein Hubo gar um diese Zeit heim, auf Urlaub? Welch kühner Traum von mir! Und seine [Hilde] steht in S. an der Fähre und winkt – gleich mit dem Bettuch!! Und Hubo zieht sofort die Notbremse und steigt aus! Kommt schneller herüber zu mir! Ach – himmlische Freude!!!!!!!!!!!!!!! Du!! Die Gedanken eilen mir davon! Die Feder kann kaum noch mitkommen! Bitte entschuldige meine Saupfote!! Kannst Du's denn noch lesen??

Herzlieb! Ich bin ganz aus dem Häusel heute! Erst hast Du mich sooo glücklich gemacht – und nun noch die frohe Botschaft mit der Sommerfrische. Ob wohl Deine lb. Eltern auch noch hinkämen? Ich will sie gleich mal fragen! Ach Du!! Wenn Du doch dabei sein könntest!! Wie will ich Dich fest in mein Herz einschließen, wenn ich durch Deinen alten Wirkungsort gehe! Geliebter! Soll[s]t mir stets ganz, ganz nahe sein – immer gegenwärtig. Sag mir, Herzlieb? Freust Du Dich mit mir?

Läßt mich denn auch gerne fahren, Mannerli? Du?! Und wird es nicht zu kostspielig für unsre Kasse?!! Schreib mir was davon, Du!! Die Mutsch freut sich, der Papa gibt seine Einwilligung von Herzen gerne!! Und mein Papa? Du!! Du!! Wie steht's mit dem? Davonschwimmen tut ihm sein Herzlieb nicht – die Mutsch, die strenge, ist doch dabei!!!

Du!! Für heute: auf Wiederhören! Mein Geliebter!!! Gott behüte Dich mir, er sei auf allen Wegen mit Dir!! Du bist mein Glück! Mein Leben! Mein Sonnenschein!

Ich liebe Dich! Mein [Roland]! Deine [Hilde]

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946