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[OBF-411020-002-01]
Briefkorpus

Montag, am 20. Okt. 1941.

Herzensschätzelein! Du mein liebster [Roland]!

Wirst Dich wohl wundern über mein sonderbares Format des Briefpapieres! [*]

Das ist auch wieder mal ein Notbehelf, Zeichen des Krieges! Ich bekam erst garkeins und dann noch dieses hier. Na, besser als keins! Ich kann Dir hier wenigstens noch immer alles schreiben, Du! Jetzt ist nun wieder Ruhe in meiner Burg. Um 3 [Uhr] ist es, nachmittags. Eben bin ich fertig mit aufräumen. Tante Gretchen habe ich vorhin zum 1333 [Uhr] Zug gebracht, die rollt jetzt schon nach Dresden zu! Die Arme, bei dem schlechten Wetter! Wenn sie nur beim Heimkehren ein warmes Stübchen hätte! Na, sie ist es sicher gewöhnt, das Einsamsein. Ja, da will ich Dir nur mal der Reihe nach erzählen, wie ihr Besuch verlief. Gestern nachmittag ½ 3 Uhr war ich nicht vergebens an der Bahn. Die Tante kam an, beladen mit Obst! Auch für uns eine Tasche mit bei. Sie hatte uns viel zu erzählen von Breitenborn. Es wäre eine ganz einfache Hochzeit gewesen. 21 Personen, der Hans, [d]er im Westen Flaksoldat ist, war auch da. Das junge Paar wurde vom Vater getraut und ist am Abend noch weggefahren. Nach Halle, wo Herr S. seine möblierte Wohnung hat, nach einigen Tagen sind sie noch nach der Lüneburger Heide gefahren, seinem Heimatsort [sic]. Nun ist Heidi wieder zuhause und ihr Gatte muß wieder nach Zwickau ins Lazarett vo[r]läufig; er soll wieder nach Osten kommen später.

Hermann sei erst dieser Tage vom Heer entlassen worden und will dann in Dresden Volkswirtschaft studieren.

Heidi hat vom Arbeitsamt bis zum 1. November Bedenkzeit erhalten, dann muß sie sich entscheiden, was sie ergreifen will. Tante hat ihr zur Krankenpflege geraten, sie soll nach Chemnitz in die Frauenklinik gehen. Oder in ein [K]rankenhaus. Sie will es scheinbar auch tun. Man bewilligt Tante Liesel eben nicht 2 Hilfen im Hause, entweder muß die Heidi weg, oder die Haustochter.

Tante Gretchen hat mir heute morgen am Kaffeetisch ihr Herz ausgeschüttet, daß es so liederlich ausgesehn hätte bei G.s. Sie habe erst mal überall Staub gewischt und herausgewischt, damit es wenigstens zur Hochzeit bissel schön aussähe. Tante Liesel hat's ihr verboten, sie hätte keine Scheuertücher, sie könnten nur mit dem Mob den Staub aufnehmen.

Na, ich habe mich eines leisen Schmunzelns nicht erwehren können! Tante Gretel hat erst mal bissel Revue gemacht! Sie kann das nicht begreifen, glaubst? Aber da unten werden sie auch nimmer anders, meint sie, das wäre schon immer so. Onkel Erich habe sie beiseite genommen und sie gebeten, daß sie mal mit im Studierzimmer abstäubt. Da [ha]be sie erst mal Staub kennengelernt, meinte Tante. Na, uns geht das nichts an, wenn sie sich nur wohlfühlen. Ich verstehe nur die Unordnung nicht, wenn 3 Frauen im Hause tätig sind.

Wir kamen dann auf den Krieg zu sprechen, wegen Hermanns Verwundung. Und Tante äußerte den Wunsch, mal eine Wochenschau zu sehen. Sie hat e[rs]t einen Tonfilm gesehn! Und so lud ich sie ein, mitzugehen ins Kino. Es klappte gestern noch fein; so sind wir um 6 [Uhr] abends los. Die Mutter mit, der Vater hatte Nachtwache, schade. Aber der Film war nichts Besonderes: „Krach im Vorderhaus“ mit Rotraud Richter [sic], Grete Weiser [sic] u.v.m.

Die Wochenschau war gut. Viele Bilder von Kiew sahen wir. Tante hatte es sehr gefallen. Der Abend verlief noch [se]hr gemütlich, wir saßen bis Mitternacht beisammen und erzählten: Und Dein liebes Wärmeöfchen leistete uns gute Dienste! Tante war ganz begeistert. Aus ihrem Leben erzählte sie uns.

Daß sie Dich, mein Lieb, auf dem Arm getragen hat in Radeburg! Und auch die Geschichte von der Reise nach Klotzsche mit der verhängnisvollen Rodelpartie [e]rzählte sie uns. Meine Zeit, wenn ich so nachdenke, wie dumm konnte das ausgehen! Es läuft einem noch jetzt das Gruseln über den Rücken, wenn Tante das berichtet! Du!! Daß Du mir nicht wieder so leichtsinnig bist, Herzlieb! Du konntest Dir lebenslang schaden! Und ich? Du!!! Ich hab doch dann kein Schlüsslein mehr! Aber jetzt bist Du ja erwachsen und so vernünftig, da kann ich ohne Sorge sein. Na, heute morgen schliefen wir bis 8 Uhr, dann haben wir gemütlich gefrühstückt. Ich erwartete eigentlich Post von Dir, es kam aber nichts mit. Und dann räumte ich schnell auf, bereitete das Essen vor und ging mit Tante nach Limbach. Sie wollte eine Schürze kaufen und Schlüpfer. Hat sie auch bekommen. Dann versetzten wir noch ihre Kuchenkarte, in Semmeln! Ich hatte im Ofen gebacken, Kartoffelnapfkuchen, er schmeckte gut. Da konnte Tante etwas mit [au]f die Reise nehmen. Vor Mittag kamen plötzlich noch die Buben und Tante Herta an! Sie waren beim Arzt gewesen, weil der Husten so toll wurde. Bronchialkat?harrh? haben sie und müssen gut gehalten werden.

Sie mag nur bald wieder heimfahren, daß die Kerle ihre Ordnung wieder haben. Hier wird das nicht besser. Sie fuhren 1301 [Uhr] mit dem Bus zurück nach Mittelfrohna. Und unsere Mittagsstunde war gleich bissel gestört durch die Kinder. Ich brachte die Tante dann zum Zug. Es hat ihr so bei uns gefallen, daß sie mal wieder kommen möchte. Ich hätte sie ja auch bissel da behalten, aber sie wollte heim, weil die Marken alle sind. Heute fängt die neue Kartenperiode an. Und es war mir eigentlich auch lieb so; denn nun kommt morgen früh der Ofensetzer und [d]a wird's ungemütlich.

Ich soll Dir von Tante die allerbesten Grüße und Wünsche sagen! Und daß Du bald für ganz heimkommen mögest, das wünscht sie Dir so sehr. Gebe es Gott, mein Lieb!

Denke nur! B.s aus Dresden sind versetzt worden nach Soldin, das liegt in der Mark Brandenburg. Er ist schon dort und Käte zieht bald nach mit den Kindern. Nun habt Ihr keinen Unterschlupf mehr, wenn Ihr mal in Dresden Aufenthalt nehmen mü[ßt]! Wie doch in diesen Zeiten alles durcheinander gerät, nichtwahr [sic]? Ich bin nur neugierig, wo wir dereinst uns mal niederlassen werden. Sonst war die Tante sehr rege und rüstig, man muß sie bewundern! Wenn sie nur noch lange so gut beisammen bleibt. Sie möchte ja so gerne noch den Frieden miterleben. Zuhause erwartet sie nun wieder der alte Herr Sanitätsrat, de[n] sie betreuen soll. So kommt sie garnicht auf den Gedanken, daß sie alt und überflüssig wäre! Immer neue Aufgaben hat sie und das alles erhält sie richtig jung. Sie ist doch eine gute Seele!

Mein Herzlieb! Du schreibst mir in Deinem lieben Boten vom Montag, daß das Wetter plötzlich umgeschlagen ist! Kalt ist's geworden, über Nacht. Sturm und Regen haben sich aufgemacht – Du, es ist gerade so, als habe Dein Bote das böse [W]etter mitgebracht; denn seitdem er kam, ist es auch bei uns so stürmisch und kalt. Auch in Breitenborn hat der Sturm zwei Fenster eingedrückt. So toll war es lange nicht. Noch sind Eure Kohlen nicht da, aber Ihr feuert tüchtig Holz. Das beruhigt mich! Fein, daß der Ofen gut zieht, Ihr werdet ihm schon manches paar Grade entlocken. Nun mußte mein Dickerle (ja, so darf ich doch nun sagen mit dem Bäuchlein!) also ausziehen, aus seiner Ecke in eine andere. Daß es Dir nur nicht zu kalt wird so am Fenster! Wenn's recht hereinzieht, dann mußt Du noch eine Decke verlangen, ja?

Und nun sprichst Du auch zu meinem Bitten, zu Eurer Wohnlichkeit beizutragen. Du Lieber, Guter! Ich kann Dich ja so ganz verstehen!

Sie soll immer noch leise durch's Zimmer gehen, die Unrast der Fremde; ganz so traut soll es nicht werden bei Euch, damit die Gedanken nach Hause n[i]cht träge werden. Ach Du! Ich verstehe Dich schon. Du meinst es recht und gut! Du!!! Und ich meinte es auch gut! Herzlieb!

Und Christbäume für Weihnachten sind wahrhaftig auch schon bestellt? O Du! Da bin ich ja beruhigt! Das freut mich! Man vergißt Euch nicht!

Und da zerstreust mir auch gleich die andere Sorge mit, daß es angeblic[h] mir Eurer Ernährung schlecht stünde. Ach Du! Viele Gerüchte sind im Umlauf, ich weiß! Und man soll sich nicht beirren lassen. Ich weiß auch, daß Du mich über Dein Ergehen niemals im Unklaren lassen wirst, aber, ein wenig schrickt man doch, wenn man's hört und macht sich Gedanken! Da sind wir Frauen nun mal so - Und ich will beruhigt sein, Liebster, daß Du mich die Wahrheit über Dein Ergehen nicht über andre finden läßt. Ach Herzlieb! Ich möchte doch heute noch einmal ganz besonders lieb und innig Dein denken! Du! An all den Fäden weiterspinnen, die Du aufgegriffen, in Deinen lieben Boten! Ach Du!!!

Wir beide, wir werden doch nie müde, über unsere Liebe zu schreiben! Du!!! Aber Du! Man findet nicht täglich die Muße dazu. Auch Du weißt um die vielerlei Geschäfte des Tages und seine Ablenkungen aller Art.

Heute wartet nun noch so viel auf mich, daß ich keine Viertelstunde länger zögern sollte anzupacken. Aber zuerst mußte ich mit Dir reden, Du!!! Wenn auch nicht so ganz lieb und innig! Ich muß die Küche ausräumen, zusammen mit Vater, damit es morgen früh gleich losgehn kann. Die Wäsche legen! Oh so viel! Vatern [sic] in den Dienst schicken, einige Gänge besorgen; denn wenn ich morgen die Han[d]werker da habe, kann ich nicht davonlaufen. Mutsch möchte ich so viel wie möglich schonen. Es geht ihr soweit gut. Blaß sieht sie aus. Die Arznei schlägt an, sie fühlt Erleichterung. Ich hoffe, daß es alles gut werden wird. Und gebe Gott, ohne Operation!

Ach ja, da geht einem so vieles durch den Kopf! Du! Wie unglücklich wäre ich, wenn ich mich noch dazu mit Dir mi[ß]verstände, so wie G.'s es tun. Ach, dann sähe es trübe in mir aus. Geliebter!!! Unsre köstliche Liebe, unser Lebensbund, die sind mir Licht, Sonne, Halt, Erfüllung!

Du! Du bist mir alles! Gott sei mit Dir. Ich küsse Dich so lieb! Du!!

In Treue Deine [Hilde].

 

[* = Brief ist auf Karopapier geschrieben, kleine Blattgröße]

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946