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[OBF-411029-002-01]
Briefkorpus

Mittwoch, am 29. Oktober 1941.

Herzensschätzelein! Geliebtes, teures Herz! Mein [Roland]!!

Weißt Du, wie spät es jetzt ist, da ich Dein denke? Gleich um 9 [Uhr] abends! Ja – es wird immer später, daß ich zur Ruhe komme. Ich sitze inmitten eines Häufchens gelber Teigplätzchen, die ich der Reihe nach noch backen muß! Da staunst Du vielleicht? Ich muß doch meinen [Roland] wieder mal Schmätzel schicken! Süße, liebe Schmätzel! Du!!

Und weil auch Hellmuth gerade in nächster Zeit seinen Geburtstag hat, kriegt er auch paar ab! Aber nicht in dem Sinne!, für ihn sind es eben Plätzchen! Vielleicht reicht es auch für Siegfried mit, dem wollte ich ein paar Äpfel schicken, er lamentiert nach Haus, daß es überhaupt kein Obst dort gibt. Er hat schon lange nicht mehr heimgeschrieben, wie ich heute von Kamenz erfahre. Wo wird er nur stecken? Vor Moskau? Oder im Süden? Heute um 1400 [Uhr] kam eine Sondermeldung, daß der Zugang zur Halbinsel Krim durchbrochen ist, die Verfolgung des Feindes ist in vollem Gange. Fürchterlich ist das Ganze im Osten – wenn es doch erst ein Ende nähme!

Herzlieb! Heute kam von den Eltern Nachricht, wegen ihrem Besuch. Die liebe Mutter wird am Freitag Vormittag bei uns sein! Der liebe Vater kann momentan dienstlich nicht weg, er kommt später allein. Das ist eigentlich schade, aber nicht zu ändern. Ja, denke nur, Mutter schreibt auf ihrer Postkarte, daß Hellmuth mit einem Lazarettzug durch Kohlfurt gefahren sei und eine Ruhepause benutzte, um die Eltern anzurufen. Das Ziel war noch unbekannt. Vielleicht kommt er gar herein nach Sachsen!

Mehr weiß ich nun auch noch nicht, Mutter schreibt: alles andre mündlich!

Na, Herzelein! Ich werde schon auch wenn Besuch bei uns ist, Dein denken, und dir getreulich berichten von allen Dingen, Du!!!! Heute kam garnichts von Dir! Und ich hatte mich schon soo darauf gefreut! Ich sehne mich doch ganz sehr nach Dir, Herzelein! Ach, in diesen Tagen ganz besonders! Ich weiß garnicht, wie es kommen mag, daß meine Sehnsucht nach Dir soo groß und verlangend ist. Du? Denkst auch Du voll Sehnsucht mein? Überträgt es sich von Dir zu mir, das große Sehnen? Geliebter!!! Heute früh bin ich erst um 8 Uhr aufgestanden! Es gab Alarm heute Nacht!! Ich war gleich herein, kurz nach 2200 [Uhr], vom Sanitätskurs – als ich in der Ferne Sirenengeheul hörte. Sofort schaute ich zum Fenster hinaus, nach paar Minuten hörte ich sie surren! Ja!! Es waren Engländer da! 4 Stück! Uber [sic] Chemnitz und der Autobahn kurvten sie lange. Ich sah die Leuchtkugeln niedergehen in Richtung Chemnitz! Und die Flak hat geballert wie toll. Über unserm Gelände krepierten die Granaten, so weit weg von der Stadt! Sicher stehen die Geschütze außerhalb von Chemnitz; sonst wäre das nicht möglich. Über 2 Stunden dauerte der Alarm. Im Keller waren wir nicht. Und ich habe heute noch nichts gehört, ob Bomben gefallen sind. Der Rundfunk meldete stärkere Einflüge nach West- und Mitteldeutschland.

Tja! Da ist der Vormittag rasch, zu rasch um, wenn man so spät aufsteht. Pökelbraten mit Sauerkraut und Apfelmus kochte ich heute. Das ist meinem Halse nicht gut bekommen. Ich habe Schmerzen und kann kaum noch laut sprechen – die Verständigung mit Mutter macht mir Mühe. Und weil ich mich heute garnicht fähig fühlte, die Kinderschar zu halten, ging ich zu Frau G., nun sie zu bitten doch wenigstens diesmal mitzukommen (sie ist ja selbst krank, wie sie meint, Herzklappenfehler und große, körperliche Schwäche!). Man sieht ihr’s an, daß sie nicht ganz auf der Höhe ist, aber ganz so schlimm halte ich das nicht, wie sie vorgibt. Sie könne keine 10 Worte reden, dann werde sie so schwach und das Herz arbeitete kaum noch! Aber mit ihrer Schwester, die sie jetzt auf 4 Wochen bei sich hat, kann sie sich ganz gut unterhalten, (ohne Beschwerden). Na – mir soll's gleich sein, ich richte mich danach. Mir scheint, sie will den ganzen Kram so sachte auf mich abschieben. Ich bin einverstanden! Hab ich wenigstens eine Handhabe, wenn man mich belangen will zu anderen Ehrenämtern! Ich machte mir's heute bequem, wenn ich irgend etwas laut vermelden wollte, so ließ ich meinen Helfer, einen 11jähr. H.J. Jungen reden. Im übrigen bastele ich mit den Buben Laternen für's Lazarett, da sind sie beschäftigt. Aber ein wenig angestrengt hat's mich doch, ich fühle, daß es schlimme[r] ist heute abend. Ich habe einen Umschlag drum, trinke Salbei, gurgle, esse Sodener Mineralsalztabletten. Es muß doch besser werden.

Um 1700 [Uhr] war ich fertig in der Schule. Anschließend besorgte ich noch Wege in der Stadt. Auch bekam ich 3 Karten für das Winterkonzert der Bachgesellschaft. Fein! Ilse Sch. geht mit. Mit Vater ist's noch ungewiß. Um 6 Uhr war ich daheim – mein Nachmittag war hin! Ich deckte den Abendbrottisch; danach bereitete ich meinen Mürbeteig, wusch alles mit Mutsch auf und formte Plätzchen, die jetzt, um 10 [Uhr] noch backen. Ich muß immer neue auf's Blech legen und reinschieben in den Ofen. Mutter flickt Hemden für Papa. Der schläft schon feste! Ich soll Dich herzlichst grüßen von ihm! Natürlich auch von der Mutsch vieltausend Grüße! Morgen, vormittags mangele ich 2 - 2 ½ Stunde [sic], dann m[öch]te ich alles sauber machen, daß alles fertig ist, wenn der liebe Besuch kommt. Abends wird gebadet. Ich gehe nicht singen. Und Freitag früh will ich gleich noch die Betten frisch beziehen und wenn ich dazukomme, die Hausordnung scheuern, ehe Mutter eintrifft. Dann habe ich nur noch paar kleine Apfelkuchen zu backen für den Sonntag, vielleicht hilft mir da Mutter mit. Eine Hausfrau hat doch dauernd Beschäftigung, das siehst Du nun wieder mal, wenn ich Dir meinen Tageslau[f] erzähle. Man sage mir keiner [sic]: „du faulenzt daheim!“ Dem will ich's beweisen!! Kaum, daß ich mich zu meinem liebsten Stündchen mit Dir allein frei machen kann. Wenn alles zuhaus ganz tipp topp sein sollte, na – dann könnte ich Dir nicht mehr täglich schreiben!

Aber das lasse ich mir nicht nehmen!!! Und wenn ich im Schmutz ersticke – ich schreibe Dir – alle Tage! Und wenn's mal ganz sehr brennt, schreib ich nachts – ist mir auch egal! Jedenfalls: geschrieben wird! Du!!! Herzelein! Nun soll's für heute genug sein, ja? Lieber! Guter!! Ich habe Dich soo sehr lieb! So ganz sehr lieb! Oh Geliebter!

Gott behüte Dich mir! Ich bleibe allezeit Deine [Hilde]. Dein!!!

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Autor Hilde Nordhoff
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946