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Briefkorpus

83.

Mittwoch, am 6. Mai 1942

Herzensschätzelein! Mein geliebter, liebster [Roland]!

Ach Herzelein! Ich konnte es doch heute kaum erwarten bis wieder die Stunde da war, da ich Dein denken kann. Geliebter! Es ist spät abends, wo ich hier bei Dir sitze und mit Dir rede. Aber nachts mögen wir doch gerade am liebsten miteinander recht lieb und heimlich plaudern gelt? Ja denke nur: seit langer Zeit bellt wieder einmal die Flak rund um den Kreis Chemnitz! Schaurig! Schuß auf Schuß jagt in den dunkelblauen samtenen Nachthimmel. Man hört richtig, wie sich das Geschoß Bahn bricht durch die Luftschichten – ein fauchender, heulender Ton – dann explodiert der Feuerwerkskörper, und nach geraumer Weile erst hört man die Schallwirkung. Bis in die Leipziger Gegend zieht sich das Schießmanöver hin. Aber von Alarm keine Spur. Ob man nur mal wieder die Geschütze in Tätigkeit setzen will? Und sie prüfen auf ihre Leistungskraft? Vielleicht. Ich sah eine ganze Weile zum Fenster hinaus; allerorts hörte ich Stimmen, die sich in Vermutungen ergingen über das Treiben.

Ach Du! Ich bin nun wieder zu Dir gekommen, solang keine Gefahr besteht, begebe ich mich nicht in den Schutzraum. Der gestrige Wehrmachtsbericht meldete, daß britische Störangriffe auf west- und mitteldeutsche Landgemeinden und kleine Städte durchgeführt worden seien, unter anderem sei Stuttgart ernst angegriffen worden. Wir müssen am Ende auch wieder mal mit Alarm rechnen.

Na, Bange habe ich nicht. Und wenn schon etwas passiert, ich bin wenigstens kein Laie mehr in der Hilfsbereitschaft. Mußt Dich nicht um uns sorgen, Herzelein! Ehe die Thommy’s [sic] nach Oberfrohna kommen, muß es schon verdammt ernst stehen mit der Widerstandskraft unsrer Verteidigung an der Westküste.

Herzlieb! Ich will Dir nun rasch von meinem Tag erzählen, ehe ich wieder mich Deinen lieben Boten zuwende.

Am Morgen hatte ich zu tun mit der Wirtschaft und bin auch einige Wege gegangen. Post traf nicht ein von Dir. Aber ein Päckel Kontenauszüge von Schandau über Schmilka geleitet! Am Ende sind auf der Schandauer Girokasse auch eine Anzahl Männer eingezogen worden und die Neulinge wissen nichts von meiner Anordnung, Deine Auszüge nach Oberfrohna zu übersenden. Werde mich mal wieder in Erinnerung bringen müssen. Im Falle, der Schmilker Postmann vergißt meine Anschrift, dann geht uns womöglich mal was verloren. Es stimmt alles genau meines Erachtens.

Die immer wiederkehrende Summe ist 259,40 RM und die Gutschrift auf Dein Konto lautet 1370,76! Du! Ich lege Dir mal das Überweisungsformular bei, damit Du Dich mal mit den angeführten Zahlen auseinandersetzt! Schicke es bitte zurück, damit ich alle Akten beisammen behalte. Der letzte Bestand Deines Konto's [sic] vom 1. Mai lautet über: 3069,88 RM. Du bist sooo reich! Sakra! Da muß sich Dein Weibel hier verstecken! Aber Du, Herzelein! Gelt? Freust Dich nicht auch, wenn wir jetzt so schön sparen können? Wie mancher Wunsch geht uns dann noch in Erfüllung, wenn wir dann erst unser Nestchen bauen! Zuerst bekommt mein Mannerli ein schönes Herrenzimmer, wo alles seinen Platz hat, was Du zur Arbeit benötigst. Ganz fein Ordnung soll in Deinen Sachen herrschen, Du!

Ach – dann will ich Dich doch erst schön eingekleidet wissen, ehe das Zivilleben wieder beginnt. Bisher hat immer nur das Frauchen stillhalten müssen, dann aber erst mal das gute Mannerli!

Ach Du! jetzt wissen wir noch garnicht [sic], was uns eigentlich noch fehlt in unsre Wohnung. Was ich alles habe, das weiß ich kaum noch auswendig. Und ehe wir an neue Anschaffungen gehen, müssen wir ja erst mindestens mal die Wohnung sehen, darin wir dann hausen! Und das will ich alles mit Dir gemeinsam beraten, Du! Die Hauptsache ist mir ja, daß Du, mein Herzelein mir gesund wiederkehrst, alles andere findet sich! Wenn Du nur erst wieder bei mir bist, dann ist ja alles, alles gut! Geliebter!!! Gott stehe uns bei! Ach Herzelein! Da habe ich heute früh ein köstliches Erlebnis gehabt – ich denke wieder daran, weil ich vom Nestbauen sprach –– ich sah einen Sperling fliegen an unsrem Fenster an der kleinen Küche vorbei, denn links im Dachgiebel nisten sie. Er hatte eine große, weiße Feder im Schnabel und er sah aus wie ein biederer Großpapa mit einem Schnurrbart! Ulkig!! Plötzlich sah er mich, erschrak – verlor die Balance und drehte ab mit seiner Feder. Einmal schnappte er noch danach, aber vergebens, sie fiel zu Boden. Der schwang sich ‚Schilp‘ auf den Nußbaum und schimpfte zu mir herüber und wetzte seinen Schnabel, es mußte nur so sein! Ich antwortete ihm auf sein Gezeder, umso toller wurde es. Siehst Du? ohne daß ich gewollt, habe ich ihn beim Nestbau gestört. Der arme kleine Kerl! Na, hoffentlich findet er mal wieder eine Feder, damit er seinem Weibel ein schönes Bettlein zum Brüten bauen kann.

Überall auf Erden, bei Mensch wie Tier lebt doch der Drang, sich ein kleines eignes Reich zu gründen, so unabhängig zu sein von den Unbillen [sic] der kalten herzlosen Welt; geschützt zu sein vor Gefahr und Wetter. Und als Feind wird derjenige betrachtet, der dieses Wollen vereitelt, unterbindet. So ist es auch bei Dir und mir, Herzelein! Wer ist unser Feind, der sich unsrem Wollen entgegenstellt? Der böse Krieg.

Alle Menschheit leidet darunter, auch alle Kreatur; man denke nur einmal an alle Kreatur in den Gebieten, wo der Krieg darüber brauste. Ach, viele Beispiele könnte man da anführen. Wir wünschen nichts sehnlicher, als daß bald, bald alles ein gutes Ende nimmt.

Herzelein! Du! Am Dienstagabend waren Mutsch und ich im Kino. Ein schöner Film! Sieh ihn Dir an, wenn's Dir möglich ist. „Zwischen Himmel und Erde“

Von einem Dombaumeister und seinen zwei Söhnen handelt er, ich lege Dir am besten gleich mal die Kritik aus der Tageszeitung bei, daraus erkennst Du am besten den Inhalt. Dieser Film hat mich sehr beeindruckt. Ich war befriedigt von dem Stück. Ich habe so oft Dein denken müssen, Herzelein! Mußt es wohl gespürt haben, Du!!!

Und heute Nachmittag Kinderschar. Morgens ließ sich das Wetter gut an; gegen Mittag trübte es ein. Ich mußte eine Beschäftigung finden für die Buben, die uns im Raum beisammen hielt. So lief ich rasch zum Buchbinder nach Papier, daß ich mit ihnen kleine Kästchen falten konnte, die wir obenauf noch bunt beklebten zur Zierde, mit allerlei ausgestanzten Figuren (an der Rückseite gummiert); es klappte, ich hatte mein Material beisammen. Der Erfolg war recht nett. Sie hatten Freude daran und berieten aufgeregt, wo sie das fertige Kästchen nun derweil verstecken wollten, bis zum Muttertag. Einer sagte: „Frau [Nordhoff] Du! Wir haben Tauben, da fülle ich meiner Mutti das Kästchen mit Taubeneiern!“ Einer wollte 3 Mark aus der Sparbüchse hineinlegen. Noch etwas haben wir vor. Sie sollen sich Frühlingsblumen b pressen, die wir dann auf einer Postkarte befestigen wollen. Schenken wir auch der Mutter. Dann lerne [sic] ich ihnen noch paar hübsche Verslein die sie ansagen dabei. – Von der Politik? Weniges! Nur eben aus dem Zeitgeschehen. Gegen 12 Uhr kam eine Sondermeldung durch: Corregidor, die phillippinische Inselfestung ist gefallen. Ich verlor paar Worte darüber und zeigte ihnen das auf der Landkarte.

Als ich heimkam, war die Mutsch schon zuhaus. Sie sah blaß aus und wollte ein wenig an die Luft. Nachdem wir Vater zum Dienst fertig machten, sind wir auch ein Stück gegangen. Der Abend war wieder ganz herrlich heute. Die ersten warmen Luftströmungen spürte man so angenehm. Nach Kaufungen zu ergingen wir uns. Gegen 10 Uhr kehrten wir heim. Es tut auch mir gut so eine abendliche Entspannung, vor allem nach dem Tumult unter den Kindern. Ach Herzelein! Ich bin ja sooo glücklich, Du! Weil Du in meinem Herzen ruhst! Ganz tief darin geborgen! Oh, ich liebe Dich!!! Geliebter! Es ist so ein so unendliches Glücksgefühl, Dich so ganz nahe bei mir zu fühlen! Bei aller Ferne bist Du mir ganz nah! Geliebter! Eng verbunden und innig verschlungen sind unsere Herzen. Du!!! Ich kann Dich doch keinen Augenblick von mir lassen! Bist ein Stück von mir! Bist mein Leben, mein Herzschlag! Geliebter!!! Oh fühlst Du meine Glückseligkeit? Du!!! Ganz still und unendlich glücklich bin ich jetzt. Ich will mich zur Ruhe legen, Herzelein! Ich will so lieb hinüberträumen in den Schlaf. Du! Morgen komme ich schon wieder zu Dir. Du!!! Wie kannst Du mich sooo beglücken! Geliebter! Behüte Dich Gott! Du!!!!!!!!!!!!! Ich liebe Dich über alles! Du!! Ewig Deine glückliche [Hilde]

Dein!!!

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946