Dienstag, den 3. Nov. 1942
Geliebtes, teures Herz! Meine liebe, liebste [Hilde]!
Daheim bin ich wieder – sitze allein im Stübchen – der Kamerad ging aus – die Tischlampe beleuchtet mein Schreibzeug im dunklen Stübchen – ach Herzelein! Und nun schwinden Zeit und Raum, versinkt die Umwelt – und ich bin bei Dir – nahe, sehr nahe, Geliebte!
Als ich mich vorhin durch das Dunkel tappte, mußte ich daran denken, wie wir beide die ersten Male so allein durchs Dunkel tappten – der Herr mit dem Fräulein [Hilde] – ach Du! 'Sie' sagten wir zueinander noch! – denkst Du noch daran? Mit dem Fährboot hinüber zur Stadt Schandau, in tiefer Nacht – und dann eine gute Stunde Weges noch in schwarze, dunkle Nacht – ach Du! Herzelein! Herzelein! Tausendmal sicherer und heimischer ging ich da mit Dir als jetzt die kurze Strecke durch die dunkle Stadt. Du! Wußtest doch gar nicht, wohin ich Dich führte – hast Dich mir so blindgläubig anvertraut – Du!!! – Ach, Geliebte! Geliebte!!! So tiefglücklich ich solches Vertrauen fühlte, so groß die Verantwortung, dieses Mädchen, dieses befreundete, verehrte Menschenkind, zu führen – so hoch, so laut schlug doch auch mein Herz – ach Du!, im Vorgefühl der Stunde, da Du einmal ganz mir gehörtest! Da ich Dich an mein Herz drücken könnte, da wir ganz eins sein würden. Oh Geliebte! Kurze, seltene, aber glückliche Stunden! Langes Warten und Gedulden – aber glückliche Erfüllung. Und immer schon war doch das Gespenst des Krieges, wir wissen es heute, des Weltenbrandes, um uns. Ach Herzelein – wenn wir hätten in die Zukunft schauen können damals, hätten wissen können was wir heute wissen – ich glaube, wir wären geflohen miteinander, um unsre Liebe zu retten, um der Trennung zu entgehen. Und wären vielleicht in unser Verderben gegangen. Oh, gnädig ist das Schicksal, daß es die Zukunft verhüllt – gnädig ist es, daß es uns den Glauben und die Hoffnung läßt.
Nach dem Sternenhimmel mußt ich vorhin schauen. Nach Westen, heimwärts zeigt der große Himmelswagen.
Ach Du! Auf der Fahrt nach hier, in der Nacht, da ich mich vom Kameraden H. trennen mußte, als die Ungewißheit mich quälte, da wünschte ich mir ein Zeichen – nach dem Himmel schaute ich – und der Himmelswag[e]n stand im Norden und stieß mit der Deichsel richtig in den Boden – oh Du! nicht nach Osten! –
Herzelein! Ich bin doch so froh heim gekehrt. Habe zwei liebe Boten mitgebracht – Herzelein! Geliebte!!! Wollte Dich doch schon mahnen, daß Du mir etwas vom Film erzählst, den Du gesehen hast. Ich habe ihn zwei Tage früher gesehen. Heute nun – etwas verspätet – wird mir Kunde davon.
Ich wußte doch, daß der Film auch Dich tief beeindrucken würde. Erschütternd, voll Tragik, voll Menschlichkeit mit ihrem Hangen [sic] zwischen Himmel und Erde, zwischen Göttlichem und Menschlichem, ist dieses Künstlerschicksal – ein wahres Künstlerschicksal. Ach Herzelein – sie schreit doch nach Erlösung, nach dem Erlöser, diese Menschlichkeit! Wie schwer wird es dem Guten gemacht – blind sind die Menschen vor aller Gnade und Göttlichkeit, die unter ihnen lebt – damals wie heute – “Jerusalem, Jerusalem! Die Du tötest die Propheten und die zu Dir gesandt sind!” – oh, damals wie heute, eine sündige, erbarmungswürdige Menschheit! Aber nicht nur die Menschen mit ihrem Neid, ihrer Bosheit und Niedertracht, sondern auch das Schicksal selber formt diesen Künstler, führt ihn zu seiner Berufung, einen dornenvollen Pfad. Oh, Menschenleben, wo es köstlich ist, da ist es auch voll Mühe und Ringen gewesen! Die liebsten, köstlichsten Erdengeschenke und Glücksgüter werden Rembrandt entrissen – es reißt ihm am Herzen, dem empfindsamen, lebensdurstigenm, glückshungrigen Künstler – die Geliebte entrissen! – ein Schatten, ein tiefer Schatten fällt damit in sein ganzes Leben – der sich Stück um Stück vertieft, bis vom Erdenglück gar nichts mehr bleibt, bis nur noch das Licht inneren Reichtums leuchtet aus einem vereinsamten, armen Menschenleben – wie auf seinen Bildern selber etwas Inneres glüht aus umgebendem Dunkel.
Ach Geliebte! Irgendwie, irgendwohin flüchten möchte man, wenn manch solches erlebt – zu Ewigem, zu Bleibendem, zu Beständigem, zu einem Frieden – ach Herzallerliebste! zu Dir! Die Du dieses Leben mit mir gehen und bestehen willst – ach Geliebte, zu unsrer Liebe, zu unserem Glück, in dem soviel Gutes, Himmlisches leuchtet, in dem wir einander weisen, in dem wir einander Treue schwören und Zuflucht sein wollen, wenn auch die ganze Welt ringsher treulos würde und haltlos — und mit Dir zu Gott, zum Lichte göttlicher Gnade, zum Troste göttlicher Liebe, zum Frieden göttlicher Verheißung, zur Gewißheit göttlichen Waltens! Es lebt ein Gott! Die Menschen mögen es mit Füßen treten und leugnen – das Gute lebt! Das Licht siegt!
Ach Du! Meine [Hilde]! mein liebes Weib! Etwas von diesem Lichte in dieses Erdenleben bannen, etwas nur von diesem Guten hinein flechten – sich darnach strecken, ach, nur darnach trachten und hungern – Du und ich, wir könnten und wollten nicht mehr leben ohne dies — unsre Liebe soll das Werk unsres Lebens sein – mit unsrer Liebe ist uns so viel Licht, soviel Gutes aufgegangen, alles Gute hat sie in uns aufgerufen – Kraftquell und Ansporn ist sie uns.
Gott im Himmel bleibe bei uns mit seinem Segen!
Schätzelein! Hast auch zum Waschfest noch mein gedacht – Du!
Ach Herzelein! Wie sind sie mir alle teuer und wert, die Zeichen Deiner Liebe! Wieviel Glück bringen sie mir! Und nun ist auch der große Druck gewichen, daß ich all die Liebe erst wieder recht froh und frei und tief empfinde – ach, daß ich wieder ganz glücklich sein kann! Daß Du es auch bist – ach Du! – und durch mich – oh Du! Du!!! Du!!!!! Nun soll es für heute genug sein. Ich will gleich noch ein paar Namenläppchen in meinen Schlafzug, Schlafanzug, einnähen, morgen ist Wäscheabgabe. Es ist noch gar nicht so spät heute – und bei Dir ist’s noch ein Stündchen früher – Ihr habt ja nun wieder die richtige Zeit – und wir haben auch die richtige. B. liegt etwa auf dem 26. Längengrad und damit der Petersburger Normalzeit viel näher als der Görlitzer. Gestern schrieb mir die Kamenzer Mutter einen Brief. „Bleib gesund und gönne Dir Ruhe, so oft es sich bietet; denn viele Menschen arbeiten über ihre Kräfte und merken es selbst nicht.” Diese Mahnung gebe ich weiter. Vor allem nicht der Hast verfallen!
Herzelein! Leb wohl für heute! Gott behüte Dich! Er sei mit Dir auf allen Wegen! Ich habe Dich so lieb, sooo lieb! Ich halte Dich sooo fest!
Ach Du! Du!!! Und ich bin doch so festgehalten, von Deiner Liebe gebannt, bezaubert – oh Herzelein, von Deiner reichen, tiefen Liebe! Ich bin so glücklich mit Dir – ganz glücklich!
Ich küsse Dich vieltausendlieb und bleibe ewig
Dein [Roland]!
Viel liebe Grüße an die Eltern!
Roland Nordhoff
Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946
Rosemarie Köhler
Roland schreibt im Stübchen bei einer Lampe und sinniert darüber, dass immer noch Krieg ist, und beobachtet die Sterne und den Himmelswagen. Beide haben den selben Film gesehen über das Leben des Malers Rembrandt. Er ist sehr erschütternd diesen Film über das Schicksal des Malers. Roland wiederholt und beschwört ihre gegenseitige Liebe und Treue und Versprechungen. Aber nun muss er noch Namenläppchen in seine Wäsche nähen, weil morgen Wäscheabgabe ist.