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[OBF-421103-002-01]
Briefkorpus

17.)

Dienstag, am 3. November 1942.

Herzensschätzelein! Geliebtes, teures Herz! Mein liebster [Roland]!

Es regnet heute. Ziemlich kalt ists draußen und es hat den Anschein, als ob es bald mal Schnee gibt. Voriges Jahr um diese Zeit war schon alles in Weiß gehüllt. Ich war heute auf dem Wochenmarkt. Tante K. hatte 2 Kürbisse und 5 ℔ Selleri [sic] zur Großmutter [Laube] hineingeschafft, damit ich mich nicht zu buckeln brauche damit. Sonst hatten sie weiter nichts zu verkaufen und sie kommen nun nicht mehr heuer. Ihr Sohn liegt an Blinddarmentzündung in einem Frontlazarett, er ist operiert, liegt aber sehr schwer. Nun eine ganze Weile schon, sie sind so in Sorge um ihn. Sie haben ja schon einen Sohn an dieser Art Krankheit eingebüßt.

Als ich heimkam, Herzelein, war doch schon großes Gedränge im Briefkasten! Mein Mannerli, die lieben Kamenzer, ein Dienstbefehl vom Roten Kreuz - Bahnhofsdienst am 23. November von 1500 [Uhr] – 2300 [Uhr]! Und ein Brieflein vom Siegfried. Mein Mannerli hat sich doch verschrieben am Kopf des Briefes, schreibt Montag, den 29. Oktober, und es ist doch der Donnerstag gemeint! Du! Wirst doch nicht rückwärts wollen! Ich bin doch froh, daß die Tage recht schnell vergehen, und daß wir unserm Wiedersehen täglich näher kommen, Du! Denk nur immer fleißig mit mir daran, mein Schätzelein! Ach, das bist schon, gewiß! Gute und böse Nachrichten enthalten diese eingegangenen Briefe. Die allermeiste Freude bringt mir immer nur ein Brief, der Deine! Da schreibt nun Mutter, daß unsre Elfriede seit 14 Tagen im Löbauer Krankenhaus liegt an Venenentzündung. Die Arme, muß nun auch das schmerzhafte Leiden wie ihre Schwestern durchmachen. Ich habe es geahnt, das liegt bei H.s in der Familie. Die Mädels sind alle keine Helden. Sind zu empfindlich gesundheitlich. Ach wenn sie es nur gut übersteht. Das sind gar ernste Sorgen für die, die ihr nahe stehen und doch so garnicht helfen können. Wie mag der liebe Hellmuth sich sorgen. Und Deine Mutter muß nun wieder die Reiserei aufnehmen, nach Lichtenhain ins Krankenhaus. Gott gebe, daß alles gut geht. Es wäre ja nicht auszudenken, wenn Elfriede die Geburt des Kindleins nicht übersteht.

Solltest Du ihr noch nicht geschrieben haben, so teile ich Dir hier ihre Anschrift [*] mit, im Krankenhaus. Stadtkrankenhaus Löbau. Frauen-Abt. 16. Dann schreibt die Mutter noch etwas Ulkiges. Schon im vorhergehenden Brief schrieb sie, wie wir dazu dächten, sie will sich einen waschechten Wurzelwerkindianer eintun aus der Nachbarschaft. Ob wir auch einen wollen. Nachdem wir nun nicht daraufkommen konnten, was sie meint damit, erklärt sie uns nun heute: "in unsrer Nähe gibts Inder, die viel Freiheit genießen als unsre Freunde und da sollen auch Nachkommen kommen von deutschen Frauen, und da dachte ich, wir könnten uns auch so eines kleinen Erdenbürgers annehmen!" Mutter fragt, wie wir darüber denken. So ein Schelm! Jetzt wissen wir noch garnicht, ob wir nicht solche Aufgabe zu lösen haben in der eigenen Familie, gelt? Und so einen waschechten Schwarzen nähme ich schon garnicht an! Nein! Dafür brächte ich keine Liebe auf glaub ich. Sonst sind die Eltern noch wohlauf. Mutter hat den Brief am Sonntagnachmittag geschrieben. Vater besuchte derweil in der Kirche ein Orgelkonzert. Ich weiß nicht, bei uns kommt nicht mal was Besondres zustande an hohen Festen in der Kirche. Es war auch in Limbach nur Frühgottesdienst. Auch Du schreibst davon, daß Du den Gottesdienst besuchen willst, ich bin neugierig, wie es Dir gefallen hat.

Schätzelein, der Siegfried fragt nach Deiner Nummer, ob es denn Zweck hat, daß ich ihm diese schreibe, oder warte ich noch ab, ob Du eine neue nochmal bekommst? Na, ich schreibe ihm diese. Er möchte Dir auch gern wieder mal schreiben. Es herbstet auch in Frankreich. Er friert so an die [sic] Füße klagt er, und meint dann, ob es gar schon ein Zeichen dafür sei, daß er langsam alt würde und kalt. Ja, da stellen sich wohl bei allen Rußlandkämpfern derlei Übel ein, es ist mit der Gesundheit eben zu sehr gewüstest worden immer. Den armen Soldaten fehlt [*] es allen mal an einer liebevollen Pflege in einer bequemen Häuslichkeit. Wechselbäder müßte der Kleine mal machen können und die Füße pudern und oft frische Strümpfe anziehen. Aber beim Kommiß! Und er schreibt auch so, als müßten wir annehmen, daß er eine Woche im Revier gelegen hat. Er bekennt jedoch nicht recht Farbe. Tonni, sein Freund hat auch an Gelbsucht krank gelegen, nun teilt er wieder mit ihm das Bett und alles andre mit, sie verstünden sich ausgezeichnet. Das freut einen zu hören, gelt? Diese Freundschaft besteht nun schon Jahre. Für den "kleinen [Nordhoff]" sucht er nach Wolle, vergebens. Er will bald heimkommen in Urlaub. Die Mutter schreibt auch, daß er nur das "Freßpäckel" mitbringen möchte, sonst sähe es windig aus mit dem Stollenbacken! Ach, es wird schon Rat, wenn so ein lieber Urlauber kommt, gelt, Herzelein? Hast es ja auch miterlebt vor nicht langer Zeit. Und so wie es bei uns beiden ist: wir brauchen ja garnicht viel zu essen, wenn wir nur einander haben! Oder ist’s nicht so? Ach Du! Nun kann es geschehen, daß des Kleinen Urlaub in die Zeit fällt, da er die "Ursache" seiner Beförderung zum Patenonkel kennenlernt. Ach jetzt, da Friedel so krank ist, mag man garnicht scherzen über das bevorstehende, glückliche Ereignis. Wenn nur alles gut geht!

Da ist nun Dein lieber Mittwochbote, Schätzeli, Du hast an dem Tag nichts von mir erhalten, weil wir in B. waren. Und Du bist nicht traurig darum, weißt es ja gelt? daß wir hamstern waren! Sehnen muß sich mein Herzelein so, weil draußen die Abendsonne durchs Laub glüht und Du denkst daran, wie schön er wäre, könnten wir so Hand in Hand gehen. Ach ja, Du verlierst ganz die Verbindung mit dem Naturgeschehen, so wie Sonn- und Wochentag verwischen sich auch die Jahreszeiten. Aber Liebes! Wenn Du Dich nur ein wenig besser noch eingearbeitet hast, dann wirst Du Zeit finden und Dir eine Möglichkeit schaffen, täglich Deinen Gang zu machen, zumal jener schöne Park so nahe ist. Nun lese ich doch mit Interesse, welchen Posten mein Mannerli bekleidet jetzt. Bist also beinahe ein Regulator! Du! Spaßvogel!! Das stelle ich mir garnicht so einfach vor anfangs, das Ganze. Und ein gut Teil Verantwortung liegt auf Dir. Ohne Intelligenz schafft solchen Posten einer nur schwer! Mag sein, daß Dir diese Arbeit später recht stur vorkommt, weil Du eben einen ganz anderen Wirkungskreis gewohnt bist. Aber dafür leben wir im Kriege. Und trotz Für und Wider: ich bin so froh und dankbar, daß ich Dich an diesem Arbeitsplatz weiß, anstatt irgendwo im unendlichen Rußland. Und Du wirst Dich bei diesem Gedanken auch stets wieder zufrieden geben und gedulden, daß es Millionen viel schwerer haben sich mit dem ihm zugedachten Los abzufinden. Ach Liebster: ein jedes Ding hat zwei Seiten, eine gute und eine schlechte. Der meistert sein Geschick, der die gute Seite immer abzugewinnen vermag. Geliebter! Ich habe schon manch liebes Mal daran gedacht, wie ich Dir ein wenig nur von Deinem lieben, altgewohnten Lebensrhythmus hinzuzaubern vermöchte in die Fremde. Ich weiß, daß Bücher gute Freunde sind. Aber man muß immer auch die Umstände berücksichtigen, unter denen Du lebst. Bisher gab es nur wenig Muße, daß Du Dich irgendeiner Lieblingsbeschäftigung aus Deinem Zivilleben hättest zuwenden können. Nun ist das besser geworden. Du stehst ein wenig freier nun im jetzigen Rang. Und dann kommt der Winter, der nicht so oft zum Wandern lockt. Ach Du! Weißt Du? daß ich Dir recht dankbar bin, daß Du mir all Deine Gedanken dazu sagst? Es ist sonderbar, wie sich unsre inneren Regungen kreuzen, Herzlieb. In den Tagen vom Dienstag bis zum Donnerstag vergangener Woche dachte ich an all das. Mußte richtig hartnäckig daran denken. Und an zwei Abenden; als ich so in meinem Bettlein lag und sann und nicht schlafen konnte, griff ich zum Neuen Testament und las darin. Herzlieb, das tat mir so wohl, und machte mich still. Machte mich ruhig, ja – ich könnte sagen, machte mich satt. Versteh den Ausdruck recht: manchmal hungert einen nach etwas; man kann dieses Etwas nicht beschreiben, man fühlt es nur. Und nirgends wird dieser Hunger gestillt, als im Nahesein bei Gott. Ich habe dieses Verlangen noch nie so stark empfunden wie jetzt manchmal. Die Zeit bringt es mit sich. Wir spüren das Grundlose, es ist als nähme man uns den Boden unter den Füßen fort, manchmal. Und darum suchen wir Halt bei Gott. Bei ihm ist Wahrheit und Geborgenheit. Herzelein! Ich will Dir das Neue Testament schicken demnächst. O nein, mich verwundert Deine Bitte garnicht.

Und auch an Deine anderen Wünsche will ich beizeiten denken. Ach, ich verstehe Dein Verlangen nur zu gut.

Und es wäre ja engherzig und engstirnig von mir gedacht, wenn ich Angst bekäme und Dich falsch verstünde, ob Deiner Wünsche. Im Gegenteil Geliebter! Und ich bin so froh, daß Du mir in mein Grübeln hinein einen Fingerzeig gegeben hast!

Ach Du! Alles was Du mir sagst zu dem, was Deine Erkenntnis ist bei den Soldaten, im Hinblick auf das innere Leben, das so ganz fast verkümmern will, wenn man sich nicht aufrafft zu einem Besseren, ich verstehe es so gut. Ich verstehe Dich ganz und verstehe Dich recht.

Und ich bin froh, daß Du auch mit diesen Fragen zu mir kommst, die Dich beschäftigen. Ach, ich weiß, Geliebter, was Du mir schreibst soll keine Klage sein. Es ist nur Deine Beobachtung und ist eine Erkenntnis. Und Du sagst ganz wahr: dies ist eine Erkenntnis, die mit der längeren Dauer des Krieges sich mehr und mehr als eine Not vordrängt. Ach, ich, die Deinen Tag kannte, Dein Leben Deine Arbeit, ich verstehe all das. Du mußt Dich ihrer irgendwie erwehren.

Herzlieb! Darum auch wäre ich recht froh, wenn Du einen guten, gleichgesinnten Kameraden fändest.

Weißt Liebes? Schreibe doch Deinem lieben alten Freund, dem Herrn K. wieder. Ein wertvoller Briefwechsel zwischen zwei Männern ist gleich einer guten Freundschaft. Tu das nur! Viel Zeit wird Dir nicht bleiben, um all Deine Wünsche und Pläne zu verwirklichen, aber wenn man sich nichts vornimmt, dann kommt man auch nicht vorwärts. Und das wollen wir doch! In allen Dingen vorwärts kommen! Du!! Dazu helfe uns Gott! Geliebter! Wir wollen nicht müde werden im Hoffen, im Gottvertrauen und im Gehorsam gegen Gottes Willen. Oh Herzelein! Überwinden müssen wir alle Ungeduld, müssen lernen stillehalten. Aber ob auch einmal schwache Stunden uns kommen - unausweichlich, unverrückbar bleibt uns die Liebe wie die liebe Sonne selber, auch hinter der dicksten Wolke. Ach, wir wollen nicht ergründen, wer von uns beiden das Geduldigere ist, Du! Es trägt eines so viel wie das andre.

Mit Dir leben! Mit Dir leben!!! Wie ruft das Herz nun schon so lange. So lange. Immer wieder müssen wir's beschwichtigen: Geduld, Geduld! Du sagst ganz recht Liebster, und in manchen Stunden werden wir über dem heißen Wollen solchen Drängens unzufrieden und undankbar vergessen, wie uns ein glückhaftes Nahesein doch vergönnt ist vor abertausend anderen, wie gerade die Trennung uns ganz, ganz nahe gebracht hat. Wie doch eben auch diese Zeit bei Gott beschlossen liegt und damit zu unserm Besten ist und einen Sinn hat. Ach, das zu erkennen und anzuerkennen fällt nicht immer leicht. Du! Laß uns darin wie in allen Dingen zusammenstehn, daß wir einander bestärken in der rechten gläubigen Geduld, daß wir Gott um Kraft bitten zu treuem Ausharren. O Gott im Himmel, bleibe uns gnädig! Segne unsere Liebe! Er behüte Dich!

Du mein Ein und Alles! Ich bleibe ewig Deine [Hilde], Dein!!!!!!!!!!!!!

 

[* kleines Kreuz am Rand der Zeile]

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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946