21.)
Sonntag, am 8. November 1942.
Herzensschätzelein! Mein geliebtes, teures Herz! Mein [Roland]! Du!
Die Sonntagsnachmittagstille umfängt mich, es ist 3 Uhr vorbei und ich komme nun zuerst zu Dir, mein liebstes Herz. Mutsch näht auf der Maschine, sie bessert Wäsche aus und Vater schläft auf dem Sofa. Sagte ich Dir schon, daß ich umgeräumt habe? Das Sofa steht jetzt unter dem linken Fenster und reicht gerade bis ans rechte so heran, daß man es noch bequem öffnen kann. Der Tisch steht vorm Sofa und auf der früheren Sofaseite steht ein Stuhl, das Fußbänkel in Ofennähe. Weißt, nun können wir fein heran an den Ofen und es geht garnicht [sic] mehr so eng zu. Wirst denken: die zuhaus haben doch immer etwas zu räumen, einmal ein Bettlein umstellen, mal das Sofa u.s.w., sie suchen wohl immer einen Grund, daß ich bald mal wieder heimkommen soll, um mir die Neuigkeit anzuschaun! Ja, so ist es doch, Du!! Ach Schätzelein, liebes! Es ist um diese Stunde schon so finster draußen, als wäre es schon um 500. Überhaupt ist der Himmel so tief mit Wolken verhangen heute, daß ich meine, überall in der Welt muß es heute so trübe sein, so regnerisch. regnet heute nur einmal! Wie mag das Wetter bei Dir sein Schätzelein? Was magst zu anstellen heute? Könnte ich doch nur mal einen Blick hin zu Dir werfen, Du! Ach, daß Du ein nettes Stübel hast, das freut mich ja recht sehr, und Ihr beiden werdet Euch schon auch ein wenig Sonntagsstimmung einfangen, denke ich, sofern kein U.v.D.-Dienst an der Reihe ist. Könnt Ihr Euch etwas Gutes zum Nachmittagskaffee kaufen? Bäckt man in B. guten Kuchen? Und das Radio ist da und ein Feuerchen brennt im Ofen, ein Schläfchen wird gemacht und dann greift mein Herzlieb zur Feder. Kommt heim zu mir und schaut in meinen Sonntag, so denke ich. Bald will ich Dir auch Deinen Wunsch erfüllen und Dir die gewünschte Lektüre schicken. Herr T. hat mir jedoch versichert, daß er die beiden Sachen, Kant, sowie Mosers Musiklexikon nicht besorgen kann. Er weiß genau Bescheid, was Du wünschst von Moser, die letzte Ausgabe hat Herr G. bekommen (der Fabrikant, in dessen Luftschutzraum ich Schar halte!)
Und Kants' Werke, weder neu noch gebraucht, sei völlig aussichtslos. Schade. Ich will in Chemnitz nochmal fragen bei nächster Gelegenheit.
Vorhin haben wir gleich Kaffeestunde gehalten, mit Quarkstollen. Wir haben an Dich gedacht, Liebes! So etwas kann man aber leider nicht verschicken, da es sich nicht hält auf der Reise. Das Päckchen ist wohl noch nicht angekommen? Ja, Du bist auch einverstanden, wenn Du wochentags mal recht fein Kaffeestunde halten kannst, gelt? Ich möchte Deinen Stubenkameraden einmal auf dem Bilde sehen, ist das möglich? Beschreibe ihn mir nur mal nr. Wir haben heute Mittag Rinderbraten mit Klößen und Rotkraut gegessen, dazu gefüllte Äpfel mit Vanillinsoße, 's war ein "Götterfraß”! Für Dich mit gerechnet, soviel blieb übrig! Wir haben doch auch erst heute gebadet, kurz vorm Essen, weil Vater heute Nacht nochmal Wache hatte. Auch besuchte ich meine Schulfreundin und einstige Kränzelschwester Hilde T., um ihr nun endlich nachträglich zur Verlobung zu gratulieren; denn morgen wird sie schon wieder getraut! Ferngetraut, weil es mit den Papieren nicht klappte, als ihr Bräutigam in Urla[ub] da war. Na, nun hat er sie doch noch geheiratet, der Apothekerssohn, das freut mich. Ich traute es dem jungen Luftikus immer nicht zu, daß er sich binden würde. Hilde hätte mir leid getan, wenn er sie nicht geheiratet hätte. Sie ist glücklich nun. Muß aber noch immer in Mittweida arbeiten in der Rüstung. Sie kann auch nicht entpflichtet werden, nur ein Kindlein entbindet sie von der Arbeit. Morgen früh um 1100 [Uhr] wird sie getraut, mit dem Stahlhelm neben sich auf dem Stuhl! Ihr Bräutigam ist schon vor 3 Wochen getraut worden. Komisch genug ist das, gelt? So ohne Weihe, ohne kirchliche Feier. Aber er als SS [*] Mann hätte sich sowieso nur standesamtlich trauen lassen. Hilde tut das schon sehr leid.
Liebes Herz! Heute ist doch auch Dein lieber Bote wieder gekommen, vom Dienstag. Ach, er hat mir so viel Freude gebracht, Du! Ich danke dir von Herzen für Dein Liebgedenken, Schätzelein! Du bist so innerlich froh, und der Druck, der anfangs auf Dir lastete, ist gewichen, wie ich froh empfinde! Ach Du! Ich bin doch auch immer ganz nah bei Dir, Geliebter! Zweifle keinen Augenblick daran! Du bist mein Gedanke früh und spät! Mit Dir beginnt mein Tag und endet er. Bist mein Ein und Alles, Du! Oh daß Du es niemals vergißt, mein Geliebter! Wie maßlos ich Dich liebe! Ach, wir sind ja so von ganzem Herzen glücklich miteinander, Herzelein! Mit Deinem Boten kam ein Gruß von Hellmuth, er meint, wir wären verstimmt, [wei]l er uns nicht um unsre Patenschaft gebeten hat! Das Dummerle! Das ist überhaupt ein Irrtum! Auch Friedel schreibt in ihrem Brief aus dem Krankenhaus davon und fürchtet, wir seien verstimmt, weil H. in einem Briefe nachhause nichts von Dir oder mir erwähnt hat, als Paten. Das ist ja längst klar. Und so empfindsam sind wir nun auch nicht, gelt? Den beiden möchte ich nun gleich wieder schreiben.
Auch von Trudi G. kam eine Karte, sie weilt mit der Mutter in Glatz, von wo ihr Vater wieder nach Osten muß in den nächsten Tagen. Der Mann ist auch ein [e]heloses Leben gewöhnt jetzt. In seinem Alter dauernd so Umstellungen, das ist unschön und zehrt doppelte Jahre. Ich mein er hätte es auch in seinen Händen gehabt, daß ihm ein ruhigeres Dasein beschieden wäre, wenn er Lehrer geblieben wär. Ich glaube nicht, daß sein Jahrgang noch pflichtgemäß eingezogen wird. Wer hätte einst einen Krieg solchen Ausmaßes vermutet, als Herr G. zur Wehrmacht überging?
Ich bin neugierig, was aus Trudi nun wird. Wenn sie wieder heimkommen, wird sie mich bald mit besuchen. –
Heute Abend hat sich Frl. Sch. angemeldet nach dem Abendbrot. Mir solls [sic] recht sein, denn ich habe eine Unmenge Strümpfe zu stopfen.
Gestern erlebte ich ja auch noch eine Überraschung bekam ich früh einen Dienstbefehl, Anlaß: Reinigung des Heimes.
Zeit: 1500 [Uhr], Scheuerzeug ist mitzubringen.
Gut. Ich habe gelernt: Befehl ist Befehl und bin hingegangen. Obwohl ich noch einige Wege vorhatte und kleine Wäsche halten wollte und mit Mutter einen Besuch bei W.s machen sollte, wo der einzige Sohn gefallen ist. Nichts wars [sic]. Ich kam also hin und fand vor 3 Mädels: Ursel T., Frl. L., Frl. T., beide schon an die 40 Jahre. Und 9 Mädel hatten Befehl bekommen! Wir fingen an zu putzen immer in der Meinung, die übrigen stellten sich noch ein. Ja Kuchen! Keine Seele erschien. Das war gemein. Ahnten wir das, so hätten wir 4 nicht begonnen mit so einer Heidenarbeit. Alle Fenster abseifen, putzen, sämtliche Einrichtungsgegenstände feucht reinigen, die vielen Bänke im Lehrraum! Das Zimmer für die Lehrmittel reinigen. Und als Abschluß den Fußboden scheuern, rohe Dielen. Wir haben tüchtig gearbeitet. Und prima sah es am Ende aus. Der Hauswirt hatte im Waschhaus den Kessel geheizt, heißes Wasser hatten wir. Gegen ½ 800 [Uhr]abends waren wir endlich fertig. Ich kann Dir sagen, wir waren heilfroh. Ursel wird es natürlich dem Führer melden und unsrer Leiterin, da gibts [sic] ein kräftiges Donnerwetter. Aber im Stich gelassen haben sie uns doch. Findest Du das nicht auch gemein? Es sind halt immer nur paar so gute, dumme, die noch bissel Pflichtbewußtsein im Bauche haben. Die übrigen rechnen sich zu den modernen Menschen, zu Jugend der neuen Bewegung und bei denen ist bummeln wichtiger als arbeiten. Man soll mir in der nächsten Zeit noch einmal kommen: von wegen scheuern. Ich werde ihnen aber Bescheid sagen. Ich hab mein Teil weg nebst den 3 anderen. Ja Schätzeli, da war ich für den gestrigen Abend erledigt, so gern wie ich noch an Dich ein paar Zeilen geschrieben hätte. Ich bin vor Müdigkeit zu Bett. Wenn alle 9 Mädel dagewesen wären, hätten wir das ganze in 2 Stunden spätestens geschafft. Aber so! Ich war eigentlich auch krank und hätte mich können entschuldigen, aber ich habe nicht gedacht, daß das geht.
Zuhaus schont mich die Mutsch und für die pflichtvergessene Rasselbande plagt man sich ab. Glaubst nicht, wie wir alle ärgerlich waren. Nur der Erfolg unsrer ganzen Mühe stimmte uns am Ende doch wieder froh. Denn es war uns eine Befriedigung den blitzsauberen Raum zu sehen. Und wir wollen gar keinen Dreck! Es sollen sich nur die anderen nicht besser dünken als wir es sind, zu so einer Arbeit mal, die wirklich Arbeit ist. Um den Bahnhofsdienst reißen sie sich nämlich und hier mag keine anbeißen. Das sind die angehenden Schwestern. Die scheuen die rechte Arbeit, die wollen nur in der Tracht repräsentieren und mit den Soldaten scharwenzeln und schöntun. Alle von der Sorte sollte man nach Rußland schaffen ins Soldatenheim, von dem sie sich blaue Träume vorgaukeln[.] Na – Schwamm drüber. Ich vergleiche mich sowieso nicht mit jenen Dämlichkeiten.
Liebstes Herzelein! Wir haben schon über 1 Stunde die Lampe brennen und es ist erst um 5 Uhr jetzt. Sind das lange Abende im November. Du, Herzelein! Wenn Du erst wieder bei mir bist, dann werden uns diese Herbstabende vielleicht die schönsten sein im Jahr. Wenn wir im Dämmerschein eng beisammen sitzen, einer guten, edlen Musik lauschen, oder miteinander ein schönes Buch lesen. Ach, du selbst wirst mich erfreuen mit eigner Musik und ich will Deiner geliebten Stimme lauschen. Ach – selige, köstliche Zeit! [Loch]!!!!! Und einmal wird dann im Bettlein, als drittes im Bunde, unser Liebstes träumen und schlafen; lieb gehütet und beschützt vom innigen Einssein seiner Eltern: unser Kindlein – Geliebter! Ach, dann werden die Tage überreich gesegnet sein mit Glück und Sonne! Ich denke so oft an dieses Bild, jenes traute, daßs Sinnbild all unsrer Hoffnung und Sehnsucht und Träume ist. Zeit der Erfüllung! Friedenszeit! Oh Du! Gott im Himmel! Schenke uns in Gnaden so reiche Erfüllung! Amen.
Geliebter! Ich bin ganz nahe bei Dir, auch wenn ich Dich jetzt zum Abschied küsse, um den Boten auf den Weg zu bringen. So ist es doch nur, um recht bald wieder zu Dir zu kommen, Du! Voller Sehnsucht und Verlangen und heißer Liebe! Wie ich Dich liebe! Wie ich so innig an Dir hänge mit Leib und Seele, Dir verbunden bin, ach, Du allein weißt das, mein Geliebter!!! O halte mich ganz fest! Du!!!
Ich liebe, liebe Dich aus tiefstem Herzen!
Ewig Deine [Hilde].
[* mit Siegrunen geschrieben]
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Hilde Nordhoff
Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.
Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946