110.
Mittwochabend, am 10. Februar 1943.
Geliebtes, teures Herz! Mein liebster [Roland]! Herzallerliebster!
Es ist wieder Abend und die stille Stunde, wo ich zu Dir kommen kann mit all meinen Gedanken. Du!!! Ob Du sie wohl fühlst? All meine lieben, sehnenden Gedanken? Du! Ich hab Dich doch sooo lieb mein Herzelein! Ach Du!! War heute in der Mittagstunde in der Mühle, wollte Mehl holen, es wird aber erst morgen welches fertig wieder. Das war gleich ein schöner Spaziergang für mich. Wie gerne ging ich wieder einmal mit Dir zusammen die vertrauten Wege! Du!! Habe doch in Gedanken stets Dich an meiner Seite, Liebster. Wir sind doch auch schon oft dahin unter-gegangen [sic] miteinander, haben meist etwas heimgetragen, gelt? Zum Wohlleben! Ach, das ist nun auch längst vorbei mit der Milch. Wir kriegen garnichts mehr von L.s. Aber es geht auch so. Wir müssen froh sein, daß wir überhaupt noch in allen Dingen so gut versorgt sind. Ich glaube fast, das wird nun auch früher oder später nachlassen, wo ja der Krieg ein immer ernsteres Gesicht zeigt.
Es steht heute in der Zeitung, welche Geschäfte alle schließen müssen darunter sind: Weinläden, Blumenläden, Hutläden, Porzellanläden, Goldschmiede, Buchhandlungen, Gastwirtschaften, Süßwaren, bloß noch lebenswichtige Betriebe bleiben offen und davon werden noch soundsoviele zusammengelegt, damit für die Rüstung Arbeitskräfte herausspringen. Bald werden die Volksküchen eingerichtet werden, glaubst Du nicht auch? Ach, daran mag ich garnicht denken. Obwohl man uns versichert hat voriges Jahr, daß die Ernährungslage nicht schlechter wird, sondern besser. Ich glaube garnicht daran, denn es ist uns noch manches andere gesagt und versprochen worden. Wir dürfen darum nicht allzu schwarz sehen, aber Illusionen dürfen wir uns ebenfalls nicht hingeben. Wir müssen das Schicksal unsres Volkes auch mit tragen, ob gut oder böse.
Du Herzelein! Was wird denn dann mit Schreibpapier, wenn diese Geschäfte auch schließen? Da mußt Du mich aber nun fleißig bedenken! Denn unsere Verständigung darf um keinen Preis mit unter die eingeschränkte Kriegswirtschaft fallen! Du!! Solang die Post geht, wird geschrieben! Na, das wäre wohl so das Letzte, was man uns entziehen könnte, dann wäre es aber aus mit dem Stillschweigen.
Denke nur einmal nach Herzelein, wie arm da die Leute alle werden, wenn die Geschäfte alle schließen. Es gibt ja auch nichts mehr anzuziehen zu kaufen. Es haben nicht alle soviel Vorrat wie wir! Oh nein. Ich kann mir nicht denken, wie manche Leute mit ihrem Kleidungs- und Wäschebestand noch paar Jahre Krieg mitmachen sollen.
Es wird eine Not noch werden!
In den besseren und größeren Haushalten waren schon die [*] Leute von der Gemeinde, wollen Wäsche haben für die Lazarette. Frau U. sagte mir's heute.
[*] Ich denke nicht daran, meine ersparten Sachen herzugeben. Wer so einen Krieg führt, mag auch für alles aufkommen. Ach, ich mag garnicht weiter ausholen noch. Es geht einem gleich die gute Laune verloren und aller Mut.
Mein liebes Mannerli! Sagte ich Dir schon, daß ich von der lieben Mutter einen Brief bekam gestern, worin sie mir mitteilt, daß die Husche da ist? Es war höchste Zeit, sie hätte schon angefangen zu riechen, aber Salzwasser hat alles fortgenommen und am Sonntagmorgen hätte die ganze Wohnung nach Gans geduftet. Sie freut sich ganz sehr, weil Du so lieb bist und uns so hilfst. Der Vater war in Lauscha in der verwaisten Wohnung, alle Geschwister trafen sich dort nochmal. Heute ist die liebe Tante nun eingeäschert worden. Ich habe schon paarmal daran gedacht.
Sie hat nun den Anfang gemacht der sieben Geschwister.
[*] Die gute Mutter hat sich auch wieder ein wenig zu viel zugemutet, ihr Bein streikt wieder. Hoffentlich artet es nicht schlimmer aus.
[*] - Daß ich eine Schwiegermutter habe, die der Pflege bedürftig ist, muß ich auch gleich mit vorbringen auf dem Arbeitsamt; denn ich bin ja die nächste Hilfe für die Mutter. Elfriede hat das Kind, und ich bin ihre Tochter ja nun. Und ich würde sofort einspringen, wenn's nötig ist. – Elfriede will im Mai dann wieder nach Dehsa, da hat sie Landluft mit dem Kleinen, darum nutzt Mutter jetzt noch die Zeit; denn nach Bisch. ist's einfacher mit dem Reisen. Der kleine Mathis muß ein niedlicher Kerl sein. [*] Nur scheint er mir schon reichlich verwöhnt, Mutter erzählt, daß er Elfriede mit dem Schlafen so kurz hielt!
Ich muß lachen, wenn ich lese, wie er die beiden Ammen so in Trab hält, der kleine Bursche!
"Na [Hilde], genieß die Bettruhe noch, einst wird's anders!" so schreibt Mutter! Du!! Die ersten Fotos sind auch schon fertig! Hoffentlich denkt Friedel an die Paten!!
Mit dem Schlafen, hat das so seine Bewandtnis. Ich kann mir das so erklären.
So wie sich die Mutter hielt in der Zeit, da sie ihr Kindlein trug, so überträgt sie's auf das Kleine. Wer Ruhe pflegte, wird keine Not haben.
Elfriede hat sehr, sehr viel gelesen – von Anfang an, bis in die Nacht hinein, das ist nicht gut gewesen. Und nun braucht sie sich garnicht zu wundern.
Ach, es ist alles viel leichter in dieser Zeit, wenn man das liebe Mannerli neben sich hat, dann achten zwei Menschen auf das Wohl und Wehe des Werdenden. Und ich wünschte mir darum schon, daß Du einmal um mich sein könntest in dieser Zeit.
Wie ich wünschte, daß Du mit Deiner Liebe und Fürsorge ganz großen Einfluß ausübtest auf mich und damit auf das werdende Wesen.
Geliebter! Daß es von Anbeginn die tiefe Liebe fühlte bei uns beiden, in die es gebettet ist.
Das stelle ich mir so schön vor. Aber so lieb, wie wir uns jetzt schon über die Ferne haben, das müßte selbst das Kindlein unter meinem Herzen fühlen! Und darum wäre ich auch nicht traurig, wenn uns schon jetzt ein Kindlein beschert würde. Ich wär ganz sehr glücklich!
Oh Geliebter! Komme bald zu mir! Du!!! Meine Sehnsucht ist ja sooo groß! Sooo übermächtig! Du!!!
Oh Herrgott! Erfülle unser Sehnen! Führe uns zusammen, recht bald auch für immer !
Amen.
Die liebe Mutter schreibt, daß unser Kleiner geschrieben hat am 12.I., es geht ihm gut. Mutter denkt, daß er bei der 7. Panzerdivision mit dabei ist am Donez.
Oh, möchte ihn der Allmächtige behüten.
Und denke nur, heute bekam ich einen Brief von ihm. Vom 18. Januar, über 20 Tage ist er gegangen. Und es ist sein erster Brief wieder seit Weihnachten aus Frankreich noch. Er schreibt garnicht schlecht. Die Unterkünfte seien diesmal besser als voriges Mal, sauberer – sie hausen wieder mit den Russen unterm Dach, schlafen auf dem Fußboden und reisen hin und her, bei Tag oder Nacht.
Wie schnell sich der Mensch wieder umgewöhnen kann, meint Siegfried.
Von seinen traurigen Festtagen erzählt er, daß es seine unvergeßlichsten bleiben werden. Viele Kameraden hätten sich einen angetrunken, aber ihm sei nicht danach zumute gewesen, und dazu war ihm das Fest zu heilig. Seine ganze Freude sei mein Weihnachtspäckel gewesen, das er noch in Frankreich vor der Abreise erhalten habe und aufgehoben, um es sich am Heiligabend zu bescheren. Es war an der polnischen Grenze schreibt er. Das einzige Päckel, daß [sic] er bekommen hat. Nun freue ich mich doch auch so sehr, wenns auch nur Pfefferkuchen waren und kein Stollen.
Ich will dem Kleinen auch mal wieder paar Plätzchen schicken; denn am 5. März hat er Geburtstag, da möchte ich schon bald dran denken, wenn die Post so lange geht. Schade nur, daß man nichts schwereres schicken kann, sonst hätte ich ihm auch mal einen Kuchen geschickt, mein Mannerli hätte sicher für unser Brüderle eine Zulassungsmarke geopfert, gelt? Unser Kleiner ist's wert, wo er so ein hartes Los wieder hat. Ach, wenn er nur heil wieder herauskommt. Was hat er denn von seinem Leben schon gehabt? Rein garnichts. Er hatte uns Weihnachten alle in Kamenz gewähnt. Wenigstens mich und Hellmuth. Du habest mal wieder den Vogel abgeschossen in B. [sic] mit 50 Gänsen am Fest. Ich schrieb es ihm, daß Ihr so viel Gänse gemordet habt! Sie hätten kürzlich auch mal 3 Ochsen geschlachtet, da hätte ich können mal Fleisch essen!
Aber bei so viel Mäulern hielte es nicht lang vor.
Wo er steckt sagt er mit keinem Worte, er darf wohl nicht. Er fragt, wann wohl dieser schreckliche Krieg ein Ende nehme. Der Russe würde immer mit neuen Menschen und Material anrennen, es sei ihnen ein Rätsel, woher das immer noch käme.
Hoffentlich geht das Ringen im Kaukasus gut aus. Denn es dünkt mich immer, daß man unsre Truppen einkesseln will. Der Russe von oben und vom Iran her kommt womöglich amerikanischer Nachschub. Ach, es ist schrecklich!
Gott stehe uns bei! Herzelein! Ich fange schon den letzten karierten Bogen an. Und hab Dir doch noch so viel zu sagen! Du!!
Und hauptsächlich doch, wie so lieb ich Dich habe! [*] Du mein allerliebstes, bestes Mannerli mein!!! Vorigen Donnerstag bist so lieb beschenkt worden von 3 Seiten und es war Dir wie Geburtstag! Ich freu mich doch mit Dir! D.s meinen es doch gut mit Dir, ja?
Du! Ich freue mich, daß sie auch wissen, wie glücklich Du mit mir bist. Weißt? Ich trage ihnen das nicht nach, daß sie mich anfangs nicht gerne sahen. Aber vergessen kann ich es ihnen nie. Ich bringe es nicht fertig, sie zu besuchen. So oft sie mich nun schon einluden. Ich kann nicht. Mein Stolz läßt es nicht zu. Mit Dir zusammen kann ich nicht anders und dann lasse ich mir auch nichts anmerken von dem, was innerlich vorgeht. Es ist vorbei: Und sie haben sich vielleicht eines anderen überzeugen lassen. [Senkrechter roter Strich mitten im Text bis zum Blattende. Siehe Abbildung.]
Ich kann wohl verzeihen, vergessen aber nie.
Die gute Kamenzer Mutter hatte Knöppchenkuchen! Fein! Wie sie sich das absparen zu Zweien möchte ich mal wissen. Ob die Mutter auch auf des Kaufmanns Nachlässigkeit reist, wie die böse Oberfohnaer [Hilde]? Oder haben die Schiböcker Besuche etwas abgeworfen?
Du weißt nicht wie froh es macht, wieder ein Päckel mal zu schicken. Ach, ich mache zu gerne eine Freude. Du wirst noch viel über Dich ergehen lassen müssen mein Mannerli, wenn erst Frieden ist und ich bin immer bei Dir!
Hast Du Angst? Wirst Dich wehren, oder mir davonlaufen wollen? Ach, ich glaube mein liebes Büberl hält ganz still! Du!!! Du!!!!!
Fräulein Sch. beneidet mich? Oh, dazu hat sie auch allen Grund! Sag ihr nur, sie soll mal zu mir kommen, dann will ich ihr verraten, wie man so ein liebes Mannerli gewinnt, wie Dich! Sags ihr nur! Aber solang sie noch bei Dir ist verrate ich's nicht; denn dann hätte ich Angst, daß sie Dich selber gewinnen wollte! So groß und stark wie sie ist kann man sie vielleicht schon als Gegner fürchten müssen!
Ach, Du!! Du!!!!!
Ich weiß es doch: mein Mannerli liebt nur einmal im Leben. Liebt nun mich allein! Sein ganzes Herz ist mein!! Du! Ich weiß es so glücklich, wie Du ganz der Meine bist. Ich bin Dein Liebstes, Eigenstes! Und nichts kann Dich von mir je wieder scheiden als der Tod. Geliebter! Und ebenso fest halte ich doch an Dir! Ebenso gewiß bin ich die Deine immer. Daran sollst Du immer ganz froh und glücklich denken! Oh Geliebter! Was auch geschieht: Dein bin ich bis zum letzten Atemzug! Mein Leben, ich schloß es um Deines herum. Du!!! Ganz an Dich gegeben bin ich. Und Du weißt es, Du! Dein Herzblümelein kann nicht mehr ohne seinen Sonnenstrahl leben, es müßte doch welken und dorren. Du!!!
Ich liebe Dich doch über alles! Geliebter!! Ich bin so innerlich froh heute, ich glaube es kommt mir von Dir dies Frohsein. Ach Herzelein! Zu Deinen Boten wollte ich noch manches sagen, zu Deiner Traurigkeit. Es drängt mich aber heute garnicht dazu. Weil ich das Gefühl habe, daß Dein Traurigsein unbegründet ist. Daß alles gut wird, worum wir uns sorgen. Vertraue mir! Meiner Liebe!
Du mein Geliebter! Mein liebster Weggesell! Ich bin Dein!! Du bist mein! Und so bleibt es ewig.
'Für dieses ganze Leben hab ich mich doch in Deinem Herzen eingerichtet. Wirst mich auch darinnen so lang wohnen lassen, wirst mir auch nicht kündigen?'
So fragst Du, geliebtes Herz! Und wer solche entscheidende Fragen ausspricht, der muß seiner Antwort ganz sicher sein! Du geliebtes Schätzelein! Du!!! Ich wohne doch auch nun in Deinem Herzen, in jedem Kämmerlein! Ich frag Dich garnicht, ob Du mich behalten willst! Ich bin so wie die frechen Starmätze, die gehen auch nimmer raus aus ihrem Nestchen. Magst Deinen Starmatz wohnen behalten? Du!!! Du!!! Herzelein! Ich hab Dich soooo lieb! Ich küsse Dich innig zur guten Nacht.
Behalt mich lieb! Wie ich Dich. Gott behüte Dich! In Liebe u. Treue Deine [Hilde].
[* = jeweils ein x an der linken Briefseite.]
Hilde Nordhoff
Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.
Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946
Kommentar von Ute Schmidthals
Husche ist sächsisch, gemeint ist hier wahrscheinlich "eine alte Gans."
Hellmuth ist Rolands mittlerer Bruder. Elfriede ist die Ehefrau von Hellmuth. Mathis ist ihr neugeborener Sohn. Bei "Unser Kleiner" ist Rolands jüngster Bruder Siegfried gemeint.
"Dehsa" ist Ortsteil der sächsischen Stadt Löbau im Landkreis Görlitz in der Oberlausitz.