Bitte warten...

[LBR-411215-005-01]
Briefkorpus

N. 43

Im Osten, den 15. Dez. 1941.

Meine liebe kleine [Ella]!

Wenn Du diesen Brief erhältst, ist Weihnachten wohl vorbei. Hoffe doch, daß Du das Fest bei guter Gesundheit verlebt hast und Dir dabei recht froh uns Herz geworden ist.–

Ich hab jetzt schon so lange keine Post mehr von Dir erhalten. Jeden Tag kommen immer 4-5 Säcke Post für unsere Einheit bei uns an. Doch was ich such ist nicht dabei. Das geht nun schon über eine Woche so. Wie das kommt ist mir ein Rätsel. Sicher wird die Post überlastet sein. –

Bei uns ist es jetzt noch kälter geworden. Heute morgen hatten wir 35 Grad unter Null. Sowas ist mir noch nicht vorgekommen. Und dann erst dieser Wind dabei! Du wirst lachen! Aber es ist so: man muß aufpassen damit der Frost nicht mit Nase und Ohren durch die Latten geht! Doch im wesentlichen kann uns der Herr „General Winter“ nichts anhaben. Wirst ja auch sicher schon in den Wochenschauen gesehen haben.

Mein Schlittenbau schreitet rüstig vorwärts. Bin schon beim dritten. Wie wär‘ es [Ellachen], wenn ich Dich abholen täte, zu einer Schlittenpartie? Gestern habe ich eine gemacht! Du es war herrlich. –

Gestern war ja Sonntag. Nach dem Mittagessen ging es los. Als Ziel hatten wir uns das Frontkino ausgesucht. Es liegt ungefähr eine Stunde Weges von unserem Quartier entfernt. – Die Welt war weiß und stumm – jeder Baum, jeder Strauch war dick und schwer mit Rauhreif behangen. Das Dorf lag bald hinter uns – und damit waren auch die letzten Bilder des Krieges unseren Blicken entschwunden. So ganz allmählich bekam ich ein Gefühl, ich weiß garnicht [sic] wie ich sagen soll, es war wohl ein Gefühl des inneren Friedens, und doch wieder fehlte mir etwas. Etwas was ich immer nicht wahr haben will. Ich weiß nicht [Ella] ob Du mich verstehst oder kannst. – Ich suche Etwas [sic].

Hab wieder keine Rast und Ruh. Ich meine so im Innern, in mir selber. Eine Zeitlang ging es jetzt – ich glaubte mich zufrieden. Ja, ich war sogar glücklich. – Es nützt aber alles nichts, so sehr ich mir auch einrede: was willst Du blos [sic]! sei doch zufrieden. Du hast doch alles, was Du vor einem Jahr haben wolltest! Ach [Ella] ich stürze mich dann auf die Arbeit, mit aller Gewalt! blos [sic] um von diesen Gedanken los zu kommen. Vergebens. Ich möcht mich dann ebenso heiß, mit der Waffe in der Hand, in den Kampf stürzen. Doch dazu hab ich dann wieder keine Gelegenheit. Vielleicht [sic] würde es dann anders. Aber was nützt das alles. Was nützt es, daß ich mir sage, es ist lächerlich solchen Gedanken nachzugehen, bleib vernünftig und denk erst mal an Urlaub. Kommt Zeit, kommt Rat. Doch da wird man wieder hoffnungslos. Das heißt gleichgültig. Denn einmal gibt es ja doch wieder Urlaub. Aber dieses Hinschleichen der Tage macht mich dann wieder verrückt! – Ich will da jetzt nicht nicht [sic] weiter drüber schreiben. Wo soll das hinführen. Blos [sic] wissen sollst Du es. Liebe [Ella] wenn Du es nun nicht weißt, was ich such, was mir fehlt, frag mich nicht danach, wart damit, bis ich bei Dir bin.

Im Kino sahen wir dann, „Komödianten“ mit Hilde Krahl und Käthe Dorsch. Ich hab garnicht [sic] richtig aufgepaßt, war garnicht [sic] bei der Sache. – Als wir dann wieder heimfuhren war es dunkel –

Jetzt muß ich schließen. Die Uhr ist gleich elf, und ich muß den Posten ablösen.

Viele, viele liebe herzliche Grüße

sendet Dir meine liebe [Ella], aus weiter Ferne

Dein [Albert]

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Albert Müller
Korrespondenz Lohbrügge
Gesendet nach
Über den Autor

Albert Müller

Albert Müller wurde 1919 geboren. Seine Familie kam aus Escheburg in Schleswig-Holstein. Auch in anderen schleswig-holsteinischen Orten hatte er Verwandtschaft. In seinen Briefen machte Albert Müller oft Andeutungen, dass es Geheimnisse bezüglich seiner Eltern gebe, die er erst später preisgeben

Über die Korrespondenz

Lohbrügge

Fotografie einer handgeschriebenen Liste mit Zahlen, aus dem Konvolut Lohbrügge, die Briefdaten sortiert.

Der Briefwechsel von Ella und Albert Müller befindet sich im Archiv des Kultur- und Geschichtskontors in Hamburg-Bergedorf. Erhalten sind fast 900 Briefe und Postkarten. Gesammelt wurden sie von Ella Müller, die Briefe von ihrem Ehemann, aber auch von Familienangehörigen aufbewahrte, zum Teil