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[NGM-400626-004-02]
Briefkorpus

[*] Hamburg-Bergedorf, den 26. Juni 1940.

Mein lieber [Heinrich]!

Als ich gestern nach Hause kam, war ich sehr überrascht, einen Brief von Dir zu haben, denn sonst bekam ich am Dienstag ja nie Post von Dir. Als ich dann den Brief öffnete, war er schon am 22. geschrieben, am 24. war er erst abgestempelt. Hast Du ihn vergessen einzustecken, oder hat er so lange auf der Poststube gelegen? Jedenfalls habe ich mich sehr gefreut, noch dazu, wo es ein so langer Brief war. Du warst ja wohl sehr wütend, dass Ihr keinen Urlaub bekommen habt. Wie steht es denn nun mit dem nächsten Sonntag? Da ist es doch wohl sicher anzunehmen, dass Du kommen wirst! Mutti und Papa werden wahrscheinlich schon morgens fahren, ob Oma kommt, weiss ich noch nicht, sie hat noch nicht geschrieben. Aber wenn wir dann allein sind, ist das ja auch sehr schön.

Heute morgen war das Erste, was mir im Geschäft erzählt wurde, dass man Dich gerstern bei strömendem Regen in der Stadt marschieren sehen hat. Fräulein B. hat Dich erst nicht entdecken können, aber Fräulein Sch. hat dann so lange gezeigt und geredet, bis sie Dich auch gefunden hat. Zuerst hättest Du ein sehr ernstes Gesicht gemacht, nachher hättest Du dann aber gelächelt. Ihr hättet sehr schön gesungen. Wo wart Ihr denn da bei dem Regen hin?

Gestern hat Günther den Spargel von B. aus Altengamme holen können. Wir [ha]ben im ganzen 15 Pfund bekommen. Als ich gestern abend nach Hause kam, musste ich gleich nach dem Essen Spargel schälen, kochen, in Dosen füllen, dann die Dosen zumachen lassen. Um 1/4 nach 9 Uhr waren wir dann mit dem Abendbrot und Abwaschen so weit. Ich war gestern ganz entsetzlich müde. Ich bin dann gleich ins Bett gegangen und auch sofort eingeschlafen. Nachts hörte ich dann mit einemmal [sic] wieder das Geschiesse, und zwar ziemlich heftig. Da meine Uhr nicht geht, wusste ich gar nicht, wie spät es war. Ich ging zu Papa und Mutti, die hatten noch gar nichts gehört, es war natürlich die bewusste Zeit 1/2 2 Uhr. Wir zogen uns dann an, Papa war bald unten, das Schiessen wurde bald weniger, wir haben uns nur auf das Bett gelegt, und sind gar nicht erst nach unten gewesen. 1/4 3 Uhr haben wir uns wieder ausgezogen und sind wieder ins Bett gegangen. Wo die Engländer nun jede Nacht kommen, kann man gar nicht wieder auf den grünen Zweig kommen mit seinem Befinden.

Bei unserer Wohnung wollte Maler B. gestern anfangen. Die Tapeten waren schon am Montag gekommen. R. wollte eigentlich Montag die Anlagen machen, Sonntag war ich ja noch bei ihm wegen der Plättschnurr [sic], da sagte er, er müsste erst noch zu einem Neubau, Mittwoch wollte er nun dabei. Hoffentlich ist er nun heute hingegangen. Man kann sich ja auf diese Leute nicht mehr verlassen. Sie sagen dann, es sei etwas Wichtiges dazwischen gekommen, da kann man dann nichts machen. Maler B. kann sonst ja auch nicht weiter arbeiten.

Neulich hörte ich, dass M. aus Altengamme als Gefangenen-Aufseher eingesetzt ist, M. soll an die Front gekommen sein.

Wenn es gestern nicht geregnet hätte, wäre ich in die Stadt gefahren. Da hätte ich ^Dich dann wohl auch gesehen. Ich sollte für Mutti etwas besorgen, aber bei diesem Wetter war ich froh, auf dem schnellsten Wege nach Hause fahren zu können.

Wenn Du noch im Zivilleben wärest, hättest Du gestern ja auch schulfrei gehabt. Die Meldung kam morgens um 7 Uhr durch. Es sollte kurz auf die Bedeutung des Tages hingewiesen werden, und dann sollten die Kinder fortgeschickt werden. Ich hatte gedacht, die Soldaten würden aus Anlass dieses grossen Ereignisses auch einmal Urlaub bekommen, und Du würdest dann am Weidenbaumsweg mich abholen. Aber was denkt man sich nicht alles immer aus. Und Du warst ja natürlich auch nicht da.

Als ich am Morgen ins Geschäft fuhr, hatte aber auch jedes Haus auf dem Neuengammer Hausdeich geflaggt, das kommt eigentlich sonst gar nicht vor. Es ist meistens ein oder das andere Haus dabei, welches keine Fahne hat.

Heute morgen sind im Radio die Punkte des Waffenstillstandsvertrages in grossen Zügen bekannt gegeben worden. Ich kam leider erst zum Schluss. Ich hatte immer gedacht, dass darin auch stehen würde, dass das Elsass und die Kolonien zu uns zurückkämen, aber das wird ja erst im Friedensvertrag festgelegt.

Jetzt ist Gott sei Dank bald Mittag. Ich habe heute einmal wieder furchtbar wenig zu tun. Ab und zu bekomme ich einen Brief zum Schreiben, dann musste ich Überweisungen fertig machen und eintragen. Mitunter denkt man, was könnte man im Hause alles während dieser Zeit schaffen. Mutti muss sich nun so abplagen. Heute will sie Marmelade einkochen. Da muss sie zuerst die Erdbeeren pflücken, saubermachen, und dann dieses ewige Rühren. Und wo könnte man jetzt nicht überall helfen, in der Landwirtschaft, überhaupt im Garten. Stattdessen muss man hier nun sitzen, und weiss nicht, was man vor Langerweile [sic] anfangen soll. Vor den Chefs aber muss man doch Arbeit vortäuschen. Herr M. ist nun heute nachmittag nicht da, weil er Nachtwache hatte, da wird es dann wohl noch langweiliger werden.

H.i erzählte mir neulich, dass ^man jetzt wieder Silber kaufen könnte, aber nur in einem Geschäft in Hamburg, ohne Abgabe von Altsilber, und zwar in der Würtembergischen Metallwarenfabrik, am Rathausmarkt glaube ich. Z. Zt. könnte man für 5 RM bekommen. Ich habe mir dann gleich verschiedene Sachen bei ihr bestellt, die ^sie kaufen möchte, sie wollte dann alle Leutchen aus ihrem Geschäft dort vorschicken. Heute ruft sie nun bei mir an, dass nichts mehr zu haben ist. Es ist immer dasselbe, dass man wie ein Schiesshund hinter allen Sachen hinterher sein muss. Aber das kann man ja später immer noch kaufen, aber es wäre doch ganz schön, wenn mann sein Muster vollzählich [sic] hat.

Jetzt will ich lieber aufhören, sonst halte ich Dich zu lange von Deiner Arbeit ab. Also dann lass es Dir gut gehen, und dass Du mir am Sonntag auf Urlaub kommst!!!

Herzliche Grüße

Deine [Hannelore]

[* = Der gesamte Brieftext ist mit der Schreibmaschine getippt, nur Gruß und Unterschrift und das nachträglich eingefügte „Dich“ und „sie“ sind handschriftlich hinzugefügt.]

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Kalenderblatt 26.06.1940, 1935 Einführung Arbeitspflicht

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Autor Hannelore Wilmers
Korrespondenz Neuengamme
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Über den Autor

Hannelore Wilmers

Abbildung von einem Haushaltspaß von Hannelore Wilmers, grüner Karton mit Schreibmaschinenschrift. andes- und Hauptwirtschaftsamt Hamburg.
Ba-NGM K02.Pf1_.A14, Haushaltspaß von Hannelore Wilmers, 1944, Hamburg, herausgegeben vom Landes- und Hauptwirtschaftsamt Hamburg.

 

 

Hannelore Wilmers, geb. Baumann, wurde 1917 geboren, sie lebte bis 1999. Sie war Tochter eines Lehrers und seiner Frau in Neuengamme. Ihr jüngerer Bruder war bei der SS. Hannelore Wilmers besuchte das Luisen-Gymnasium in Hamburg-Bergedorf. Dann arbeitete sie in einer Motorenfabrik als

Über die Korrespondenz

Neuengamme

Abbildung mehrerer Bündel Briefe aus dem Konvolut Neuengamme, von Kordeln zusammengehalten, in einem Schuhkarton durcheinander gewürfelt.

Die Briefe von Hannelore und Heinrich Wilmers befinden sich im Archiv des Kultur- und Geschichtskontors in Hamburg-Bergedorf. Über 1600 Briefe und Karten wurden von den Autoren nummeriert, sortiert und sorgfältig zu je 100 Stück gebündelt aufbewahrt. Die von Hannelore Wilmers verwahrte Feldpost