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[NGM-400628-004-01]
Briefkorpus

[*] Hamburg-Bergedorf, den 28. Juni 1940.

Mein lieber [Heinrich]!

Gestern bekam ich zwei Briefe von Dir. Der eine war vom 24. der andere vom 26. Den vom 25. hatte ich bereits vorgestern bekommen. Woran das liegt, möchte ich wirklich wissen.

Du schreibst, dass Du vielleicht am Sonntag wegen Deiner Blasen wohl nicht kommen kannst, und dass ich dann das Vergnügen haben könnte, wieder nach Wentorf zu kommen. Da muss ich Dir nun gleich sagen, dass ich Sonntag nicht kommen könnte. Gestern hat Oma geschrieben, dass sie am Sonntag doch kommen will, es geht ihr augenblicklich sehr gut, und dann gibt es ja jetzt Erdbeeren, und da ist sie immer sehr gern gekommen. Allein kann sie aber schlecht mehr fahren. Und so bringt Onkel Wilhelm aus Wetzen sie her. Wann sie Sonntag kommen, weiss ich nicht. Mutti und Papa wollen nun schon am Sonnabendmittag wahrscheinlich fahren. Da werde ich am Sonntag also sehr viel zu tun bekommen, und könnte Dich also nicht besuchen. Du musst schon sehen, dass Du auf Urlaub kommen kannst. Vielleicht kommst du ja schon am Sonnabend.

Gestern war auch ein arbeitsreicher Tag. Als ich nach Hause kam, wurde ich gleich empfangen: „Schnell essen, wir müssen Spargelschälen“. Da haben wir dann bis 8 Uhr Spargel geschält und eingekocht. Dann hat Mutti noch Erdbeeren eingemacht. ich bin nach Curslack gewesen zum Saubermachen der Fussböden. Ich weiss nicht, ob Du Dir vorstellen kannst, was für ein Dreck da ist, wenn in allen Zimmern die Handwerker sind. Günther war mitgekommen und hat den Dreck nach unten gebracht in grossen Körben. Dann habe ich geschruppt [sic] und gefeudelt. Als ich dann das Wasser ausgoss oben im Handstein, kam alles unten wieder raus, und da lag nun noch soviel Schmutz, Sand, Kalkstaub, Mörteil. Das musste ich dann schnell wieder aufwischen, damit es nur nicht erst durch den Fussboden dringen würde. Dann kam Tante Bertha, – sie sagte, ich müsste das Wasser ganz langsam hineingiessen, dashabe [sic] ich dann einmal gemacht. Da kam Herr H., unten leckte alles auf den Flur durch. Da entdeckten wir dann, dass das ganze Bassin im Duschraum wohl [sic] war, das Wasser musste also dort hingekommen sein, und nicht abgeflossen sein. Ich hatte ja nun erst einen Eimer hineingegossen, aber die Maler hatten den ganzen Tag über schon Wasser hineingegossen. Da musste nun geschaufelt werden.

Die Fussböden sahen wüst aus. Vom Deckenweissen war natürlich alles vollgekleckert. Günther musste dann noch Briefe auseinanderbringen für seine H.J. und so war ich ganz allein dort oben, bis dann das Wasser durchleckte, ich hatte aber schon eine ganze Weile nichts mehr durchgegossen, sondern alles nach unten getragen. Um 1/4 [sic] vor 11 Uhr war ich fertig. Zuerst wollte ich bei den drei Haupträumen aufhören, aber dann, sagte [sic] ich mir, dass dann doch alles wieder vollgetreten wird. Da habe ich dann die Küche und den Flur auch noch aufgewischt. Mein Rücken, meine Hände, alls [sic] tat weh, und dann schwitzte ich. Ich musste mich ja sehr beeilen, zum Schluss konnte ich fast nichts mehr sehen. Licht kann man dort ja noch nicht anmachen. Das sind die ersten Freuden einer Hausfrau, so empfing mich nachher Onkel Herrmann. Nun möchte ich wissen, wie es das nächste Mal aussieht, wenn ich wieder hinkomme, da wird sicher alles wieder voll sein. Heute wollen sie glaube ich anfangen mit dem Tapezieren. Jedenfalls war schon der Tisch im Zimmer und die Tapeten waren drauf ausgebreitet. Die Decken waren alle fertig. R. hat auch den Rest gestern zu Ende gebracht. Die Stecker sitzen eigentlich nicht sehr günstig, aber es war so am einfachsten, und wir werden uns schon damit behelfen.

Nach Papas militärischer Untersuchung ist gestern nicht allzu viel gekommen. Vorerst braucht er nicht damit zu rechnen, bald eingezogen zu werden.

Heute nacht ist es bei uns nicht sehr schlimm mit dem Luftschutzalarm gewesen. Wir wachten kurz nach 2 Uhr auf, da wurde ziemlich heftig geschossen. Wir zogen uns [sic], allmählich aber liess das Schiessen nach, wir haben uns nur noch auf die Betten gelegt, nach einiger Zeit haben wiruns [sic] dann aber wieder ausgezogen, sind also gar nicht erst im Keller gewesen.

Ilse habe ich in dieser ganzen Woche nicht gesehen. Ich bin auch gar nicht in die Stadt gefahren. Ich hatte mir in dieser Woche soviel vorgenommen, aber bin zu nichts gekommen. Nicht einmal hatte ich Zeit, meine Strümpfe zu stopfen.

Gestern hat Oma mir das Leinen für die Decke geschickt, die ich mit den Klöppelzwischensätzen machen wollte. Hast Du es damals in Salzhausen eigentlich gesehen? ich [sic] glaube kaum.

Bis jetzt ist Mutti noch nicht hingekommen zu Steht. Ich glaube auch, dass nichts mehr daraus wird. Dann werde ich die Lampe auch noch nicht aufhängen lassen, denn das ist mir doch zu riskant.

Wenn Du diesen Brief erhälst [sic], ist es ja nicht mehr lange hin, bis wir uns sehen werden. Ich rechne stark damit, dass Du am Sonnabend schon kommst. Aber auf jeden Fall am Sonntag.

Herzliche Grüße

Deine [Hannelore]

Das Oberkommando der Wehrmacht gibt am 28.6.40. bekannt:

Wie im Waffenstillstandsvertrag vorgesehen, erreichten unsere im Küstenstreifen vorgehenden schnellen Abteilungen gestern abend südlich Bayonne die spanische Grenze. Damit ist die gesamte Kanal- und Atlantik-Küste Frankreichs in unserem sicheren Besitz.

Kapitänleutnant Prien meldet die Versenkung von 40 100 To. feindlichen Handelsschiffsraums.

Kampfverbände der Luftwaffe griffen auch diese Nacht zum 28. Juni Rüstungswerke sowie Hafenanlagen in Süd- und Mittelengland erfolgreich mit Bomben an. Explosionen und starke Brände wurden teilweise noch lange nach dem Angriff beobachtet.

Am 27.6. flogen tagsüber an verschiedenen Stellen der niederländisch-belgischen Küste britische Flugzeuge ein. Sie wurden von unseren Yacht [sic]-Flugzeugen angegriffen, wobei an einer Stelle alle 6 eingeflogenen Flugzeuge abgeschossen wurden. 2 anderen Flugzeugen gelang es, im Schutze tiefhängender, durchbrochener Nebelfelder bis in die Gegend von Hannover vorzustossen und Bomben abzuwerfen. Mehrere Tote und Verletzte sowie einiger Sachschaden sind zu verzeichnen.

Auch in der Nacht zum 28.6. flogen wiederum britische Flugzeuge nach West- und Norddeutschland ein. An verschiedenen Stellen, darunter auch auf Wohnhäuser, wurden Bomben geworfen, wobei mehrere Personen getötet oder verletzt wurden. Unsere Nachtjäger schossen 3 feindliche Flugzeuge ab.

Bei einem Angriffsversuch auf den Flugplatz Stavanger-Sola wurde ein britisches Flugzeug noch während des Anfluges über See abgeschossen.

Die Flak-Artillerie der Kriegsmarine schoss 2 feindliche Flugzeuge ab.

Insgesamt verlor der Gegner am 27.6. 12 Flugzeuge in Luftkämpfen und 4 durch Flakabschuss. Ein eigenes Flugzeug wird vermisst.

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Fräulein B. hat Yacht [sic]-Flugzeuge geschrieben, deswegen hat sie schon viele Anpflaumereien hinnehmen müssen. Alle wecken [sic] sie hier an und müssen ihr das erst einmal unter die Nase reiben.

[* = Der gesamte Brieftext inklusive des Nachsatzes ist mit der Schreibmaschine getippt, nur Gruß und Unterschrift sind handschriftlich hinzugefügt, der Wehrmachtsbericht ist ein Matritzenabzug.]

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Autor Hannelore Wilmers
Korrespondenz Neuengamme
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Über den Autor

Hannelore Wilmers

Abbildung von einem Haushaltspaß von Hannelore Wilmers, grüner Karton mit Schreibmaschinenschrift. andes- und Hauptwirtschaftsamt Hamburg.
Ba-NGM K02.Pf1_.A14, Haushaltspaß von Hannelore Wilmers, 1944, Hamburg, herausgegeben vom Landes- und Hauptwirtschaftsamt Hamburg.

 

 

Hannelore Wilmers, geb. Baumann, wurde 1917 geboren, sie lebte bis 1999. Sie war Tochter eines Lehrers und seiner Frau in Neuengamme. Ihr jüngerer Bruder war bei der SS. Hannelore Wilmers besuchte das Luisen-Gymnasium in Hamburg-Bergedorf. Dann arbeitete sie in einer Motorenfabrik als

Über die Korrespondenz

Neuengamme

Abbildung mehrerer Bündel Briefe aus dem Konvolut Neuengamme, von Kordeln zusammengehalten, in einem Schuhkarton durcheinander gewürfelt.

Die Briefe von Hannelore und Heinrich Wilmers befinden sich im Archiv des Kultur- und Geschichtskontors in Hamburg-Bergedorf. Über 1600 Briefe und Karten wurden von den Autoren nummeriert, sortiert und sorgfältig zu je 100 Stück gebündelt aufbewahrt. Die von Hannelore Wilmers verwahrte Feldpost