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[OBF-381021-001-01]
Briefkorpus

Lichtenhain am 21. Oktober 1938.
19.10.38

Heute muß ich mit einer Erklärung beginnen. Ihr neuer Briefschluß ist nicht nur um ein Grad sondern um mehrere Grad herzlicher und wirkt meinem Empfinden nach zurück auf die Anrede. Ich bin ganz einverstanden. Nur mein Name gefällt mir nun nicht. Ich weiß nicht, ob Sie auch die Empfindung haben: Er ist so steif und feierlich, so ohne Süßigkeit, bei seinem Klang sehe ich eine Farbe, dunkelsamtbraun, die ich nicht leiden kann. Ich weiß auch gar nicht, wie dem abzuhelfen wäre. Doch ich beginne nun.

Liebe [Hilde]!

Mit Pastor B., erzählte ich Ihnen schon, war ich einigemal zusammen. Er scheint mir ein unverbesserlicher Junggeselle. An einem Sonntag führten wir zusammen ein Gespräch über Weib und Ehe von nachmittag 3 Uhr bis abend 10 Uhr. Wir kamen damit nicht zu Ende, auch zu keinem Ergebnis. Ich möchte Ihnen im folgenden einige Hauptgedanken vortragen, damit es verständlicher wird, auch als Gespräch, zwischen A und B. Meine Meinung will ich dem A in den Mund legen. Ich möchte mich indes nicht dafür verbürgen, daß jedes Wort des B Herrn Blechschmidts unumstößliche Meinung ist. Sie machen auch keinen Gebrauch davon. Überhaupt war ja unser Gespräch keine hitzige Debatte zwischen unversöhnlichen Standpunkten, und wir haben einander geholfen, verschiedene Meinungen zu beleuchten und zu untersuchen.

B: Ich werde nicht heiraten.

A: Ich möchte das so bestimmt nicht sagen. Ich erkenne in einer guten Ehe doch viele Werte und einen hohen Sinn. Kann im Zusammenleben mit einem anderen Menschen unser eigenes Leben nicht gesteigert werden? Vier Augen sehen mehr als zwei. Geteilte Freude ist doppelte Freude. Am anderen erkennt man sich selbst erst recht. Ich sehe den letzten Sinn der Ehe darin, daß zwei Menschen sich finden auf dem Wege zu Gott, daß sie sich zusammentun, um aneinander zu wachsen, ihr Wesen zu läuten und zu vertiefen.

B: Diese Gründe muß ich gelten lassen. Kennen Sie eine Ehe, in der es so ist? Sind das nicht nur gute Vorsätze? Wie wollen Sie ein Weib suchen und finden, daß diese Vorsätze zu den ihren macht? Wie sieht es denn in Wirklichkeit aus?

Das Weib will vom Manne nur das Kind. Dann ist es zufrieden, ganz zufrieden, sein ganzes Interesse gilt dem Kinde, es hat dann kein anderes Bedürfnis mehr, es kann dem Mann ehrlich in seine Welt nicht folgen, es müßte denn heucheln. Es kann nicht folgen, will aber den Mann zu sich herabziehen, sie liebt den Mann dann wie ihr Kind, sie umhegt und bemittelt ihn, der Mann ist ihre Puppe, ihr Pussel, und der Mann wird zum Trottel. Und die meisten Männer fühlen sich wohl in dieser Rolle.

A: Wenn das in seiner ganzen Schwere zuträfe, wäre es entmutigend. Ich habe Beobachtungen gemacht, die Ihre Meinung bestätigen: Mütter, die ihre Kinder abgöttisch liebten, und zu ihnen gar nicht den Abstand eines Erziehers hatten. Aber noch mehr Männer, auf die das Wort paßt: Pussel, Trottel. Indessen habe ich bei meinen Aufenthalten an der See, und überhaupt in Norddeutschland öfter, Frauen und Mütter im Umgang mit Kindern beobachtet, die mir Hochachtung einflößten und den Wunsch rege werden ließen, auch ein solches Weib zu besitzen. Das Weib will das Kind, das ist seine Natur. Die Frau vertritt beim Manne auch Mutters Stelle, das ist natürlich. Liebe zum Kinde und Mütterlichkeit sind Hauptzüge weiblichen Wesens, sind — in Maßen — doch auch sehr liebenswerte Züge. Daß die Frau darüber hinaus aber auch mit ihren Gaben der Auffassung, in ihrer Weise an der Welt des Mannes ehrlich und interessiert teilnehmen kann, das hoffe und glaube ich, Ihre pessimistische Ansicht möchte ich nicht teilen.

B: Betrachten wir den Mann und sein Wirken!

Wo überall auf Erden Großes geschaffen wird und geschaffen wurde, ist der Mann am Werke. Die große Kunst, die hohen Gedanken, alles, was dieses Leben erhöht, ist Manneswerk. Der Mann bildet und schafft, das ist seine Natur, eine Schöpfernatur, ist sie nicht göttlicher, himmlischer Art?

Das Weib aber, will es den Mann nicht nur abhalten von seinem Werk, ihn herniederziehen; die Künste des Weibes, sind es nicht nur Künste der Verführung? Des Weibes Sinnen ist auf Irdisches gerichtet, es ist niederer Art, dem göttlichen des Mannes entgegengesetzt. Und so empfinden es viele Völker.

Bei den Indern zählt die Frau als halber Mensch.

Bei Japanern und Chinesen spielt sie eine ganz untergeordnete Rolle. Bei den Juden gelten schwangere Frauen als unrein, sie dürfen den Tempel nicht betreten. Der Katholische Priester darf nicht heiraten. Warum nicht? Das Weib würde die Würde seines göttlichen Amtes verletzen. Viele bedeutende Männer blieben unverheiratet, viele fanden an ihrer Ehe kein Genügen. Sind das nicht Beweise?

A: Bei den nordischen Völkern, besonders in Amerika, wird die Frau hochgeachtet. Ganz gewiß ist das Weib and[e]rer Art. Es schafft nicht, wie der Mann, es läßt vielleicht seine Gedanken nicht so hochfliegen. Ist es deshalb niederer Art? Schuf Gott nicht beide, daß sie einander ergänzen? Wenn das Weib auch nicht schafft nach Mannes Art, ermuntert es nicht so oft den Mann zu neuem Schaffen, g regt es ihn nicht an? Schafft es ihm im Heim nicht einen Hafen, einen Ort der Ruhe, den er gern aufsucht nach seinen Fahrten, der wiederum Brutstätte ist neuer Pläne und Ziele? Ist des Mannes Wirken denkbar ohne das Weib, das auch den Söhnen das Leben schenkt?

Und die Liebe zwischen beiden, muß sie erniedrigen, muß sie herabziehen?

Noch einen Gedanken möchte ich vortragen: bei allem Schaffen zerstört der Mann. Indem er diese Welt sich einrichtete, tat er der er der [sic] Natur Gewalt an, er zerstörte und verdrängte sie. Man sagt: die Natur, Mutter Natur, empfindet die Natur also als etwas Weibliches.

Soweit dieses Gespräch. Vielleicht komme ich noch einmal darauf zurück. Hoffentlich hat Sie es ein wenig interessiert.

Gestern Donnerstag reiste Mutter wieder ab. Es hat ihr gut gefallen, sie hat sich mit Hoffmanns gut verstanden. Natürlich waren wir am Sonntag unterwegs. Sie waren doch auch ein paar Stunden auf den Beinen?! Zum Lichtenhainer Wasserfall. Mit Straßenbahn nach Schandau. An der Elbe entlang nach Schmilka. Kaffeepause. Mit dem Zug zurück. Es war so eigenartig. Wieder mit einem weiblichen Wesen allein unterwegs. Wie hätte ich Ihrer da vergessen können? Am Mittwoch waren wir zum Nachmittagskaffee auf der Schloßbastei in Schandau. Mit H.s hatte ich mich schon vorher besprochen und eine Verschwörung gebildet. Von andrer Seite scheint unser Geheimnis bedroht: Fassen Sie Herrn G. scharf ins Auge und sehen Sie zu, daß Sie ihn allein sprechen können, wenn Sie Urlaub einholen. Er steht in brieflicher Verbindung mit einigen Lichtenhainern, auch mit dem Bauer H., den wir trafen. Was Sie dann tun, wenn Sie merken, er weiß etwas? Ob Sie ihn um Verschwiegenheit bitten? Ich glaube indes nicht, daß er schon etwas weiß.

Ich bin der Meinung, daß Sie Ihre Briefbogen falsch falten, irreführend falten. Wenn Seite 1 Innenseite ist, muß es 3 auch sein. Seiten nummerieren nimmt sich in Briefen nicht gut aus. Wenn ich Ihren letzten Brief lese, erwische ich konstant auf dem 2. Bogen die falsche Seite.



Ich kenne die Briefgebühren, im Fernverkehr bis zu 20g 12 Pfg., darüber 24 Pfg. Ich habe gedacht, daß Sie Strafporto bezahlen müssen. Wiegen Sie doch spaßeshalber den letzten Brief einmal nach. Ich bin natürlich Ihrer Meinung: daß wir der Post nichts schenken wollen.



Sie will mir ein x für ein X vormachen. Da guckt der Schulmeister heraus. Sie schreiben: Es ist wie verhext. Diesen ‚schweren’ lapsus (Fehler) nahm ich zum Anlaß meines Scherzes. [Siehe Ausschnitt aus dem Brief.]



Wenn Ihre Mutter nach neuem Lesestoff Ausschau hält, empfehlen Sie ihr doch den Roman vorn im Lönsband: Dahinten in der Heide. Er ist unterhaltsam und frisch geschrieben. Es ist der letzte Roman, den meine Großmutter um Pfingsten gelesen hat. Bitte grüßen Sie Ihre Eltern.

Wir wollen besuchen La Traviata von Verdi. (Wir sollen Verdi jedenfalls recht gründlich kennen lernen)

Ich lasse frei, denn der Theaterplan erscheint erst morgen. Besorgen Sie wieder das Textbuch? Nun gute Nacht! Es ist 1/2 12. Sie schlafen schon längst. Haben Sie wieder einmal von mir geträumt? Sie sind mir noch nicht im Traum erschienen. Ist mir auch lieber, Sie erscheinen in Wirklichkeit. Bleiben Sie gesund!

Es grüßt Sie recht herzlich

Ihr [Roland].

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Vieles an diesem Brief ist aus heutiger Sicht zumindest irritierend: zunächst das Gespräch mit dem Pastor, der eine so geringe Meinung von Frauen hat, Rolands Verständnis von den Aufgaben und Wesenszügen einer Frau, aber auch seine Belehrungen und, wie er selbst sagt, schulmeisterlichen Anmerkungen. Kommt da wirklich nur der Lehrer in ihm durch, wenn er Hilde das Wort lapsus in Klammer übersetzt oder sind die Gründe für seine Belehrungen in Bezug auf das Falten der Briefe in Hildes jugendlichem Alter zu suchen? Oder passen die Anmerkungen ganz einfach in die Auffassung der Geschlechterrollen dieser Zeit? Er erklärt ja, dass das Weib es nicht schafft seine Gedanken so hochfliegen zu lassen wie der Mann - schließt das das Wissen um das Briefefalten und die Gebühren der Post mit ein?

Einordnung
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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946