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Briefkorpus

Donnerstag, am 8. Mai 1941.

Mein geliebtes, teures Herz! Mein lieber, liebster [Roland]!

Du!! Weißt, wo ich jetzt eben hergekommen bin? Du!? Da kannst ja keine blasse Ahnung haben! 


Aus der Schule! Aus unsrer Oberfrohnaer Schule, aus der Kinderschar! Es ging ganz einfach zu: als ich gestern bei Frau G. zu Besuch war, sprachen wir auch von ihrem Posten als Kinderscharleiterin und sie forderte mich auf, doch mal zuzuhören nachmittags. Und weil es Donnerstags ist von 2-4 sagte ich zu für heute. Es hat mir sehr gut gefallen, so wie sie die Sache anfaßte – aber – die Kinder! Herzlieb! Jetzt weiß ich erst mal, was Du so täglich leisten mußtest! Mußt ja Nerven haben wie Stränge! Es sind etwa 20 Buben 2.+ 3. Schuljahr. Glaubst, ich möchte die Rangen nicht beaufsichtigen für immer, soviel mir's auch Spaß machte mich den Kindern zu widmen. Man bekommt mal recht einen Einblick in ihre Kinderstube! Sie haben alle so wenig Kindliches an sich, sind dumm und dreist – so recht ein Durchschnittsbild vom Stand der momentanen Erziehung. Das nur nebenbei, wirst es schon zur Genüge kennen selbst! Zu Beginn wurde ein Liedchen gesungen, bezieht sich auf unsern Führer – zuletzt: erhalt' uns Gott unsern Führer!

Daran anschließend ein kurzer politischer Überblick: Sinn des 1. Mai – warum feiern wir ihn – dann die Reichstag[s]sitzung kurz gestreift. Nun der gesellige Teil. Kasperlepuppen sollten auf Klebpapier [sic] gemalt und ausgeschnitten werden; dieser Plan wurde aber vereitelt, weil die meisten noch kein Material mithatten. Ging's über zum Gesang. Der Muttertag steht bevor dazu ein Liedchen: „Kommt ein Vogel geflogen“ … kein Junge kannte das Liedchen!! Ich war erstaunt darüber. Frau G. spielte nun zur auf der Laute die Melodie und sang es vor, dann mußten wir alle den Text lernen und mitsingen. „Ich hatt‘ einen Kameraden“ auch da konnte keiner den Text. „Wenn die Soldaten....“ ja, das konnten alle, vor allem brüllten sie am Schluß laut: nimm das Mädel bei der Hand.

Am Ende sind wir zusammen nach Hause, Frau G. und ich. Sie meint, daß es sie so sehr anstrengt, sie ist das viele Reden auch nicht gewöhnt und den Lärm – man hat ihr aber den Posten durch die Frauenschaft angetragen, und sie kann sich nicht weigern. Ob sie mich etwa einrichten will, wenn da[n]n ihr Kindchen kommt? Bis dahin kann noch viel dazwischen kommen! Ich halte mich reserviert der Sache gegenüber, wenn man mich von der Partei angeht, dann – mal sehn.

Es schadet gewiß nicht, wenn ich das lerne, wenn ich später als Frau Lehrer im Orte mit Dir bin, muß ich sowieso mich irgendwie betätigen in dem Fach, das ist nun mal so im 3. Reich! Aber ich bin ja nicht in der Frauenschaft. Du!! Muß ich dabei sein, was meinst? Wenn sie mich mal auffordern dazu, soll ich mich anmelden?

Ich muß wohl, ja? Frauenschaft gibt's nicht mehr – Frauenwerk ist das je[t]z[t]! Meinetwegen.

Ja, Herzlieb! Vom Besuch bei G.s! Schön war's! Sehr schön! Und so lieb haben sie mich aufgenommen! Um ½ 4 war ich geladen. Ich bin mit einem zarten Wickensträußchen hin, das löste viel Freude aus! Herr. G. war auch daheim, in Limbach hat er nachmittags gar keinen Dienst! Welch ein Leben!! Wir tranken dann gemeinsam Kaffee. Eine wundervolle Torte hatte sie gebacken: Mürbeteig mit Rhabarber und Quark. Überm Plaudern ging so schnell eine Stunde hin. Der Hausherr war gut gelaunt und unterhielt uns zwei Frauen ausgezeichnet. Du!! Er ist glücklich mit seiner Frau! Ich sehe es und ich freue mich mit an seinem Glück. Du glaubst nicht, wie er auflebt, er sieht richtig wohl aus. Das ist sicher noch die andere große Freude, neben seinem Weib!! Nach dem was der Mann durchleben mußte, ist ihm dies von Herzen zu gönnen. Eine Aufnahme im Freien machten wir, für den Matrosen! Daß er sich an uns freue! Da kam Herr Ge. vorbei u. unterhielt sich mit uns, er ist jetzt in Rußdorf,  hat 70 Kinder! in einer Klasse! Aber er hätte sie in Schwung, meinte [e]r. Herr Gr. ist nun auch fort zum Kommiß! Ge. sagt, daß diesen Sommer noch alle restlichen Männer geholt würden, er muß es ja wissen! Recht herzlich grüßen soll ich Dich von allen! Das will ich nicht vergessen, Herzlieb!

Herr G. hatte um 6 Uhr abends eine Verabredung im Kaffee Falke (Brümm) und ich wollte gleich mitgehen. Aber da protestierte die Gemahlin! So blieb ich – nur noch 5 Minuten! Ja – Kuchen – 2 Stunden wurden draus! Sie kam von einen in's andre und sie war so lebhaft. Sie zeigte mir ihre ganze Wohnungseinrichtung, ihre Kleider, wir kamen nämlich dann auf's Thema: Schneidern! Ach, und Bücher zeigte sie mir, gab mir auch 2 mit und Bilder sahen wir an. Kurz, es war so nett und unterhaltsam, ehe wir uns versahen, war's 8 Uhr!

Ich soll bald mal wiederkommen. Und ich würde mich wirklich selbst freuen, wenn ich mit dieser Frau Freundschaft pflegen könnte, sie ist ein sehr wertvoller Mensch, soviel ich bis jetzt urteilen kann. Jedenfalls eine geistig hochstehende Frau, dabei so voller Güte und Mütterlichkeit, man muß sie gerne haben; sie ist so schlicht und so natürlich in ihrem Wesen – ich kann viel Gutes von ihr lernen. Und das möchte ich auch Herzlieb, lernen – noch viel lernen von einem wertvollen Menschen, um mich weiterzubilden für unsre gemeinsame Lebensfahrt. Ach, der Mensch lernt ja nie aus im Leben. Und es ist so schön, wenn man einen Kreis Menschen um sich sammelt, von dem man weiß: er paßt zu einem im Wesen und er ist so beschaffen, daß man wirklich auch einen Gewinn hat dabei. Es soll nicht nur eine förmliche Freundschaft sein, die uns an irgend jemanden hält – der innere Mensch soll sich hingezogen fühlen, man muß einander etwas bedeuten.

Ich mag aber nicht, daß es so wird:, [sic] daß man nun alle W[oc]he an einem bestimmten Tag sich sieht, oder noch öfter. Nein. Man muß richtig das Verlangen haben, wieder einmal einander zu sprechen. – was darüber hinaus sich anbahnt, das wird die Länge der Zeit mit sich bringen. Und das geschieht auch alles von selbst. Frau G. äußerte den Wunsch, daß sie mich bald wieder sehen möchte und daß sie im Sommer, also in der kommenden, schöneren Jahreszeit auch mal mit mir spazieren ginge, oder zu Rade führe. Es wird sich alles finden. Ich würde mich nur freuen, wenn auch ich ihr etwas sein könnte. Sie selbst ist für mich ein gutes Vor[bil]d. 36 Jahre ist sie alt, 15 Jahre älter als ich und ist noch so jung in ihren Ansichten, in ihrem ganzen Wesen.

Vor Pfingsten werde ich nicht groß zu ihr hinkommen, wir haben noch einiges vor im Hause, unter anderem Wäsche!

Mein Herzlieb Du!! Heute erlebte ich die große Freude, daß ein Nachzügler ankam! Ein Bote von Dir!

Du hast ihn am 19. April geschrieben, an meinem Geburtstage! Geliebter!! Du!! Hast mich ja so beglückt!! Ich bin Dir von Herzen dankbar dafür! Du!!

Und an die lieben Elternpaare waren auch so viele liebe Worte gerichtet! Nun kann Mutter [Nordhoff] und Vater nicht mal mit dabei sein, wenn ich vorlese. Ich will ihnen den Brief schicken, sie werden sich sehr freuen.

Weil Du nur [sic] das Osterpäckchen bekommen hast, das freut mich. Und gerade an meinem Geburtstag!, da [sic] ist es doch garnicht so lange gegangen! Möchte wissen, wo dieser verzögerte Brief gelegen hat so lange. Am 20.4.41 ist er abgestempelt, solange ist gar keiner bisher gegangen. Ich habe den [V]erspäteten soo lieb aufgenommen, Du!! Herzlieb!! Er bringt mir doch Deine ganze große Liebe! Und ich nehme sie an, mein Lieb, sooooo gerne nehme ich sie an, Du!! Du!!!

Ach, mein Dickerle! Du mein herziges Mannerli! Du!! Du!!!!! Du hast so große Sehnsucht in mir angezündet! Oh Herzlieb! Wenn Du doch bald wieder einmal bei mir sein könntest!! Du erzählst mir vom Schlüsslein Du!! Ich weiß doch garnimmer, wie es aussieht! Weiß garnimmer, wie süß es sein kann wenn's zu mir kommt, Geliebter, Geliebter!!! Du? Wenn Ihr für die Dauer dieses Krieges da in Gr. [sic] bleiben sollt, ob Du da wohl einmal Urlaub bekommst? Du?!!! [H]auptmann Gr. erzählt, daß so viele wieder zurück sind in Chemnitz, Leipzig, Dresden vom Balkan, die gehören vielleicht den Divisionen an, die garnicht zum Einsatz gekommen sind. Wer weiß? Ich aber will hoffen! hoffen! Und warten!! Geliebter! Eines Tages wird auch uns die glückliche Gewißheit, daß alles gut ist! Es kann ja garnicht anders sein! Du!! Gott wird uns gnädig sein, Herzlieb! Und wir wollen nie aufhören ihn zu lieben, ihn zu bitten, daß er unseren Bund segne. Er behüte Dich mir, mein Herzensschatz! Du! Mein Sonnenschein! Ich bin Dein – Du bist mein! Unser Glück! Herzlieb!! Unser junges, strahlendes Glück! Ich liebe Dich! Du!! Du!!!!! Ich bin und bleibe immerdar ganz Deine [Hilde] Dein!!!!!!!!!!

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Autor Hilde Nordhoff
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946