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Briefkorpus

Pfingstsonnabend, am 31. Mai 1941.

Mein geliebtes, teures Herz! Du mein lieber, guter [Roland]!

Glockenklang dringt von draußen herein in’s Zimmer, es ist gleich 7 Uhr abends. Sie läuten das Pfingstfest ein! So schön ist das immer und so sinnig – ach Herzlieb! Könntest Du nun heute, wie es früher war, an meiner Seite sein, Dich mit mir freuen am Feierabend, freuen auf das Fest und den Kirchgang. Das ist alles so schön, lieb, so selbstverständlich, dies[es] Programm, wie wir es Jahr für Jahr halten. Und es ist so recht ein Au[s]druck heimatlichen Brauchtums und heimatlicher Sitte. Herzlieb! Mein Herzlieb! Du wirst an all das denken, heute – morgen. Ach, ich weiß es doch, Liebster!! Du!! Sollst nicht traurig sein bei Deinem Heimgedenken, Geliebter!! Du bist ja sooo fest und sooo lieb in mein Herz eingeschlossen, Du nimmst an allem mit teil!! Du gehst mit mir, wohin ich meine Schritte auch lenken mag!! Geliebter!!! Du bist mir immer gegenwärtig!!

Ganz froh sollst Du das stets wissen!!!

Und in Stunden der Erhebung, da ich etwas ganz besonders Schönes erlebe, da bist Du mir so ganz nahe!! Und dann erst, wenn ich Dich so recht nahe fühle, erlebe ich alles doppelt tief und schön – wenn Du bei mir bist, sei es nur im Geiste, dann bin ich ganz froh und ganz aufnahmebereit und ganz einer Sache hingegeben. Ach, wie freue ich mich der Zeit, da alles wieder Wirklichkeit ist!, glückvolle, schöne Wirklichkeit!! Du ahnst ja nicht, wie ich mich freue! Mein lieber, guter [Roland], Du!!!

Der ganze Tag schaute trübe und miesepetrig drein [sic], heute gegen Abend aber teilten sich die Wolken, die liebe Sonne kam hervor!! Nun vergoldet sie alles mit ihrem Licht und nun erst zieht die rechte Feiertagsstimmung in unsre Herzen ein – es ist doch sonderbar, was das Licht vermag in seinem Eindruck auf den Menschen. Ist sie nicht wunderbar, diese Kraft? Wenn im Leben auch das Gute und Segenbringende so bestimmend über den Menschen gebieten könnte und würde – oh, dann wäre vielleicht vieles, vieles besser – nicht so viel Not u[n]d Elend in dieser Welt. Pfingsten – „o heilger Geist kehr bei uns ein“ – jubelnd wird es morgen die Orgel künden in den Tag, viele von denen, die gekommen sind, Gottes Wort zu hören, werden gestärkt und froh und zuversichtlich heimkehren. Viele unter uns, die kaum daran denken, welch tieferen Sinn das Fest birgt – die kaum zur Kirche gehen.

Wie arm sind jene. Und braucht nicht jeder einen Zuspruch, einen Trost, einen festen Halt und frohe[n] Ausblick in unsrer Zeit? Etwas, das mehr gilt, das länger währt, als ein guter Rat vom Freunde, ein gutgemeintes Wort, hinter dem sich aber doch meist nur die eigene Ohnmacht dem gewaltigeren Geschehen gegenüber verbirgt, daß [sic] über uns waltet. Alle, alle müßten hingehen und sich Kraft holen, an der unversiegbaren Quelle.

Und ich wünschte mir, daß auf unsrer Kanzel morgen ein Mann stünde, der wahrlich im Sinne Christi handeln wollte und zu uns sprechen.

So wie wir uns die Welt wünschen und vorstellen, in unserm Ideal, so wird sie niemals sein. Wir sind auch nur welche unter vielen – Menschen unter Menschen. Menschen zwar mit Lebensrichtung und Grundsätzen. Doch wir können uns nur in unserem engen Kreise unser Leben so zimmern, wie wir es uns erstreben und wünschen. An den großen Kreis müssen wir uns anpassen, müssen sehen wie wir damit zurechtkommen – und damit ist nicht gesagt, daß so ein Leben nichts [sic] segensrecht sei, man kann auch vieles, vieles von denen lernen und [a]bsehen, die nicht mit unseren Ansichten übereinstimmen. Darum bleibt das Wort, das Du mir schon einmal sagtest; lang ist’s her: jeder muß im Leben die Rolle spielen, die ihm vom Schicksal auferlegt wurde – man muß das Leben lieben in seiner Buntheit, mit seinen Kontrasten.

Und wohl dem, der sich der Welt ohne Haß verschließt – sagte das nicht Goethe?

Herzlieb! Wenn Du nur erst wieder bei mir bist!! Das ist das Wort, das mich beseelt allezeit.

Dann, dann …. werden wir mit allem zurechtkommen, dann sind wir zu Zweien, tragen alles miteinander! In unmittelbarer Nähe wird es uns noch einmal so leicht fallen, mit dem Leben zurecht zu kommen, mag es uns bringen was es wolle! Wenn Du bei mir bist[,] fürchte ich nichts Geliebter! Du bist mein Halt auf Erden, mein Beschützer, mein Liebstes, Du bist meine Heimat! Bei Dir bin ich zuhaus [sic], bei Dir kann ich einkehren mit allem, was mich bedrückt, Du bist nur für mich da. Und daran zu denken gibt mir soviel Freude und Trost und Zuversicht, Du mein herzlieber [Roland]!! Wann wird es sein, denke ich stets, daß wir wieder einmal miteinander solch schönes Fest feiern können? In aller Ruhe und Beschaulichkeit, ohne die Gedanken auf Trennung und Abreise zu richten? Ach Du! Niemand kann jetzt absehen, wann das sein wird. Wann überhaupt Frieden sein wird. Es bleibt nichts übrig, als daß wir uns gedulden, Liebster. Der Proben härteste, die das Geschick uns stellte bisher war, daß wir uns gedulden müssen.

Ach Herzlieb! Wir beide sagen nicht, daß sie leicht ist. Sie trifft uns hart – beide – uns beide an der Schwelle der Erfüllung! Aber das kann uns nicht niederdrücken – kann unsre Hoffnung auf ein gutes Ende nur lebendiger werden lassen! – Und das Vertrauen auf Gott den Herrn, der uns so gnädig führte bisher! Herzlieb!! Herzlieb!! Bleibe stark mit mir und vertrauensvoll! Ich liebe Dich! Du!! Du!! [Du] hast zwei liebe Kameraden gefunden, mit denen zusammen Du Dein Schicksal erträgst, leichter erträgst. Sie sind aus Deiner Heimat, allein so seid Ihr Euch schon inniger vertraut, als mit irgend einem anderen, der aus einer ganz andren Gegend Deutschlands stammt. Und doch – im fremden Lande, wo alles, alles fremd und ungewohnt ist, da glaube ich, kann man sich schon vertraut fühlen und angezogen, wenn man einem Menschen begegnet, der die Muttersprache spricht. Ganz gleich, welchem Landstrich der Heimat er entstammt. Ich könnte mir das so lebhaft vorstellen, wenn man jetzt tage- [und] wochenlang allein unter Fremden weilt, nie einen deutschen Laut hörte und plötzlich stünde man einem Deutschen gegenüber – das muß so wunderschön sein, so wie ein Geschenk, oder wie eine Heimkehr, oder wie eine frohe, frohe Begrüßung zwischen 2 guten Freunden.

Ach ja, das Heimweh kann furchtbar weh tun. Aber so kraß sind ja die Verhältnisse bei Dir nicht. So viele, viele Kameraden sind bei Euch in der Stadt. In Deinem Hause schon! Und Du hast schon das Glück unter „Heimatgenossen“ zu sein! Brüder aus der Heimat im engeren Sinne, sie sind nicht nur Deutscher [sic] wie Du, sie sind Sachsen!!!

Ach Herzlieb! Heute kam Dein lieber Bote vom Freitag, den 23. Mai, wo Du mir so froh berichtest von Eurem Gemeinschaftsleben. Ich bin richtig glücklich, daß Ihr 3 Euch so gut zusammengefunden habt. Du glaubst vielleicht garnicht, wie froh ich darüber bin! Es hat mir richtig aufgelegen, daß Du auch einen guten Kameraden finden mögest! Daß Du und ich täglich in Verbindung stehen hat hiermit so wenig zu tun – das ist ja selbstverständlich! – Du mußt aber einen guten, verläßlichen Menschen zur Seite haben, der bei Dir ist, wenn Du ihn brauchst. Es gibt ja so vielerlei Dinge, die Du nicht mit mir ausmachen kannst, wo ich Dir nicht zur Seite stehen kann, nicht dabei sein kann – um der großen Entfernung willen. Und eine echte, treue Männerkameradschaft wiegt kein Gold in der Welt auf. Im Kriege ist sie doppelt wertvoll und tief und schön.

Ich kann mir das richtig vorstellen. Und ich bin kein bissel eifersüchtig auf die beiden!

Ich gönne sie Dir, wirklich! Herzlieb mein!! Haltet zusammen! Vertragt Euch!

Es gibt nichts Schöneres als eine treue Kameradschaft. Ach, sie hilft Euch allen dreien über manche trübe Stunde hinweg. Sei es dienstlich, oder im Heimgedenken. Ich möchte bei Euch sein, als Euer guter Kamerad, möchte auch ein Mann sein jetzt – mit meinem Hubo zusammen!! Ich wollte an garnichts Süßes denken – wollte bloß ihm gegenübersitzen in der Schreibstube, am Mittagstisch, mit ihm ausgehen, mit ihm zusammensein immer – doch, vielleicht, abends, ein ganz, ganz kleines Küßchen? Das könnte ich mir nicht verzwingen [sic] Du!!! Braucht ja keiner zu sehen und zu hören, Du!!! Es wäre doch am Ende eine viel größere Qual als jetzt, mein Herzlieb! Wenn wir täglich umeinander wären, nun, wo wir einander so ganz erfüllen können, und wir wollten nicht ein einzig’s Mal glücklich sein! Ich glaube, das hielt keines von uns beiden aus, Du!!! Du!!!!!

Wenn wir uns nicht sehen, leiblich, mag es sein – aber anders!!! Das wäre die härteste Probe, vor die man uns stellte! Du!!!

Und nun richtet Ihr Euch ein schönes Junggesellenstübchen ein! Fein!! Ich möchte mithelfen, Du!!! Habt Ihr nun auch Viecher? Da im I. Stock? Du tust mir leid! Armer!! Beißen sie arg?

Streu‘ nur immer bissel was andres zu Fressen hin, lasse Dich nicht anknabbern!!

Das besorge ich lieber, Du!!! Ach Du!!!

Und bringe mir ja keine mit! Du!!!!!

[ohne Grußformel von Hilde]

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946