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[OBF-421215-002-01]
Briefkorpus

55.)

Dienstagabend, am 15. Dezember 1942.

 Geliebter! Mein [Roland]! Herzensschätzelein! Es ist bald 1/2 8 Uhr, nun komme ich aber zu Dir mein Mannerli! Hab doch schon so lange drauf gewartet. Und ich hatte doch so viel Drasch heute, Herzelein! Hör nur, gleich nach 6 Uhr bin ich aufgestanden, hab eingefeuert und dann mit Mutsch den Morgenkaffee eingenommen. Gleich anschließend habe ich angefangen zu plätten, ich hatte mir alles schon am Abend vorher eingesprengt. Du Herzelein! Dann habe ich doch zum ersten Male ganz alleine Gardinen aufgemacht! Du, auch noch die neuen, von Mutsch genähten. Ich habe aber emsig hantiert und bin hochgestiegen und bin runtergestiegen, zurückgetreten, das Werk begutachtet. Endlich war´s nach meinem Geschmack. Aber fein. Und auch in meinem Kämmerle machte ich frische Gardinen auf. Du, glaubst? Darüber war es schon 9 Uhr vorbei geworden. Die ganzen Decken legte ich auf, brachte Vorhänge an, am Küchentisch und am Bänkchen, dann habe ich die Küche gewischt und den Läufer hereingeholt wieder. Zu essen gabs [sic] heute Kalbsbraten mit Rotkohl und Kartoffeln. Und als ich alles auf dem Herd stehen hatte, da hab ich mich doch erst mal hingesetzt und Deinen so lieben Mittwochboten gelesen, mein Lieb! Er ist doch heute gekommen und hat mir soviel Freude gebracht, Du! Sei von Herzen lieb bedankt. Ich glaube da fehlt noch einer, halt! Ja, vom Montag hab ich den letzten Boten. Er wird schon noch kommen. Auch bei Dir stellen sich nun alle Nachzügler ein! Es ist eine unverschämte Bummelei, gelt? Aber wir wollen froh sein, daß wir überhaupt alles bekommen, was wir einander zudenken. Ehe ich nun auf dies und jenes eingehe, will ich Dir rasch noch erzählen, was ich noch alles trieb heute. Die Mutsch arbeitete nämlich voll heute, weil wir am kommenden Freitag Waschfest halten und da geht sie nicht dafür. Nach dem Aufwaschen putzte ich Schuhe, bohnerte das Haus und wusch dann mich selber von Kopf bis Zeh, zog mich frisch an, weil ich zur Schneiderin anprobieren wollte.

Unser Papa war heute mit den Mehlkarten in der Mühle, hat aber nicht bissel mehr bekommen, wir waren sehr enttäuscht. Wollten doch noch ein wenig im Hause haben außer dem Stollenmehl. 10 ℔ wollen wir backen, ich glaube da kriegen wir 4 Stollen. Mal sehn. Und beim Bauer L. war Papa auch, das Luder gibt keinen Tropfen Milch mehr raus. Da haben wir nun keine in den Stollen. Bloß bissel blaue. Na, es muß auch so gehen. Wir haben halt mal Pech!

Ach Du! Vorhin gleich war Papa hier aus de Nachtschicht und brachte 12 Pfund Weizenkörner! Wie fein!! Er hatte schon länger mal mit einem Bauer H. gesprochen und der hat heute bei H.s Jauche gefahren und Papa das Säcklein mitgebracht. So eine Freude! Die schaffe ich gleich in die Mühle zum mahlen [sic]. Nun kann doch Papa wieder Suppe essen. Es hängt am Mehl immer bei uns. Und gerade vor Weihnachten, wo allerhand für die Bäckerei draufgeht.

Die Schneiderin hatte mein Kleid schon bereitliegen. Schön wird es, Herzelein! Es wird Dir schon gefallen! Nächsten Dienstag kann ich es holen. Das schenkt mir mein Herzlieb zu Weihnachten, gelt? Ist doch ein richtiges Hubokleidel dieses, Du hast es gewählt, den Stoff mir mitgebracht und hast auch sogar ein wenig mit aussuchen helfen [sic]. Obwohl es doch [ganz] anders wird, wie auf den betrachteten Bildern! Wie immer bei mir! Von dem ein bissel, von jenem ein bissel!! Ach Du! Wenn ich Dir nur darinnen gefalle, das will ich doch.

Ja und Du darfst sogar die Schneiderrechnung bezahlen o [sic] Du! Nun mußt Du aber auch zu Weihnachten heimkommen, gelt? Daß Du das Neue bewundern kannst. Es soll doch ein ´Taufkleidel’ werden, wie des kleinen Nikolaus´! Weiß nur noch nicht, ob zu Weihnachten Taufe sein wird. Ich glaub es kaum. Ich habe noch keine Nachricht, ob Elfriede in Bisch. ist und Mutter bei ihr. Ob Hellmuth da ist, weiß ich auch nicht. Ach, es ist auch ganz schön so. Da brauche ich die lieben Eltern nicht allein zuhaus [sic] zu lassen.

Auf dem Heimweg von der Schneiderin kaufte ich noch beim Holzbudenmann bissel ein. Milch holte ich auch, denn ich kochte Vater Kürbissuppe für die Nacht. Immer habe [ich] mit der Esserei zu tun, glaubst? Und nun sitzen Mutsch und ich wieder beim Lampenschein, Mutter näht Puppenbälge! Eine nach Glauchau – eine nach Kamenz. Du! Ich habe doch gestern noch ein Geschenk für Mutter in Kamenz erstanden. Stelle Dir die hübsche Buchhülle vor, die ich Dir voriges Jahr zu Weihnachten schenkte. Zuletzt war das Post-Benoni Buch drin. Also in dieser Art für Mutter eine Schmucktruhe. Sie gefällt mir! Und Mutter kann sie gebrauchen, sie hat viel Schmuck. Ich habe 12,50 M bezahlt dafür. Eigentlich ist sie es nicht wert, schätze ich. Aber für solche Kunstgewerbesachen nehmen sie gerne etwas mehr! Hauptsache ist aber, daß wir der lieben Mutter eine Freude bereiten, gelt? Vater wünscht sich Schwarzen Tee von mir! Woher nehmen? Ich habe noch 1½ Päckchen, den will ich aufheben für den Fall, wenn’s einem mal nicht gut ist. Ich muß ihm da ein Beutelchen von Elfriedes abzapfen! Es braucht ja keine Menge zu sein.

Sonst habe ich nichts für die Eltern, die "Karline" kriegen sie noch, da werden sie schön lachen! Die mögen sie nächstes Jahr dem Nikolaus schenken!

Und für meine Eltern habe ich eines, aber das sage ich Dir später, damit Du nicht enttäuscht bist. Und Mutsch wollte ich den Stoff für ihr Wollkleid bezahlen. Für Papa hab ich nichts weiter. Vielleicht kriege ich beim Fleischer eine schöne harte Wurst, wie voriges Jahr. Natürlich nur auf Marken. Ach, es wird schon wie Weihnachten sein und das ist ja nicht die Hauptsache. Ach, ich denke garnicht daran, daß ich selber auch etwas vom Weihnachtsmann bekommen könnte. Ich bin so froh und zufrieden, weil ich Dich gesund und geborgen [weiß], Du mein liebstes Mannerli! Ach, mehr will ich nicht! Mehr wünsche ich nicht! Das ist meine Freude immer und so auch meine Weihnachtsfreude. Du! Ich hab sich so sehr lieb! Und in Gedanken, da werd ich so ganz lieb mit Dir das liebe Weihnachtsfest feiern! Ach Du! Lebst doch so ganz tief drinnen in meinem Herzen! Unverlierbar bist Du mir, Du mein Herzelein! Mein Geliebter! Mein Ein und Alles, Du!!

Ach Du! Weißt Du denn noch wie lieb ich Dich hab? Du!!! Du!!! Dein Mitarbeiter, der Kamerad R. weilt zuhause bei seinem todkranken Vater. Und wenn er auch verlängerten Urlaub hat, so ist es doch ein furchtbar trauriger Anlaß. Sicher kehrt er mit einer Trauerbotschaft zurück zu Dir.

Ach, wenn man in jedes Menschen Innere schauen könnte, am kommenden Weihnachtsfest! Wieviel mag Trauer und Zerrissenheit sein, wieviel Herzeleid [sic]! Arme, bemitleidenswerte Menschen. Und doch leuchtet auf denen das tröstliche Licht der Gottesbotschaft. Ich muß dann immer wieder an unser Geschick denken, mein [Roland]. Wie so gnädig hat der Herrgott uns vor dem Schlimmsten bewahrt bisher, das dürfen wir nie vergessen! Auch wenn’s uns einmal ganz dunkel scheinen will, liebster [Roland]!

Und wir wollen tapfer sein! Ganz tapfer! Geliebter!

Je länger man uns voneinander trennt, umso innger halten wir uns fest, ganz fest!! Du! Wir müssen einander bleiben, müssen einander bleiben! Du!! Du!!! Unsre Liebe hält uns! Und Gott wird uns die Kraft schenken, durchzuhalten.

Ach mein [Roland]! Heute erzählst Du mir nun wieder eine Neuigkeit. Kamerad H. muß nach Rußland! Der Arme!

Wenn es auch nicht tief drinnen ist – ich hab mir’s vorhin gleich mal gesucht – aber es ist doch Rußland. Ach, nun wird er wohl nicht gleich wieder heimdürfen. Wie mag es seine Frau aufnehmen? Du könntest nun auch dabei sein, Liebster. Ach, man würde sich auch dareinschicken. Aber eine Sorge ist es doch. Wenn er nur gesund bleibt bei allem und seine Operation ihm keine Beschwerden mehr macht, dann mag ja alles sein. Und wie lange noch so? Ich will nur gleich einmal schön der Reihe nach Deinen lieben Boten durchgehen. Möchte Dir doch gern auf alles antworten.

Du Liebes sagst mir, wie froh Du bist, wenn Du zu mir kommen kannst nach Deiner Arbeit des Tages. Ach Du! Auch Dich lockt nichts anderes, nicht die Stadt, das Vergnügen. Ach Du! Es gibt ja nichts Lieberes, nichts Wichtigers, als einen Boten auf den Weg zu bringen! Du!! Wir wissen es doch beide! Und entschuldigen will sich mein Herzelein? Weil es gemeint hat, ich habe es hinter sämtliche Möbel geschoben! Ach nein, Du! Meine Freude mußt Du doch miterleben. Ich habe Dir jeden Tag geschrieben! Auch an dem Mittwoch vor der Abreise, da kam doch Dein herrlicher Speck an! Und an dem Abend noch aßen wir Speckfettschnitten! Und ich hatte doch noch eine mit auf meiner Reise! Ei freilich habe ich Dir den Erhalt der Päckchen bestätigt! Wer wird so eine köstliche Sendung nicht achten! Du!! Na, nun hat sich’s gewiß alles geklärt.

Und auch mit den Briefen ists' am besten, wenn wir wieder numerieren [sic]. Ich tu es schon, seit Du zuletzt bei mir warst. Hast es schon gemerkt?

Und auch die Gänsegeschichte ist nun in Ordnung! Das war ja auch eine Freude! Du!!

Du mahnst mich wieder lieb, daß ich mir meine Freiheit wahren soll, Herzelein! Ich tu’s schon so gut ich kann. Ach, ich glaub Du weißt garnicht, wie das so zugeht in der Heimat. Man muß immer spritzen, und dabei denken manche immer noch, man faulenzt! Ja, gibts' auch. Aber ich versprech' Dir: alles in Maßen! Und ich bin bis jetzt noch nicht aus dem Geleise [sic] gesprungen. Ich will mich auch hüten!

Mit dem Bahnhofsdienst ist es heuer Schluß. Und wie er sich weiter anläßt wollen wir mal abwarten. Nimmt es überhand, dann bremse ich jedenfalls auch mal! Du hast ganz recht!

Liebster, was Du mir alles dazu sagst, wenn eine Frau sich im öffentlichen Leben so bewegen muß. Es ist unschön. Aber die Zeiten verlangen es. Und man geht trotz allem mit dem stolzen Gefühl heim: du hast deine Pflicht getan wieder und hast obendrein dich bewährt, bist vielleicht einem manchen Menschen als Beispiel mit in die Welt hinausgegangen. Und die, die den Sinn des Weibtums nicht begriffen haben, spüren vielleicht doch einmal, was es darum Schönes und Eigenes ist, eben durch die Haltung solcher, die es verkörpern.

Aber ganz recht hast Du. Weibliches Wesen braucht einen Schutz, einen Anhalt. Weibliches Wesen und Empfinden will am Manne ranken – es ist so, wie Du es empfindest.

Und die wie wir zwei die gute, echte Liebe nie erfuhren und erlebten, die wissen ja garnichts von all dem großen und köstlichen Empfinden, was es bedeutet, dem einen zu gehören bis ins Letzte! Ach Du! Sie können es nicht ahnen! Geschweige denn nachempfinden. Und solchen Mädchen ihr Herz wird wohl immer wie ein Bienenhaus sein: ein Kommen und Gehen. Und das große Glück geht vorbei, weil das Gefühl dafür erstarb über aller Tändelei.

Ach Geliebter! Auch wenn ich unter Männern sein müßte. Ich weiß, ich bliebe ganz die Deine. Zu tief bin ich Dir verbunden! Immer näher bin ich Dir gekommen. Und seit Du Dein Herze mir so ganz aufgetan, Geliebter! bin [sic] ich doch nur noch für Dich da auf dieser Erde. Geliebter!! Ach, ich habe Dich ja von Jahr zu Jahr immer lieber gewonnen! Du! Je weiter sich mir Dein geliebtes Wesen erschloss, umso inniger habe ich mich Dir verbunden. Du bist wie mein Herzblut so ganz mein Eigen! Mein Ureigen.

Ach, was braucht es da noch der Worte!

Du weißt, wie ich Dich liebe! Mein [Roland]!

Mein Herzelein erzählt mir nun auch ein mal [sic] so lieb und ausführlich von seinem "Beruf" jetzt. Brrr! Das ist alter Aktenkram, gelt? Männerarbeit. Glaubst, wenn ich das alles so lese, da ist mirs [sic] als weiteten sich in mir Schwingen, um in die Freiheit, ins tätige Leben zu enteilen!

Ich glaube ich taugte nicht zür Büroangestellten.

Mußt nicht meinen, daß es mich nicht interessiert! Ach nein, so nicht. Aber es drängt mich zu anderem. Ich bin halt ein richtiges Weibel, gelt? Und fühle mich am allerwohlsten in meinem von Natur gegebenen Bezirk. Und am allerglücklichsten werde ich sein, wenn ich für Dich schaffen kann, Du! Und nicht nur für Dich, mein [Roland]! Ach Du! Mein [Roland]! Aber Du weißt, daß ich an meines lieben Mannerli Bezirk so gerne teilhaben will! Ich will doch auch in Deiner Welt mitleben!! Und das ist ja auch nur eine geborgte Welt, in der Du jetzt lebst, eine aufgezwungene! Ach, einmal kannst auch Du wieder nach Herzenslust schaffen so, wie Du willst! Du! Aber ich freue mich, daß Du nicht mit Widerwillen Deine Pflicht tust, sondern daß es Dir auch gewissermaßen Freude macht, Dich in das System einzuarbeiten. Hast nun mal das Schreiberlos gezogen für den Krieg. Ach, ich bin heilfroh! Und schon mir zuliebe halte aus, Herzelein! Ich mag Dich lieber in dieser Laufbahn wissen, als sonstwo.

Gebe [sic] Gott, daß Dein Weg so eben fortgeht in Zukunft! Ich möchte Dich doch vor allem Widerwärtigen bewahrt wissen. Du! Ach, wenn wir nur gesund bleiben! Wenn Gott uns nur gnädig bleibt! Unsre Liebe ist ewiglich! Und gibt uns alle Kraft und Lebensfreude! Allen Lebenswillen! Du!!

Mein Herzelein! Ich möchte doch am liebsten die ganze Nacht bei Dir sitzen bleiben. Aber es wird kalt im Stübel.

Und Mutsch drängt zu Bette. Wenn Papa Nachtdienst hat, dann finden wir unser Bett nie! Eine Unart ist das. Morgens ist man müde und kaputt. Aber das macht, weil es vorm Fest noch so viel Kram zu tun gibt. Morgen ist meine Weihnachtsfeier bei den Kindern. Donnerstag beginnt das Waschfest. Montag nach Breitenborn und am Dienstag?

Nun rate mal, was da los ist! Ich weiß!! Du!!!

Da hab ich doch Feiertag! Ja!! Da krieg ich eine Sonderfahrkarte nach Bukarest. Meine Güte! Wär das eine Idee! Du Herzlieb! Das wünscht’ ich mir zu Weihnachten! Oh Geliebter!

Bei Dir sein! Bei Dir sein!!! Wie ich mich sehne!, [sic]

Wie ich Dich liebe! Gott behüte Dich! Gutenacht [sic]! Es ist um 11 Uhr.

Es küßt Dich lieb Deine glückliche [Hilde], Du!!!

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946