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[OBF-421220-002-01]
Briefkorpus

60. Sonntag, am 4. Advent, 20. 12. 1942.

Herzallerliebstes Mannerli! Mein geliebter [Roland]! Du!!

Heute hab ich mich tüchtig dazugehalten mit allem, damit ich mich gleich nach Tische in die Schreibarbeit stürzen kann. Die Uhr zeigt 1/4 2 [Uhr] mittags. So kann’s losgehn! [sic]

Aber allem voran kommt mein Mannerli dran - mal schaun, wieviel Zeit dann noch für die anderen übrig bleibt! Du! Wirst doch auch so in die Enge getrieben sein wie ich mit Deinen Weihnachtsbriefschulden! Ehe man sichs versieht ist die Zeit heran und dann [g]ibt's Hochdruck auf der Schreibstube.

Draußen strahlt die liebe Sonne! Lacht unsre Wäsche aus, die auf dem Boden hängt. Na, die hängt oben gut! Mutsch legt letzte Hand an die Puppengarderobe, niedlich sehen die wieder aus! Wenn uns Mutsch auch erst solche bastelt, für unsre Maidlein!! Du!!!

Papa macht ein Nickerchen. Er will nachher nach dem Kaffee mal nach Mittelfrohna spazieren, wenn ich nicht so viel zu schreiben hätte, ginge ich ein Stückel mit. Aber erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Mal sehen, was noch für Zeit am Abend bleibt. Ein Mondscheinspaziergang ist auch fein! Aber ohne Mannerli nicht ganz so fein! Du! Was magst Du denn treiben jetzt? Auch schreiben? Ob denn die Proben gut verlaufen mit Deinen Sängern? Ach Du! Und Du wirst nun auch schon die Stunden zählen bis zum Geburtstag, gelt? Ach, wenn ich nur gleich bei Dir sein könnte übermorgen, Herzelein!

Ich will doch ganz fast und lieb Dein denken! Du!!! Morgen nacht, da schlaf ich vielleicht ebenso unruhig wie Du! Mal sehen, ob mich mein Mannerli weckt über die Ferne. Morgen Vormittag 1103 [Uhr] fahre ich nach Breitenborn.

Wie haben wir vorhin gelacht! Ich habe nämlich dummerweise in Wittgensdorf 1 Stunde Aufenthalt und da meinte Mutsch: "Wenn ich nur gleich dabei wäre, ich hab gar keine Ruhe, wenn ich dich alleine weiß morgen."

Sagt Vater, wir sollen doch zu zweien [sic] fahren, dann hätten wir auch in Wittgensdorf nur 1/2 Stunde Aufenthalt, miteinander! Oder noch besser, wir sollen ihrer so viele fahren, daß gar kein Aufenthalt mehr bleibt, sondern daß wir glatt weiterfahren können! Ja, Vater, das ist ein ganz heller Kopf. Er hat überhaupt gute Laune, trotzdem er krank ist.

Das freut mich besonders. Er hat seine Zuteilung bewilligt bekommen. Nun macht er eine Milch-Haferflocken–Kur. Es wird schon wieder alles gut werden, denke ich; denn solang er weiterhin einen so guten Appetit immer entwickelt kann es so schlimm nicht sein. Er bleibt unter ärztlicher Kontrolle.

Nun gleich erst noch etwas Geschäftliches. Zum Jahresabschluß zahlte die Girokasse auf mein Konto 5 Reichsmark Zinsen! Dann kam wieder mal ein Zahlungsbefehl von den Kirchenmusikern! Den [sic] habe ich aber erst mal, wie schon voriges Jahr, auf den Zahn gefühlt, ehe ich zahlte. Und wirklich – siehe da! Ich hatte Recht. Diese Beiträge ruhen im Kriege, wenn das Mitglied Soldat ist. Haben die Dummerkiele [unklar] vorig’s Mal doch den Beitrag eingesteckt! Na, ein Taler reißt uns nicht um. Aber wenn man immer so denkt? Das summiert sich. Und nun will ich auch meinem Mannerli die gewünschten Kontonummern mitschreiben. Aber nur unter der Bedingung! Daß Du nur das mehr überweisen läßt, das ich auf einem neuen Sparkonto anwachsen lasse, als zugedachtes Geschenk an die Eltern. Hörst zu mich? Mannerli ich bitte Dich! Nicht das Geld fürs Herrenzimmer! Das ist mein Geschenk an Dich! Bad Schandau – Nr. 504 / Oberfrohna – Nr. 1409

So. Das ist der Geschäftsabschluß im alten Jahre. Stimmt alles, Mannerli? Was ich vergessen hab, wird als Schuld mit ins neue Jahr genommen! Das ist doch auch gleich ein Grund, daß wir auch 1943 wieder miteinander in Verbindung treten! Oh Du! Wenn das der einzige Grund wäre!!!!! Ach Herzelein! Ich bin ja heut so froh! Du !!!

Ob Du wohl auch so froh bist? Das innere Frohsein, es kommt mir doch nur so von Dir. Das habe ich schon so oft erkannt. Ach, es ist doch für mich auch keine liebere Gewißheit, als daß ich Dich so ganz froh weiß, Du mein Geliebter! Mein Herzensmannerli! Herzelein! Sonntagsmorgens hole ich mir immer das Chemnitzer Tageblatt herauf, was U.s bekommen. Und da stand heute ein schöner Artikel drin, den ich Dir unbedingt abschreiben muß, weil er mir so gefällt.

Worte der Liebe.

Jede Tat des Mannes, jedes gute oder böse Werk, jegliche Handlung seines Hirns und seiner Hände hat in der Frau ihren Ausgangspunkt oder auch – wenn die Frau noch nicht bei ihm ist – in der großen Sehnsucht nach ihr.

Denn alles Mannesleben ist zutiefst der Frau zugehörig.

Die Frau allein ist berufen, den Mann zum tätigen Leben zu errwecken [sic], zugleich aber auch das Kind in ihm zu bewahren und pfleglich zu erhalten. Die Frau oder – was das gleiche ist – die Liebe zu ihr, die zehrende Sehnsucht nach ihr.

Nur Männer, deren Pflichtenkreis weit über denjenigen der anderen hinausgeht, zerbrechen dieses Urgesetz des Lebens, um alles das, was an Liebe in ihnen glühend lebendig ist, jenem zuzuwenden, was das Werk bedeutet. Und doch, auch dort steht die Liebe zur Frau, ohne sich zu einer einzelnen zu bekennen, am Anfang dessen, was die Welt dann ihre Tat nennt. Wie verwirrend bunt nun die Gedanken um mich schwirren! Das Zimmer wird weit, seine Wände öffnen sich wie Türen. Doch anstelle der friedvollen Winternacht leuchten die weiten Felder und Wege auf, in denen wir nach der Lösung jener großen Rätsel suchen, die wir unter dem ach so billigen Namen Leben zusammenfassen.

Das Leben? Mit einem jeden unsrer Tage, ja, mit einer jeden mit dir zu Ende gelebten Stunde offenbart sich mir aufs neue: Das Leben streift für uns Menschen seine tiefsten Rätsel leise lächelnd ab, wenn wir es aus dem großen Glück einer Zweisamkeit heraus betrachten können.

Vielleicht aber auch nimmt diese Zweisamkeit und das mit ihr verbundene Glück am Leben uns die Sucheraugen. Vielleicht ist die Zweisamkeit und ihr großes Erlebnis stärker als jene Rätsel des Lebens, die immer wieder auf eine Antwort warten. In der wundergläubigen Zweisamkeit gehen wir Menschen wohl an diesen Rätselfragen vorbei wie an seltsamen Blumen, die wir nicht kennen, die wir schön finden und deren Anblick allein uns erfüllt, ohne daß wir nach ihrem Lande fragen.

Denn die Zweisamkeit ist der Anfang und auch das Ende unsres kurzen Weges doch das All. Sie streut uns das, was wir unser Glück nennen, wie Blumen auf den Weg.

Ein Mensch allein muß aus einer fast unfaßbaren Tiefe schöpfen, und in seinem Lebenswerke der Sehnsucht, der Hoffnung und dem Glauben von ungezählten anderen dienen können, so dienen können, daß er diese Ungezählten in sich vereinigt, um sich in seiner großen Einsamkeit der Sicherheit seines Weiges bewußt zu bleiben.

Das sind die großen schöpferischen Menschen unter uns.

Sie müssen – die Vorsehung hat sie dafür bestimmt, und sie hält darum auch ihre Hände über diese Auserwählten – die Einsamkeit schmerzvoll erleiden, um aus der ergreifenden Begegnung mit ihr die Allgewalt der Zugehörigkeit zu diesen Ungezählten immer wieder wie unter Tränen zu erkennen.

Man spricht im Leben so viel von Freunden. Die Freundschaft ist ein Edelgut im Leben des Einzelnen, gewiß.

Aber dort, wo die Liebe die Pflichten der Freundschaft in fast unvorstellbarer Volkommenheit erfüllt, dort ist der Kreis des kleinen menschlichen Lebens in sich geschlossen.

Nur die in sich Einsamen, die diese Einsamkeit um der Größe ihrer Aufgabe willen zu ertragen haben, finden die Freundschaft, die stützende, die sich bewährende.

Herzlieb! Dieser Ausschnitt hat mich berrührt und es ist in ihm vieles enthalten, das ich bejahen muß.

Ich möchte, daß Dir sein Inhalt auch bekannt ist, darum machte ich mich darüber, den Ausschnitt abzuschreiben.

Du! Wie erleben sie ja auch, die glückhafte Zweisamkeit! Geliebter! Du! Uns ward diese Erfüllung zuteil!

Und ich bin richtig glücklich, Dir die Aufzeichnungen jenes Mannes zukommen zu lassen, wenn ich auf Deinen gestrigen Boten zurückgreife, wo Du Dich zum Sinn dieses Daseins, dieses Lebens hindurchringst. Ach mein [Roland].

"Denn die Zweisamkeit ist der Anfang und das Ende unsres kurzen Weges durch das All!“

Geliebter! Was am Wege, am Rande diesse Tatsache liegt, ach, es berührt uns doch nicht so sehr wie die glückhafte Erkenntnis:

Wir gehören Zusammen, im ganzen Leben, sei es im Frieden oder im Kriege, sei es in der Nähe, oder in der Ferne. Geliebter!! Schicksalhaft verbunden sind wir miteinander für immer. Und Gott führt unsere Wege stets wieder zueinander!

Das haben wie ja so beglückt erlebt alle Zeit daher. Geliebter! Wir leben in einer Zeit, die uns vieles entbehren läßt, was uns sonst, im Frieden, die Freude und Lust am Leben erhöht. Wie ganz anders möchten wir unsre guten Kräfte all ansetzen und unser Wollen sich entfalten lassen. Der Krieg hemmt uns darin. Aber erstorben macht er die Sehnsucht in uns danach nimmermehr! Du! Diese Sehnsucht lebt! Lebt in uns wie unsre Liebe selber; denn sie ist ja ein Teil von ihr ! Herzelein! Mein [Roland]! Du!!! Man spricht im Leben so oft von Freundschaft. Die Freundschaft ist ein Edelgut im Leben des einzelnen, gewiß.

Und ich wünschte Dir doch in Deinem Dasein jetzt so manches Mal einen guten Freund.

Und weiter schreibt er: aber dort, wo die Liebe die Pflichten der Freundschaft in fast unvorstellbarer Vollkommenheit erfüllt, dort ist der Kreis des kleinen menschlichen Lebens in sich geschlossen.

Herzelein, ist es nicht so? Erleben wir es nicht ebenso? Wir sind einander selbst genug.

Die Liebe hat ihren Mantel um uns gelegt, wir sind ganz abgeschlossen von allem anderen darunter. Und in dem Kreis, der sich so um uns beide gebildet hat, wollen wir doch am liebsten ganz allein miteinander bleiben! Du !!! Ach Du! Geliebter! Wie liebe ich Dich! Wie fühle ich mich so ganz hingezogen zu Dir! Ich kann nicht genug suchen, Dir das immer wieder recht verständlich zu machen! Dir es recht glücklich bewußt werden zu lassen!

Oh Du! Halte Dich an mich, wie ich mich an Dich halten will immerfort.

Was kann uns denn irre machen auf unserm Weg? Ist Gott mit uns, dann sind wir wohl die Glücklichsten unter seiner Sonne! Geliebter mein!

Ich denke so ganz froh und glücklich an Dich! Und wisse ganz froh: ich bin Dein!! Ich bin Dein! Du! Für dieses ganze Leben! Ich gehöre zu Dir in allen Tagen, gehe mit dir bis an mein Lebensende. Du!!!

Geliebter! Herzelein! Wenn ich Dir nun jetzt die Hand zum Abschied reiche, so denke nicht, daß Du ausgeschaltet bis nun in meinem Herzen! Ach Herzallerliebster! Du!

Nun wende ich mich doch all den Lieben zu, die zu uns gehören, die um unser Glück auch wissen. Die lieben Eltern und unsre Geschwister, ja ,unsre'; sind ja nun auch die meinen mit! Und die ganze liebe Verwandtschaft.

Zum Weihnachtsfest sollen sie sehen, daß wir auch ihrer in Verbundenheit denken.

Ach Geliebter! Ungern lasse ich Deine Hände, ich muß! Sonst ist Weihnachten eher da, als meine Grüße es sind! Du! Geliebter! Ich küsse Dich tausendlieb zum Abschied, ich, komme doch bald wieder zu Dir!

Behüt’ Dich Gott! Bleib mir froh und gesund!

In Liebe bin ich ganz Deine [Hilde]!

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946