Sonntag, am 4. Advent 1940.
Wintersanfang — Hubo’s Geburtstag.
Herzallerliebster!! Du!! Mein geliebter, guter [Roland]!! Du!!
Ja, eigentlich kommt noch hinzu: der 22. Dezember, aber zu allen guten Dingen gehören doch immer nur 3 [sic]! Und nun magst Du selbst wählen, Dickerle, und magst gelten lassen, was Dir beliebt, da oben rechts! Aber weiter unten dann, in der Mitte, Du! Da mußt alles, alles gelten lassen, was dort steht, hörst? Da ist eines so wichtig wie das andere — da ist eines so lieb gemeint wie das andere!
Nun ist er schon bald wieder zu Ende, Dein Festtag. Die Uhr zeigt gleich die 6. Stunde. Wie und wo wirst ihn denn gefeiert haben, Deinen Tag? Ach, wo soll mein Lieb weiter gewesen sein? Höchstens mal an der Luft, vielleicht auch nochmal in der Stadt — und dann zuhaus [sic] — in Deinem jetzigen Zuhaus und Du wirst, wie jeden Sonntagnachmittag meiner gedacht haben, Du!!! Heute, zur Feier des Tages hätte ich Dich eigentlich einmal dieser Pflicht entbinden mögen? Du?! Ich bin aber so egoistisch, so unerbittlich, Du!!! Ich will auch heute einen Brief von Dir, mein Lieb! Auch heute!
Und ich weiß, es geht Dir ja ebenso wie mir, wenn dann richtiger Feiertag ist, dienstfrei, und wir sind nicht zusammen, Du! Dann fühlen wir den Feiertag nicht eher, als bis wir vor unser[e]m lieben Bogen sitzen und alles, alles aufschreiben, was uns bewegt an feiertäglicher Stimmung, an Freude und auch das Leid, es will einmal erlöst sein.
Du!!! Gleich heut morgen, als ich die Augen aufschlug, da war ich flugs einmal bei Dir! Im Bettlein! Du!!!! Hast Du’s wohl gefühlt, wie ich Dich lieb hatte? Du? Wie ich mich nach Dir sehnte! Und dann hab ich mein Morgengebet ganz lieb für Dich gesprochen und bin aufgestanden. Immer war ich heute in Gedanken bei Dir, bei jeder Mahlzeit besonders, Du! Da hieß es immer: Was wird denn unser Roland essen?, was wird er denn heute machen? und so ging es den lieben langen Tag.
Haben Dir nicht recht die Ohren geklungen?
Ach, ich möchte doch zu gerne wissen, ob mein Geburtstagsgruß auch zur rechten Zeit angekommen ist, Du! Das beschäftigt mich doch recht sehr!
Geschluckt hat’s mich heute so oft, aber wer nun an mich denkt? Du? Die Eltern in Kamenz? Oder sonst wer? Du mußt Dir in Zukunft ein ganz besonderes Zeichen angewöhnen, Hubo! Damit ich sofort weiß, wer meiner denkt!
Jetzt sitzen wir alle in der Küche beisammen, der Adventskranz ist fertig, gut ist er mir gelungen und er brennt, alle 4 Kerzen heute! So traulich ist es, bei Kerzenschimmer zu sitzen, ach, Du!! Das wissen wir beiden ja am allerbesten!! Nur hier, in meiner Umgebung fühle ich mich schon wohler, glaubst?
Ich wünschte, Du könntest auch mit da sein — so schön sauber ist alles wieder einmal, es blitzt nur so.
Draußen will es schneien, es kann aber vor Kälte nicht, trübe ist es sehr und es bröckelt ganz sacht vom Himmel. Du! Heut nacht um 3 war wieder Alarm! Im gleichen Moment, als die Sirene verstummte brummten ‚sie’ schon über unsre Dächer hinweg, nicht bloß zwei, das waren viel mehr — ehe wir recht zur Besinnung kamen, waren sie hinweg; wir gingen darum garnicht erst in den Keller. Gegen 600 wurde entwarnt. Dabei ist nun fast kein Mond zu sehen und soo kalt ist’s — die kommen trotzdem. In Potsdam haben sie wieder so gehaust, P. Karl ist da beim Militär, der wird nun auch etwas zu hören und zu sehen bekommen.
Ach, Du! Vom Radio wollt ich Dir noch berichten: also, bis jetzt war er noch nicht da, er hatte eine dringende Reparatur unten in der ,Nickelsmühle’ zu verrichten. Weißt, das große Fabrikgebäude, wenn man auf der Landstraße nach Mittelfrohna geht, so rechts im Tale? Er wird erst morgen erscheinen und wir meinten nun, heute gäb’s schon die erste Musik!
Denke nur: Die Mittelfrohnaer haben uns für die Feiertage zu sich geladen — zum Arbeiten natürlich!! Du wirst schon gehört haben, daß wieder Tanz ist. Ja, Mutsch soll in der Küche helfen und Frau [Nordhoff] soll die Garderobefrau machen! Äußerst liebenswürdig hat man mich bedacht, ja? Keine schmutzige Küchenarbeit, nur son bissel Dame spielen. Aber — Du kennst ja die Frau [Nordhoff] und was die gesagt hat, das gilt. Sie wird nämlich an allen Feiertagen und an allen Sonntagen, die kommen, mit oder ohne Tanz, zuhause sein und nicht sich der Öffentlichkeit präsentieren, das hat sie nicht nötig. Du kennst ja meine Einstellung mein [Roland], von unserem Beisammensein her, für mich kommt ein Dienst da unten nicht mehr in Frage. Ich werde ihnen das bei Gelegenheit auch noch selbst einmal sagen, ganz vernünftig. Und je nachdem — ich werde mich, wenn’s sein muß auf den Wunsch meines Mannes berufen. Du!! Dem Vater hat man’s unterbreitet, er hat es abgelehnt, er selbst hat ja auch Dienst. Und Mutsch geht auch nicht hin, sie kann nicht, sie sagt es selbst, ihrer Gesundheit halber — sie ist nämlich noch nicht richtig beisammen. Und wir beiden lassen es einfach nicht zu, daß eines helfen geht von uns. Sie mögen sich nur um Dienstleute kümmern, wenn das in Zukunft so bleibt mit den Vergnügungen, auf uns können sie sich nicht verlassen, wir haben selbst einen Haushalt und wenn ich erst mal nicht mehr daheim bin, da kann die Mutter sowieso für keinen aus der Verwandtschaft mehr da sein. Schade um jedes weitere Wort, es kommt nicht mehr in Betracht für uns und damit gut.
Wir freuen uns nun seit Wochen auf die paar Feiertage, wo wir mal in Ruhe und Gemütlichkeit beisammen sein können — ist schon allerhand, daß Vater arbeiten muß. O, ich werde bitterböse wenn mir einer verquer kommt!! Das wissen sie in Mittelfrohna auch, denn mich geht persönlich niemand darum an. Die Eltern bittet man — naja und die [Hilde]? Wird doch nicht allein daheim bleiben und sich kochen und freuen, sie kann doch auch mit runter kommen — und wenn sie auch mal einen Handgriff macht, es fällt ihr darum keine Perle aus der Krone. Ich lasse mich nicht von allen beliebigen Männern begaffen und belästigen; denn das ist so, wenn man solchen Posten übernimmt, das weiß ich doch. Sie mögen sich nur eine suchen, die dazu besser paßt, als ich. Und noch dazu dieser Sohn vom Rittergut, der ginge mir ja nicht von der Seite, wenn ich da unten stünde den ganzen Abend. Nie.
Und wenn sie mir das übel nehmen, ist mir egal.
Ich bin Deine Frau und ich weiß, was ich meiner Ehre als Deine Frau schuldig bin. Und Dir mit, Du!
Nun hab ich aber wieder mal meinem Herzen Luft gemacht. Du! Du!! Du hörst mich an, ich weiß’ es und Du wirst mich auch verstehen, Du!! —
Ich war recht betroffen über das, was Du mir über die Familie P. berichtetest. Also noch immer das alte Übel, wie ich das so vor meinen Augen sah, das Bild, da müßte ich daran denken: sie sind es doch nicht wert, daß man den Kleinen Liebes erweist. Und doch — die armen Kinder könnten einem leid tun, sie können nichts für die Schuld ihrer Mutter. Und warum sollen sie denn nun die Liebe einbüßen müssen, die eine Fremde ihnen erweisen möchte, weil sie eben Kinder gerne hat, und weil sie aus einem Herz voll Freude schenkte damals, an dem Sonntag — weil sie so sehr erinnert wurde an die Tage ihres Glücks und in diese Tagen standen auch, wenn schon schüchtern beiseite, die lieben kleinen Kinder. Ich will nicht bereuend denken daran — es gehört allein den kleinen, was ich Liebes tat.
Aber betroffen war ich doch, schmerzlich betroffen — und die alte Mutter auch mit dabei? Sie können ihr Verhalten in ihrer ganzen Tragweite überhaupt nicht ermessen, meines Erachtens, oder — sie haben eben tatsächlich so wenig Ehrgefühl im Leibe. Wir wollen uns darüber nicht die Köpfe heiß reden — wir werden direkt persönlich nichts wieder mit den Leuten zu tun haben, sie sollen ruhig tun, was ihnen recht und gut dünkt.
10 Mann sind von Eurer Batterie weg? Kenne ich die aus Eurer Stube dabei sind? Weißt Du wohin sie gekommen sind? Und — kriegen die nicht noch mal Urlaub, ehe sie weg müssen? Du! Ob es Dich auch mal so schnell erwischen kann? Welch ein Fragekasten, hm? Du! Daran denke ich mit Schrecken!
Dem Onkel Doktor hat sich der mutige Hubo in die Arme geworfen? O, ich bewundere Dich, Du!! Ich bringe dies Jahr nicht mehr so viel Mut auf — nein, dies Jahr nicht mehr, Du! Und dann will ich erst mal sehn, wo's weh tut!! Aber im Ernst — ich muß recht bald gehen. Wie hab ich mich zu verhalten mit meiner Krankenkasse?
Bitte sag mir's nochmal. Ich brauche nur hingehen und da kann er schon anfangen mit Bohren? Ich meine im Zahn, natürlich! Du! Aber ich müßte früher erst einen Krankenschein haben. Deine Lebensversicherung müssen wir im Januar bezahlen, nicht wahr? Und wohl auch bei der Hanseatischen Verlagsanstalt? Vergiß das bitte nicht, Dickerle, zu überlegen, was alles noch fällig ist, wir möchten nichts versäumen.
Heute nachmittag hab ich mich nun mal zuerst über die Schreibebriefe für die liebe, lange Verwandtschaft hergemacht. Onkel Erich, Onkel Karl, Tante Marie, Tante Gretchen, nach Hohenbocka einige Zeilen, nach Lobeda zum Häsel! Eine Hochzeitsgratulation (mein früheres Gefolgschaftsmitglied, das im Kontor ist.)
Huh — ich bin ja froh — wieder mal bissel Luft! Morgen noch einiges an unsre Verwandten. Du Armer mußt auch mal an die anderen denken u. hast schon den lieben langen Tag den Stift zu führen, aber das sind so unbequeme Dinge für uns beide!!, die nun mal nicht abzuschaffen sind. Wir brauchten von uns aus niemandem weiter zum Schreiben, als uns einander. Doch es ist auch schön, wenn man mal Post bekommt von den andern. Sag, wie heißt denn bloß Tante Marie in Dresden mit Familiennamen? Ich kann u. kann mich nicht besinnen, wollt Dich schon fragen, als ich bei Dir war — ich muß ihr ja nun mal unser Hochzeitsbild schicken! Bitte vergiß das mal nicht, mir zu schreiben, ja?!
Und grüßen soll ich Dich von G.s! (ich war da um Bilder zu bestellen für die Verwandten) und auch von Herrn H.! Der fragt immer mal nach Dir; wenn er mich erwischen kann, hält er mich an. Du! Ich habe mit dem Strauß-Buch begonnen, es liest sich sehr schön! Ich will Dir's schicken, wenn ich fertig bin! Willst Du?
Nun mein Herz für heute genug, mir schmerzt der Kopf ein bissel vom vielen schreiben — ich bin heute keinen Schritt hinaus gekommen, das spüre ich auch. Aber ich bin sonst wieder ganz gesund! Ganz munter! Das merke ich vor allem an meiner großen, großen Sehnsucht nach Dir!! Du!!! Mein Herzlieb! Mögest Du Deinen Geburtstag recht froh beschlossen haben, möge Dich der Herrgott schützen und behüten immerdar! Möge er Dich gesund heimkehren lassen zu mir — zu Deiner Lieben. Mein geliebtes Herz! Ich denke in heißer Liebe Dein! Träume einen lieben Traum ins neue Lebensjahr!! Mein Geliebter!! Du!! In Treue fest ganz
Deine Holde Dein!!
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Hilde Nordhoff
Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.
Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946