Sonntag, den 12. Januar 1941
Mein liebstes teures Herz! Geliebte Holde mein! Meine Hilde!
Mittag ist vorbei. Dein Hubo hat sich in die 1. Garnitur geworfen – weil Sonntag ist – er hatte sonst keinen Grund – doch noch einen heute: weil Kompaniefest sein soll. Eine komische Angelegenheit: nicht verbindlich – kein Programm – Tanz soll sein – weiß[t Du]: sie wollen noch mal das Kalb austreiben, ehe der Chef wiederkommt. Dein Hubo hält sich an den Programmpunkt, 'unverbindlich', der ist mir der liebste – Du darfst nicht denken aus Verzicht, zu dem ich mich zwinge – ach Herzlieb! Geliebte!! Nach viel Besserem, Schönerem, viel, viel Reicherem steht mein Sinn, Du!!!! Nicht Verzicht und Bescheidenheit – Eigensinn und Anspruch und Liebe zu Wahrheit und Klarheit bestimmen mich, diesem Amüsierbetrieb abhold zu sein. Amüsieren, Du! Das Wort hätten wir beide nicht erfunden. Dazu sind wir nicht geschaffen. Fast alle Geselligkeit zielt ab auf das Amüsieren und wird damit zum Feld einer ganz bestimmten Sorte von Menschen, die mit der Ehrlichkeit und Gewissenhaftigkeit auf Kriegsfuß stehen, die möglichst billig zu den besten Vergnügen ihrer Art kommen wollen, die gleichsam die Fettaugen überall abschöpfen wollen. Ach weist, ich war ein paarmal, also 2 mal, im Stadtpark. Ich wollte mal eine gute Tanzmusik hören: Emde spielte – vielleicht lockte mich auch etwas anderes, ich sag´s Dir gleich – aber mit einem Gefühl höchsten Unbehagens, des Ekels beinahe ging ich von dannen. Ich hab nur die Menschen betrachtet – auch die Mädchen – und wo mir eines gefiel, da hab ich wohl auch mal öfters hingesehen – nach den Augen, nach dem Antlitz – ob sie spiegelten, was ich suchte und ersuchte: Tiefe. Beständigkeit, Treue, Herzinnigkeit – ach Du!! Ich sah nicht eine, die meinem Blicke standhielt, die mir Antwort gab – ich blickte ins Leere, in Verständnislosigkeit, war wie im fremden Lande.
Du! Wenn ich Dich doch mal dort getroffen hätte! Mal wirst in der bestimmten und irgendwie besonders empfindlichen Gesellschaft der Kantorei – mal allein – an solchem Abend, an dem ich selbst für anderes aufgeschlossen war und mich allein und einsam fühlte – und unsre Augen wären sich begegnet – Herzlieb, Du!! – ich hätte mir den Blick gemerkt – Du hättest mich getroffen damit und vielleicht verwundet! Du!! Du!!! – Und vielleicht hätte ich Dich herausgeführt aus dieser Öde an meiner Seite – so wie es nun heute ist, Du!! Du!!! Mein Herzlieb!!!!
Übertreibt Dein Roland? Tut er Deiner Heimat unrecht? Sag selbst! In der Kantorei die Mädels, es war noch eine gewisse Auslese, waren vielleicht sogar paar gute Mädels dabei – aber Du warst die tiefste von allen, die einzige mit Leidenschaft und Hingabe, die einzige mit dem großem, reichen Herzen – die einzige, der Dein Roland die Liebe erwidern konnte – so sehe ich es heute ganz deutlich, Du!! – Die anderen guten sie hatten hatten nicht die Tiefe; sie hatten ein engeres Herz; sie trachteten vielleicht heimlich, gut versorgt und angesehen an meiner Seite zu stehen – – – sie konnten mich nicht gewinnen. Ein weites, großes, tiefes Herz – das war Deinem Roland Bedingung, – Leidenschaft? Wenn in der Treue, in dem Eigensinn Leidenschaft gemeint ist, dann war auch Leidenschaft Bedingung. Geliebte!! Meine Hilde!!!!! Du liebst mich aus der unergründlichen, dunklen Tiefe des Ewigweiblichen – aus einer geheimnisvollen Wesensverwandtschaft, die uns so eng verbindet. Dieses Ewigweibliche, das sich in Dir so deutlich und selten verkörpert, es läßt uns beide die Liebe so tief und gläubig und rein empfinden, wir verstehen uns so gut in dem Blick in die Tiefe und Weite, Du!!! Und die Wesensverwandtschaft, der Eigensinn, sie verleihen unsrer Liebe das glückhaft Einmalige. Du liebtest in mir den Menschen, nicht den Lehrer, dachtest nicht an Rang und Vorteil – Herzlieb!! Du!! Nur diese große, weitherzige Liebe konnte mich bezwing[en] und bannen – sie gab Dir Kraft und Mut, alle Hindernisse beiseitezuräumen. Es ist ja alles so wundersam – – Und nun bist du wirklich mein geworden, Du!!! Du!!!!! Und ich bin Dein!!!!! Gute Freundschaft, wie selten ist sie schon! Gute Liebe – Herzlieb! Meine liebe, liebe [Hilde]!!! Sie ist ja noch viel seltener, Du!!!!!
Wo bist Du denn jetzt, mein Lieb? Eben hab ich mich vom Fest fortgestohlen, um Deinen Boten fertig zu machen, um mit Dir zu plaudern. Vorhin hab ich wieder den Botenmann gespielt, habe einen Dienstbrief und Deinen Boten zur Post gebracht. Du! Heute morgen mußte ich ganz arg an dich denken. ½ 5 Uhr weckte uns die Alarmglocke, unverschämt am Sonntagmorgen, einzelne Minenflieger waren unterwegs, zu uns kamen sie nicht. Kurz vor 6 war es, da schnitt und zog es mir zweimal schmerzhaft durch den Leib – Du, ganz fest verbundene Menschen werden auch miteinander krank! – vielleicht war es um dieselbe Stunde, daß das Brünnlein aufbrach. Armes liebes Herz, meine gute, liebe Hilde! Ganz lieb und warm hatte ich Dich umfangen und ganz leis küsse ich die liebe Stirne, Du!!!!!
Das Fest? Es ist kein Fest. Etwa 15 Mädchen und Frauen (!) sind da: darunter auch die beiden unentwegten, schon von 3 Uhr an. Die Kinder wieder zu Haus sich selbst überlassen. Eine kleine Tragödie konnte ich beobachten. Die beiden Schwestern wollten nicht allein den Saal betreten, sie baten mich, ihren Kavalier zu rufen – und der mochte nichts wissen heute von ihnen; er bestimmte zwei gleichgesinnte Kameraden, sich ihrer anzunehmen! So wandern sie von Hand zu Hand. Ach weißt, Herzlieb, ein bissl doof sind die beiden auch, und von Liebe zu ihrem Mann ver mögen sie wohl nicht viel zu spüren. Du, wir beiden lassen uns vom Zusehen schon näher gehen als die beiden vom Zutun. Wenn ich dächte, Du würdest dich zu solchem Gange rüsten (Du!!) – würdest doch schon umkehren müssen, wenn Du das Kleidel aus dem Schranke holtest, mit dem Du Dich sonst für Deinen Herzallerliebsten schmückst. Herzlieb, und so hat unsere Liebe alle großen und kleine Dinge überformt und vergoldet – keinen Schritt können wir tun, ohne auf eine kostbare Erinnerung zu stoßen, die uns das Gewissen schlagen ließe. Und seit Du nun bei mir warst – da sind die Spuren unserer Liebe und meiner Herzallerliebsten auch in dieser fremden Gegend, Du!! Den Weg nach Eckernförde, ich gehe ihn nun noch einmal so gern! Überall sind Zeugen unserer Liebe, überall, Du!! Zeugen unsres Glückes, unsres großen Glückes!!! Und wir haben keinen zu fürchten, jeder erinnert uns froh an unser Glück! Du! Mein liebe [Hilde]!! Weißt ich freu mich auf morgen! Da kommt Dein lieber Bote wieder zu mir, dann spüre ich Deine liebe Hand und Deine holde Nähe, Du!! Den Du mir heute zudachtest, er kam schon am Sonnabend. Ja, ja! Du!! Paß nur gut auf – wenn die Post immer schneller geht, das kann es passieren, mein Lieb sitzt eben in der Wanne und überlegt sich, woher es einen Bademeister nehmen könnte – und da schaut er eben schon zur Tür herein, Du!!! Wie ist er denn hereingekommen? Nun ganz einfach, er hat sich vom Pappsch den Schlüssel mitgebracht, Du!!
Du! Herzlieb!! Nun werd ich bald schon mal an die Urlaubsfrage rühren, ich denke diese Woche noch, in einer guten Stunde. Und Du stehst dann neben mir – und Dein Bild ist dann mit mir – ach Herzlieb, es schwebt mir ja immer vor, so lieb, so rein, es ruft meine Sehnsucht, meine Verehrung und alle Liebe!!! Gott behüte Dich! Dein [Roland] bin ich!! Immerdar ganz Dein!!! Mein Lieb! Mein Herzlieb! Mein Glück! Mein Reichtum! Mein Ein und alles! Mein Leben!! Du!! Du!!!!! Ich küsse Dich herzinnig! Ich liebe, liebe Dich!!!!! Dein [Roland]!! Dein!!!!! Und du bist mein Herzlieb! In deinem Herzen darf ich wohnen!!
Bei Dir darf ich sein!! Ganz nahe!!! Du, Traute, Liebste, Holde mein!!! Du!!!
Du!!!!!!!
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Roland Nordhoff
Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946